Kriminalgeschichte aus der Gosaumühle.
Erzählung von Friedrich Steinebach. 1842
Ruhe und Frieden lag über dem herrlichen Gosau-Thale, dem Donnerkogel, Dachstein und Zornigkogel, die Wächter jener Gegend, umspielte schwach der erste Morgenstrahl, und der Frühthau zitterte auf Halm und Blume. Die Hausthore wie die Fensterläden waren noch geschlossen, nur ab und zu hüpfte und zwitscherte schon ein Waldessänger, als stimmte er bereits zum Frühgesang– es war ein lieblich stiller Sonntagsmorgen.–
Waldeinwärts aber, der Gosau-Mühle zu, schritten zwei bewaffnete Männer; Jagdtasche und Stutzen bekundeten ihren Stand, und trotzig, bald raisonierend, bald mit geballter Faust seinen Begleitern drohend, schritt ein kräftiger Bursche in ihrer Mitte. Waren gleich in seinen verwahrlosten Kleidern und früh gealterten Zügen die Spuren eines wüsten Lebens ersichtlich, so konnte man doch nicht umhin, diesen tollen Burschen hübsch zu finden, worin die Dirnen der ganzen Umgegend einstimmten.–
Indeß stand ihm, dem Lueg-Peter, so genannt vom Passe Lueg, bei den Gollinger Öfen, welchen eine handvoll Tiroler einst so heldenmüthig und siegreich gegen die andringenden Franzosen vertheidigten, wo sein Vaterhaus stand, keine reizende Zukunft bevor, was die zwei bewaffneten Schutzgeister schon ahnen ließen. Lueg-Peter stand nämlich vor längerer Zeit im Dienste beim Salzbergwerk zu Hallstadt, von wo er seiner Streitsucht halber weggejagt worden war.
Bald fand der sonst ganz tüchtige, anstellige Arbeiter in der reichen Gosau-Mühle einen neuen, sogar besseren Dienst; aber die unehrenhafte Weise, mit der ihn der strenge Salzwerk-Verwalter entlassen hatte, ließ in seinem rachesüchtigen Gemüthe einen stets frischen Groll zurück, den seine ehemaligen Kameraden durch so manche Stichelreden zu nähren wußten.
Kurz, er verließ gegen Mitternacht sein Lager, kletterte bergan, und unfern vom weltberühmten Gosau- Zwange begann er sein boshaftes Werk: die Salzleitung von Hallstadt nach Ischl zu beschädigen. Nicht lange war er an Ort und Stelle angekommen, als er Schritte vernahm– offenbar war sein Thun durch einen Fremden belauscht. Lueg-Peter bückte sich unter's Gesträuch, aber es war zu spät, das Mondlicht hatte seine Anwesenheit verrathen, und ein barsches:
„Halt! Wer da!“ machte ihn zittern. Es blieb kein Zweifel, daß seine rachedürstenden Reden in der Gaststube die Aufmerksamkeit der Grenzjäger auf ihn geleitet hatten, und er saß in der eigenen Falle gefangen. Doch er war nicht so schnell eingeschüchtert, kroch behende abwärts durch Dick und Dünn und lief dem Gosauthale zu. Sein Verfolger rief ihn zum zweiten und dritten Male warnend an, dann folgte ein Schuß, der seinen Arm streifte und den Ärmel seines Spensers zerfetzte. Wohl rieselte das Blut von Lueg-Peter's Arm, aber der Trieb der Selbsterhaltung trieb ihn ratlos vorwärts, und schon glaubte er sich sicher, als ein Jägerjunge von Abtenau her den Wald durchstreifend, ihn stehen hieß. Athemlos nahte der erste Verfolger, und für Lueg-Peter gab es keine Ausflucht mehr– er fühlte den Arm der Gerechtigkeit für seinen Frevel.
Bereits war es heller Tag geworden, bis die beiden Jäger ihr trauriges Geschäft mit Lueg-Peter beendet hatten; die Glocke von Gosau rief die Beter von nah und ferne zur Sonntags-Messe und diese kamen auch zu Haufen von allen Seiten über die Berge herüber in ihren malerischen, ländlichen Trachten. Die Mädchen wechselten vielsagende Blicke mit ihren schmuck herausgeputzten Liebsten, und folgten den Müttern zögernd zum Kirchstuhl, während die Mannsleute noch am Platz vor der Kirche standen, dieß und jenes beredend, was zumeist die künftige Ernte, das Kalben oder einen Tauschhandel und nichts weiter betraf.–
Endlich traten auch die Männer entblößten Hauptes, so weit Platz war, ins Innere des Gotteshauses, die Andern standen außen,– und der schlichte, doch so erhebende Kirchengesang verhallte in dem friedlichen Thale.– Zur Zeit noch waren die beiden Jäger vom Gericht abgekommen, um ihre Stimme mit denen der Gemeinde vereinen zu können. Dann nahmen sie vor der Thüre des Siemerl-wirthes in der Gosau Platz, wo sich auch die übrigen
Kirchenbesucher zusammen zu finden pflegten, um sich die Neuigkeiten zu erzählen und zu stärken, eh sie den Weibern und Kindern in die zumeist fern liegenden Häuser
und Hütten folgten.–
Herrlicher als alle Andern that natürlich Vater Loferer, der reiche Besitzer der Gosau-Mühle, der in einem flotten Wagen mit kostbarem Gespann angefahren kam, und voll Achtung empfangen wurde. Die wohlbeleibte Frau Müllerin war auch mit herübergekommen, und es war ein froher Augenblick für den Grenzjäger Paul Rohr, als es ihm erlaubt war die bildschöne Müller-Toni vom Wagen zu heben. Diese Tochter des Müllers glänzte in ihrem Seidenkleide, reich mit Silber-ketten verziertem Mieder und den handbreiten Perlschnuren am schneeweißen Hals, mehr noch durch die schönen Züge und das reiche Haar, auf dem etwas seitwärts geneigt das Hütchen saß, so blendend, daß alle weiblichen Blicke sie mit Neid und Verwunderung besahen, während die Männer ihr freundlich zulächelten, sobald sie sich zeigte.–
Der Jäger Rohr war ein großer, hübscher, blühender Mann, dem ein Jagdrock trefflich stand, und den die goldene und silberne Medaille auf seiner Brust als einen der muthigsten der Seinen erklärte. Vor fünf Jahren war er ein wohlhabender Bauersohn von Hallstadt gewesen, wo sein Vater eine reiche Wirthschaft besaß. Eine Feuersbrunst zerstörte sein Glück und seine Hoffnung, ja sie kostete dem alten Vater das Leben. Seither kränkelte die Mutter und stand nebst der zwölfjährigen Schwester Paul's beim Loferer Müller im Dienste. Fürwahr ein hartes Loos für den, der an Besseres gewohnt war– indeß sie trugen schweigend das Kreuz, das ihnen der Himmel aufgelegt hatte, und Paul brachte ihnen allwöchentlich das Ersparte von seiner Löhnung, um die kränkelnde Mutter zu stärken.–
Dies zarte Band der Kindesliebe war anfangs der Grund, daß Paul oft und öfter beim Loferer einsprach, wohin ihn bald auch die Liebe zur Müllerstochter zog. Es gaben auch Beide ein bildhübsches Paar– nur war es leider! noch lange nicht so weit gekommen. Der Müller war zu sehr mit der Wirthschaft beschäftigt, um die aufkeimende Neigung dieser zwei Herzen zu beachten; bei Toni hielt dagegen der leichte Sinn ihrer Schönheit das Gleichgewicht– so daß gar mancher Bursche schon zu tief in ihre feurigen Augen gesehen hatte, um über kurz oder
lang einem neuen Günstling zu weichen.–
So standen die Dinge am Sonntage, an welchem Rohr die Toni beim Siemerlwirth vom Wagen hob.– Noch hatten die jungen Leute kaum ein Dutzend zärtliche Worte gewechselt, als der Lueg-Peter vermißt ward, den sein Herr mit Aufträgen nach Goisern schicken wollte.
– „Der Lueg- Peter?“ rief Rohr näher tretend, „den können Sie wohl nicht erwarten. Er sitzt fest für einige Zeit, Herr Loferer!“
„Na, wär' nicht übel!– Wie so, Herr Jäger,“ entgegnete gereizten Tones der Müller.
– „Heute Nacht haben wir ihn ertappt bei der Salinenleitung, die er beschädigen wollte–“
– „Deßhalb? Na, und wenn ein Eimer ausgeronnen wär'– da wär' was dran gelegen etwa?“ höhnte Loferer aufstehend.
– „’s kann nicht Ihr Ernst sein mit dieser Red'“ erwiderte der Jäger, „die Salinen sind kaiserliches Gut
– somit eben so heilig wie das Ihre,– zum wenigsten – und hätt' er Ihr Mühlrad auseinandergehauen– da wär' gewiß Feuer am Dach!“
– „Na, lassen wir das– sagt mir lieber, wie ich den Lueg-Peter wieder freimachen kann?“
– „Freimachen?– Ja, wie so meinen Sie das?“
– „Na, es kommt mir auf eine Handvoll Zwanziger nicht an, aber vor zwei Tagen muß der Peter in meiner Mühl' sein– denn die Bestellungen laufen täglich neu ein, die Ernte ist vor der Thür, Bauholz und Bretter sind in Massen nach Ischl und Ebensee zu verschicken, ich kann keinen Knecht entbehren, und der Lueg-Peter arbeitet für Zehn– also muß er frei werden– Tagediebe giebt's in Menge, ordentliche Arbeiter sind Raritäten!“
„Da ist mir leid, Herr Loferer!– ich hab ihn selbst beim Verbrechen ertappt– einen Monat lang wird er wohl sitzen!“
– „Himmel, Sakra!“ tobte der jähzornige Müller, „ich will für ihn bürgen, ich will ihn loskaufen –“
– „Wie Sie halt meinen,“ erwiderte unmuthig überdiese Reden der Jäger, „so leid es mir thut, wenn's Ihnen Schaden bringt; ich habe das Meinige gethan, und mein Eid geht vor Allem!“ Damit grüßte Rohr die Anwesenden und wollte heimkehren.
„He, Gut Freund!“ rief ihm die Stimme des geldstolzen Loferer nach, der keuchend ihn einzuholen suchte.
„Laßt's ein Wort, ein vernünftiges, mit Euch reden. Seht, lieber Rohr, auf Eure Aussag” kommt beim Lueg-Peter das Meiste an– sorgt, daß der Peter mit einem scharfen Verweis darauskommt,– Ihr wißt ja, daß ich kein schmutziger Mann –“ fllüsterte er dem Aufhorchenden zu, der mit geröthetem Antlitz vor ihm stand und mit zorniger Stimme entgegnete:
„Herr Loferer! für diesmal will ich nicht gehört haben, was Sie sagten– eine Aufregung, Ihr Zorn– nicht Ihr Verstand hat dies– hoffe ich, gesprochen– und somit für heute: Guten Tag!“
„Halt da! nicht so hochnasig, Herr Jäger! ich glaub" gegen Unsereins könnt' man wohl Rücksichten haben?“
– „Rücksichten? Das Wort kenn' ich nicht, wo es sich um meinen Dienst und meine Treu gegen meinen Kaiser handelt! Und habt Ihr noch einmal so viel Geld in Eurer Mühle als jetzt, und könntet Ihr mir den Dachstein damit von oben bis unten belegen– einem ehrlichen Kerl gilt eine Ehre und unbefleckter Rock mehr als das Alles.
