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Auf dem Hallstätter See.

Autorenbild: Gerhard ZaunerGerhard Zauner

II. Jahrgang. 1855




Aus den Alpen.

Reiseskizzen von Professor Friedrich Simony.

IV.

Auf dem Hallstätter See.


Weh sturmlust'ge Winde heulen

Aus der Felsen Hinterhalt,

See, dein schlummernd Kindeslallen

Als Giganten Feldschrei hallt!

Anast. Grün. Sturm.


Zum vierzigsten Mal hatte ich heute schon Differenzialthermometer und Sonde in den See gesenkt, um dessen Temperatur in seinen verschiedenen Tiefen zu ermitteln.So belehrend für mich das Ergebniß dieser Untersuchungen auch sein mußte"), so war doch die Operation selbst eine ziemlich langweilige und insbesondere das Emporwinden des schweren Apparates aus größeren Tiefen auch eine höchst ermüdende Arbeit.Obgleich meine Kräfte schon ziemlich zur Neige gingen, konnte ich mich indeß doch nicht entschließen, diesmal die Messungen vor Abend abzubrechen, da dieselben von einer Windstille begünstigt wurden, wie sie in so später Jahreszeit nur selten vorkommt.


Es war einer jener melancholischen Novembertage, an welchem das Entschlummern der Natur nicht blos durch das leise fallende Laub der Bäume, durch die von Blumen entkleideten Wiesen sich kundgibt, sondern wo auch die Luft gleich einem ermüdeten Wanderer regungslos auf der Erde liegt und die matten Sonnenstrahlen den fahlen Dunst nicht mehr zu zerstreuen vermögen, welcher das Blau des Himmels schleierartig verhüllt. Weder die Häupter der Alpen, die so majestätisch und ernst auf den dunkem See herabschauen, hatte der frühe Gebirgswinter schon seine Schneedecke gebreitet; von den schmalen Stufen der Bergwände war der kurze Vegetationsanflug verschwunden und aus dem entblätterten Astgewirre der Buchen- und Lärchenwälder, welche im Sommer den Alpenlandschaften eine unbeschreibliche Frischeverleihen, ragten jetzt die schwarzen Tannen und Fichten in ihrer ganzen ungemilderten Düsterheit empor.


Inmitten dieser absterbenden Natur war der See– diese breite, dafür aber auch einzige Straße von Hallstatt– ein Bild reger Lebendigkeit.

Große und kleine Fahrzeuge kreuzten da nach allen Richtungen und schnitten ihre lange nachhaltenden Spuren in den schwarzen Spiegel ein. Hart am westlichen Ufer bewegte sich kaum merkbar eine ungeheure Scheibe von dicht aneinander gedrängten, schwimmenden Holzblöcken gegen das Salzsudwerk hin *); mitten auf der Wasserfläche trieben Fischer mit Schwebnetzen ihr ergiebiges Handwerk. Ein scheinbar ganz unbemannter Kahn schwamm wie festgebannt in einer beschatteten Bucht– in demselben lauerte liegend ein Jäger auf Wildenten, die sich immer mehr dem gefährlichen Fahrzeug näherten.


Mit Salz beladene Schiffe fuhren abwärts gegen Steeg, während ihnen entgegen eine mit den verschiedensten Lebensmitteln überfrachtete Plätte schwerfällig dem Markte zusteuerte. Aus der Lahn führte ein großes Boot von den Niederalpen heimkehrende Sennerinnen mit ihrer bekränzten Heerde nach Obersee, und herüber von Grub trieben schwimmende Hügel von Heu und Reisigstreu gegen Hallstatt. Leichtere Fahrzeuge trugen geschäftige Menschen von Ufer zu Ufer, und in mehr als einem Schiffchen schaukelten sich unbewachte Kinder über dem furchtbaren Wasserabgrund und übten ihre schwachen Arme in der hier unerläßlichen Fertigkeit des Ruderns.


An mir glitt ein mit Tannenreis und bunten Wimpeln aufgeputzter Kahn vorüber. Darinnen saß ein Weib mit einem schlafenden Kinde. Am Steuer stand ein junger Mann im Sonntagsstaat, mit fröhlichem Gesichte; die zwei andern Ruder wurden von einem bejahrten Paare gehandhabt. Im Hinterbug des Schiffes kauerte das Bild erlöschenden Lebens, ein uraltes Mütterchen, welches sichtlich für die kalte Luft nicht weniger empfindlich war, wie die durch Hüllen sorgsam geschützte Menschenknospe.

