Aus dem Buch:
Sonderlinge aus dem Volke der Alpen.
Von P. K. Rosegger
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Vor wenigen Jahren hat der Draht plötzlich die Nachricht in alle Welt getragen:
Im Salzkammergut wäre ein Bauer gestorben. Was muß das für ein seltsamer Bauer gewesen sein, dem die Kupfersaiten das Sterbelied spielen!
Ein seltsamer Bauer, vielleicht der einzige in dieser Art auf der ganzen Welt – ja, das war er, der Bauer Konrad Deubler in Goisern. In der Bauernschaft rentirt sich ein Philosoph nicht so gut wie in der Stadt, in der man seine Philosophie zu Papier bringen und für Geld verkaufen kann. In der Bauernschaft wird das vorurtheilslose Denken und Suchen nach Wahrheit dem Denker zum Verhängniß. Ein Heldenherz, das nicht daran zugrunde geht!
Eines armen Salzbergwerkers Kind, das nichts als seine schlechte Dorfschule durchgemacht hat vor sechzig Jahren, ein schlichter Bauer, der sein Lebtag haften geblieben ist in seinem engen Alpenthale, dem harte Arbeit die Glieder verknorrt und gewettert hat, an Gewandung, Gehaben und Sprache nicht zu unterscheiden von seinen ärmlichen Dorfgenossen im Hochgebirge, und andererseits ein Duzbruder von Ludwig Feuerbach, ein persönlicher Freund von Heinrich Zschokke, David Strauß, Ernst Haeckel, E. A. Roßmäßler, Ludwig Büchner, B. Carneri, B. C. Fischer, Breh, Dodel - Port, Joh. Scherr, L. Anzengruber, F. Kinkel, F. Schlögl und vielen anderen Größen der Wissenschaft und der Literatur. Solche Männer schauen sich doch ihren Gesellen an, ehe sie die Bruderhand bieten .
Deubler war die Verkörperung eines wohlvorhandenen, aber stets unterdrückten und oft sich selbst kaum bewußten Volksgefühles. Eines Volksgefühles aber, dem die gegenwärtige Weltordnung widerhaarig entgegensteht, das sich durch alle Classen und Kräften der Gesellschaft feindlich, herb und auch verschmitzt durchdringen muß, bis es auf der Höhe bei den wenigen edlen und weisen Männern, die ein Herz für die Menschheit haben, Verständniß und Genossenschaft findet.
Vor etlichen Jahren hat mich eine Bergwanderung das erste- und das letztemal an sein Haus geführt auf den Primesberg bei Goisern, wo man über das grüne Hochalpenthal der Traun hin die Felswände des Ramsauergebirges sieht und den Halstättersee und die Eisfelder des Dachstein. Es war nicht leicht , den alten Bauer zu Hause zu finden, die leidige Neugierde der Reisenden und der Sommerfrischler des nahen Ischl und Aussee hatten ihn menschenscheuer gemacht als die jahrelange Kerkerhaft, mit der die dankbare Menschheit ihn, wie so manchen ihrer großherzigen Bahnbrecher , ausgezeichnet hat. Deubler war, wenn Fremde nach ihm fragten, stets „im Weinkeller, und ist's ungewiß, wann er heimkommt". In Deubler's Weinkeller sah es aber wunderlich aus, seine Fässer band der Buchbinder, sein Wein wuchs im sonnigen Haupte großer Männer, es ist jener echte, in dem die Wahrheit liegt.
Als ich mich jedoch anschickte, das Haus zu belagern und mir die Zeit zu vertreiben mit den stimmungsvollen Sprüchen, die an der Wand standen, kroch er aus seinem Versteck, der Bücherei, hervor. Wir erkannten uns bald, ich merkte hinter seiner Lodenjoppe den Philosophen, er hinter meinem Stadtrock den Bauer.
Zuerst stellte er mir seinen „Kameraden“ vor - es war schon sein zweiter - sein treues Weib, die „Nandi“. Der erste, die Eleonore (welche er schon in seinem achtzehnten Jahre geheiratet hatte, „weil ein kluger Mann seine dummen Streiche schon in der frühen Jugend macht“), war ihm nach zweiundvierzigjähriger guter Kameradschaft längst hinter den Coulissen, die man Grab nennt“, verschwunden.