– Merken Sie sich das, was ich Ihnen ein- für alle-mal unter vier Augen gesagt hab’– und nichts für ungut, Herr Loferer, meine freie Zeit ist vorüber!“
– „Hah! hah! die Reden taugen recht gut für's Volk, Unsereins machen sie keinen blauen Dunst vor– Verstanden! Am wenigsten mir, der lang genug Eurer Mutter, die immer krank ist, und Eurer Schwester, die noch nichts von der Arbeit versteht, das Gnadenbrot giebt; der zwei bettelarme Weibsleut aus purer Menschenlieb' erhalten hat, und der, wenn er keine Rücksichten nehmen will, beide nur vor seine Thür zu setzen braucht, daß sie halb verhungern, ohne Obdach, ohne Feuer im Winter, der sich bald anmelden wird!– Unsereins kennt derlei Reden schon– und wißt Ihr nichts von Rücksichten für mich– weßhalb soll ich, der reiche Loferer Müller, für Euch, Herr Jäger, eine offene Geldkiste, ein offenes Haus und eine offene Hand weiter haben– Schlag für Schlag – Also besinnt Euch bei Zeiten!“
Diese Worte trafen wie ein zweischneidiger Dolch die Brust des Jägers, denn seine Mutter war sein Liebstes auf der Welt, und der Loferer hatte so Unrecht nicht, darum hatte er schlau seine Rede berechnet, um sein Ziel zu erreichen. Ein schmerzvoller Blick verkündete Rohr's Leiden, seine Brust hob sich stürmisch, Kindesliebe und Pflicht rangen darin einen schweren Kampf– dann erwiderte er mit bebender Stimme dem Drohenden:
– „Sei's, wie Gott will! Thut, was Euch Euer Gewissen erlaubt; ich thue, was meine Pflicht gebietet– und somit: Behüt' Gott!“
Beide schieden. Der Loferer kam verstimmt, im Stillen grollend zurück, hieß seine Leute aufsitzen und fuhr, wie rasend, davon; erstaunt sahen ihm die Bauern nach.
Des Müllers Geld stolz war gar tief beleidigt, und er war nicht der Mann, es dem Jäger je zu vergessen, wie er eben jetzt vor ihm stehen mußte, trotzdem er der angesehene, reiche Müller aus der Gosau war.
Paul schritt indessen nachdenkend seiner Kaserne zu– und so manche Thräne fiel auf seinen Bart– sie waren bei Gott für den gebräunten Mann keine Schande– denn sie galten der düstern, hoffnungsarmen Zukunft seiner alten, hilflosen Mutter.
Wenn für Niemand andern, so war für den Siemerlwirth das Zerwürfniß des Jägers mit dem Müller eine Freude, denn Toni's Vertraulichkeit mit Rohr war ihm längst ein Dorn im Auge gewesen, er hielt die saubere, reiche Toni für würdig, sein Weib zu werden, das heißt, mittelt ihrer Hand hoffte er seiner liederlichen Wirthschaft wieder auf die Beine zu helfen.–
Der Name Siemerlwirth, zumeist gleichbedeutend mit Simandel Wirth, war ein uraltes Erbstück dieses Gasthauses, und ging von einem Besitzer auf den andern im Munde des Volkes über, ohne damit ferner einen Schimpf zu verbinden. Der gegenwärtige Siemerlwirth war jedoch ein toller Mensch, der sein Geschäft als wohlhabender Mann begonnen, den größten Theil seines Gutes bereits für Spiel und Dirnen, mit vollen Händen, zum Fenster hinausgeworfen hatte und seinen baldigen Ruin entgegensah. Loferer's Reichthum stach ihm daher in die Augen und sein Plan war bald gemacht. Der Müller stand von jeher mit ihm in enger Geschäftsverbindung und war ihm gut gewesen; bei Toni aber schienen die Ereignisse ihm in die Hände zu arbeiten.
Der Lueg-Peter war nämlich vernommen worden und saß über einen Monat im Arrest, der Loferer wüthete und sein Groll stieg von Stunde zu Stunde gegen den verhaßten Jäger. Als nun Rohr die Papiere und das sonstige Eigenthum des Lueg-Peter, auf Befehl, dem Müller abzufordern kam, schlug die Flamme vollends empor; kaum hatte der Sohn das Haus des Müllers verlassen, so rief der Hausherr die alte Rohr in seine Geld- und Schreibstube, hielt ihr den sträflichen Undank ihres Sohnes vor, tobte über dessen rücksichtsloses Benehmen, das ihn zu Schaden bringe, und jagte sie, sammt ihrer Tochter, unter herzlosen Reden von Haus und Hof fort.
Die Sonne vergoldete nunmehr die höchsten Bergspitzen, im Dämmerschein lag der ruhige Spiegel des Hallstädtersees, die Gesänge der Vögel verhalten allmälig, selbst die lärmende Cicade verstummte, und, umrahmt von himmelhohen Bergen, lag die Gosau-Mühle malerisch am romantischen Ufer. Über die ganze Gegend war die Weihe des herrlichsten Gottesfriedens ausgegoffen, voll unnennbaren Zaubers– und, im Gegensatze mit diesem erhebenden Bilde der Natur, hatte eben hier die Menschenhand den Samen des Unglücks und des Kummers gesäet. Wir dürfen darnach nicht lange suchen: Von der Gosau-Mühle auf
wärts führt ein herrlicher Thalboden zwischen riesigen Bergen zum Dörfchen Gosau selbst, und nicht mehr als eine halbe Wegstunde fern, am Abhange eines Berges, wo einst ein Bergsturz zwei Wanderer begraben hatte, steht ein Votivbild– davor knieen Mutter und Kind!–
Die Augen der Alten sind recht angegriffen, täuscht der starre Blick nicht, so sind sie in Gefahr zu erblinden– doch hat sie dieselben voll gläubiger Innigkeit zum Marienbild erhoben und faltet die Hände über dem Haupte des vor Ermüdung entschlummerten Kindes. Ein kleines Bündel und ein roher Stab lagen ihr zur Seite– was noch zu sagen war, das sprach ihre kummervolle Miene– kein Griffel schreibt so deutlich und so schnell als der des Grams in einer Mutterbrust!–
Die Wittwe Rohr mit ihrer kleinen Leni kniete betend hier, ohne Obdach, ohne Hoffnung– und harrte ihres Sohnes, der vom Amte in Reisern heimkehrend, hier orübergehen mußte.–
Der Jäger hatte den Tag über vollauf zu thun, ja selbst bis Ischl mußte er maschieren, und als er Abends ermüdet, von Steg herüber, am Ufer des Sees hinschreitend die Gosau-Mühle wieder erblickte – fiel ihm sogleich die letzte stürmische Scene mit dem alten Loferer ein. Er ging mit sich zu Rathe, und war entschlossen, durch Toni's Fürbitte, eine Aussöhnung mit dem reichen Müller zu versuchen. Doch selten kommt das Unglück allein, und so fand der Jäger so Manches seit den letzten vierzehn Tagen in der Mühle verändert. War es ihm gleich zu Ohren gekommen, daß in letzterer Zeit der Siemerlwirth um Toni's Hand angehalten habe, so lachte die Dirne nur darüber, und versicherte Paul, er sei von ihr, wie vom Vater, ziemlich derb abgewiesen worden, denn sein liederliches Leben sei in Jedermanns Mund– somit zog diese Wolke vorüber. Stets seltener sah seither Paul die hübsche Toni, ja in den drei Wochen, seit jenem Streit mit ihrem Vater am Sonntage zu Gosau, hatte er sie nur ein paar Male gesehen. Vater Loferer gab ihm ziemlich leicht zu verstehen, daß er seine Besuche entbehren könne– und so blieb Paul's Hoffnung allein auf Toni's Liebe gesetzt, bis heute durch den Zorn des Müllers sein Glück vollends in Brüche zu gehen drohte.–
Doch Paul glaubte, Loferers Zorn sei nur vorübergehend gewesen, und ahnungslos nahte er der Mühle. Toni stand unten im Eßzimmer beim Fenster und sah – eine Alpenrose in der Hand haltend– zum See hinaus. Die verkörperte Anmuth schien diese Dirne zu sein!
– Paul grüßte von weitem, doch sie sah ihn nicht. Nicht wie sonst schien sie hier seiner zu warten– er war ihr schon ganz nahe– sie erwiderte sein Grüßen nicht. Da schlich Paul zum Fenster und hielt ihr die Hand vor die Augen– Toni erschrak und stieß die Hand barsch zur
Seite. Erröthend erkannte sie Paul– verschämt schlug sie die Augen zur Erde– Paul wußte nicht, woran er sei, und ihre Hand küssend, sprach er voll Innigkeit: „Nun, liebe Toni! hast du kein Wort für mich? Schon sechs Tage lang sahen wir uns nicht, und– warum stoßest du meine Hand zurück?!“
– „Der Vater hat mir verboten mit Euch zu reden!“
– „Toni! Toni! und du gehorcht ihm, scheint mir nicht ungern!“-
– „Was soll ich thun? Von einer Heirath kann zwischen uns ohnehin keine Rede sein, Ihr seid arm und meine Eltern sagen– –“
– „Ei, schau, wie Du klug geworden bist?– Nun, was sagen denn deine Eltern? Warum zögert Du? ich bin ja nur ein armer Jäger!“-
– „Meine Eltern sagen, daß ich meinen Ruf durch eine solche Liebschaft nur schaden kann, daß sich am Ende kein Mann melden wird, wie er für Unsereins paßt, und“–
– „Genug! genug!“– rief, seinen Stutzen über die Schultern werfend, der ins Tiefste gekränkte Paul aus:
„Also ich– schade Deinem Ruf?– Gott soll mich davor bewahren– eh' sollst du mich nie mehr sehn!–
Meine redlichen Absichten, mein Diensteifer, meine Sparsamkeit– natürlich! was sind die für einen reichen Müller in der Gosau.– Zum Bettelvolk gehöre ich–––
Na! ruf' mir meine gute Mutter heraus– und– und behüte dich Gott!“– so rief mit zitternder Stimme tief bewegt der Jäger, und wandte sein kummervolles Angesicht dem See zu. „Ach! läg' ich tief unten!“ sprach es in seinem blutenden Innern.
– „Eure Mutter soll ich rufen? Die ist seit Morgen nicht mehr bei uns– vor einer halben Stunde hat sie der Müllerjung" beim letzten Votivtaferl knien gesehen–
Eure Schwester ist auch dort –“-
– „Meine kranke Mutter?! Allmächtiger Gott!–
Was ging hier vor?! Toni! Fräulein! oder wie ich jetzt sagen muß– sagt's mir die Wahrheit!“
Sie war bald gesagt– und traf die Brust des Sohnes.