„Wohin?“ rief ich dem mir wohlbekannten Steuermanne zu.

„Meinen Erstgebornen zur Taufe führen,“ war die kurze Antwort, aber an den wenigen Worten hing ein ganzer, weiter Himmel voll Freude, der in allen andern Gesichtern des Schiffleins wiederstrahlte. Das festlich geschmückte Fahrzeug mit seinen vier Generationen zog weiter gegen Hallstatt und verschmolz bald in einen einzigen, lichten Punkt, zwei auseinander laufende Wellenlinien hinter sich zurücklassend, welche zuerst silberglänzend und scharf begränzt, sich in die schwarzgrüne Fluth zeichneten, dann aber immer unmerklicher werdende Striche bildeten, bis auch diese sich in der weiten Fläche verwischten. Mir kamen die zwei divergirenden Wellenlinien, welche der Kahn mit dem jungen Weltbürger hinter sich nachzog, wie ein Symbol des Menschendaseins vor, welches auf dem engen, aber ewig sonnigen Tummelplatz der Kindheit glänzend und flimmernd beginnt, dann aber in seinem Verlaufe mit seinen Strebungen immer weiter auseinanderfahrend, sich mehr und mehr verflacht, bis es zuletzt im großen Strome des allgemeinen Lebens spurlos verrinnt.


Da kaum die zweite Nachmittagsstunde verflossen war, beschloß ich, noch in dem südlichsten Theile des Sees eine Anzahl Messungen vorzunehmen. Ich nahm meinen Standpunkt in der Nähe des Hirschbrunnens, von wo aus man das Seethal fast nach seiner ganzen Länge überschauen kann.

Während ich da die Untersuchungen fortsetzte, begann der Himmel sein früheres Aussehen zu verändern. In dem fahlen Dunstschleier, der noch kurz vorher die Luft so einförmig durchzogen, entstanden strahlenförmig von Norden auslaufende Risse, durch welche anfangs ein trübes Blau hereinschimmerte, bald aber flockenartiges Gewölke sichtbar wurde, das sich immer dichter ballte und mit wachsender Schnelligkeit gegen Süden zog. Im tiefsten Horizonte, da wo das felsenumgürtete Seethal seinen Ausgang nimmt und wo niedrigere Berge stehen, tauchte über dem Erdsaume eine dunkle Wolkenmasse auf, deren oberer Rand von einem matt beleuchteten Streifen gesäumt war.


Nach kaum einer Viertelstunde war sie schon zu einer Wand angewachsen, von welcher sich zeitweise einzelne Stücke ablösten und über die hinteren Berge hereinbrachen. Die Atmosfäre ringsum war noch unbeweglich, nur momentan streifte ein leichtes Lüftchen über des Sees Fläche und prickelte kleine, schimmernde Wellchen auf, die jedoch schnell wieder verschwanden.

„Wir bekommen Sturm und zwar noch früher, als wir Hallstatt erreichen können,“ rief mein Steuermann und zeigte auf die Wolkenwand, welche plötzlich durch eine breite horizontale Spalte in zwei Theile gerissen erschien:

„Das ist eine Windnath, wie ich noch nicht viele gesehen und die nichts Gutes bedeutet.“Ich hatte die Tücke des Hallstätter Sees zu oft erprobt, um nicht die Ansicht des Schiffers zu theilen, daß es rathsam sei, möglichst bald das Trockne zu suchen. Schnell wurde der Meßapparat aus der Tiefe gewunden und dem nächsten Ufer zugesteuert. In kurzer Zeit war dasselbe erreicht, das Fahrzeug aus dem Wasser gezogen, das Thermometer in Sicherheit gebracht. Dann stieg ich mit meinen Leuten eine Strecke in dem Gehänge über den Hirschbrunn aufwärts, um von einem höheren Punkte die Dinge überschauen zu können, die da kommen sollten.


Auf dem Hallstätter Kirchthurm schlug die dritte Stunde. Die Glockenschläge erklangen in ungewöhnlich langgezogenen, vibrirenden Tönen, als wenn jeder derselben aus einer unendlichen Reihe gebrochener Schallwellen bestünde. Der See, dessen dunkler Spiegel durch den schwarzen Wolkenhintergrund ein wahrhaft unheimliches Aussehen bekam, und der noch vor Kurzem ein Bild bewegten Lebens geboten, war plötzlich zur öden, lautlosen Wasserwüste umgewandelt. Nur ein einziges von Hallstatt abfahrendes Schiffchen schien die warnende Windnath nicht zu bemerken, oder dem nahenden Sturme zu trotzen.

