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Von Ludmilla Nowak.
Fotos sind vom Volkskundemuseum.
Das rührende Kripperl
Es war im Jahre 1921, um die Zeit, als reiche Ausländer das zusammengebrochene Österreich durchzogen und den Kriegsverarmten ihre Kunstschätze abkauften. In den Gassen und auf den Dächern des kleinen Gebirgsmarktes im oberösterreichischen Salzkammergut lag eine leichte Decke frischen Schnees; denn es war Weihnachtszeit.
Am Ende des Marktes, dort wo der kleine Vorort begann, stand das sogenannte Kramerschneider-Haus. Es war ein ganz nettes, kleines Gebäude und hatte einen roten Anstrich. Es wurde immer wieder rot angestrichen, auch bei jeder Renovierung. Es war dies so üblich bei diesem Haus; denn es ging die Sage, bis hierher habe der große Brand gewütet, der anno 1750 den Markt verheerte. So waren die roten Mauern ein Andenken an dieses Unglück. An der Vorderseite des Hauses prangte überdies ein einfaches Heiligenbild, auf die Mauer gemalt, den Gang nach Emaus darstellend, mit der Überschrift „Herr, bleib' bei uns, denn es will Abend werden." Auf der Haustür war das Abbild einer großen Schere, das Zeichen der ehrsamen Schneiderzunft. Und das Haus gehörte auch schon seit Jahrhunderten einer Schneiderfamilie. Einmal mußte auch eine Krämerei dabei gewesen sein, wie der Name „Kramer Schneider" noch vermeldete. Diese aber war im Lauf der Zeiten weggekommen.
Zur Zeit gehörte das Haus der Witwe Sabine Moser und ihren beiden Söhnen Heinrich und Florian. Der Gatte und Vater war im Grippejahr 1919 gestorben. Die Schneiderei besorgte nun Heinrich, der ältere Sohn, mit Hilfe seiner Mutter und eines Lehrbuben. Um die Weihnachtszeit hatten übrigens die Kramer Schneider-Leute noch eine kleine Nebeneinnahme: „Das rührende Kripperl".
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Das war ein Kunstwerk, wie es eben nur Älpler herstellen können, denen der wenige Ackerbau oder ein kleines Gewerbe viel Zeit übrig läßt. Der Großvater der jetzigen Kramer Schneider-Buben hatte es vor langen Jahren selbst hergestellt. Jede Figur hatte er selbst geschnitzt. Die heilige Familie mit dem Christkindl, Ochs und Esel, die drei Weisen aus dem Morgenlande mit Kamelen, Pferden und Dienern, den bösen König Herodes, die Hirten, viele Engel, Lämmer; dann verschiedene Handwerker in ihren Werkstätten, eine Sternwarte mit Sterngucker und Fernrohr, viele Häuser, den guten Kaiser Franz Josef, wie er noch jung war, hoch zu Roß, mit etlichen Soldaten und schließlich sogar eine Eisenbahn, die ganz hinten bei der Stadt Bethlehem vorbeifuhr. Und das alles: die heilige Familie mit der Stadt Bethlehem und allen Leutchen und Tierlein— auch aller Geschichte Hohn sprechend mit Kaiser Franz Josef und der Eisenbahn— war auf einem etwas schief geneigtem Brett aufgestellt, das mit einem grünen, grasartigen Anstrich bedeckt und mit Einschnitten versehen war. Dieses Brett hatte wie ein Tisch vier Füße. Zur Weihnachtszeit wurde dieser Tisch in die Stube getragen, unten mit einem Vorhang versehen, das Kripperl wurde oben hergerichtet und der Kramer Schneider kroch unter das Brett und bewegte an Drähten die einzelnen Figuren. Er sprach und sang dazu, wie es gerade paßte, und das Kripperl „rührte" sich und war die Freude aller Kinder des Marktes, die alle gelaufen kamen und gern ein bescheidenes Eintrittsgeld entrichteten. Es war ja zu schön, wenn der Engel verkündete: „Euch ist der Heiland geboren" und die Hirten gelaufen kamen. Wenn der heilige Josef die heiligen drei Könige empfing, wenn der böse Herodes schimpfte. Wenn alle Handwerker fleißig arbeiteten und der Astronom auf seinemTurm sang: „Sterngucker, das is fein, das kann nit.a jeder sein." Und schließlich marschierten die Soldaten mit dem Kaiser auf und schossen— und dann fuhr mit hellem Pfiff hinten die Eisenbahn vorbei. Sie hatte einen Rauch aus Watte. Das war immer der wirkungsvolle Schluß.
