top of page
Suche

Das stille Dörflein.

Autorenbild: Gerhard ZaunerGerhard Zauner

Zuvor eine Erklärung.

von Rudolf Valdek

Im Sommer 1798 übersiedelte ein junger katholischer Geistlicher,
der Cooperator in Goisern war,
nach Obertraun am Hallstädter See,
um das dortige Kuratbeneficium zu übernehmen.

Erst in den letzten Zeiten der Kaiserin Maria Theresia
wurde in dem weltabgeschiedenem Dorfe ein katholisches Kirchlein errichtet
und ein Seelsorger angestellt.

Dadurch sollte es den Katholiken unter den dortigen Bewohnern –
kaum mehr als 50 unter 300 bis 400 — erspart werden,
zum Gottesdienst über den See nach Hallstatt fahren zu müssen
und zugleich der Verbreitung des Protestantismus entgegengearbeitet werden.

Das Beneficat war nicht einladend.
Obertraun ist heute noch ein stiller Ort;
was mag es vor hundert Jahren gewesen sein,
bis es über den See und mit den einfachsten Kähnen zu erreichen war,
und an einen regelmäßigen Wagenverkehr
auf dem kaum fahrbaren Landweg
noch gar nicht gedacht wurde.




Es ist erstmals in den Jahrgängen 1817 bis 1820 im National-Kalender erschienen.

Als Buch ist es 1834 erschienen.


Ein Sitten- Gemählde
zum Nutzen und Vergnügen
zunächst der Jugend wie auch der Aeltern selbst
sowohl auf dem Lande als in Städten.
=======
Von Jofeph Valentin Paur.
Neue Ausgabe.
Linz, 1834.
Gedruckt und zu haben bei Johann Weinmayr,
bürgerlicher Buchdrucker.




Jetzt ein kurzer Ausschnitt daraus (ab Seite 60):

Keine Muthlosigkeit.


So wenig es auch im Dorf eigentlich reiche

Leute gibt, so gibt es da doch einen und den an-

dern, der in seinem Leben manches gar Harte und

Widrige erfahren hat.


Da ist vor andern Vater Gerhard, der,

wenn er gleich als ein etlich und siebenziger in sei-

nem Leben viel Bitteres ausgestanden hat, doch

durch seine immerwährende Heiterkeit aller Men-

schen Herzen an sich ziehet. Nicht als wäre Vater

Gerhard unempfindlich gegen alle Streiche des

Schicksals. Er hat ein weiches und fühlendes Herz,

und niemand im Dorfe ist leichter zu einer Thräne

des Mitleids zu bewegen, als er; aber er verliert

nicht die Hoffnung, und niemand kann sich entsin-

nen, ihn mürrisch oder wild gesehen zu haben, wenn

nicht Alles nach seinem Sinne ging. Viele wollten

sogar bemerkt haben, daß Gerhard an Heiterkeit,

der Seele gewann, wenn ihm eine Hoffnung fehl

schlug. „Es wird schon auch so gut seyn“–

pflegt er da zu sagen, und damit auch die Seini-

gen, oder diejenigen, die bey ihm Rath und Trost

suchen wollen, zu beruhigen. Freylich denken nicht

alle so, wie er.


Da kommt Gerhard an einem Sonntage ein-

mal in eines Nachbars Haus, wo Mann und Frau,

und auch einige andere Anwesende so eben über fehl-

geschlagene Hoffnungen allerley Klagen vorgebracht

hatten; da hatte der eine über ungünstige Witte-

rung zu klagen, weil sie ihn hinderte, eine gewünsch-

te Reise zu machen; ein anderer darüber, daß ihm

die Hoffnung auf eine reiche Erbschaft, die er schon

in Händen zu haben meinte, wieder ganz verschwun-

den war. Dagegen sagte nun Vater Gerhard

nachdem er die Klagenden näher vernommen hatte:

„Aber ich bin denn doch überzeugt, daß Alles, was

mir begegnet, gut ist, wenn ich gleich nicht immer

einsehe, für wem? und warum? In so fern bin

ich also meiner Sache gewiß. Da ich aber nicht

allwissend bin, und die Folgen meiner Schicksale

nicht voraussehen kann, so helfe ich mir auch schon

mit bloßen Vermuthungen. Da sage ich, wenn mir

so etwas Widriges begegnet: „Ach! wer weiß,

wozu das gut ist.“-


Marie (die Hausmutter). Ja, wohl dem

der es so leicht nehmen kann.