Doch plötzlich hält es still, die Schiffer scheinen unschlüssig zu sein, ob sie umkehren oder weiter fahren sollen. Meine Leute verfolgen mit Besorgniß jede Bewegung des gebrechlichen Fahrzeugs, ich suche mit Hilfe des Fernrohres die Zahl der Ruderer in demselben zu erkennen. Es ist die Taufgesellschaft mit dem Kinde, das jetzt vielleicht eben so ruhig wie vor einer Stunde über dem nassen Grabe all' der vielen Menschen schlummert, die der unersättliche See seit Jahrhunderten verschlungen *).


Nach wenigen Augenblicken macht der Kahn wieder eine rasche Wendung gegen Ober-Traun, vier Ruder greifen mit doppelt raschem Tempo in das Wasser, und wie ein fliehender Schwan schießt jetzt das Schiff über die Wasserfläche dahin.


Indeß hat dichte Gewitternacht die nördlichen Berge bedeckt. Wolken, bald grau, bald schwarz wallen dort auf, die durcheinander wogenden Massen wälzen sich immer näher und näher; immer deutlicher wird in ihnen das Toben des Sturmes. Um mich herum herrscht noch dieselbe Ruhe wie bisher, aber sie wirkt jetzt eigenthümlich beängstigend; sie gleicht dem Stillestehen des Herzschlages, wenn der Geist plötzlich vom Schrecken des Todes, von der Ahnung irgend etwas Entsetzlichen erfaßt wird. Allmählig beginnt ein dumpfes Sausen, welches bald wächst, bald wieder schwächer wird; doch ertönt es nicht neben, nicht vor mir, sondern in großer Höhe. Es ist das erste Anprallen der erschütterten Luft an den südlichen Alpenwänden. Die schimmernden Streifen, welche schon früher die öhlgleiche Wasserfläche momentan bedeckt hatten, werden häufiger, bald zucken sie gleich Blitzen über dem See, bald fahren sie nach Art der Wasserspinnen in wilden Zickzacksprüngen umher und zeichnen den Weg der hereinbrechenden Luftstöße. Die Wolkenwand im Hintergrunde durchzieht ein breiter, bogenförmiger Riß, dessen Ränder sich fortwährend verschieben und bald schließen, bald wieder auseinander klaffen. Endlich senkt sich eine dunkelgraue Regencourtine aus dem Riß hernieder, hinter welcher alles spurlos verschwindet. Der obere Theil der Wolkenwand aber wächst immer höher an und wird immer bewegter. Eine wunderlich geballte Masse reißt sich von derselben los, prallt am nördlichen Absturz des Fahlecks an und wird über dessen Felsenstufen emporgeschoben; ihr folgt eine zweite, die sich in größerer Tiefe um die waldgesäumte Klippe schlingt. Das Brausen wird stärker, auch tönt es nicht mehr bloß in der Höhe des Gebirges, es scheint gleichzeitig vom untern Theil des Sees heranzukommen.


Bis zu diesem Moment hatte ich das einsame Fahrzeug nicht aus den Augen gelassen– jetzt umschiffte es die südliche Landspitze von Grub und war aus dem Bereiche der Gefahr. Ich wünschte dem kleinen Weltbürger ein gleich sicheres Geleite durch alle künftigen Stürme seines Lebens, wie bei dieser ersten Fahrt, wo liebende Arme für ihn das Steuer führten.

Zum letztenmal wirft die Sonne einige wässerige Strahlen durch das Echernthal herein und versinkt dann in aufwirbelndem Gewölke. Schnell wandelt sich die Tageshelle zur Dämmerung um. Ein milchweißer Streif wird auf dem untern See sichtbar, er rückt langsam vor, wird immer höher und breiter, immer bestimmter in seinen Theilen; endlich erkennt das Auge ihn als eine den ganzen See quer überhöhende Woge. Aber weit vor ihr wälzen sich schon die vom nahenden Orkan gepreßten Luftmassen über den See, drücken mit unermeßlicher Kraft auf dessen Spiegel, drängen ihn nach allen Richtungen auseinander und werfen urplötzlich die scheinbar unbewegte Wassermasse in klafterhoher Brandung über die Ufer *).