Deubler führte mich in seine schöne Stube, wie der Bauersmann das nennen mag, was bei Euch Städtern der „Salon“ heißt. Aber einen so vornehmen habt Ihr nicht, als der alte Bauer auf dem Primesberg besessen. Das „Atelier" nannte er diese merkwürdigste aller Bauernstuben; den Namen „Atelier“ habe er einmal leckershalber auf die Zunge genommen, und jetzt bringe er ihn nicht mehr berab. Dieser Raum war allerdings eine Art von Atelier, aber auch Bücherei, Museum und Tempel. Bücherkästen mit vielen Hauptwerken der Wissenschaften aller Zeiten; Tische mit Zeitschriften, Karten, Briefen aus allen Literaturfächern, mit Mineralien, getrockneten Pflanzenexemplaren; Staffeleien mit Ölgemälden. Unter diesen eine Berglandschaft, deren Schöpfer der junge Maler Josef Winkler aus München, welcher bei Deubler gewohnt hatte und eines Tages fortgegangen war, um sich am fernen Strande der Isar eine Kugel durch den Kopf zu jagen. Die Berglandschaft war unvollendet geblieben, was ihm sein Gastwirth freilich leichter verzeihen konnte, als die muthwillige Zerstörung eines unvollendeten Lebens. Ferner war ein Clavier da. An den hohen Wänden, die ein geschmackvoll gezimmerter Plafond abschloß, waren Kunststatuen aus der griechischen Mythe, Porträts, Bronze- und Gypsfiguren von Naturforschern, Philosophen und Dichtern, auf dem Ehrenplatz, hoch wie auf einem Altare, die Bronzebüste Ludwig Feuerbach's mit der Auschrift „Homo homini Deus est”. Ferner fanden sich hier als Reliquien Alpenstöcke hervorragender Botaniker, Schlaghämmer berühmter Mineralogen, das Mikroskop von Roßmäßler , die Tabakspfeife Feuerbach's und endlich auch der Todtenschädel von Deubler's erstem Weibe.
Das war die „schöne Stuben“ des alten Bauers Konrad zu Goisern, von ihm selbst, dem unbemittelten, hart den Kampf uns Dasein ringenden Bauer, errichtet und im Laufe der Jahre mit angedeuteten Schätzen gefüllt! Das hatte er sich einst als Müller am Hallstättersee und als Bäcker und Bauernwirth unten im Dorfe Goisern gesagt: „Arbeitest, hausest, bis Du sechzig Jahr alt bist; nacher wirst Herrgott aus Menschenfleisch und lassest Dir wohl sein.“
Zehn Jahre lang war er's nun gewesen in seinem sich neugegründeten Heim auf dem Primesberg, gleichwohl mit seinem treuen häuslichen Weibe immer noch sorgend, arbeitend in der kleinen Bauernwirthschaft, denn das „Menschenfleisch am Herrgott“ wollte sich nicht ganz zurücksetzen lassen. Häufig waren Gäste zu bedienen, Gelehrte und Künstler aus Deutschland, Freunde, die bei ihm auf der Sommerfrische wohnten, Dichter, Schriftsteller, Schauspieler aus Berlin, Dresden, Stuttgart, Wien, Linz, Salzburg , Graz usw. Trotzdem fand er Zeit für seine Studien. Im Gespräche wußte er gelegentlich Aussprüche alter Griechen und Römer in ihren classischen Sprachen zu citiren, was in seiner rauhen ungefügen Bauerntonart gar seltsamlich zu hören war .
Die fremdartigen Dinge waren nicht zufällig da, oder etwa aus Koketterie zusammengetragen; ihr Besitzer stand zu jedem derselben in einer besonderen Beziehung, die meisten Gegenstände waren Spenden berühmter Personen mit Widmungsworten an Deubler. Die Bücher trugen in ihren Randglossen von Deubler's schwerfälliger und unorthographischer Hand Spuren von dem gewissenhaften fast gründlichen Studium und Verständnisse des Lesers.