Im wüthendsten Schmerz taumelte Paul sprachlos zurück– wobei er über eine Baumwurzel fiel– Toni lachte laut auf darüber und verschwand. Mehr als Alles, was er je erlebte, schmerzte ihn dieses Lachen, denn wer es in diesem Augenblicke im Stande war,– der hatte kein Herz!
– Als Paul fich wieder erhob, war Toni nicht mehr sichtbar, er war allein, nur das nagendste Weh war bei ihm.
– Er raffte den Stutzen auf, der ihm entfallen war, eilte rastlos fort von der Mühle, bis er seine betende Mutter beim Votivbild fand– eine Umarmung sagte mehr als alle Worte können.– Hand in Hand wanderten alle Drei im Dunkel der Nacht dem Goauthale zu.– Mutter und Schwester ruhten ermüdet auf bloßem Stroh in einer nahen
Leider fehlen 2 Seiten.
„Bei dir ist auch Malz und Hopfen verloren, Siemerl!– An Geld soll's uns nicht fehlen– ich hab
Zeit genug gehabt im Arrest meine Pläne zu machen. Aber können wir uns auf deine Rosel verlassen?“
– „Wie auf uns selbst, sie geht in’s Feuer für mich!“
– „Nachher ist's gut! Noch eine Halbe, Kamerad! und hör' mir aufmerksam zu!“ Sie reichten sich die Hände, leerten zum achten Mal die großen Gläser und ziemlich angestochen setzten sie ihr Gespräch leiser fort, während es ziemlich dunkel zu werden begann.– Schon war es vollends Nacht geworden, als Beide noch im heimlichen Gerede beisammen saßen, ja sie merkten es gar nicht, daß die Thüre geöffnet worden war, und ein Fremder eintrat. Erst auf das Anrufen des Eintretenden fuhren die Sprechenden auf so waren sie mit ihren Plänen beschäftiget, und fiel erkannten den Jäger Paul Rohr.–
Unwillkührlich waren sie von feinem Erscheinen überrascht, hastig aufgestanden und wechselten einen vielsagenden Blick, denn sie glaubten sich belauscht. Rohrs arglose Miene und sein Begehren nach einem Trunk machte sie wieder sorglos; die Rosel brachte ein Talglicht, und ziemlich einsilbig saßen die drei Männer getrennt in den entgegengesetzten Ecken des Zimmers bei ihren Krügen.–
Der Jäger wechselte einige gleichgültige Reden mit dem Wirthe, dann frug er aufstehend: „He, Lueg Peter, wo ist denn künftig Euer Aufenthalt? Hat Euch der Loferer nicht wieder in den Dienst genommen?“
– „Glaubt Ihr, Unsereiner ist um einen Dienst verlegen?– Der Müller hätt' mich schon genommen, ich hab' aber nicht wollen!– Der Siemerlwirth ist mein Herr! da ist die Meldung!“ Der Jäger, dem die Vertraulichkeit zwischen diesen Beiden jetzt noch mehr als bei seinem Eintritte auffiel, las den Meldzettel und sagte ganz arglosen Tones: „Schau, braucht der Siemerlwirth auf einmal in der Wirthschaft einen Knecht? da ist Euch zu gratulieren, da muß es mit Euchbesser stehn, als die böse Welt sagt!“
– „Oho!“ warf boshaft lächelnd der Lueg-Peter ein, „Ihr meint, weil der Loferer ihn abgewiesen hat? Na, garso ein elender Mensch braucht man deswegen noch nicht zu sein– habt's ja Ihr selbst erst von der Toni den Laufpaß bekommen!“ Dabei blinzelte er, selbst zufrieden mit seiner Ironie, dem Genossen zu.
– „Lueg-Peter! reibt Euch nicht ohne Noth an mir! Ich rath' Euch im Guten!“
– „Aber, Euer Getreng! nicht gleich so bitter! die sauern Äpfel sind nicht allein dazu auf der Welt, daß immer ein armer Teufel darein beißt; es schadet den gnädigen Herren „Grünrock“ manchmal auch nicht!“
– „Da ist meine Zeche, Siemerlwirth!– für heute gute Nacht!“ Bei diesen Worten wollte der Jäger sich entfernen, da flog, wie rasend, ein Wagen daher und hielt vor dem Hause. „Holla! Siemerlwirth! Ein Futter für meine Pferde! He, hurtig!“ rief eine Stimme außen in der Nacht. Lueg-Peter trat ans Fenster, desgleichen der Jäger, der Wirth lief hinaus.– Der Angekommene war der Postmeister von Hallein; er kam von der Gosau-Mühle und kehrte heim; seine Pferde schäumten, er selbst war freudigster Laune. „Rasch,“ rief er vom Wagen herab, „rasch, einen Trunk! Die Freude macht durstig, mein Mund ist schon wieder trocken wie Leder!“
Der Wirth war eilig zur Hand, und der hübsche, reiche Postmeister stürzte das Glas aus, indem er jauchzend ausrief: „Meine Toni soll leben! meine Braut hoch, das ganze Goauthal ist zur Hochzeit geladen! Was Reichthum ist, hab' ich längst gewußt, aber's Glück hab' ich erst kennen gelernt, wie mich die engels saubere Loferer-Toni zum ersten Mal als Bräutigam geküßt hat! Hört Siemerlwirth! ich könnt ein Narr werden vor Freude! Juhe! Da sind drei neue Zwanziger als Zeche und vor der Hand gute Nacht!“ Und mit Sturmeseile flogen die trefflichen Pferde mit dem Wagen davon. Der Jäger hatte am offenen Fenster stehend, vom Postmeister unbemerkt, Alles gehört, es tobte in seinem blutenden Innern. So schnell war er vergessen, so herzlos geopfert für Geld und Geldeswerth! ––
Lueg-Peter stand zur Seite und hatte Freude über dessen sprachlosen Schmerz.– Der Wirth kam herein und stieß erzürnt das Deckelglas auf den Schenktisch, indem er ausrief: „Himmelelement! Geld kann doch Alles! Vor zwei Tagen sieht der Postmeister die Toni zum ersten Male am Kirchtag zu Golling, und heute ist sie sein mit Leib und Seel.– Unsereins muß ihm trostlos nachschauen– hol" der Geier ein so elendes Leben!“– unmuthig warf er sich auf die Ofenbank hin. Lueg-Peter stieß ihn mit dem Arme und sagte halblaut, auf den am Fenster sprachlos stehenden Jäger weisend: „Sei kein Narr, 's giebt Dirnen genug und Deine Rosel ist ein Kapitalstück! aber den Rohr Paul schau Dir an, den hat's am Herz gepackt; dem aufgeblähten Helden vergönn' ich's von Herzen!
Das ist ein Gaudium, wenn's Unglück so einen spürnasigen Kerl in seinem spinatfarbenen Spenser beim Genick packt!“
Der Jäger zahlte rasch, ermannte sich selbst und rief an der Thüre mit ernster Stimme dem Sprechenden zu:
„Lueg-Peter! ich warne Euch zum letzten Male! Mich mögt Ihr beschimpfen, aber den Rock meines Kaisers haltet in Ehren, sonst geht's Euch übel in Zukunft! Leider Gott! fürcht' ich, wir seh'n uns noch ganz anders wieder– hütet Euch, sonst giebt's ein schlechtes Ende für Euch!“
Damit schloß er die Thüre und ging heim, am offenen Fenster vorüber. Innen hatte sich Lueg Peter wie ein Tiger erhoben und in rasender Wuth stürzte er dem Fenster zu– der Wirth hielt ihn mühsam zurück.–
„Ja!“ tobte Peter, „ja! wir sehen uns wieder! Aber anders, als Du glaubst!–
Und dann giebt's kein gutes Ende für Dich, das schwör' ich bei Zeit und Ewigkeit!– Komm, Siemerlwirth, mein Plan ist gereift, ruf die Rosel hinauf, ihr sollt mit mir zufrieden sein.“
Die alte Rohr und ihre Tochter hatten zu Steg eine bescheidene Unterkunft gefunden bei einer Waise, die für die ganze Umgegend Nähereien besorgte, und daran, besonders im Sommer, für die Ischler Badegäste keinen schlechten Verdienst hatte. Von ihren Eltern hatte das kaum sechzehnjährige Mädchen ein nettes, ebenerdiges Bauernhäuschen geerbt, und ein winziges, aber liebliches Gärtchen dazu. Hier schuf Lisbeth vom frühen Morgen bis spät Abends mit rastlosem Eifer, mit geringem Wohlstand zufrieden, voll reinen Sinnes, arm an Geld, aber reich durch ihr echtes, weibliches Herz und Gemüth. Samstag Abends saß sie stets vor ihrem Häuschen, und erwartete den Steiger Alois von dem Salzbergwerk zu Hallstadt, der ihr Bräutigam war, und allwöchentlich zählten sie das Ersparte, um zu berechnen, wie viel näher sie dem Hochzeitstage gekommen wären. Kaum hatte die Dirne vom Unglück der alten Rohr vernommen, so eilte sie unverweilt nach Gosau, bot der Armen das kleine Stübchen an, das sie in ihrem Häuschen entbehren konnte, und theilte die kleine Habe mit der hilflos Verstoßenen. Bis zu Thränen gerührt über diesen Edelmuth dankte die alte Rohr, und der Sohn hatte nichts, um seinen innigen Gefühlen Luft zu machen, als einen Händedruck– Lisbeth verlangte nicht mehr, die That selbst und ihr Bewußtsein war ihr schönster Lohn.–
Durch Erdbeerensuchen, Botengänge und ähnliche Dienste machten Mutter und Tochter sich nach Kräften nützlich, und der Sohn brachte freudig, was er von seiner Löhnung ersparte.– Mochte natürlich die böse Welt hinter den Besuchen des Jägers in Lisbeth's Haus gleich Schlechtes suchen, dieser arglos frohe Kreis verlebte manchen stillvergnügten Abend, und der Steiger Lois fand Samstags vier herzliche Händedrücke statt einen, wenn er nach Steg kam; wer wäre dessen nicht froh –? Das höchste Bedürfniß des Menschen ist ja, Herzen wahr und ohne Falsch zu finden, denen er sein Herz wahr und ohne Falsch erschließen darf.–
Doch drohte selbst diesem bescheidenen Glücke ein herber Schlag; die alte Rohr fühlte ihre Augen stets leidender werden, seit dem vielen Weinen über Loserer's Herzlosigkeit konnte sie sich gar nicht mehr erholen, und selbst die Ischler Ärzte gaben gar wenig Hoffnung. Eines Abends nun, es war ein Samstag, Lois war eben von Hallstadt herübergekommen, saßen alle in der Stube, da bereits Winterkälte die Abende frostig machte.