Doch war dieß nur der erste Anlauf, die Brandung verstummt, der See im Vordergrund ebnet sich wieder, aber der vorerwähnte Wellenstreif hat schon Hallstatt erreicht und hinter ihm herrscht ein unabsehbares Gewimmel schaumbedeckter Wogen. Aus dem formlosen Hintergrund, wo Luft und Wasser in Eins verschmolzen zu sein scheinen, winden sich grauweiße Nebelbänder los, sie schweben in wellenförmiger Bewegung an den Abstürzen des Sarsteins hin, überfliegen die Platte der Burgau und stürzen gleich gespenstigen Schlangenungethümen ins Thal von Ober-Traun herein.


Wieder erbebt der letzte noch wellenlos gebliebene Theil des Seespiegels, er beginnt zu schwanken und zu wogen; zum zweiten Mal, doch ungleich gewaltiger wirft sich die erschütterte Wassermasse in Schaum zerstiebend an die erdröhnenden Felsen. Und wieder sinkt das entfesselte Element in Ruhe zurück, als wollte es sich von dem betäubenden Anfall erholen, doch währt die Ruhe nur mehr Sekunden, denn die aus Norden stetig vorrückende Sturmwoge hat nun das oberste Ende des Sees erreicht und hinter ihr her drängen die wild durcheinander fahrenden Wellen heran, bedeckt mit Schaum, Sägespänen, Drehlingen und umgestürzten Kähnen.


Jetzt ist auch um uns herum der Sturm losgebrochen. Sinnverwirrendes Getöse ertönt überall, wohin das Ohr nur immer sich wenden mag. Der Wald ächzt und stöhnt, die Wasser toben und brausen, aus allen Schluchten heult der Orkan; das Echo der Berge verhundertfacht noch den Lärm der kämpfenden Elemente. Plötzlich trübt sich die Luft, der Gesichtskreis wird enger und enger, bald werden auch die nächsten Gegenstände undeutlich; ein gewaltiger Windstoß saust an uns vorüber, darauf ist Alles verschwunden – Millionen Schneeflocken tanzen in der Luft und weben sich zu einem undurchdringlichen Schleier.


Ich eile mit meinen Gefährten, einen Felsüberhang aufzusuchen, welcher hinlänglichen Schutz vor der Gewalt des Orkans zu bieten geeignet wäre, ohne uns den Anblick des Verlaufes dieser großartigen Naturerscheinung zu verkümmern.


Und wieder ändert die Scene. Ein Windstoß, heftiger und andauernder als alle früheren, verweht das Schneegestöber und öffnet die Aussicht über das Seethal. Aber welch' ein Gemälde bietet sich jetzt dar! Das Gewitter scheint vollständig in den untern See zu tauchen. Wolken rollen links vom hohen Blassen, rechts vom Sarstein in's Thal herab. Da streift eine fliegende Nebelmasse dicht über die wallenden Fluthen hin, dort wälzt sich ein neues Wolkenungethüm wie von unsichtbaren Sisifusarmen gehoben über dämmende Wände empor. Nächtliche Dunkelheit bricht herein; die schaumbedeckten Wellenkämme, der über den See hinjagende Wasserstaub und die flatternden Nebel sind die hellsten Stellen in dem lichtlosen Bilde. Die Wucht des Gewitters scheint den See aus seinem Beete zu drängen, denn immer höher steigen dessen Wogen, immer furchtbarer donnert die Brandung an das trümmerbedeckte Gestade.


Mit einemmale scheint die schwarze Wolkenmauer im Hintergrunde stille zu stehen, dann sich noch höher aufzurichten– noch ein Moment – jetzt ist sie von oben bis unten geborsten und durch das geöffnete Thor schreitet ein thurmhohes, blendend weißes Ungeheuer herein. Um dasselbe herum ebnet und senkt sich der See und die Wellen fliehen vor dem riesigen Ungethüm, als fürchteten sie von ihm verschlungen zu werden.