Dem Dichter der Schwarzwälder Dorfgeschichten ist der Vorwurf gemacht worden, daß er philosophische Bauern, versteckte Spinozisten gedichtet hätte, die in Wirklichkeit nicht eristiren könnten. Ich habe es immer für einen besonderen Vorzug Auerbach's gehalten, daß er aus dem Bauernstande mit Vorliebe Menschen nahm, die ihr zugetheiltes, oft in der That sehr zweifelhaftes Stück Welt nicht just auf Treu und Glauben hinnehmen, sondern auch messen und wägen können. Es giebt - so unbequem das manchem Stadtherrn sein mag genug kluge und selbst weise Bauern, und nicht Jeder, der Ochsen treibt, ist selber einer.
Allerdings, Bauern, in denen sich mitten unter Thieren und Dünger eine abgeklärte, wirklich philosophische Weltanschauung zu entwickeln vermag, und bei denen dieselbe in Fleisch und Blut übergeht, sind Weltwunder. Ludwig Pfau hat Konrad Deubler den Wunderbauer genannt und damit das Richtige gesagt.
Als wir Zwei nun an jenem Tage meines Besuches schon nach einer halben Stunde alte Bekannte geworden waren, fragte ich Deubler, wie denn das alles so mit ihm gekommen?
Wir gingen über die Matten des Berghanges hin; es war schon Dämmerung, nur die Spitze des Sarsteines ragte noch in den Sonnenäther auf. Konrad Deubler erzählte mir seine Geschichte.
Er müsse sich in Acht nehmen so begann er daß er nicht etwa das erzähle, was Andere über ihn geschrieben, anstatt das, was er selber erlebt. Es sei so viel über ihn zusammengeschrieben worden, daß man mit dem Geschriebenen alle Schweine von Goisern füttern könne, wenn sie es fräßen. Vor Allem vertraute er mir, daß er glücklich sei, daß die großen Naturforscher und Dichter seine Heiligen seien, daß er Festtage habe, so oft er mit Gleichgesinnten zusammenkomme, und daß er nichts wünsche, als er möge noch etliche Jährlein aufgelegt sein, sich mancherlei zu wünschen. Ein wünscheloses Leben sei ohne Salz, was ihm, dem alten Salzarbeiter von Hallstatt, nicht gefallen könne.
Wie sein Vater, so war auch er in seiner Jugend Salzmann gewesen. Später hatte er eine Mühle oberhalb Hallstatt übernommen, noch später hatte er sich in Goisern ein Wirthshaus erworben, in welchem er viele Jahre lang der „Wartburgwirth“ gewesen. Nach dieser Einleitung schweift seine Erinnerung zurück in die Kindheit. Noch ist er Knabe, da stirbt ihm seine Großmutter. Jetzt erwacht in ihm die Frage: Was ist's mit der Unsterblichkeit? Er ist Protestant, geht zum Pastor und fragt an, ob er hoffen könne, seine Ahne in einer anderen Welt wiederzusehen. Ganz sicherlich! sagt der Pastor und borgt ihn Bücher, die das Versprechen bestätigen sollen. Wie gern möchte Konrad überzeugt sein! Aber es geht nicht - er hat, wie ihm eine alte Nachbarin sagt, die Gnade Gottes verloren. Je mehr er in den Büchern liest, desto wirrer wird's in seinem Kopf, desto banger in seinem Herzen. Er verschafft sich hierauf andere Bücher, die in die Art schlagen und aus der Art. „Die Stunden der Andacht“ von Zschokke, „Jung Stilling's Schriften“ , „Das Leben Jesu“ von David Strauß und weitere religiöse, philosophische, naturwissenschaftliche und socialpolitische Werke. Wie er sonst den Trost im Glauben gesucht