Lisbeth hatte das Licht auf den Tisch gestellt, und die Rede ging über allerlei hin und wieder, da sprach die alte Rohr dazwischen: „He! Kinder! weßhalb zündet ihr denn heute
kein Licht an? Es ist ja schon finstere Nacht! ....“ Alle blieben stumm, wie erstarrt, denn das Licht flackerte hell am Tisch... die Wittwe starrte regungslos vor sich hinaus... Entsetzen! sie war erblindet!.... Keine Sprache schildert den allgemeinen Schmerz! Erst spät riß sich der Sohn vom Mutterherzen los, er hatte die Runde zu machen, und traurig trat er in die Nacht hinaus, wo der Sturm zu toben begann, und schwarze Gewitterwolken jagten am Himmel dahin. Als der Jäger vom Regen, der eben herabzuströmen begann, durchnäßt an Loferer's Mühle vorüberging, konnte er nicht umhin einen düstern Blick auf dies vornehme Gebäude zu werfen: Hier war seine Mutter durch die schwersten Arbeiten täglich kränker geworden, hier hatte man die Arme hinausgestoßen, hier hatte man ihm seine Liebe verhandelt, ihn verlacht, verhöhnt– und doch lagen die Herzlosen da drinnen und dehnten auf weichen Flaumen die Glieder, während er außen stand, die Glieder vom Frost geschüttelt, und die durch Mißhandlungen des Augenlichts beraubte Mutter lag auf einfachem Stroh –!
– Lautlos schritt er waldeinwärts, wo er bald darnach sich mit seinem Kameraden vereinte.– Lueg-Peter und seine Genossen im Siemerlwirthshause lebten inzwischen in aller Stille, es galt ja aller Augen abzulenken und der Tag der Entscheidung war noch nicht gekommen. Ihr Augenmerk blieb aber stets auf den Postmeister von Hallein gerichtet und auf die Loferer Mühle. Bald trug Rosel Obst nach der Mühle, um es zu verkaufen, und brachte die neuesten Nachrichten über Toni's baldige Hochzeit, bald ging Lueg-Peter nach Hallein, um Bier zu bestellen, und spionirte des Postmeisters Thun und Lassen aus. Endlich war die Hochzeit auf den Samstag über vierzehn Tage festgesetzt, und am nächsten Montage war der Postmeister entschlossen nach Linz zu fahren, und einzukaufen, was gut und theuer ist, für seine künftige Frau. Eine bedeutende Summe, hieß es, wolle er daselbst einkassiren, die ihm ein Kaufmann schuldete, und ihm bisher abstreiten wollte; doch der Postmeister hatte den Proceß gewonnen, und die ganze Schuld wollte er am Hochzeitstage, seiner Frau als Eigenthum, zum Geschenk machen.– Kaum war Lueg-Peter mit dem Wirth in der Stube allein, so jauchzte er aus voller Seele und flüsterte ihm zu: „Siemerl! am Samstag ist's Zeit! Jetzt oder nie! Du kennst meinen Plan– es muß gelingen– der Steiger Lois ist von Hallstadt herüber– er schläft allein im Schoppen beim Adlerwirthshaus– die Rosel hat Courage und Verstandes muß gut gehn– juhe! dann geht's nach Amerika– dort werden wir Millionäre!“–
Alle Drei waren guter Dinge, flüsterten unter einander bis spät in die Nacht, und konnten kaum den nächsten Samstag erwarten, an welchem der Postmeister von Hallein zurückkehren sollte. Vor Abends konnte er die Gosau nicht erreichen, wie es hieß, waren seine Pferde nach Ischl bestellt, da er die Nacht hindurch fahren wollte, und alle Umstände schienen dem Lueg-Peter wie geschaffen, um ihm in die Hände zu arbeiten.–
Wohl sprach die Woche über der Jäger öfter im Siemerlwirthshause ein, aber sein scharfer, beobachtender Blick konnte nichts Verdächtiges bemerken, Lueg-Peter war fleißig bei der Arbeit und die Hausleute gingen emsig der Wirthschaft nach. So kam der ersehnte Samstag heran– es war derselbe, an welchem die Witwe Rohr erblindete.–
Der Steiger Alois war zum Adlerwirthshaus gegangen, das ziemlich einsam an der Straße schon gegen das Dorf Goisern zu lag, und wo ihm in dem abseits gegen den Berg zu stehenden Schoppen alle Samstag, wenn er von Hallstadt kam, von dem Wirth, der ein entfernter Verwandter des Steigers war, ein freies Nachtlager gegönnt war. Ermüdet, wie Alois von des Tages Mühen war, suchte er– ohne Jemand im Hause zu sprechen – sein Lager, warf seine Kleider auf die hölzerne Truhe nächst der Thüre, schob leicht den Holzriegel vor und schlief binnen wenig Minuten den Schlaf des Gerechten. Wäre er nicht so sorglos, schläfrig dahin geschlendert, so hätte der Steiger kurz bevor er in die Hütte trat, Verdächtiges bemerkt– rasch wie eine Schlange schlüpfte eine Gestalt, es schien eine Dirne zu sein, hinter den Stamm eines schattigen Baumes, dann blieb alles ruhig. Eine Viertelstunde etwa, nachdem Alois eingeschlafen war, regte es sich wieder hinter dem Baume, bereits regnete es tüchtig, und die Nacht war rabenschwarz. Dieselbe Gestalt, die hinter den Stamm geschlüpft war, kam achtsam hervor, sah ringsum, und schlich dem Schoppen zu, wo der Steiger schlief. Nach kurzem Horchen war dieselbe gewiß, daß Aloss schlief, mittelst eines dünnen Baumreises ward der schlechtgefügte Holzriegel zurückgeschoben – die Thüre öffnete sich etwas– eine Hand forschte ringsum im Innern der Hütte– zog ein Bündel an sich und schloß
eben so rasch als leise, die Pforte wieder.– Rasch wie ein Pfeil lief die Gestalt nun am Waldsaum gegen Steg zu und verschwand hinter den Häusern.–
In jener Nacht kehrten von Golling aus eben zwei Grenzjäger von einem Dienstgange zurück, und sie wanderten der Gosaumühle zu, indem einer derselben, Paul Rohr, im Vorübergehen nachsehen wollte bei seiner erblindeten Mutter.– In Liesbeths Hütte schliefen. Alle, selbst die Witwe war aus Schmerz und Ermüdung entschlummert. Beim Siemerlwirth war, wie gewöhnlich, das Gasthaus bis neun Uhr offen, und als die Jäger am Fenster vorübergingen, sahen sie die beiden Hausgenossen, mit zwei Bauern von Abtenau, am Tische beim Talglichte sitzen unter Plaudern und Trinken.
– Die Rosel war schon Tags vorher, wie sie es öfter that, nach Steg zu ihrer Schwester gegangen, der sie bisweilen in ihrer großen Wirthschaft half.– Kaum hatte Lueg-Peter die Jäger am Fenster erblickt, so stieß er unterm Tisch den Wirth mit dem Fuß an, und flüsterte:
„Jetzt sind wir sicher, 's ist die höchste Zeit!“–
Die zwei Abtenauer Bauern, denen sie absichtlich tüchtig zugetrunken hatten, ließen schon lange die Köpfe sinken, und ihre Augen fielen zu. Da sie– wie Lueg-Peter es gewünscht hatte, – heute hier übernachten wollten, um so mehr, als das Wetter so stürmisch war, so nahm Siemerl das Licht und Peter führte die ziemlich Bewußtlosen ins Zimmer daneben, legte jeden auf ein anderes Bett in der Stube– löschte das Licht aus, darnach schlüpften beide durch die Hinterpforte ins Freie und rannten waldeinwärts.–
Der Postmeister von Hallein war inzwischen auf Einkäufe gewesen, hielt sich ein paar Tage in Linz auf, um sein Geld einzustreichen und traf, durch das Wetter verspätet, Samstag Abends in Ischl ein, bis wohin– eines langen Ausbleibens wegen– der Kutscher ihm mit den Pferden entgegengefahren war. Nach einiger Herzstärkung stieg der Postmeister in den Wagen, fühlte an die Brusttasche, ob er das Geld wohlverwahrt habe, und als er die letzten Häuser des Ortes passierte, schlug es 1/15 Uhr vor Mitternacht. Von dem Weine, den der Herr in bester Laune spendiert hatte, etwas schläfrig gemacht, saß der Kutscher auf dem Bocke, und überließ die herrlichen Pferde größtentheils ihrem Instincte, während er vor sich hin manche Verwünschung über das elende Wetter murmelte, das ihm nicht auf zehn Schritte weit die Aussicht vergönnte. Der Postmeister hatte das Spritzleder und Vordach wohl hinaufgeschlagen, wickelte sich fest in seinen Mantel und lag halb träumend in der Ecke des Wagens, der im gleichmäßigen Trabe von den Pferden fortgezogen wurde.–
Wäre die Luft reiner gewesen und hätte der Donner nicht bisweilen seinen Baß ertönen lassen, so würden die beiden Jäger den Schlag 12 Uhr gehört haben; denn sie schritten von der Gosau-Mühle her am See hin, als kurz darnach am Eingange in den Ort Steg ein Knall, wie
der einer Pistole, gehört wurde, und Rohr sah schwach den rasch verlöschenden Schein einer losgedrückten Schußwaffe– dann hörten sie nichts weiter. Doch dieß genügte ihnen, und Beide liefen, mit voller Kraft, der wohlgemerkten Stelle zu. In der Entfernung von hundert Schritten noch hörten sie einen Hilferuf, darnach mußten sie bemerkt worden sein, denn trotz der Finsterniß der Nacht sahen sie eine menschliche Gestalt, zwischen den Bäumen, verschwinden.
An Ort und Stelle athemlos angekommen, fanden sie den Postmeister von Hallein, am Arme und in der Seite verwundet, beim Wagen liegen. Der Kutscher war mittels eines Strickes, an dem sich eine Schlinge befand, und die man ihm rücklings über den Kopf geworfen hatte, vom Sitz herabgerissen worden und lag, halb erwürgt, abseits am Boden. Die Stränge der Pferde waren durchschnitten. Rohr beschäftigte sich mit dem Postmeister, der sehr stark blutete– sein Kamerad setzte dem Entfliehenden nach,– aber jede Spur blieb verloren.–
Nun trugen sie eiligst den Postmeister in die Gosau-Mühle, wo alle Welt bestürzt aus den Betten sprang. Die Wunden waren nicht gefährlich, und der Gerettete dankte den Jägern,- denn eben wollte sein Angreifer, ihm die Brieftasche entreißend, das Messer in die Brust stoßen, als dessen Genosse, der bei den Pferden noch beschäftigt war, zuflüsterte: „Rasch! sie kommen!“– und schnell, gleich Pfeilen, waren sie verschunden. Der Postmeister dankte ihnen sein Leben. Die Geretteten sagten aus, daß sie plötzlich am Ausgange der Waldung von zwei schwarz verlarvten Männern angefallen worden seien. Der Kutscher ward im Nu zur Erde gerissen, der Postmeister, fest in den Mantel gewickelt, konnte nur mit Mühe sein Pistol aus der Sacktasche ziehen, denn sein Angreifer lag, wie ein Eisengewicht, im selben Momente auf ihm. Mit der einen Hand stopfte er ihm den Mund zu, mit der andern durchschnitt er seinen Mantel– um rascher zur Brieftasche zugelangen,– dabei traf ihn die Messerspitze am Arm und in die Seite. Sein Pistolenschuß traf wegen der schlechten Stellung nicht, dafür war es dem Postmeister endlich gelungen, die Hand eines Feindes, welche das Meer hielt, sammt dem Rockärmel so fest zu fassen und zurückzuhalten, daß– als der Feind die Flucht ergreifend, sich losriß, – ihm ein tüchtiger Tuchlappen in der Faust blieb.–
Kaum hatten die Jäger diese eiligen Auskünfte erhalten, den Tuchlappen betrachtet– der übrigens kein besonderes Kennzeichen hatte, als daß er von hellblauer Farbe war– so eilten sie, die Spur der Thäter aufzufinden und Kameraden dazu herbeizurufen. Wagen und Pferde des Postmeisters waren in die Mühle geführt worden. Rohr hatte unwillkührlich den größten Verdacht auf Lueg-Peter und seine Genossen geworfen. Er selbst wollte zu Pferde nach dem Hause des Siemerlwirthes eilen, sein Genosse dagegen ritt so rasch als möglich zum Hause,in dem die Rosel heute schlafen sollte.–
Dieses, in jener Gegend unerhörte Ereigniß, setzte die Bewohner der Mühle in Schrecken, Niemand schloß mehr ein Auge und in höchster Spannung erwartete man den Erfolg der Nachsuchungen der Gerichte.
