Zuvor eine Erklärung.
Aus den Dioskuren 1892
von Rudolf Valdek
Im Sommer 1798 übersiedelte ein junger katholischer Geistlicher,
der Cooperator in Goisern war,
nach Obertraun am Hallstädter See,
um das dortige Kuratbeneficium zu übernehmen.
Erst in den letzten Zeiten der Kaiserin Maria Theresia
wurde in dem weltabgeschiedenem Dorfe ein katholisches Kirchlein errichtet
und ein Seelsorger angestellt.
Dadurch sollte es den Katholiken unter den dortigen Bewohnern –
kaum mehr als 50 unter 300 bis 400 — erspart werden,
zum Gottesdienst über den See nach Hallstatt fahren zu müssen
und zugleich der Verbreitung des Protestantismus entgegengearbeitet werden.
Das Beneficat war nicht einladend.
Obertraun ist heute noch ein stiller Ort;
was mag es vor hundert Jahren gewesen sein,
bis es über den See und mit den einfachsten Kähnen zu erreichen war,
und an einen regelmäßigen Wagenverkehr
auf dem kaum fahrbaren Landweg
noch gar nicht gedacht wurde.
Es ist erstmals in den Jahrgängen 1817 bis 1820 im National-Kalender erschienen.
Als Buch ist es 1834 erschienen.
Ein Sitten- Gemählde
zum Nutzen und Vergnügen
zunächst der Jugend wie auch der Aeltern selbst
sowohl auf dem Lande als in Städten.
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Von Jofeph Valentin Paur.
Neue Ausgabe.
Linz, 1834.
Gedruckt und zu haben bei Johann Weinmayr,
bürgerlicher Buchdrucker.
Jetzt ein kurzer Ausschnitt daraus (ab Seite 60):
Keine Muthlosigkeit.
So wenig es auch im Dorf eigentlich reiche
Leute gibt, so gibt es da doch einen und den an-
dern, der in seinem Leben manches gar Harte und
Widrige erfahren hat.
Da ist vor andern Vater Gerhard, der,
wenn er gleich als ein etlich und siebenziger in sei-
nem Leben viel Bitteres ausgestanden hat, doch
durch seine immerwährende Heiterkeit aller Men-
schen Herzen an sich ziehet. Nicht als wäre Vater
Gerhard unempfindlich gegen alle Streiche des
Schicksals. Er hat ein weiches und fühlendes Herz,
und niemand im Dorfe ist leichter zu einer Thräne
des Mitleids zu bewegen, als er; aber er verliert
nicht die Hoffnung, und niemand kann sich entsin-
nen, ihn mürrisch oder wild gesehen zu haben, wenn
nicht Alles nach seinem Sinne ging. Viele wollten
sogar bemerkt haben, daß Gerhard an Heiterkeit,
der Seele gewann, wenn ihm eine Hoffnung fehl
schlug. „Es wird schon auch so gut seyn“–
pflegt er da zu sagen, und damit auch die Seini-
gen, oder diejenigen, die bey ihm Rath und Trost
suchen wollen, zu beruhigen. Freylich denken nicht
alle so, wie er.
Da kommt Gerhard an einem Sonntage ein-
mal in eines Nachbars Haus, wo Mann und Frau,
und auch einige andere Anwesende so eben über fehl-
geschlagene Hoffnungen allerley Klagen vorgebracht
hatten; da hatte der eine über ungünstige Witte-
rung zu klagen, weil sie ihn hinderte, eine gewünsch-
te Reise zu machen; ein anderer darüber, daß ihm
die Hoffnung auf eine reiche Erbschaft, die er schon
in Händen zu haben meinte, wieder ganz verschwun-
den war. Dagegen sagte nun Vater Gerhard
nachdem er die Klagenden näher vernommen hatte:
„Aber ich bin denn doch überzeugt, daß Alles, was
mir begegnet, gut ist, wenn ich gleich nicht immer
einsehe, für wem? und warum? In so fern bin
ich also meiner Sache gewiß. Da ich aber nicht
allwissend bin, und die Folgen meiner Schicksale
nicht voraussehen kann, so helfe ich mir auch schon
mit bloßen Vermuthungen. Da sage ich, wenn mir
so etwas Widriges begegnet: „Ach! wer weiß,
wozu das gut ist.“-
Marie (die Hausmutter). Ja, wohl dem
der es so leicht nehmen kann.