hat, so findet er jetzt den Trost im Zweifel. Hierauf denkt er: Was mir gut thut, wird auch Anderen nicht schaden! und läßt die Bücher die Nachbarn lesen. In die Leute kommt eine Begierde, viele dergleichen Schriften kennen zu lernen, vor denen die Obrigkeit zu warnen pflegt und die sowohl der katholische als auch der protestantische Pfarrer von Goisern bis in die unterste Hölle verdammt. Konrad vermittelt die Schriften. Die Dörfler kommen zusammen und lesen und tauschen ihre Meinungen aus. Konrad wirft sie auf, erörtert sie oder bestreitet sie, ordnet sie, verbreitet sie und ist so der Mittelpunkt einer geistigen Bewegung, bevor er es selber ahnt. Schon zu dieser Zeit correspondirt er mit Zschokke, Roßmäßler und Anderen. Er muß mit seinen Lieblingsautoren persönlich verkehren, er hat zu fragen, in einzelnen Punkten um besondere Auslegung zu bitten, die ihm nicht versagt wird, und der einfache Bauer sagt den großen Forschern und Philosophen offen seine Meinung heraus, wo er mit ihnen nicht einverstanden ist. Die Schriftsteller und Gelehrten lassen sich mit dem Alpenbauer in wichtige Auseinandersetzungen ein und kommen bald dahinter, daß die Ansichten dieses Bauers zu respectiren seien. Deubler's Seele wächst, erst macht er kleinere, dann größere Reisen, strebt in seiner Heimat volkswirthschaftliche Verbesserungen an, streitet gegen die in der Gegend herrschende Branntweinpest und belehrt die Leute, wie es sein Wissen und Gewissen ihm eingiebt. Zu gleicher Zeit verlegt er sich auf das Pflanzen sammeln im Hochgebirge, legt kleine Alpenherbarien an, um solche an fremde Besucher des Salzkammergutes zu verkaufen . Mit dem Ertrage verschafft er sich die Bücher. Gesinnungsgenossen steuern auch bei, und so sind in jener Zeit es war in den Fünfzigerjahren - von einer Linzer Buchhandlung um 1800 Gulden Bücher nach Goisern geliefert worden. Eines Tages schreibt Deubler einen Brief an seinen Pfarrer in Goisern, in welchem er scharf tadelt, daß Jener an Sonntagen die Leute mit Gendarmen in die Kirche treiben läßt, daß das Christenthum Rohheiten habe, welche den Menschen eher zum Thiere erniedrigen, als der Materialismus, weil das Christenthum Menschen und Thier erst nach dem Tode, und bloß durch die Unsterblichkeit unterscheide. Auch hält er dem Pastor vor, daß die meisten Priester ihre „von Gott anvertraute Heerde“ zu verlassen pflegen, wenn ihnen anderswo eine „einträglichere Pfründe“ winkt. Zum Freunde macht dieses gleichwohl höflich gehaltene Schreiben den Pastor nicht. Und die Feinde lauern .
In einer stürmischen Nacht klopft es an der Thür des Wirthshauses zur „Wartburg“. Deubler öffnet und läßt einen wildfremden Menschen ein, der, von Unwetter überrascht, um Nachtherberge bittet. Deubler nimmt ihn gastlich auf, es ist der Wiener Humorist Saphir. Dem behagt es im freundlichen Bauernhause, er unterhält sich mit dem munteren, intelligenten und wohl auch grübelnden Konrad . Er bleibt mehrere Tage und durchstöbert staunend die Bücherschätze seines Gastherrn. Nach Wien zurückgekehrt, veröffentlicht Saphir einen Aufsatz über den merkwürdigen Bauer Konrad Deubler in Goisern und seine Bücher.