Kaum graute der Morgen, als Lisbeth schon ihre Hütte verließ, um Einiges für den kleinen Haushalt zu ordnen.
Verlockt von dem herrlichen Schauspiele des erwachenden Morgens, nachdem der Himmel wieder wolkenlos geworden war, ging die Dirne, nachdenkend wie der alten Rohr zu helfen wäre, am See den Weg ein Stück entlang, da kam sie zu einer Stelle, die ganz zerstampft und zertreten war, auch Blutspuren fand sie dabei. Während sie verwundert vor sich sah, denn es war dies die Stelle, an welcher der Postmeister in der letzten Nacht überfallen ward, kam die Botengängerin von Ischl des Weges. Lisbeth äußerte ihre Verwunderung über die Blutspuren, die Alte sagte dagegen: „Na, die Geschichte wird Lauferei genug machen, 's ist ja schon gemeldet zu Ischl, Goisern, und in der Umgebung, so wie bei uns am Amte, daß der Halleiner Postmeister heut' Nacht angefallen worden ist, er selbst soll im Sterben liegen!– Aber halt, mir ist Eil" anbefohlen, ich muß das Schreiben vom Amt dem Gosau-Müller bringen, also behüt' Euch Gott!“ und dabei humpelte die Botengängerin weiter.–
Lisbeth ging ganz ergriffen hin und wieder, da gewahrte sie ein Stückchen eines Taschenmessers, das, in der Heftigkeit des Kampfes, man in den aufgewühlten Boden hineingetreten haben mochte. Rasch trat sie hin, zog an dem Ende des hervorstehenden Stahles– und bald hielt sie ein, über und über, kothiges Messer in den Händen.
Sie reinigte das Messer– hielt es vor sich hin, um es zu betrachten– da stößt sie einen herzzerreißenden Schrei aus und stöhnte, in die Knie sinkend: „Jesus, Maria! das Messer gehört meinem Alois!– Wie kommt das daher!“– Lang wußte sie nicht Rath vor Angst und Schreck– endlich erhob sie sich vom Boden und eilte zum Adlerwirthshause.– „Nein!“ sprach sie für sich, „Alois kann nicht dabei gewesen sein, gewiß nicht!
– Oft klagte er wohl über unsere Armuth, oft raisonnierte er lang und sprach tolles Zeug– aber soweit kann er nicht geh'n, er ist zu ehrlich, zu brav– und doch– wie kam der Stahl dorthin– er geht nie Abends den Fahrweg– auch gestern bog er rechts über die Wiesen ein– wenn er dennoch– entsetzliche Qual!– Unter solchen Gedanken kam die Dirne zum Schoppen–
Alois war kaum erwacht, verwundert sah er Lisbeth zitternd an der Schwelle stehn.
– „Heh! Dirndl! was bringt Dich so früh her? Ist ein Unglück los?!“
– „Sag' mir, Alois!“ stotterte das Mäd’l, „wo warst denn heute Nacht?“-
– „Was soll denn die Frag"? Bist etwa gar eifersüchtig geworden? Laß' 's gut sein, ich hab' von unserer Hochzeit geträumt!“
– „Dir glaub' ich's– weil Du es sagt– aber was ist nachher da vorgegangen?––– Schau, das Messer hier, das Du Dir am letzten Kirchtag erst gekauft hast,– ich hab' es grad' am Weg draußen gefunden– an derselben Stell’– wo sie den Halleiner Postmeister heut' Nacht ausrauben wollten“–– Ihre Stimme versagte, sie lehnte mit dem Kopf, wie ohnmächtig, an der Wand.-
– „Mein Messer?“– rief aufspringend Alois, „mein Messer? Wie ist das möglich?– Gestern hab' ich's selbst in meinen neuen lichtblauen Spenser gesteckt –“ dabei hob er seine Kleider von der Truhe auf und schrie entfärbt: „Himmel steh mir bei– Meine Kleider sind blutig– mein Spenser ist zerrissen– mein Messer hat Blutflecken– ich– ich erstick"– mir fehlt der Athem –“
Wie leblos sank er am Boden hin.– „Ah! ich hab's gewußt– gewiß– er ist unschuldig– ja– er, er ist eine ehrliche Haut– mein Alles! mein Alois!“–
Dabei nahm sie Wasser, ihn damit zu bespritzen, rieb seine Schläfe, wehte ihm Luft zu– schleppte ihn aufs Bett und rief um Hilfe– aber es hörte sie niemand. Nach und nach erholte sich der Arme wieder. Beide hielten sich zitternd umschlungen und fanden lange kein Wort, ihre Angst zu schildern.-
– „Was ist da vorgegangen?– Was steht uns bevor?“ klagte die Dirne.
– „Uns?– Ich und Du– wir haben ein reines Gewissen –! Wer kann uns etwas anhaben?– Doch ist's ein Räthel– mein Ärmel zerfetzt– da fehlt ein Stück– das geht über meinen Verstand– der halbe Ärmel ist weggerissen– –“
„Paßt etwa das Stück hinein,“ rief eine Stimme dazwischen.
Beide sahen sich um. Des Jägers Rohr Kamerad stand vor ihnen, und hielt den lichtblauen Tuchlappen in die Luft. Ein Schrei aus beider Mund erscholl– es war das abgerissene Stück vom Spenser des Alois. ––
Die Rosel war am Samstag Abends zeitlich mit ihrer Schwester zu Bett gegangen, man fand sie dort schlafend, ihre Kleider waren weder naß, noch kothig, und Niemand hatte die Nacht über sie hinausgelassen, der Thürschlüssel hing, wie immer, zu Häupten der Schwester.
Lueg-Peter und den Siemerlwirth fand man an der Seite der zwei Bauern von Abtenau schlafend, auch ihre Kleider wurden vollkommen rein und trocken gefunden.
Die beiden Bauern bezeugten, sie seien zusammen schlafen gegangen und hätten die Nacht über, neben einander, auf den zwei Strohbetten geschlafen. Rosel's Schwester, wie die Abtenauer, waren von unbescholtenem Charakter und allgemein geachtet von jeher.–
Über dieses Ereigniß lag also volles Dunkel verbreitet, bis Rohr in die Mühle zurückkehrte, und dort die Leute frug, ob sie denn keinen Burschen in der Nähe wüßten, der einen derartigen lichtblauen Spenser trüge. Der Salinenarbeiter von Hallstadt, der eben in der Gesindestube saß, trat hinzu, besah den Tuchfetzen, auf dem einige schwarzseidene Schnüre aufgenäht waren, und sagte kopfschüttelnd: „Hm! unser Steiger hat accurat so einen Spenser– aber ich will deßwegen kein schlechtes Licht auf ihn werfen– d'Wahrheit ist's aber allemal!“ Alle erschraken, Niemand wollte ihn schuldig glauben, Rohr bebte zurück– er hatte einen solchen Spenser selbst Tags vorher in den Händen des Alois gesehen. Lange zögerte er, denn der Steiger war ja ein so offener, freundlicher Bursch– noch dazu der Bräutigam der Lisbeth, der Wohlthäterin der Seinen– wie weh hätte ihnen sein Verdacht thun müssen.––
Endlich theilte er die Sache doch seinem Kameraden mit,– bei reiflicher Überlegung hieß ihn die Pflicht, alle Privatrücksichten überwinden und die beiden Jäger eilten so nach Steindorf hinüber.
Um keinen Preis der Welt wäre Rohr selbst in die Stube getreten,– Alois und Lisbeth dauerten ihn zu sehr.
Er blieb außen stehen, den Himmel um eine günstige Stimmung bittend;– umsonst! der Schrei des Entsetzens bewies ihm das Gegentheil!– Eine lange, schmerzvolle Pause erfolgte, ohne Thränen starrten sich, im tiefsten Schmerz, die Brautleute an, der Jäger stand selbst bewegt an der Pforte.– Endlich mußte der Letztere das Schweigen lösen.– Alois wurde verhaftet. Lisbeth umschloß ihn mit ihren Armen, sie bat, weinte und lag auf den Knien.
– Alois selbst drückte die Dirne mit verzweifelnder Aufregung ans Herz, und rief: „Lisbeth! Du weißt es ja, daß ich kein Verbrecher bin– ich fühle mein Gewissen frei und rein– für's andere laß den Gott im Himmel walten– wir stehn ja. Alle in seiner Hand!“ Noch drückte er einen heißen Kuß auf ihre Lippen, dann ließ er sie auf den Stuhl nieder und stürzte ins Freie. Als er außen Rohr erblickte, rang sich ein schwerer Seufzer aus seiner Brust los– zwischen den beiden Grenzjägern schritt er lautlos dahin. Da riß Lisbeth die Thüre auf– eilte ihnen nach– „Halt! Halt! führt ihn nicht fort!“ rief sie sich an Alois anklammernd, von dem die Rohr, mühsam seine Aufregung bekämpfend, mit möglichster Schonung trennte. „Erbarmen!“ wimmerte sie, mit brechendem Auge, Rohr anblickend– Aloys schritt lautlos dahin, die beiden Grenzjäger ihm an der Seite.–
Der Postmeister von Hallein war nach Hause gebracht worden, seine Wunden waren nicht lebensgefährlich und heilten rascher, als man anfangs glaubte. Wohl mußte die Hochzeit um einen Monat hinausgeschoben werden, aber selbst diese Zeit verging schnell unter tausend Vorbereitungen, mit denen die beiden Familien sich zu überraschen suchten. Toni war schön wie immer, all beneidet und bewundert, ihr Herz aber verarmte immer mehr, je höher ihr Stolz und ihre Gefallsucht stieg. Lueg-Peter und der Siemerlwirth führten mit Rosel ein exemplarisch stilles Leben. Doch da so mancher Gläubiger, endlich ernstlich um Zahlung mahnte, entschloß sich der Wirth seine Wirthschaft zu verkaufen. Zu seinem Glück fanden sich mehrere Liebhaber dafür, deren Einer den Andern überbieten wollte, so daß er sein Anwesen weit über den Werth veräußern konnte, und ihm, nach Tilgung seiner Schulden, noch ein Sümmchen blieb. Alle Drei waren nun entschlossen, nach Amerika auszuwandern und suchten die Erlaubniß dazu an, welche sich indeß noch einige Zeit verzog, indem eine große Menge von Bauern aus Abtenau, Goisern, Lauffen und Gmunden von derselben Auswanderungssucht befallen worden waren, und eher alle ihre Verhältnisse genau geordnet werden mußten.–
Indeß ging der Proceß des armen Alois seinen Weg. Das Ende konnte kaum zweifelhaft sein. Niemand in der ganzen Umgegend war auch nur im Entferntesten graviert. Rosel fand ihre Zeugin, daß sie bei ihrer Schwester im Zimmer, die Nacht über, geschlafen hatte. Lueg-Peter und der Siemerlwirth waren nicht lange vorher, zu Hause beim Weinkrug von den Jägern gesehen worden. Die unverdächtigen Abtenauer betheuerten, mit ihnen schlafen gegangen zu sein und hatten keinen von Beiden sich entfernen gesehen, auch waren ihre Kleider in Ordnung und nichts Verdächtiges aufzufinden.