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Der Großvater Johann Kieninger
So hatte der Großvater seinen Enkeln ein Erbteil hinterlassen, das nicht in Geld bestand und sich dennoch alle Weihnachten ganz gut verzinste. Es war auch noch ein ganzer Kasten voll anderer Schnitzereien dieses Großvaters da, Figuren und Häuser, unter anderen auch eine sehr schöne Marienkirche, ziemlich groß, mit einem hübschen Altar. Die Muttergottes darin war dem einfachen Mann sogar sehr wohl gelungen. Der Vater der beiden Burschen war kein Schnitzer gewesen. Auch der ältere, der Heinrich, konnte nicht schnitzen. Er interessierte sich wie sein Vater nur für die Schneiderei, in der er recht tüchtig war. Und der Florian— ja, der Florian!
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Die Kramer Schneiderin hatte ein einträgliches rührendes Kripperl, aber sie hatte auch ein armes Krüpperl, den Florian. Er wäre ein hübscher Bub gewesen, aber als Zehnjähriger war er über die Stiege gefallen und hatte sich den Fuß so unglücklich gebrochen, daß er jetzt noch hinkte. Und der Krieg und die damit verbundene schmale Kost hatten den armen Kerl so zusammengerissen, daß er jetzt kaum stehen und gehen konnte, so schwach war er. Großmächtig war er, aber schrecklich mager. Alles ging bei dem Buben in die Länge. In der Schule hatte er gut gelernt, aber jetzt war er zu gar keiner Arbeit brauchbar, nicht einmal in die Schneiderlehre konnte ihn der ältere Bruder nehmen. Er saß und lag tagsüber meist auf seinem Bett und sah elend aus. Wenn man den alten Markt-Doktor fragte, was denn dem Kramer Schneider Florl fehle, so antwortete dieser kurz angebunden, wie er schon war: „Kräftige Nahrung." Diese aber war jetzt schwer zu beschaffen.
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Darum war Mutter Sabina recht froh, als Weihnachten kam und der Verdienst mit dem rührenden Kripperl; denn da hatte sie Aussicht, ihrem Sorgenkind wenigstens eine kurze Zeit hindurch bessere Kost geben zu können.
Florian war der einzige nach langer Zeit, der das Schnitztalent des Großvaters geerbt zu haben schien. Er hatte sich das alte Schnitzmesser des Ähnl hervorgesucht und probierte ab und zu ein Pferd, eine Kuh, eine Gemse, ja sogar einen Engel zu schnitzen, was ihm nicht übel gelang, bei seiner Schwäche und den mageren Fingern aber recht langsam vorwärts ging.
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Das war die Lage der Familie Moser, als eines Nachmittags zwischen Weihnachten und Neujahr gerade während einer gut besuchten Kripperlvorsteilung Herr Karl Weidinger, Besitzer und Wirt des alten Gasthauses zum „eisernen Mann" mit zwei Herrschaften die Stube der Kramer Schneider Leute betrat. Die Fremden waren ein Herr im schönsten Alter und eine noch junge Dame, beide stattlich: blond, blauäugig und hübsch.
Als sie eintraten, sagten sie ein paar Worte zueinander. Mutter Sabina horchte auf. Was war das für eine Sprache? Was war das für ein Deutsch? Es mußte ja deutsch sein! Sie sagten noch etwas. Die Witwe strengte ihre Ohren an. Sie meinte, sie müsse es verstehen, aber sie konnte es mit dem besten Willen nicht. Da kam ihr der Wirt zu Hilfe.