Der Würfel ist gefallen. Nicht lange hernach sprechen fremde Herrschaften zu - hohe Herrschaften aus Ischl! Allerhöchste Herrschaften! Auch eine Erzherzogin ist dabei! - und verlangen Deubler's Bücher zu sehen. „Mein Mann ist nit daheim,“ sagt die Deublerin, „ihm möcht's nit recht sein, wenn ich den Kastenschlüssel hergeb?!“ Das macht aber nichts, der Bücherkasten hat eine gläserne Thür und die Bücher zeigen ihre Rücken heraus mit den Titeln. Etliche der freiliegenden Bücher nehmen die Herrschaften mit sich. Als das Weib dem heimkehrenden Mann vom Besuch erzählt und was fortgetragen sei, sagt Denbler: „Die Bücher können ihnen nicht schaden.“
Ihnen nicht , mein lieber Wartburgwirth, aber Dir! Bald sind die Gendarmen da und führen den Deubler mit elf anderen „politischen Verbrechern“ die Salzstraße entlang drei Tagereisen weit, bis Graz. Der von der Ortsgeistlichkeit in Goisern ausgestellte Leumund lautet selbstverständlich schlimm, Konrad Deubler ist als Irrlehrer und Volksaufwiegler des Hochverrathes angeklagt. Sie sollen ihn richten! Aber das Grazer Gericht thut wie Pontius Pilatus und sagt : Wir finden keine Schuld an ihm. Es sind zwar keine zweckmäßigen, aber es sind keine verbotenen Bücher, die er verbreitet hat. Mit solchem Bescheid schickt das Gericht unseren Angeklagten nebst einigen seiner Genossen - mehrere von diesen sind verurtheilt worden, Einer ist während der Untersuchungshaft an Heimweh gestorben - wieder nach Hause.
Höherenorts aber ist man gegen die Freilassung. Zwischen den Ankläger und dem Vertheidiger entwickelt sich ein glühender Streit, den Deubler daheim ohne Bangen verfolgt. Und eines Tages - die Familie Deubler ist eben beim Abendessen - treten die Häscher ein, wünschen guten Appetit und zeigen den Verhaftsbefehl vor. Das Weib hebt an zu jammern. „ Hilft alles nichts," sagt Deubler, sie sind die Stärkeren.“ Er macht den Abschied kurz, muß Mutter und Weib zurücklassen in Kummer und Noth.
Sie führen ihn in weite flache Gegenden hinaus und über die Donau ins slavische Land hinein. Wie einen Mordbrenner, auf einen Leiterkarren gefesselt, führen sie ihn auf die Festung Iglau in Mähren. Von dort bringen sie ihn nach einiger Zeit verurtheilt auf die Festung Brünn. Warum? Auf wie lange? Das weiß ihm seiner zu sagen. Sein Platz ist bei den finstersten Verbrechern. Aber der Vorstand der Strafanstalt hält mit ihm eine kleine Unterredung: „Deubler, ich weiß es so gut wie Ihr, Ihr seid so unschuldig wie ich. Kann aber nichts für Euch thun. Hart ist's, daß ich Euch Sonntags gefesselt zur Kirche führen lassen muß; nur die Katholiken gehen bei uns mit freien Armen. Deubler, macht mit Eurem Gewissen, was Ihr wollt, aber thut mir den Gefallen und gebt Euch für einen Katholiken aus. Bis morgen bedenkt es.“
Worauf Deubler antwortet: „Schönen Dank, zu bedenken ist nichts. Lutherisch hin, katholisch her. Aber in der Kirche irrt mich das Handschloß am allerwenigsten, da hält man ohnehin die Hände zusammen.“
Er hat die Wahl, dem deutschen oder böhmischen Gottesdienste beizuwohnen, und entscheidet sich für den letzteren, weil er sich bei der böhmischen Predigt, die er nicht versteht, einbilden kann, sie handle von der Liebe und Gerechtigkeit der Menschen zu einander.
Deubler bleibt nun, weil er sich beikommen ließ, den höchsten Gütern der Menschheit nachzuhängen, eingekerkert bei Räubern und Mördern. Von jedem läßt er sich erzählen, auf welchem Wege selbiger hierhergekommen; dem seinen ist keiner gleich. Fast jeder unselige Lebenslauf armer Leute hebt damit an: Mir sind frühzeitig meine Eltern gestorben . Unter fremden Leuten ohne Liebe bin ich verkümmert das ist die erste Stufe zum Galgen. Und dann die Reihenfolge: Verirrung, Arrest: Elementarschule des Lasters; Verbrechen, Criminal: Hochschule des Lasters, Untergang. Dieselben menschlichen Eigenschaften, die den weise Geleiteten empor führen zu Tugend und Ehren, reißen den Haltlosen, Irregeführten von Stufe zu Stufe in den Abgrund nieder. In solcher Schule, in der nun Deubler saß, verlieren Viele die Achtung vor dem Echten, den Abscheu vor dein Schlechten. Unser Alpenbauer aber hütet sich, und daß seine Richter einen Unschuldigen verurtheilt haben sollen, das ist seine süße Rache. Endlich öffnet sich das Gefängnißthor zu Brünn, Deubler's Weib ist aus der fernen Heimat gekommen, um den Freigelassenen nach Hause zu führen - da wird Deubler nach Olmütz gebracht und dort internirt auf unbestimmte Zeit. Nun will die Philosophie des Philosophen schier zu Rüste gehen und der Verzweiflung weichen; da kommt endlich, endlich nach vier Jahren, nach vier Ewigkeiten banger Gefangenschaft die Begnadigung vom Kaiser. Er darf nach Hause gehen, aber nur auf Probe! Strenge bewacht! Das geringste Regen jener irreligiösen aufrührerischen Neigung brächte ihm lebenslängliche Haft.