Ebenso ging es mit Allen, gegen die man nur im Entferntesten einen Verdacht haben konnte. Alois dagegen war wohl gesehen worden, wie er seine Dirne verließ, er konnte aber keinen Zeugen stellen, der angab, wann er im Adlerwirthshause angekommen und ob er die Nacht über hier gewesen sei. In der Hand des Postmeisters fand sich der Fetzen seines Spensers, sein Messer, das er immer in der Hosentasche trug, war voll Blutflecken und als dasselbe erkannt, mit dem der Postmeister verwundet worden sein mochte, seine Kleider waren durchnäßt und voll Schmutz, während noch lange schönes Wetter blieb, als er Lisbeth's Häuschen verließ– kurz seine Verurtheilung unterlag keinem Zweifel!–
Theils aus Neid, theils aus Bosheit, theils weil sie auf seine Stelle im Salzwerk, oder weil sie Lisbeth's Herz zu erringen hofften, sobald Alois von ihr losgerissen sein würde, fielen die Leute von ihm ab, fanden kein Wort der Fürbitte oder Vertheidigung für den armen Steiger, der, trotz aller Beweise, seine Unschuld betheuerte und um so weniger einen Genossen seiner That angeben konnte. Er stand ganz allein im Unglück, nur Lisbeth war ihm treu geblieben, sie betheuerte, daß er unschuldig sei, sie sprach so gut und beredt wie ein Buch für ihren Alois, sie liebte ihn ja, sie kannte sein Herz wie das ihre – doch das Gesetz kann nicht richten nach der Stimme der Liebe, der Ruf des Herzens gleicht nicht immer der Sprache der Gerechtigkeit!–
Wohl zögerten die Richter, das Urtheil zu fällen so lange es möglich war, man suchte Gegenbeweise zu finden– doch Alles blieb umsonst– der Tag seiner Verurtheilung nahte!
Lisbeth war bleich und freudlos, von der blinden Witwe und ihrem Kinde geführt, ging sie täglich zum Votivbilde, wo auch die alte Rohr Trost gesucht und Lisbeth's Herz gefunden hatte– dort beteten sie recht innig in Gottes lieber, freier, herrlicher Natur.–
Rohr war seit der Verhaftung des Aloys nicht mehr in die Hütte der Dirne gekommen, er fürchtete ihr weh zu thun;– durch seinen Anblick und durch Dritte zog er unter dem Vorwande dringender Geschäfte Kundschaft über die Seinen ein. Als er nun eines Abends zur Gosau-Mühle gehen mußte, den Müller zum nächsten Verhöre wegen Alois vorzuladen,da sah er,von dem Felsen hervortretend, die drei Betenden vor dem Votivbilde. Entblößten Hauptes stand er, hinter einem Strauch halb verdeckt, stille, um sich nicht zu verrathen, und einte seine Wünsche mit denen der Seinen.
Aber Lisbeth hatte ihn erblickt, sie verstand ein gutes Herz, das sie nicht kränken wollte, sie eilte auf ihn zu und bot ihm die Hand.– Wohl blieb sie sprachlos dabei und weinte heftig, aber ihre edle Selbstverläugnung war das Glück des armen Rohr– nicht sein Wille, seine Pflicht hatte ihr eine so tiefe Wunde geschlagen.
Lueg-Peter und der Siemerlwirth erlangten endlich die ersehnte Erlaubniß zur Auswanderung nach Amerika, wohin ihnen auch die Rosel folgen wollte. Sie waren guter Dinge, wurden aber vom Rohr nicht aus den Augen gelassen. Dessen scharfe, oft geübte Beobachtungsgabe ließ ihn vermuthen, daß Alois nicht der eigentliche Thäter bei dem Attentate gegen den Postmeister sei; denn er hatte ihn öfter bei Lisbeth gesehen und sein ganzes Wesen stand im Widerspruche mit dem Verbrechen, dessen man ihn beschuldigte. Selbst nach seiner Verhaftung trug sein Verhalten wohl die Zeichen tiefster Gemüthserschütterung an sich– Gewissensangst schien aber von ihm fern zu sein.–
Rohr ahnte daher hinter diesem Ereignisse noch ein mäch-
tiges Geheimniß, defen Schleier zu lüften, er sich–
vor Allem um Lisbeth's willen– zur Aufgabe der näch-
sten Zukunft machte. In Folge dessen sprach er oft und
unvermuthet im Siemerlwirthshause ein, wo er im Stillen
das intimste Verhältniß zwischen Herrn und Diener bemerkte.
Beide waren wohl gegen den Jäger besonders freundlich, aber eben diese unmotivierte Freundlichkeit fiel ihm auf– mochte sie nicht den Grund haben, ihn arglos und vertrauend zu machen?– Zudem gewahrte er gar oft, wie die Beiden, wenn sie sich unbeachtet glaubten, stechende Blicke auf Rohr hefteten und allerlei geheime Zeichen machten. Eines Abends nun saß der Jäger ermüdet von einem weiten Marsche hinter dem kleinen Garten des Siemerlwirthes, wo ein schattiger Baum ihn vor den Sonnenstrahlen schützte. Das Wirthshaus war bereits verkauft worden, die Leute von Goisern, Lauffen und der Umgegend waren längst nach Amerika ausgezogen– die beiden Verdächtigen waren aber nicht unter ihnen gewesen,– ihren Aufenthalt konnte man aber nicht entdecken. Offenbar mußten sie sich noch irgendwo verborgen halten, um geheim vor ihrer Abreise einen Streich auszuführen, was bei den zahllosen Bergen und Schlupfwinkeln jener Gegend um so leichter möglich war, als der Lueg- Peter die ganze Nachbarschaft, wie die Fläche seiner Hand, genau kannte.– So streng man aber die Umgegend bewachte, blieb doch ihre Spur gänzlich verloren.–
An jenem Abend nun, wo der Jäger am Fuße jenes Baumes ruhte und durch dessen mächtigen Stamm fast ganz gedeckt war, umnachtete so manches Düstere sein Gemüth. Eben heute war der Hochzeitstag der schönen Loferer Toni, die er noch immer im Herzen trug, so weh sie ihm auch gethan hatte und so hoffnungslos auch seine Liebe war. Unbeachtet von aller Welt war sein Kummer geblieben, lustig mochte sie sich jetzt im Kreise drehen, voll Sehnsucht nach den Freuden der Ehe– während er um sie so tiefes Weh in lautloser Stille litt.–
Schon Vormittags war der Postmeister nach der Mühle gefahren, wo sich zahllose Gäste einfanden;–
Nachmittags fand die Trauung statt, dann bestiegen. Alle die bereit gehaltenen Schiffchen, um nach Hallstadt zu rudern, wo im herrlich, romantisch gelegenem Gasthofe am See der Tag mit einem schwelgerischen Mahle und einem großartigen Ballfeste beschlossen werden sollte. Vor dem Morgenstrahl war an keine Heimkehr zu denken, selbst das Gesinde benützte diesen frohen Tag, sich dort oder da gütlich zu thun– die Mühle stand still, das Haus lag einsam und verödet.
– All' dieß, wie der herzlose Abschied vom Loferer, fand vor Rohr's Seele, seiner Mutter Blindheit,– theils wenigstens durch den harten Müller veranlaßt,– drückte ebenfalls sein Gemüth und er lag noch immer brütend im Grase, als die Sonne längst den Berges gipfelnden Abschiedskuß aufgedrückt hatte.– Als er nun vor sich hinsah– vermeinte er mit Einem zwei Gestalten im Dunkeln zu sehen, welche im Schatten der Bäume, gegen den See zu, dahinschlichen. Wie ein elektrischer Funke durchbebte es seinen Körper, dennoch hütete er sich aufzustehen oder die Unbekannten anzurufen, denn hiedurch hätte er sie nur verscheucht oder vorsichtiger gemacht, zudem war die Entfernung zu bedeutend, um sie bei einem Fluchtversuche sicher einholen zu können. Mochte ihm aber seine Phantasie einen Streich spielen oder war es Wirklichkeit– er meinte genau den Lueg-Peter, der so lange vermißt worden war, zu erkennen, als ein paar Mal der Strahl des Mondes seine Gestalt für Augenblicke beschien. Nach kurzer Überlegung war er entschlossen: er überzeugte sich, daß diese nächtlichen Wanderer, welche keiner guten Absicht wegen, die Fahrstraße wie den Fußpfad mieden, eine ihm bekannte Richtung durch das Dickicht verfolgten, eilte dann– so tief es möglich war– zur Erde gebückt, zur nahen Wohnstube, und entwarf mit ein paar Kameraden einen so gut combinierten Plan, daß die zwei Geheimnißvollen nicht entgehen konnten. Die Gewehre wurden für alle Fälle geladen, und in zwei Partien fetzten sich die Jäger, nach verschiedenen Richtungen, in Bewegung.–
Rohr hatte den beschwerlichsten, aber wie er vermuthete, nächsten Pfad gewählt; jedenfalls hatten sie es aber mit verschmitzten Gegnern zu thun, denn es war schon 10 Uhr vorüber und sie konnten keine Spur finden.