„Es sind Holländer", erklärte er leise. „Mynheer und Mevrouw de Lange. Sie sind sehr reich und Kunstkenner. Sie interessieren sich für originelle Schnitzereien. Ich hab gleich an Sie gedacht, Frau Sabina. Sie haben ja noch einen ganzen Kasten voll vorn Großvater, nicht wahr?" „Freilich, freilich" antwortete die Frau erfreut. „Ich dank Ihnen recht schön, Herr Weidinger, daß Sie mir die Herrschaften hergebracht haben. Ich brauch so Geld— der Florian —"
„Ich weiß, ich weiß!" nickte der Wirt gutmütig. Mynheer und Mevrouwe de Lange hatten sich indeß in der Stube umgeschaut. Sie sahen den kranken Florian mit dem schmalen, bleichen Gesichterl, der, auf seinem Bett sitzend, gerade an einem Pferdchen schnitzte, und Mevrouw schüttelte mitleidig den Kopf. Dann sahen sie das Kripperl mit dem Kinderpublikum und Mevrouw ging voll Neugier hin.— Mynheer trug eine Brieftasche in der Hand und hatte ein kaltes, richtiges holländisches Geschäftsmanngesicht. Er sah drein, als könnte er mit dem Inhalt seiner Brieftasche die ganze Welt kaufen und müsse nur acht geben, daß man sie ihm nicht zu teuer anhänge. Sabina hätte nicht gerade eine unfreundliche, aber eine vorsichtige Empfindung gegen ihn. Mevrouw gefiel ihr besser. Die hatte ein herziges Kindergesicht, in dem ein Zug von Traurigkeit lag. Sie setzte sich auf den einzigen noch leeren Sessel zu den Kindern, sah dem Spiel zu und lachte. Es war kein überlegenes, spöttisches Lachen, nein, ein gutmütiges, ein Lachen, das bezeugte, daß sie sehr erfreut war, so etwas kindlich-komisches und zugleich rührendes sehen zu können.
Während sich die junge Frau bei dem Kripperl ergötzte, traten Mynheer de Lange und Herr Weidinger an den geöffneten Schnitzereikasten und besichtigte die darin verwahrten Schätze. Mynheer sprach auch ganz gut deutsch: Er stellte eine Anzahl Figuren beiseite und schließlich betrachtete er aufmerksam das Marienkircherl.
Da war auch gerade das Kripperltheater aus. Der junge Redner kroch zu Mevrouws Erheiterung unter dem Vorhang des Tisches hervor und richtete sich mit einem Seufzer der Erleichterung auf.
Jetzt ließ sich auch die junge Niederländerin auf deutsch vernehmen und zwar richtete sie die freundlichen Worte der Anerkennung an den Heinrich: „Es is sehr schön. Ik verstehe Deutsch alles, aber schlecht sprechen."
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Da rief ihr Gatte ihren Namen: „Antje!"
Sie stand auf und ging hin zu dem Tisch, auf welchem ihr Eheherr die Figuren zusammengestellt hatte. Das Paar sprach wieder niederländisch miteinander. Es schien, als sei die Frau mit allem einverstanden, nur stellte sie noch ein paar Figuren hinzu. Dann nannte er wahrscheinlich den Preis. Sie zuckte die Achseln, schüttelte den Kopf, nannte einen anderen Preis. Er lächelte, sagte ein Wort dagegen, aber sie beharrte und so gab er nach. Sie hatte ihn veranlaßt, mehr zu geben, als er beabsichtigte. Als er auf deutsch Frau Sabina den Preis nannte, wurde diese rot vor Freude, so hoch war er. Und der Florian machte vergnügte Augen. Die junge Frau sah oft nach ihm Hin.
Dann besichtigte Mevrouw aufmerksam das Marienkircherl, während Mynheer sich dem Kripperl zuwandte. Er schmunzelte auch beim Anblick desselben. Heinrich erklärte ihm verschiedenes und auf einmal fragte der Holländer was das kosten würde.— Da fuhr ein Schrecken in die guten Kramer Schneiderleute und die Mutter stotterte schnell, das sei nicht verkäuflich.
Frau Antje trat an ihres Gemahls Seite. „Du sollst sie nit in Versuchung führen, Sybrand," sagte sie auf deutsch, „es is ein Vermächtnis von ihrem Großvater."
„Aber ich möchte es, es ist ein großes Kunstwerk.— Was meinen Sie, Frau Sabina —" und er nannte einen solchen Preis, daß sich die Familie ein zweites kleines Haus hätte kaufen können.
Vom Bett des Florian her scholl ein schwaches „Nein". Aber das hörte niemand als Frau Antje, die dem kranken Kinde beruhigend zunickte. Der junge Heinrich, der schon hie und da Heiratsgedanken hatte, wandte sich an seine, einen schweren Seelenkampf kämpfende Mutter: „Was meinen S'Mutter, so viel kriegen wir nie mehr!"