Gerhard. Es gab eine Zeit, da ich es auch
nicht konnte, wenigstens nicht immer, aber seit
länger als 30 Jahren kann ich's, Gott Lob! Und
ihr glaubt nicht, ihr lieben Leute, wie wohl mir es
dabei ist. Seit der Zeit thut Gott Alles, was ich
wünsche.--
Jobst (ihr Mann). Warum nicht gar!
Gerhard. Im vollen Ernste, ich wünsche
nichts anders, als was Gott will, und was Gott
will, das geschieht immer, folglich auch das was
ich wünsche. Was mir unangenehm dünkt, betrach-
te ich wie eine übelschmeckende Arznei die aber
um so besser anschlägt, wenn man sich gut dabey
hält. Scheint mir im Gegentheile etwas gut, so
betrachte ich es, wie eine wohlschmeckende Speise,
bey der man sich mäßig halten, und fleißig fragen
muß, ob man sie auch vertragen kann? Das ist
mein Hausmittel gegen Pbermuth und Klein-
müthigkeit.-
Ich will euch doch eine Geschichte aus meinem
Leben erzählen, die ich nie vergesse, so lange mir
ein Auge offen steht, weil ich durch sie in meinem
Glauben fest geworden bin, daß denen, die Gott
lieben, alle Dinge zum Besten dienen.
Ihr wisset, daß mir Gott von sechs Kindern
nur ein einziges, meinen Wilhelm, das jüngste
von allen übrig gelassen hat. Daß wir den Jungen
um so lieber hatten, weil er unser einziges Kind
war, und mein Weib aller Wahrscheinlichkeit nach
keines mehr zu hoffen hatte, könnt ihr euch leicht
denken. Wir konnten daher den muntern und gut
herzigen Jungen nie ansehen, ohne daß uns die
Blattern (denn, setzte der Vater hinzu, man wuß-
te dazumal nichts von heilsamer Einimpfung) ein-
gefallen wären. Ach Gott! sagten wir oft zusam-
men, wenn nur Wilhelm die Blattern überstanden
hätte! wenn er uns stürbe, oder blind, oder sim-
pelhaft, oder sonst elend dadurch würde, womit
wollten wir uns trösten?– Mein Weib, das den
Jungen für gar hübsch hielt, war außerdem auch noch
wegen der Blatter-Narben gewaltig in Sorgen.
Im Sommer 1759 kam endlich der Jammer ins
Dorf, da unser Wilhelm eben 5 Jahre alt war.
Wir konnten nun nichts anders denken, als Blat-
tern und Blattern. Der Junge mußte purgiren,
bekam kein Fleisch mehr, und wurde täglich wohl
sechsmal gewaschen, und so vorbereitet erwarteten
wir alle Tage das Blattern-Fieber. Indessen ka-
men die Kinder des Dorfes fast alle glücklich durch.