Endlich kam er zu einer Stelle, wo die Baumäste ein solches Gewirr und eine Art von Gitter bildeten, daß der Durchpassierende nothwendig einige Äste abbrechen mußte, um mit heiler Haut passiren zu können;– und eben hier fand er einige ganz frisch geknickte Zweige,– er war offenbar auf der Ferse der Feinde. Leisen Schrittes, zum Angriff bereit, drangen die beiden Jäger vorwärts– bis ein leiser Laut an ihre Ohren schlug. Das Ohr an die Erde legend, erkannte Rohr nahe menschliche Schritte, die aber plötzlich inne hielten,– jetzt galt es Vorsicht, denn auch ihre Anwesenheit konnte den Verfolgten verrathen sein.–
Wenige Schritte hatte Rohr, vorsichtig um sich spähend, gemacht, als er über eine Baumwurzel zu fallen drohte, sich aber noch an einem Aste aufrecht erhielt. Dieser Unfall war jedoch sein Glück, denn im selben Momente krachte ein Schuß,– ein zweiter– ein dritter – ein vierter.– Wäre Rohr nicht durch den Fall plötzlich zur Erde gebeugt gewesen, so hätten ihm unfehlbar die zwei ersten Schüsse die Brust durchbohrt, jetzt rissen sie ihm die Mütze vom Kopf. Die beiden letzten Schüsse streiften den zweiten Jäger an der Seite, prallten aber glücklicher Weise am Schafte seines Gewehres ab. Die Schüsse machten den Schützen Ehre, so scheußlich auch ihre Absicht war.–
Wuthentbrannt stürzten beide Jäger der Richtung nach, woher die Schüse gekommen waren–
fanden aber plötzlich an einem Abgrund, über den sich die Verbrecher, unter Todesgefahr, hinüberschwangen;– drüben aber ertönte ein „Hurrah!“ denn zwei Jäger waren, durch die Schüsse angelockt, laufend herbeigekommen und nahmen die nächtlichen Helden gefangen.–
Die Besiegten schäumten und tobten, verwundeten den einen Jäger sogar, bevor man sie bändigen konnte. Wuth und Verzweiflung hatte ihre Züge verzerrt, ihre Lippen waren schaumbedeckt und sich am Boden wälzend, schrie der Eine: „Fluch mir selbst! ich habe ihn verfehlt– der Elende lebt und ich bin in seiner teuflischen Hand. Ein Messer, ein Messer– ich will nicht leben– ich will mich mit ihm in dem Abgrund zerschmettern!“ Seine Stimme versagte, er drohte zu ersticken.–
Lueg-Peter und der Siemerlwirth wurden beim Schein des Mondes in den Gefangenen erkannt. Scharf bewacht wurden sie bergan geführt, wobei es dem Jäger nicht entging, daß Peter zeitweise sich bemühte, mit seinen gefesselten Händen, einen Gegenstand aus der Brusttasche zu ziehen. Plötzlich schien es ihm gelungen zu sein–
Rohr fiel ihm in die Arme und hielt einen Pack von Papieren in seinen Händen. Wüthend sich dessen beraubt zu sehen– im selben Momente, als er denselben in die Tiefe des Waldstroms schleudern wollte, um diesen seinen Gegnern zu entziehen– stürzte er mit aller Kraft gegen seinen ärgsten Feind, wobei er ihn mit dem Eisenring seiner Fesseln hart an der Stirne traf, und wären nicht die Kammeraden dem Jäger, so gut es der schmale Pfad erlaubte, beigesprungen,– Rohr wäre in die Tiefe gestürzt. Nun wurden Beide noch enger gefesselt und gebunden, dann durchsucht, wobei man in der Tasche des Siemerlwirthes ebenfalls einen Schriftenpack fand. Beide Packete enthielten eine Geldsumme, deren Ursprung ebenfalls in einem Verbrechen beruhen mußte.–
Unter diesen Vorgängen stießen noch die übrigen vier Kameraden, verabredetermaßen, auf der Bergeshöhe, mit ihnen zusammen– als ein neues, düsteres Schauspiel ihnen einen Angstschrei entlockte. Lueg-Peter aber schrie mit teuflischem Lachen: „Bravo! Rosel!
Du bist glücklicher als wir, sie sollen dennoch an uns denken!“––
Die Gosau-Mühle stand in Flammen!–
Vier Jäger nahmen es auf sich, die Verbrecher dem Gerichte zu überbringen.– Vier andere, von Rohr geführt, eilten furchtlos, trotz den drohenden Gefahren, den jähen Abhang hinab– gerade auf die Gosau-Mühle zu. Ein Jäger sprang ins Boot und ruderte mit Riesenkraft gegen Hallstadt, den Müller und die Seinen zu holen, und Hilfe zu schaffen,– die drei Andern suchten das Feuer, welches an vier Stellen zu wüthen begann, so viel es möglich war, zu beherrschen.––
Während diese, triefend vom Schweiße, hier thätig waren, schritten deren Kammeraden eiligst dem nächsten Gerichtsorte zu, um die Gefangenen abzuliefern und dann ihren Brüdern beim Feuerlöschen beistehen zu können.–
Wie sie bei den ersten Häusern am See vorüberschritten, drückte sich eine weibliche Gestalt in den Schatten derselben und suchte so deutlich als möglich die Vorübergehenden zu erkennen. Als sie Lueg-Peter und den Siemerlwirth gefangen erkannte, sank sie lautlos zusammen und lag eine Viertelstunde wie todt da. In Verzweiflung die Hände ringend, erhob sie sich, gegen sich selbst wüthend und sodann auch die beiden Verbrecher verwünschend– sprang sie in den See. ––
Das Wasser schlug über ihr zusammen, es schloß in weitern und weitern Kreisen plätschernd, über den Körper, der für einen Moment noch ein Mal emportauchte–– dann für immer versank.–
Die Verwirrung und der Schrecken zu Hallstadt, welchen die Nachricht wegen des Brandes verbreitete, ist nicht zu schildern. Entsetzt war vor allem der Müller, dessen Habe in Flammen stand, und mit höchster Eile ruderte man so bis zur Stelle des Unglücks. Da die vorhandenen Gegenstände das Feuer sehr bedeutend nährten, so war dasselbe kaum zu gewältigen. Händeringend standen die aufgeschreckten Hochzeitsgäste zur Seite. Loferer stürzte auf die Gegenstände zu, welche die Jäger als die werthvollsten gerettet hatten, doch er schien nicht zu finden, was er suchte,– seine eiserne Geldkiste fehlte. Schaurig tönte sein verzweifelter Hilferuf durch die Nacht.–
Niemand wagte sich mehr in die brennenden Gebäude. Da stürzte Rohr, geschwärzt von Rauch und Dampf, aus dem Hause, und rief nach einem Brecheisen, denn die Kasse war nicht zu öffnen,– nicht von der Stelle zu bringen. Der inzwischen angekommene Loferer reichte ihm sprachlos keuchend die Schlüssel– der Jäger fand nicht Zeit zum Reden, und ohne auf die warnenden Zurufe zu hören, stürzte er zurück in das brennende Gebäude. Athemlos horchten die muthlosen Gäste, unermüdet suchten ihm seine Kammeraden beizustehen, und von jener Stelle die Flammen fernzuhalten– es vergingen zehn ewig lange Minuten voll tödtender Angst,– voll bangen Entsetzens.––
Endlich wurden Bündel und Geldsäcke herausgeschleudert,– bald folgte keuchend, athemlos Rohr, die Werthpapiere im Arme haltend;– entkräftet sank er auf den Rasen nieder, und man glaubte ihn aufgeben zu müssen.–
Als der Morgen anbrach, war wohl ein Theil der Loferer-Mühle niedergebrannt, aber– wie unbedeutend war für den reichen Mann dieser kleine Schaden von ein paar tausend Gulden, sein ganzes Vermögen war ja durch Rohr und seine Kammeraden gerettet. Rohr lag im Zimmer bei seiner Mutter an schweren Brandwunden darnieder. Zwar wollte Loferer ihn bei sich im Hause behalten, aber der Jäger lehnte es mit bitterm Lächeln ab;– beschämt stand der Müller und die Seinen vor ihm,– dem armen Burschen,– den diese reichen, übermüthigen Leute im Glücke in den Staub getreten hatten, und jetzt im Unglücke gerade ihm Alles verdankten.––
Liesbeth war seine treue Pflegerin, im Verein mit seiner Schwester; die arme, blinde Mutter konnte nichts helfen, und verwünschte ihre Hilflosigkeit,– aber Tag und Nacht saß sie zur Seite seines Lagers,– und die Nähe des Mutterherzens war ja ein süßer Trost für den leidenden Sohn.–
Lueg-Peter und derSiemerlwirth gingen inzwischen rasch ihrem Schicksale entgegen. Als man ihr ehemaliges Wohnhaus durchsuchte, fand man am Heuboden, hinter dem linken Querbalken, eine halb verfaulte, von Schimmel bedeckte Kleidung des Wirthes verborgen, an der man Blutflecken entdeckte. Befragt über diesen Umstand, bekannte Siemerl, der sich durch Peter hatte verlocken lassen und jetzt in allzuspäter Reue sein Schicksal verwünschte, daß er und Lueg-Peter auch den Anfall auf den Postmeister von Hallein gewagt hatten.
Die Rosel besaß einen zweiten Schlüssel zur Kammer der Schwester und sobald diese schlief, hatte sie sich fortgeschlichen, erwartete die Heimkehr des Alois, und ihre Hand war es, welche ihm Nachts die Kleider von der Truhe nahm– getreu dem Plane des Peter. Die beiden Abenteuerer- ihrerseits hatten absichtlich das Vorbeigehen der Jäger bei ihrem Gasthause bei Licht abgewartet, um von ihnen daheim gesehen zu werden; ebenso hatten sie, um Zeugen voll Gefügigkeit und von schwachem Gedächtnisse zu haben, den zwei Abtenauer Bauern so stark zugetrunken, daß Beide kaum wußten, was mit ihnen geschah, als sie von den Abendteuerern aufs Lager gelegt wurden, wonach sich die beiden Verbrecher eiligst entfernten.–
Im Walde fanden sie bereits die Rosel mit den Kleidern des Alois, die Lueg-Peter anzog, um die seinen nicht zu beschmutzen oder blutig zu machen,– ja, er ließ gerne einen Fetzen in des Postmeisters Händen zurück, denn dieser mußte, da er die Sache mißlungen sah, am meisten und unwiderlegbar gegen den Steiger zeugen. Die Dazwischenkunft der Grenzjäger hatte das Verbrechen vereitelt, der Siemerlwirth rannte eiligst heim, entledigte sich des alten, halb zerfetzten Gewandes, das er eigens zu diesem Unternehmen gewählt hatte, da er es als Nichtsnutz schon jahrelang nicht mehr getragen, barg es hinter dem Balken, wo es sicher schien, und lag, nebst seinen trocken und rein erhaltenen, gewöhnlichen Kleidern, baldigst neben dem einen Bauer von Abtenau.–
Lueg-Peter riß im Laufen gegen den Wald die Kleider des Steigers herab, nahm von Rosel, die seiner hier gewartet hatte, seine frühern Kleider und, wie von Furien getrieben, stürzte er seinem Freunde nach.