Auf dem Heimweg ins Salzkammergut wird sich Deubler vielleicht bewußt, was er in der Gefangenschaft gelernt hat. Er sucht das Unbegreifliche zu ergründen und sich in die Lage Anderer zu versetzen. Jeder thut , wie er muß. Nun begreift er die Lehre, den Feinden zu verzeihen. Jeder Gegner handelt nach seinen Verhältnissen, nach der Pflicht seines Amtes. Hätten sie ihn frei umhergehen lassen, den in ihren Augen religions- und staatsgefährlichen Mann, sie würden vor ihrem Gewissen gefehlt haben. Zu hassen und zu verachten ist nur der, welcher gegen seine Überzeugung handelt – und wäre seinte That auch zehnmal zum Guten.
Daheim findet er alles in bester Ordnung. Sein braver „Kamerad“ hat gut gehaust, hat Schulden bezahlt und das Geschäft, das Wirthshaus gehoben. Die Nachbarn hatten sich zusammengethan: ,,Er leidet für uns. Wer heiratet und seine Hochzeit und seine Kindstaufe nicht bei der Deublerin hält, der ist ein Spitzbub!“
Mit Jubel empfangen sie den Heimkehrenden. Bald gelingt es ihm, die Abneigung einiger Widersacher „gegen den ausgelassenen Sträfling“ zu zerstreuen. Einmal wenden sich die Goiserer und Hallstätter wegen einer Gefahr, die ihrem Salzwerke droht, an den Kaiser; zur Bittgesandtschaft wird auch Deubler gewählt, und er macht in dem Augenblick, wo den Anderen das Herz in die Hosen fällt, den Sprechwart. Die Angelegenheit wird zu ihren Gunsten erledigt. Später machen ihn die Goiserer zu ihrem Bürgermeister und Obmann des Ortsschulrathes. Österreich hat mittlerweile eine freisinnige Verfassung bekommen . Jetzt führt Deubler ein Ideal seines Lebens aus und bringt es dahin , daß in Goisern die katholische und die protestantische Schule vereinigt werden zu einer confessionslosen.