Noch toller, noch gewaltiger wird jetzt das Strömen und Wirbeln in der Atmosfäre, ja momentan scheint es, als hätte nun auch wirklich der See seine finsteren Tiefen erschlossen und aus ihnen bräche der eisige „Grundwind“ hervor. Aus dem Echernthal braust der gefürchtete „Waldbacher“, als der gegenüberliegenden Obertraun wälzt sich der „Traunwind“ und die Wände der Hirschau werfen den hereinstürmenden Nord in doppelter Stärke zurück. Alle treten miteinander in Wechselkampf, in diesem sinkt plötzlich die Wasserhose zusammen und über ihrem Grab tanzt das wüste Gesindel der Wogen.–


Der Orkan hat seinen Gipfelpunet erreicht. Schauerlich groß gestaltet sich der Anblick des aufs Höchste empörten Sees. Hier wird er von einem senkrecht niederschießenden Windstrom zur Fläche geebnet, dort erheben sich ganze Berge von Wasser; hier wird eine Welle von einer zweiten größeren verschlungen, dort prallen ungeheure Wogen mit furchtbarer Gewalt aneinander und zerschlagen sich zu Schaum; hier erfaßt die Windsbraut ganze Massen von Wasser, wirbelt sie zusammen zu einem Kegel und dieser wächst und wächst und wird immer lockerer und lockerer, bis er von einem neuen Windstoß ergriffen und zu feinen Staub zerpeitscht wird. Das Getöse ist wahrhaft schaudererregend. Das Ohr wird betäubt von dem Heulen der Winde, von dem Brüllen des Sees, von dem Krachen der geknickten Bäume, von dem Prasseln der niederschmetternden Felsstücke.

Zaghaft starrt das Auge durch die von Schneewolken, Spritzwasser, Sand und Laub verdunkelte Luft. Die Minuten werden zu Stunden; der von den überwältigenden Eindrücken erschöpfte Geist sehnt sich nach Ruhe, die vorüberfliegenden Bilder lasten wie ein Alp auf ihm– vergebens sucht er das Gesehene in seiner ganzen Größe zu erfassen, zu überschauen.


Endlich ist wieder eine Zeit verflossen; die Wuth des Sturmes läßt nach, allmälig verstummt er, die Wellen ebnen sich, die Wälder werden still, die Wolken zerfließen, die Abendsonne bricht sich Bahn, und als die fünfte Glockenstunde hell und klar vom Markt herübertönt, beleuchten ihre letzten Strahlen so goldend und rein, wie nach dem schönsten Tage, eine– Winterlandschaft.


*) Das durch die Gebirgsflüsse in die Seen getriftete Brennholz wird an den Mündungen der erstern mit dem sogenannten Holzbogen aufgefangen. Dieser besteht aus 50 bis 100, auch wohl noch mehr dünnen, etwa 9“ langen Balken, die durch kurze Kettenglieder aneinander gehängt sind, und dessen beide Enden an den entgegengesetzten Seiten der Mündung des Triftwassers so befestigt werden, daß sich vor derselben ein schwimmender Bogen bildet, welchen die in den See geschwemmten Drehlinge (die noch ungespaltenen Holzblöcke) nicht überschreiten können. Ist der Bogen zum größeren Theile ausgefüllt, so werden seine beiden Enden zusammengeschlossen und dieser schwimmende Holzkreis dann durch einen Schleppkahn weiter geschafft. Auf dem letztern befindet sich eine Winde mit einem 30–50 Klafter langen Seil, dessen äußeres Ende an den Holzfang befestigt wird. Hierauf fährt der Schleppkahn längs des Seerandes so weit von dem Bogen ab, als es die Länge des von der Winde ablaufenden Seiles zuläßt. Ist das Seil zu Ende, so wird das Fahrzeug an einer passenden Stelle des Ufers festgehalten und dann durch Aufwinden des Seiles der schwimmende Holzkreis herangezogen. In solcher Weise werden durch den Bogen auf einmal 40–50 Klafter Brennholz zu dem Aufsatzplatz gefördert, wo die Blöcke dann aus dem Wasser gezogen, gespalten und zum Trocknen aufgeschlichtet werden.


*) Im Frühjahr 1823 sind bei einem einzigen Sturm 39 Menschen ertrunken.


*) Eine solche plötzlich eintretende Brandung bei scheinbar unbewegtem Wasserspiegel wird von den Einwohnern dem „Grundwind“ d. h. einem aus unterseeischen Schlünden losbrechenden Sturme zugeschrieben. Die wahre Ursache dieser ziemlich seltenen Erscheinung sind steil oder senkrecht einfallende Luftmassen, welche gleichmäßig auf größere Flächen des Sees drücken. Eben so pflanzen sich in langgestreckten Seen, ähnlich wie auf dem Meere, die Wellenbewegungen von sturmerregten Orten oft in ferngelegene Theile des Sees fort, wo gar kein Sturm herrscht.



Faust

Wien: Auer, 1854-1862


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