Rosel legte die blutigen Kleider des Alois eben so leise, wie sie dieselben genommen hatte, auf dessen Truhe und schlich in die Kammer zu ihrer Schwester zurück.–
Durch den Aufenthalt, den die Jäger mit dem verwundeten Postmeister, mit dem Aufwecken in der Mühle und dem Verhören des Kutschers verloren, gewannen die drei Genossen des Verbrechens Zeit,– so daß sie von den nachforschenden Soldaten, in ruhigem Schlafe, zu Hause angetroffen wurden. So gefahrvoll übrigens Lueg-Peters verwegener Plan mit den Kleidern des Steigers gewesen war, so warer doch vollkommen gelungen und ein Meisterstück der Schlauheit, denn sobald ein so schwer belastetes Individuum aufgefunden war, konnten die drei Schuldigen viel freier athmen, sogar bald sicher sein; während im entgegengesetzten Falle stets die Spur eines Thäters verfolgt worden wäre.–
Als nun der erste Plan, Geld zu erobern, mißlungen war, entwarf Lueg-Peter, dessen verderbtes Gemüth nicht im geringsten eingeschüchtert, sondern nur um so wüthender gegen den Jäger aufgestachelt worden war, mit dem gegen Loferer empörten Siemerlwirth einen neuen Plan, zu dessen Ausführung der Hochzeitstag am passendsten schien.–
Vorerst suchten alle drei Hausgenossen, durch ein stilles, häusliches Leben, die Blicke Aller von sich abzuwenden, dann machten sie das wenige Habe zu Geld und wanderten nach Amerika,– das heißt, sie machten der Welt dies vor der Hand glauben, zogen sich aber von den Auswanderer-Genossen seiner Zeit zurück und lebten in einem, dem Lueg-Peter, in der Nähe des Forts, das „einst eine Handvoll Tiroler, unter Haspinger, gegen die französisch-baierische Armee vertheidigt hatte, am Berge Lueg bekannten einsamen Verstecke, bis der Augenblick zur That gekommen war.–
Nachmittags am Hochzeitstage stand die Mühle des Loferer ganz verlassen, die beiden Genossen stiegen durchs Fenster in das Innere, das dem Peter von früher genau bekannt war, erbrachen den Schreibtisch und steckten alles Geld zu sich, das sie darin fanden, es waren bei 30000 Kr.– Toni’s Heirathsgut, das der Müller, im Drange der Geschäfte, in die Geldkiste zu legen unterlassen hatte. Die Geldkiste widerstand ihnen, und mit ihrer Beute zufrieden, gelangten sie glücklich wieder ins Freie zu Rosel, die außen Wache gehalten hatte. Wären sie nun unverweilt geflohen, so war, nach dem bei Peter
vorgefundenen schlauen Plane, mit ziemlicher Gewißheit
anzunehmen, daß sie ungehindert die Grenze erreichet
hätten, denn dann ebnete ja der Auswandererpaß ihre
Pfade. Aber der Rachedurst ließ sie die eigene Sicherheit
der Gefahr aussetzen– und sie erlagen. Rosel nahm es
auf sich, aus Liebe zum Wirthe, die Mühle dessen anzu-
zünden, der ihn ruiniert hatte, während die beiden Män-
ner, auf Rohr's Wegen, herumschlichen, um ihm einen Denk-
zettel für alle Zeiten zu geben. Der thätige Jäger, der
nur mit Mühe in Erfahrung gebracht hatte, daß am dritten
Tagmarsche die zwei ihm längst Verdächtigen sich heimlich
von ihren Genossen entfernt hatten, und seither wie ver-
schwunden waren, hatte durch eine stete Wachsamkeit nicht
nur des Postmeisters Leben, sondern auch das Hab und
Gut eines Feindes gerettet– ja, der arme Alois ward
durch ihn befreit, denn die wahren Thäter wurden ent-
deckt, und sein heißester Wunsch war erhört,– er hatte den
Schmerz gut gemacht, den er ohne Schuld der Wohl-
thäterin seiner blinden Mutter bereitet hatte.– Als Alois
heimkehrte, seine Lisbeth umarmte und dem Jäger die ver-
söhnende Hand reichte– da war ein Moment der namen-
losesten Freude für diesen kleinen Kreis gekommen, der sich
nicht schildern, nur fühlen läßt.–
Glücklich sein ist süß, doch glücklich werden ist die höchste Lust!–
Als der Jäger vollkommen genesen war, schrieb man
den Monat August. Die Loferer- Mühle war bereits
wieder ganz aufgebaut, Toni lebte zu Hallein als
Frau Postmeisterin im vollsten Glanze, konnte sich aber,
so oft sie an das treue Gemüth Rohr's dachte, der Klage
nicht erwehren, daß sie an seiner Seite glücklicher wäre;
denn ihr Gemahl liebte das Spiel und den Wein bald
so ausschließend, daß seine Frau ihre schnöde Untreue
gegen den früheren Verehrer zeitweise gewiß empfindlich
büßen mochte.
Lueg-Peter und Siemerl hatten, nach der vollsten Strenge
des Gesetzes, gebüßt. Ihr früheres Verbrechen, so schlau
es angelegt worden war, wurde durch die Wachsamkeit
der Grenzjäger dennoch gesühnt.– Rosel's Leichnam fand
man eines Morgens am Ufer des Sees,– sie hatte sich in
jener Nacht aus Verzweiflung in denselben gestürzt, als
sie die Verhaftung ihrer Genossen sah.
Um die Mitte des Monats August stand Rohr mit
seiner Mutter und Schwester vor dem oft gedachten Votiv-
bilde, und dankten dem Himmel für ihre Rettung,– dann
mußte der Sohn seinen Dienst wieder antreten. Kaum
hatte sich die Nachricht über Rohrs Genesung verbreitet,
so eilte Loferer und der Postmeister von Hallein zu ihm,
um ihm für die Rettung des Lebens wie ihres Vermögens
zu danken. Eine bedeutende Summe baten sie den Jäger,
als Beweis ihrer Dankbarkeit, von ihnen anzunehmen;
– Rohr wies sie aber zurück und sagte selbstzufrieden:
– „Meine Herren! Ich danke Ihnen herzlich für
Ihren Antrag,– Alles was ich bedarf, verdienen mir meine
gesunden Arme– Almosen oder Unterstützung verbietet
mir mein Ehrgefühl zu nehmen. Ich bin ein schlichter
Jäger, als solcher glücklich, zufrieden mit meinem Loose,
und stolz auf meinen Beruf. Was ich Ihnen that, er-
kenne ich, wie jeder brave Mann, als meine Pflicht, und
für dessen Ausübung lohnt uns nur Eines wahrhaft–
das eigene Bewußtsein!“-
Loferer war betreten, denn er fühlte gar wohl, wie
gerecht und strafend diese edlen, aber stolzen Worte auf
ihn fielen,– auf ihn, der diesen Mann einst sammt den
Seinen so schmachvoll behandelt hatte, und der nun so
klein, so gedemüthigt vor ihm,– seinem Retter,– stand,–
der all' sein Geld– auf das der Müller stolz war
– mit Ruhe und Geringschätzung von sich wies, ganz
erfüllt von dem edleren Gefühle der uneigennützigen Helden-
that.–
Daher sprach Loferer nicht ohne Rührung: „Herr Rohr! Sie werden es wohl, wie ich, fühlen, wie mich Ihre Weigerung, irgend einen Dank aus meiner Hand anzunehmen, aufs Tiefste verletzen muß, denn diese Zurückhaltung beweist mir, wie sehr Sie mir mein hartes Benehmen noch jetzt nachtragen, obwohl ich es längst aufrichtig bereute. Geben Sie mir ein Mittel in die Hand, Ihnen dieß zu beweisen, Sie haben doch vielleicht einen Wunsch am Herzen, erlauben Sie mir, zu meiner Genugthuung– denselben zu erfüllen.“
Der Postmeister, noch mehr die hübsche Toni, sekundirten dabei dem Loferer aufs Beste und Rohr war so ziemlich besiegt. „Wohlan,“ sprach er, „für mich selbst habe ich keine Wünsche, aber meine Mutter ist blind– berühmte Aerzte aus Wien, hoffe ich, könnten sie retten,– doch dies zu erschwingen, sind wir nicht im Stande; hier zu helfen, könnte ihr Werk sein.– Von der Summe, die Sie mir überlassen wollten, würde die Hälfte die gute Lisbeth und ihren Bräutigam an das Ziel ihrer Hoffnungen führen und zugleich die schuldlos überstandenen Leiden schneller vergessen machen. Hierin, meine Herren, bestehen alle meine Wünsche!“
Die Zuhörenden waren von der schlichten Herzlichkeit des Jägers tief ergriffen– seine Wünsche zu erfüllen war ihr erstes, unverzögertes Werk,
Die blinde Mutter fiel ihrem braven Sohne um den Hals und küßte ihn, den sie leider nicht sehen konnte.
Doch Alle hofften ja auf Rettung, und wer hoffen kann, ist nicht mehr arm an Glück!–-
Lisbeth und Alois fanden nicht Worte, dem Jäger zu danken,– doch sie hatten in der höchsten Noth ihre karge Habe mit den Liebsten des Jägers geheilt, sie durften es ihm nicht verwehren, mit ihnen zu theilen– sein Glück!–
Dieselben wurden bald ein Ehepaar,– das glücklichste in der Umgegend. Sie blieben am Hallstädter See, wo sie eine größere Wirthschaft, die sie zusammen in ungetrübtem Frohsinn versahen, gekauft hatten.
Im nächsten Frühjahre erklärten die Ärzte ihre Kunstan der Blinden für beendet; an einem milden, sonnigen Morgen pochten die Herzen Aller, denn heute sollte es sich entscheiden, ob der nächtliche Schleier von den lieben Mutteraugen gewichen sei. Beim ersten Morgenschein führten Rohr und Lisbeth die Kranke vor die Hütte zum See– die Binde sah.– Ein Freudenruf. Aller durchzitterte die Luft, da die alte Mutter zum ersten Male das Sonnenlicht wiedersah!– Entblößten Hauptes standen sie,- dem Himmel in stillem Gebete dankend,– zur Seite stand auch Loferer und die Toni, welche, unbemerkt von den Andern, herübergekommen waren von der Mühle, um Zeugen des entscheidenden Augenblickes zu sein. Toni's Freudenruf verrieth ihre Anwesenheit, Rohr sah sie kaum, so bot er Ihnen bewegt seine Hände und rief: „Dank! Dank! was war– das soll vergeben und vergessen sein!“
– Seinem Beispiele folgten die Seinen.
Alle, die hier beisammen waren, feierten einen frohen, überglücklichen Tag.
Die Witwe Rohr lebt noch jetzt am Bauernhofe des Alois, und wie es sein Dienst erlaubt, spricht Paul daselbst ein, wo er auf den Händen getragen wird. So oft er aber die Frau Postmeisterin von Hallein vorbeifahren sieht, entsteigt ein Seufzer seiner Brust, und so oft er Lisbeth's stilles Glück betrachtet, umschattet ein tiefer Schmerz seine Züge– er fühlt sich einsam in der Welt und doch wäre es sein höchster Wunsch gewesen, ein Herz zu finden, das
ihm ganz und ungetheilt angehört hätte. Da wirft er den Stutzen dann über die Schulter, eilt in die Nacht hinaus und streift zwischen Abgründen und Felsen auf den höchsten Bergen herum.––
Aus Libussa
Klar, Paul Alois, 1801-1860 [HerausgeberIn]
Prag [u.a.]: Calve [u.a.] [anfangs], 1842
Zitierlink: http://data.onb.ac.at/rep/102DA17E
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