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Das Annerl aus dem Ausseerland

Autorenbild: Gerhard ZaunerGerhard Zauner

Aktualisiert: 26. Sept. 2021

Eine wahre Geschichte aus einer noch gar nicht so fernen Zeit.












Auf dieser Webseite ist eine Biografie von Marianne Feldhammer (1909-1996).


Von dort ist auch das Bild. Wer die Geschichte geschrieben hat, ist leider nicht ersichtlich.


„Da gibt´s kein Zurück mehr…“




Kalt ist es im Jänner im Ausseer Land. Schneidend pfiff der Frühwind um das kleine St. Leonhardskirchlein am Fuße des Radling. Erst ein schwacher violetter Streifen hing im Osten über dem Toten Gebirge, das Kommen der Sonne ankündigend.

Aus einer kleinen Hütte unweit des Gotteshauses huschte ein Mädchen heraus, dicht vermummt, einen Korb am Arm und den Rucksack über dem Rücken. Vor einem dunklen Fleck am Gartenzaun verhielt es einen Augenblick lang, stieß einen wehen Schluchzer hervor und eilte dann den Steig noch Eselsbach hinab, gleitend und stolpernd auf dem glatten Schnee und in der düsteren Finsternis, die noch das Tal füllte.

Als es zum Bahnhof Aussee einbog, überholte es eine alte Frau. Die blieb stehen und fragte: „Bist du nicht die Annerl vom Reschen Karl? Was hat es denn heut' da droben gegeben? Hat man da in Leonhard nicht geschossen?" „Ich weiß nicht!" stotterte das Annerl und schritt schneller aus, um zum Zuge noch zurecht zu kommen: denn schon pfiff er, Einfahrt begehrend, vor dem Haltesignal.

„Ischl!" verlangte sie am Schalter. Der Beamte schaute durch das Guckloch:

„Je, die Anna! Fährst wieder mit Wäsch' nüber? Die Mutter hat wohl viel zu tun?"

"Sehr viel! Bitt schön, geben'S mir schnell die Karten, der Zug fahrt schon ein!"

"Bleibt noch lang hier stehn!" beruhigte sie der Beamte.

„Da... aber was hast denn? Du weinst ja!"

Sie schüttelte energisch den Kopf mit den langen dunklen Zöpfen, die unter der Mütze hervorfielen:

„Na, ich wein' nit! Ist nur von der scharfen Schneeluft draußen!"


Kopfschüttelnd sah ihr der Mann am Schalter nach. Am Ausgange zum Bahnsteig standen drei SS-Männer mit Maschinenpistolen und zwei andere in Zivilkleidung mit gewichtigen Amtsmienen.

„Ausweise vorzeigen!" schnarrten sie alle an, die hinaus wollten. Die Annerl machte sich ganz klein und duckte sich hinter dem Rücken eines Arbeiters, der murrend seine Papiere vorwies.

„Und du? Wo willst du hin?" sagte grob der eine Kriminalbeamte zu ihr.

„Noch Ischl, die Wäsch' abliefern!" sagte sie leise, und schloß mit einem wehen Weinen. Der Arbeiter musterte sie einen Augenblick und packte sie dann am Handgelenk.

„Aber Annerl, was heulst denn? ... Ist vom Reschen Karl die Tochter!" wandte er sich an die Wache.

„Hast dir wohl den Fuß aus gerenkt, daß du so röhrst?"

Sie nickte eifrig, konnte aber kein Wort mehr hervorbringen.

Ihr Beschützer führte sie sorgsam weiter, half ihr die Stufen zum Abteil hinauf und sagte dann leise zu ihr:

„Grüß den Fred! Was macht der Vater?"

Sie schüttelte nur stumm den Kopf und nun weinte sie einen Augenblick lang hell auf, daß sich alle Leute im Eisenbahnwagen nach ihr umdrehten. Dann saß sie wieder stumm im Winkel und machte sich ganz klein, weil alle Leute nach ihr sahen.


„Ausweise vorzeigen!" schnarrte es von der Abteiltür her.

Ein Mann knurrte: ,Ja, die Gestapo möcht sich heut ja schier zerreißen! Wen suchen denn die wieder?"

„Die Freiheitskämpfer" wisperte ein altes Frauchen. „Sollen heut in der Früh droben bei Leonhard einen derschossen haben, gleich mausetot. Gott sei seiner Seele gnädig!"

Wieder klang ein weher Seufzer durch das halb finstere Abteil. Die Sprecherin wandte sich zu der Anna:

„Was weinst denn allweil? Bist doch so a hübsches, resches Madel. Frierst so?"

Das Annerl nickte heftig mit dem Kopfe und verhielt sich stumm, aber immer wieder rollte Träne auf Träne über die Wangen.

Die Beamten der Gestapo leuchteten jedem Fahrgast mit den grellen Taschenlampen ins Gesicht, auch dem Annerl, das wie ein Häufchen Unglück in der Ecke saß.

