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Das Stockhaubenweibl

Autorenbild: Gerhard ZaunerGerhard Zauner

Aktualisiert: 24. Apr. 2022

Von Mila Nowak,

aus dem Buch: Ausgewählte Erzählungen und Gedichte: 2. Band.


Der Film ist von PingCraft.

Hier gibt es noch einen längeren Film.


In den alten Hallstätter Salzfertigerhäusern im Markte soll das Stockhaubenweibl "umgehen".

Eine Mondnacht. Hallstatt träumt. Der Mond wirft seinen Schein gleich einer Fülle tanzender Silberblätter auf den dunklen See, den der Nachtwind in kleine Falten legt. Die Berge stehen überrieselt von zarten Lichtschleiern, die Wände der Häuser schimmern in blendendem Weiß. „Nacht ist es, nun reden lauter alle springenden Brunnen—" Und der Brunnen am Marktplatz erzählt und der an der Mauer des Pfarrhofes. Alte Geschichten. Von Tausenden von Kindern, die lustig um sie herum sprangen, die auf sie hinauf­ sprangen und ihre roten unschuldigen Lippen an ihrem krystallenen Wasser netzten, von lieblichen Jungfrauen, die Wasser holten und Jünglingen, die sinnend nach den Mädchen schauten; von Frauen und Männern in alter Tracht, die ehrbaren Schrittes an ihnen vorüber schritten, beschäftigt mit ihren Wirtschafts- und Berufsgedanken, von Greisen und Mütterchen, die langsam vor­beitrippelten, sich im Sonnenschein ergingen, mit milden Augen um sich blickend, sich an den letzten Jahren ihres Daseins viel­leicht mehr erfreuend, als die Jugend an dem ganzen vor ihr liegenden Leben.

Die heutigen Hallstätter schlafen um diese Zeit— zumeist. Manch einer ist aber doch in der gewissen Stunde wach gewesen und hat sie gesehen, sie, die bürgerliche Ahnfrau der Salzfertiger, das Stockhaubenweibl. Sachte, sachte taucht sie auf aus irgend einem Winkel eines alten Salzfertigerhauses. Ein stilles, ruhiges Gesicht hat sie, das von einer schwarzen Spitzenhaube umrahmt ist, deren scharfer Spitz auf die weiße Stirn hinabweist, eine enge Taille, einen weiten Faltenrock, über den sich eine stattliche Schürze bauscht, zierliche Halbhandschuhe an den Händen und einen Schlüsselbund in der Rechten. Mit kleinen, ehrbaren, unhörbaren Schritten streift sie Trepp auf Trepp ab, durch Vorhäuser und Zimmer. Ihre Schlüssel öffnen alle Truhen, alle Kisten und Kasten. Sucht sie nicht auch? Langsam und gemessen forschen die kühlen Augen. „Wo sind sie? Die alten Gesichter? Die alten Geräte?— Der alte Reichtum?— Wo ist sie— meine Zeit— wo sind sie, meine Kinder, meine Freunde— wo sind wir? —" In manchen Häusern zieht es wie ein Leuchten stillen Glückes über ihr weißes Gesicht, in manchen wie ein Schatten stummer Trauer.

Als man in Hallstatt die evangelische Kirche baute, mußte ein Salzfertigerhaus niedergerissen werden. Man stellte über Nacht bei dem Bau Franz Loidl, einen sehr mutigen Mann, der außer dem Zimmermannsberuf auch den eines Bergführers ausübte, als Wächter auf. Der hat „sie" auch noch gesehen in einer mondhellen Nacht. Neben dem Rauchfang des damals halb niedergerissenen Salzfertigerhauses stand sie. Der sonst so Mutige war erschrocken, er wagte nicht, sich zu rühren— auch sie rührte sich nicht. Unbeweglich und ernst sah sie ihn an, bis sie sich vor den Augen des Sterblichen in Nichts auflöste.

Das „Stockhaubenweibl", der Name klingt gar nicht ge­spenstisch— fürchterlich, im Gegenteil so menschlich— gemütlich. Kein Verbrechen aus ihrem Leben ist bekannt, zu dessen Strafe sie vielleicht nach ihrem Tode keine Ruhe finden könnte. Auch bedingen ihr Erscheinen nicht große Unglücksfälle. Man weiß keine bestimmte Person, deren Seele sie sein sollte, sie ist ein friedliches, schuldloses, namenloses Gespenst und wohl das im Volk fortlebende Andenken an den Geist der guten, alten, stillen Zeit.

Mila Nowak.






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