„Neen— Sybrand," dehnte Frau Antje. Aber Sybrand wollte, er erhöhte die Summe noch. Sabina rang die Hände. Weidinger war als unbeteiligter Zuschauer höchst gespannt. „Mutter, sagen S' doch ja!" drängte Heinrich.
Da nahm Florian alle seine Kräfte zusammen und schnellte vom Bett auf. Seine langen Arme und Beine flogen bedrohlich durch die Luft. Seine schmale Gestalt zwängte sich durch die vor dem Kripperl Stehenden und mit kreidebleichem Gesicht pflanzte er sich vor dem Erbe von seines Großvaters eigener Hand auf: „Nein— ich laß unser Kripperl nit her!"
In der einen Hand hielt er noch das Pferderl und das blanke Schnitzmesser, das gab dem sonst so sanften Buben ein etwas wildes Aussehen.
„Aber Florian, mit dem Messer!" stammelte die erschrockene Mutter zitternd. Er legte es rasch weg, auf den Rand des Kripperls. „Ich hab's vergessen wegzulegen— aber 's Kripperl laß i nit her!"
In das helle Gesicht des reichen Niederländers war eine lichte Zornesröte gestiegen. Mit seinen kalten, blauen Meeraugen sah er seinen Gegner, den schwachen Buben böse an. Der aber hielt wacker stand.
Da trat Mevrouw Antje zu dem aufgeregten, kranken Kind und legte ihm ihre schöne Hand mild auf die Schulter. „Brav, mein Jonge, brav und tapfer, wie ein österreichischer Soldat! Das muß belohnt werden!— Sybrand, ik will niet! Ik will das Marienkirchlein! Und ik will den schwachen Jongen mit zu uns nehmen, hörst du!"
Sie nahm dem Florian das Pferdchen zart aus der Hand. „Ik will ihn was lernen lassen, ausbilden lassen. Sieh' her, er is ein jonger Künstler!"
Sybrand schaute wohl das Pferd an und mußte zugeben, daß es gut sei, aber er schnitt doch ein Gesicht; denn er wollte auch das Kripperl. Aber er wußte, wenn Antje wollte, so recht wollte— dann mußte er nachgeben.
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Auch Heinrichs Miene war verdrossen. Aber Frau Sabina wischte sich erleichtert ein paar Tränen mit der Schürze vom Gesicht. Karl Weidinger lachte leise in das vorgehaltene Taschentuch. Ihm gefiel's. Ihm gefiel der Florian und er wünschte heimlich dem schneidigen Buben alles Glück. Und Sybrand und Antje gefielen ihm,— denn er selbst, Karl Weidinger, hatte auch eine liebe, gute, fesche, aber etwas resche Gemahlin daheim, die gern sagte: „ich will" und „ich will nit!"— Dem Florian aber war es wie im Traum.
Frau Antje aber ließ sich weiter nicht stören und erledigte die Angelegenheit umsichtig und sachlich. Sie nahm aus ihrer Börse einige Gold- und Silberstücke und gab sie dem Florian. „Das is für dich, jonger Künstler. Mußt gut essen. Wir fahren noch ein wenig durch Österreich. In vier Wochen kommen wir wieder her und nehmen dich dann mit nach Holland."
„Es gehen auch Kinderzüge nach Holland, Mevrouw." bemerkte Herr Weidinger. „Auch einen solchen könnte ja der Florian benützen."— Aber sie bestand darauf: „Ik werde den jongen Künstler selbst mitnehmen!"
Und dann mußte Sybrand zahlen für das Marienkirchlein, übrig genug. Und das Kircherl mußte gleich eingepackt werden; Mevrouw wollte es selbst mitnehmen. Es war aber dann doch zu groß und zu schwer und sie sagte, man solle es mit den anderen Figuren in den Gasthof schicken.
Als das Holländer Ehepaar ging, hatte sich Florian doch so weit erholt, daß er Frau Antje die Hand küssen konnte. „Also auf Wiedersehen in einem Monat, junger Künstler," sagte sie noch liebenswürdig.