Gerhard. Es gab eine Zeit, da ich es auch

nicht konnte, wenigstens nicht immer, aber seit

länger als 30 Jahren kann ich's, Gott Lob! Und

ihr glaubt nicht, ihr lieben Leute, wie wohl mir es

dabei ist. Seit der Zeit thut Gott Alles, was ich

wünsche.--


Jobst (ihr Mann). Warum nicht gar!


Gerhard. Im vollen Ernste, ich wünsche

nichts anders, als was Gott will, und was Gott

will, das geschieht immer, folglich auch das was

ich wünsche. Was mir unangenehm dünkt, betrach-

te ich wie eine übelschmeckende Arznei die aber

um so besser anschlägt, wenn man sich gut dabey

hält. Scheint mir im Gegentheile etwas gut, so

betrachte ich es, wie eine wohlschmeckende Speise,

bey der man sich mäßig halten, und fleißig fragen

muß, ob man sie auch vertragen kann? Das ist

mein Hausmittel gegen Pbermuth und Klein-

müthigkeit.-


Ich will euch doch eine Geschichte aus meinem

Leben erzählen, die ich nie vergesse, so lange mir

ein Auge offen steht, weil ich durch sie in meinem

Glauben fest geworden bin, daß denen, die Gott

lieben, alle Dinge zum Besten dienen.


Ihr wisset, daß mir Gott von sechs Kindern

nur ein einziges, meinen Wilhelm, das jüngste

von allen übrig gelassen hat. Daß wir den Jungen

um so lieber hatten, weil er unser einziges Kind

war, und mein Weib aller Wahrscheinlichkeit nach

keines mehr zu hoffen hatte, könnt ihr euch leicht

denken. Wir konnten daher den muntern und gut

herzigen Jungen nie ansehen, ohne daß uns die

Blattern (denn, setzte der Vater hinzu, man wuß-

te dazumal nichts von heilsamer Einimpfung) ein-

gefallen wären. Ach Gott! sagten wir oft zusam-

men, wenn nur Wilhelm die Blattern überstanden

hätte! wenn er uns stürbe, oder blind, oder sim-

pelhaft, oder sonst elend dadurch würde, womit

wollten wir uns trösten?– Mein Weib, das den

Jungen für gar hübsch hielt, war außerdem auch noch

wegen der Blatter-Narben gewaltig in Sorgen.


Im Sommer 1759 kam endlich der Jammer ins

Dorf, da unser Wilhelm eben 5 Jahre alt war.

Wir konnten nun nichts anders denken, als Blat-

tern und Blattern. Der Junge mußte purgiren,

bekam kein Fleisch mehr, und wurde täglich wohl

sechsmal gewaschen, und so vorbereitet erwarteten

wir alle Tage das Blattern-Fieber. Indessen ka-

men die Kinder des Dorfes fast alle glücklich durch.