„Woher?" schnauzte der eine.

„Aus Aussee!"... „Wohin?"

Das Mädchen streckte stumm die Fahrkarte hin. Unwirsch fuhr sie der Mann an:

„Sind keine Fahrkartenkontroleure! Polizei!"

Der Arbeiter meinte:

„Aber laßt doch das arme Wurm in Frieden! Die Mutter hat es schwer ... und sie wird geschimpft haben, weil das Annerl nicht aus den Betten wollte."

Der Gestapomann packte nach Annerls Rucksack und fragte:

„Was ist da drin?"

„Wäsche für das Hotel Austria in Ischl, meine Mutter näht dafür."

"Nun lassen's schon die Kinder nicht in Frieden!" brummte eine rauhe Stimme aus der Dunkelheit. Suchend fuhr der Schein der Taschenlampe umher, aber die Gestapoleute konnten den Sprecher nicht entdecken.


Der Zug rollte ab, hinein in die finstere Koppenschlucht. Ganz dunkel wurde es im Abteil; denn wegen der Fliegergefahr brannte keine Lampe. Als der Zug in Obertraun hielt, wurde es draußen schon grau, am Hallstätter See beinahe licht. Eine Frau sah sich suchend im Wagen um:

„I mein, hier hat allweil jemand geweint! Warst du das Madel? Tut dir was weh?"

Das Annerl schüttelte den Kopf, obgleich in ihren, Augen noch die blanken Tropfen standen.

„Was hast denn?" wollte die Neugierige wissen.

Wieder nur ein stummes Kopfschütteln.

„Bist du aber Harb! Kannst net a bisserl freundlicher mit die Leit sein?"

Doch das Annerl schlug nur die Augen nieder und sagte kein Wort.


Endlich rief draußen die Schaffnerin:

"Ischl!" und schnell wie ein Wiesel war die Anna aus dem Zuge, rannte die Bahnhofstraße entlang und über die Esplanade, schlug einen Haken um das Hotel Austria, querte den Kurpark und verhielt erst vor einem Hause jenseits der Neuen Welt. Dreimal drückte sie auf den Klingelknopf, nachdem sie nach rechts und links geblickt hatte, um sich zu überzeugen, daß sie niemand beobachtete. Schnell huschte sie an dem Manne vorbei, der ihr öffnete.

„Ja, das Annerl!" lachte er und zog es schnell in eine Stube.

„Schickt der Reschen Karl Botschaft?" Die Anna schüttelte am Kopf.

„Der Vadder schickte keinen Brief mehr!" sagte sie mit leiser Stimme.

„Die Mutter hat ihn geschrieben!"

„Die Mariann! Umso besser. Muß ja sehr pressieren. War doch erst gestern bei euch!"

„Ja, Herr Fred..."

Sie sah ihn mit weit aufgerissenen Augen an und die Tränen quollen wieder hervor.

„Gestern waren's zu Nacht bei uns..."

Sie nickte krampfhaft und zog aus dem Rucksack ein Bündel Wäsche, aus dem sie nach einigem Suchen einen Brief hervorholte, den sie dem Manne hinhielt:

"... ja gestern... und heute in der Früh haben sie den Vater derschossen, die Gestapo, früh um viere ... haben das Haus umstellt, der Vater ist zum Fenster nausgesprungen und sie haben ihn totgeschossen mit sieben Schuß!"

Aufschluchzend brach sie auf dem Stuhl zusammen.


Der Mann, es war der Führer der Freiheitskämpfer in den Bergen des Salzkammergutes, sah ergriffen auf das vom wilden Schmerzausbruch geschüttelte Kind hinab und strich über die dunklen Haare:

"Der Reschen Karl ist gefallen ...! Deinen Vater haben sie ermordet...! und du bist trotzdem hierhergeeilt?"

Da schlug das Annerl die tränenerfüllten Augen zu ihm auf und sagte:

"Das mußte ja sein...! Sie suchen Euch... sie suchen die andern Freiheitskämpfer! ... In der Bahn spüren sie herum. Überall Wachen! Herr Fred. Ihr müßt alle warnen!"


Er nickte und fragte dann, ganz leise:

„Annerl, hat man die Mutter verhaftet?"

Sie schüttelte den Kopf:

„Nein, noch nicht! Deshalb hat sie mich zum ersten Zug geschickt. Mittags muß ich wieder zu Haus sein, hat sie gesagt! Bitt schön, schreibt schnell den Brief. Ich bring' ihn bestimmt zu den Partisanen!"

Das hat sie auch getan, und am Abend stand das Annerl mit ihrer Mutter ganz allein an dem offenen Grabe, in das man den Vater, den tapferen Reschen Karl hinein ­senkte. Da durfte sie endlich ganz laut weinen, und außer den Totengräbern und dem Kaplan hat es kein Frernder gehört.





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