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Es war recht still in der Krämer Schneider-Stube, als die Familie wieder allein war. Frau Sabine wischte sich noch einmal mit der Schürze übers Gesicht. „Bin ich froh, daß wir das Kripperl behalten dürfen!"
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Der Heinrich stand beim Tisch und zählte das Geld das der Mynheer dort hingelegt hatte. Seine Miene heiterte sich auf. „Na ja, es is das auch genug. Eine schöne Einnahm! Und das is auch eigentlich ein Erbteil vom Ähnl. Wer Mit' sich das gedacht, daß er uns in dem alten Kasten drin so viel hinterlassen hat?— Er selber wohl nit! Ganz ein schönes Geld.— Und wenn sie den Florian noch annehmen —"
Der sagte gar schon gleich „annehmen".— Dem Florian war altes recht. Ganz zufrieden setzte er sich wieder auf sein Bett und schaute seine schönen niederländischen Goldfüchse und Silberstücke an. Dann gab er bedächtig einen Gulden der Mutter. „Mutter, bitt' schön, machen S' mir gleich auf die Nacht recht was Gutes zum Essen. Daß ich eine Kraft krieg. Ich freu' mich schon auf Holland!"
Sabina weinte wieder. „Ja, mein liebes Kind, ein Schnitzel back ich dir! Aber daß ich dich, fortlassen muß— so weit!"
„Aber, Mutter, das is ja sein Glück!" tröstete der Heinrich und sie mußte einsehen, daß er recht hatte.
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Nach einem Monat hatte sich der Florian von dem holländischen Geld staunenswert gut gekräftigt. Glückstrahlend hinkte er seiner schönen Wohltäterin Mevrouw Antje entgegen, als sie kam, ihn zu holen. Gleich als die Holländerin durch die Tür trat, bemerkte Mutter Sabina, daß die Traurigkeit aus ihrem schönen Gesicht fast ganz verschwunden war, und sie dachte flüchtig: „Sie scheint sich in Österreich recht aufgeheitert zu haben." Florian überreichte sein inzwischen fertiggewordenes Pferderl der Frau Antje als Geschenk und sie nahm es freundlich lächelnd an. Auch! Mynheer schaute etwas milder drein als das erste Mal. „Es muß ihnen recht gefallen haben bei uns," dachte Sabina. Sie vergoß viele Tränen, als ihr Bub von ihr ging. Aber Mevrouw de Lange beruhigte sie: „Er wird oft schreiben." Das tat er auch. Schon in acht Tagen bekam Mutter Sabina einen Brief vom Florian, der natürlich, auch das Interesse des ganzen Marktes erregte. Der Bursch schrieb, er sei mit seiner Herrschaft glücklich in Amsterdam eingelangt. Die Reise sei wunderschön gewesen. Er wisse jetzt eine ganze Menge von der Geographie, denn die Mevrouw habe ihm im Durchfahren immer alles erklärt. Und der Mynheer könne auch ganz lustig sein. Aber auf Frau Antje gäbe er acht, ganz merkwürdig. Sie sei sein kostbarster Besitz von allen seinen Reichtümern. Sehr reich seien Mynheer und Mevrouw de Lange, ganz unermeßlich reich. Sie besäßen ein Großhandlungshaus und Schiffe hätten sie am Meer. Und fünf Jahre seien sie schon miteinander glücklich verheiratet, aber Kinder hätten sie noch keine.— Jetzt käme er, Florian, in eine Heilanstalt. Dort würde ihm der hinkende Fuß ausgebessert. Ganz gut würde es wohl nie mehr werden, das Hinken, hätte der Professor gesagt, aber man könne es doch sehr mildem. Nach der Heilanstalt solle er in eine Kunstgewerbeschule kommen, später vielleicht sogar auf eine Akademie.
Auch das Meer, der Käse und die Heringe kamen in Florians Brief vor. Zum Schluß schrieb der Bub noch, das Essen in Holland sei ausgezeichnet und sehr viel. Das tröstete die Mutter ganz wunderbar.
Es ging dem Florian auch weiter gut. Er schrieb bald kurze, bald lange Briefe, die das bestätigten. Im Herbst schickte er seine Photographie. Wenn er nicht mit seiner eigenen Handschrift darauf geschrieben hätte: „Dein dankbarer Sohn", so hätte ihn seine eigene Mutter im Bild nicht wieder erkannt.