Das machte uns Muth. Wir fiengen endlich an,
die Blattern sogar zu wünschen, und bey jedem ro-
then Fleckchen, das wir an dem Kinde bemerkten,
hofften wir auf einen glücklichen Anfang. Aber wie
sehr waren wir in unserer Hoffnung betrogen! Bey
unserm Kinde brachen die Blattern so heftig aus,
daß es in einer Zeit von 20 Tagen wohl zwanzig
mal die Frais bekam. Mein Weib wollte verzwei-
feln, und ich starrte gerade vor mir hin. Nachbars-
leute trösteten uns zwar, daß die Blattern gewöhn-
lich auf solche Art desto leichter ausbrechen; aber
bei uns wollte kein Trost nützen, und wirklich
war auch dießmal der Trost eitel genug. Über
acht Tage lang warteten wir alle Augenblick aufs
Ende, weil nichts einen ordentlichen Fortgang hat-
te. Am ganzen Leibe des Kindes war kein Fleckchen
so groß als ein Nadelkopf, das nicht mit Grind
überzogen war. Mit Angst und Noth riß sich end-
lich der Junge durch; aber sein Gesicht war voller
Narben, und von der vorigen Schönheit keine Spur
mehr. Mein Weib hatte indessen die Schönheit ganz
vergessen, und nur um das Leben ihres Wilhelms
gebeten. Leider aber schien auch dieses noch nicht ge-
rettet. Das Kind bekam nach überstandenen Blat-
tern eine Menge Geschwüre, und nebenbey schien
sich eine Schwindsucht anzuspinnen. Neun Wochen
lang ging uns kein Licht aus; wir beyde waren vor
Wachen und Sorgen so herabgekommen, daß wir
uns kaum mehr auf den Beinen zu halten wußten.
Durch den fleißigen Gebrauch der Arzneyen, und
durch sorgfältige Pflege kam doch endlich unter Got-
tes Hülfe das Kind davon. Ich hatte eben ein Ka-
pital von 1ooo Gulden durch Erbschaft bekommen.
Gegen 8o Gulden waren von diesem aufgegangen,
und vor Freuden schenkten wir 20 Gulden einem
Paar armen Leuten, die uns in der Noth beige-
sprungen waren, so daß uns also die Krankheit
1oo baare Gulden kostete. Dieß, und daß der Jun-
ge so zernarbt war, ging freylich meinem Weibe
nicht selten im Kopf herum; doch dankten wir Gott,
daß er uns in unserm– freylich nun nicht mehr
schönen– Wilhelm, einen Schatz gelassen hatte,
der uns lieber war, als unser ganzes Vermögen.
Indessen konnten wir uns denn doch nicht der Fra-
ge enthalten: warum gerade wir so viel Jammer
und Angst hatten ausstehen müssen, während alle
Ältern des Dorfes, die vielleicht weniger um ihre
Kinder besorgt waren, so glücklich mit ihren Kin-
dern durchgekommen feyen.-
Erst nach acht Jahren erfuhren wir durch eine
Räuberbande, die in einem angränzenden Lande ein-
gezogen wurde, wie heilsam für uns die Krankheit
unsers Wilhelms war.---
Marie. Wie? Was? durch eine Räuberbande?
Vater Gerhard. Wirklich durch eine
Räuberbande. Und damit ich es kurz mache. Diese
Räuber, die aus einem angränzenden Lande auch in
unser einsames Dorf gekommen waren, hatten näm-
lich vor Gericht ausgesagt, daß sie von unserer
gemachten Erbschaft erfahren, und daß wir die 1ooo
Gulden in Baarem im Hause liegen gehabt hätten,
daß sie nun durch einige Tage hintereinander immer
aufgepaßt hätten, und daß sie wohl auch entschlos-
sen gewesen wären, uns bey Widerstand, wie sol-
ches öfters von ihnen geschehen wäre, auch um das
Leben zu bringen; daß sie aber durch ein brennendes
Licht, das sie immer gefunden hätten, abgehalten
worden, ihr Vorhaben auszuführen, und daß sie so
unverrichteter Sachen wieder abgezogen wären. War
da, fragte jetzt Gerhard, die Krankheit unseres
Kindes nicht etwas recht Gutes?-
Jawohl, erwidern. Alle.
Aber, setzt auch Vater Gerhard hinzu, oft
wird es geschehen, daß uns etwas gut ist, wenn
wir gleich nicht wissen und verstehen mögen, wie
und wozu uns etwas gut ist; und wenn wir gleich
auch in unserm ganzen Leben nie haben darauf kom-
men können, wie uns etwa das, was uns wohl viel
Kummer und Schmerz verursachte, doch zum Be-
sten gereichen mußte.
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