Das machte uns Muth. Wir fiengen endlich an,

die Blattern sogar zu wünschen, und bey jedem ro-

then Fleckchen, das wir an dem Kinde bemerkten,

hofften wir auf einen glücklichen Anfang. Aber wie

sehr waren wir in unserer Hoffnung betrogen! Bey

unserm Kinde brachen die Blattern so heftig aus,

daß es in einer Zeit von 20 Tagen wohl zwanzig

mal die Frais bekam. Mein Weib wollte verzwei-

feln, und ich starrte gerade vor mir hin. Nachbars-

leute trösteten uns zwar, daß die Blattern gewöhn-

lich auf solche Art desto leichter ausbrechen; aber

bei uns wollte kein Trost nützen, und wirklich

war auch dießmal der Trost eitel genug. Über

acht Tage lang warteten wir alle Augenblick aufs

Ende, weil nichts einen ordentlichen Fortgang hat-

te. Am ganzen Leibe des Kindes war kein Fleckchen

so groß als ein Nadelkopf, das nicht mit Grind

überzogen war. Mit Angst und Noth riß sich end-

lich der Junge durch; aber sein Gesicht war voller

Narben, und von der vorigen Schönheit keine Spur

mehr. Mein Weib hatte indessen die Schönheit ganz

vergessen, und nur um das Leben ihres Wilhelms

gebeten. Leider aber schien auch dieses noch nicht ge-

rettet. Das Kind bekam nach überstandenen Blat-

tern eine Menge Geschwüre, und nebenbey schien

sich eine Schwindsucht anzuspinnen. Neun Wochen

lang ging uns kein Licht aus; wir beyde waren vor

Wachen und Sorgen so herabgekommen, daß wir

uns kaum mehr auf den Beinen zu halten wußten.


Durch den fleißigen Gebrauch der Arzneyen, und

durch sorgfältige Pflege kam doch endlich unter Got-

tes Hülfe das Kind davon. Ich hatte eben ein Ka-

pital von 1ooo Gulden durch Erbschaft bekommen.


Gegen 8o Gulden waren von diesem aufgegangen,

und vor Freuden schenkten wir 20 Gulden einem

Paar armen Leuten, die uns in der Noth beige-

sprungen waren, so daß uns also die Krankheit

1oo baare Gulden kostete. Dieß, und daß der Jun-

ge so zernarbt war, ging freylich meinem Weibe

nicht selten im Kopf herum; doch dankten wir Gott,

daß er uns in unserm– freylich nun nicht mehr

schönen– Wilhelm, einen Schatz gelassen hatte,

der uns lieber war, als unser ganzes Vermögen.


Indessen konnten wir uns denn doch nicht der Fra-

ge enthalten: warum gerade wir so viel Jammer

und Angst hatten ausstehen müssen, während alle

Ältern des Dorfes, die vielleicht weniger um ihre

Kinder besorgt waren, so glücklich mit ihren Kin-

dern durchgekommen feyen.-


Erst nach acht Jahren erfuhren wir durch eine

Räuberbande, die in einem angränzenden Lande ein-

gezogen wurde, wie heilsam für uns die Krankheit

unsers Wilhelms war.---


Marie. Wie? Was? durch eine Räuberbande?


Vater Gerhard. Wirklich durch eine

Räuberbande. Und damit ich es kurz mache. Diese

Räuber, die aus einem angränzenden Lande auch in

unser einsames Dorf gekommen waren, hatten näm-

lich vor Gericht ausgesagt, daß sie von unserer

gemachten Erbschaft erfahren, und daß wir die 1ooo

Gulden in Baarem im Hause liegen gehabt hätten,

daß sie nun durch einige Tage hintereinander immer

aufgepaßt hätten, und daß sie wohl auch entschlos-

sen gewesen wären, uns bey Widerstand, wie sol-

ches öfters von ihnen geschehen wäre, auch um das

Leben zu bringen; daß sie aber durch ein brennendes

Licht, das sie immer gefunden hätten, abgehalten

worden, ihr Vorhaben auszuführen, und daß sie so

unverrichteter Sachen wieder abgezogen wären. War

da, fragte jetzt Gerhard, die Krankheit unseres

Kindes nicht etwas recht Gutes?-


Jawohl, erwidern. Alle.


Aber, setzt auch Vater Gerhard hinzu, oft

wird es geschehen, daß uns etwas gut ist, wenn

wir gleich nicht wissen und verstehen mögen, wie

und wozu uns etwas gut ist; und wenn wir gleich

auch in unserm ganzen Leben nie haben darauf kom-

men können, wie uns etwa das, was uns wohl viel

Kummer und Schmerz verursachte, doch zum Be-

sten gereichen mußte.


26 Ansichten0 Kommentare

Aktuelle Beiträge

Alle ansehen

Comments


bottom of page