Groß und dick und schön angezogen, lachte er ihr da entgegen: Und der Brief!
„Liebe Mutter! Hier komme ich zu dir im Bild. Da siehst du gleich, wie prächtig es mir geht! Das Gewand, das Ihr mir mitgegeben habt, und die Wäsche, kann ich schon längst nicht mehr brauchen, alles zu eng und zu klein. Ich hinke noch ein klein wenig, das wird mir auch bleiben, macht mir aber nichts. Ich gehe jetzt schon in die Kunstgewerbeschule. Da ist es sehr schön. Das Lernen strengt mich gar nicht an. Ich bin jetzt so stark, wie nie, und ich glaube, ich werde immer stärker.— Und eine große Neuigkeit muß ich Euch mitteilen: Mynheer und Mevrouw de Lange sind nicht mehr kinderlos. Sie haben ein Kleines Mäderl gekriegt, ein recht ein liebes. War das eine Freude!
Ich glaube, der Mynheer hat heimlich sogar geweint vor lauter Glück. Aber die liebe Mevrouw lacht seitdem den ganzen Tag; denn nur das, daß sie kein Kind hatte, war der Grund ihrer früheren Traurigkeit. Und sie sagt, das Mäderl hätte ihr die liebe Muttergottes geschickt, die in Österreich so hoch verehrt wird. Und Maria hätte es ihr erbeten zum Lohn dafür, daß sie uns das Kripperl gelassen und das Marienkirchlein so gut abgekauft habe; und weil sie sich um mich so annahm.
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Das Marienkircherl steht bei ihr hoch in Ehren. Auch haben sie das Mäderl „Maria Theresia" getauft zu Ehren der Gottesmutter Maria und zum Andenken an unsere große Kaiserin, und sie nennen es „die kleine Österreicherin". Mich wollen sie trotzdem behalten wie einen Sohn, bis ich mir selbst mein Brot reichlich verdiene. Die Mevrouw sagt, sie hätte das gelobt, zuerst in der Stille des Herzens vor unserem Marienkircherl, dann vor dem Marienaltar einer österreichischen Wallfahrtskirche. Mevrouw spricht jetzt schon ganz fehlerlos deutsch, ich hab' es ihr gelernt. Ich rede auch schon recht gut mit den Holländern; denn niederländisch ist fast ganz so wie deutsch, nur muß man es wissen, wie es geht.— Nicht wahr, liebe Mutter, du läßt mich da? Es ist Euch ja eine große Last mit mir abgenommen. Und wenn ich so bei Mynheer und Mevrouw bleiben kann, bis ich viel verdiene, so ist das eigentlich so viel. als hätten sie uns das Kripperl um den hohen Preis abgekauft und das möcht ich eben, das Kripperl aber müßt ihr immer behalten, bitte— — —"
Die Mutter benetzte diesen Brief mit Tränen der Rührung und Freude.
Im nächsten Sommer kam der Florian einmal auf Besuch heim. Er sah womöglich noch besser aus als auf dem Bild. Er fuhr aber wieder zurück in sein liebes Holland. Er ist heute noch dort und besucht die Kunstakademie und schafft auch schon selbst kleine Kunstarbeiten. Er ist immer noch bei Mynheer und Mevrouw de Lange und sieht mit Freuden zu, wie die kleine Maria Theresia kräftig heranwächst. Er wird wohl dort bleiben, denn er hat sich ein gewöhnt und auch die Leute dort haben ihn liebgewonnen.
Dos rührende Kripperl wird in der Kramer Schneider-Familie hochgehalten. Bei einem seiner Besuche hat es der Florian sachverständig renoviert. Und alle Weihnachten stellen es Mutter Sabina und der Heinrich, der seit kurzem glücklich verheiratet ist, mit Andacht zusammen. Und mit Humor schlüpft dann der junge Mann unter den Tisch, um es für die immer dankbare Kinderschar wieder zu rühren.
Frau Sabina faltet oft, wie im stillen Gebet, davor die Hände und denkt dabei: „Das Kripperl hat meinem guten Florian Glück gebracht. Und gerade, weil er's so geachtet hat und nit hat hergeben wollen, drum ist er so glücklich worden!"
Ludmilla Nowak, Talheim bei Wels.
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