Die größte Genugthuung aber folgt erst. David Strauß hört von den Schicksalen des Salzburger Bauers, zu denen doch sein „Leben Jesu“ der erste Anstoß war. Er macht schon früher briefliche Bekanntschaft mit Deubler, der sich gern finden läßt, führt ihn nun in Gelehrtenkreise ein, und bald regnet es für den Wartburgwirth zu Goisern die interessantesten Besucher und Freunde. Ein lebhafter Briefwechsel entwickelt sich zwischen Deubler und seinen Gesinnungsgenossen. Bezeichnend für Deubler ist es, daß er manchen berühmten Duzfreund auf offenen Postkarten mit „Sie“ anspricht, weil er fürchtet, der Adressat könne sich des bäuerlichen Bruders mit der ungelenken und unorthographischen Handschrift schämen. Ludwig Feuerbach wohnte einmal wochenlang bei Deubler und das Freundschaftsverhältniß zwischen den berühmten Philosophen und dem Alpenbauer war in seiner Innigkeit und Treue ein rührendes. „Deubler ist Feuerbach's philosophisches Idyl“, dieses treffliche Wort hat Karl Grün aufgebracht. Deubler hat aus den Natur wissenschaften modernen Geistes eine praktische Philosophie zu schöpfen gewußt, so weltfreudig und versöhnend, daß der Gelehrte seine wahre Freude daran haben mußte. – Die neue Verfassung in Österreich sichert Freiheit, aber Deubler ist vorsichtig in seinen Äußerungen und macht sein Herz nur unter Gleichgesinnten auf. Alljährlich am Charfreitag geht er „der Leute halber“ zur Communion, weil er mit Feuerbach der Ansicht ist, die religiösen Gebräuche seien so sehr entmarkt und creditlos geworden, daß es ganz gleichgiltig wäre, ob man sie mitmache oder nicht. In seiner Bücherei hat Deubler einige verbotene und verdächtige Bücher, die er vor einer etwaigen polizeilichen Beschlagnahme dadurch sichert, daß er ihnen falsche Titelblätter beibinden läßt. So finden wir z.B. Baltzer's „Vorträge, Lieder und Gesänge der freien Gemeinde zu Nordhausen“ unter dem Titel : „Der Badeort Gastein und seine malerische Umgebung.“
Nachdem viele Jahre in solchem nun ungestörten Glück dahingegangen sind, stirbt ihm sein Weib. Er ist fast vernichtet. Da kommt der Pastor: „Na , Deubler, Du hast Dich viel auf den Philosophen hinausgespielt, jetzt probir's, ob Deine Philosophie was nutz ist. Jetzt zeige, Freigeist, wie macht man's?“ Worte vermag Deubler auf diese bittere Äußerung nicht zu sagen, er antwortet durch die That. Nahe auf dem Primesberge baut er ein Haus, ladet sich damit eine Last von Arbeit und Sorge auf, muß sich ein ganzes Jahr lang herumschlagen mit Plänen, ärgern mit den Arbeitern, hat am neuen Bau Verdruß und Vergnügen. Und als das Haus fertig ist, fühlt er sich gesund, heiratet seine Dienstmagd, geht zum Pastor und sagt: „Herr Pfarrer , so macht man's.“
Das ist's, was mir Konrad Deubler bei jenem Abendspaziergang erzählt hat. Gern und vielleicht nicht ganz ohne Selbstgefälligkeit erwähnte er in seinem Gespräch, wie auch in seinen Briefen, daß er ein ungebildeter Bauer, „ein einfaches Wirbelthier“ sei. Mit seiner Unbildung kokettiren nimmt sich gerade so putzig aus, wie wenn's einer mit seiner Gelehrsamkeit thut. Daß Deubler sich seines „Bauern Philosophen“ sehr bewußt war und damit gern ein wenig Staat machte, daß er bisweilen Männern gegenüber, deren Freundschaft ihm schmeichelte, ein bischen Wohlrednerisch wurde, daß er auch von Heuchelei nicht frei war, wo er sie zur Kriegslist gegen seine Feinde machen konnte, das soll der Wahrheit zuliebe gesagt werden. Im Ganzen aber muß man Respect haben vor einem Manne, der nach gethanem Bauerntagwerk mit seinem Moleschott, Roßmäßler, Buckle in der Heuscheune gerade so gut oder besser fertig wird als Andere am Studirtisch.
Nachdem Deubler, der kinderlos war, sein Wirthshaus zur „Wartburg“ einer verheirateten Pflegetochter abgetreten hatte, zog er mit dem Weibel, der „dicken Nandi“, wie er seinen neuen „Kameraden“ auch nannte, in das Nest auf dem Primesberg, wo er hoch geehrt von nahen und fernen, von kleinen und großen Menschen, einen zufriedenen, stilheiteren Nachsommer verlebt hat. Deubler blieb gastfreundlich, heiter und rührend dankbar für die Freundschaft, welche bedeutende Menschen ihm schenkten, und er blieb als wahrer Philosoph innig zufrieden und glücklich, bis im März 1884 der Föhn seines siebzigsten Frühlings dieses merkwürdige Leben ausgeblasen hat.
Vor mir liegt die Photographie des Konrad Deubler zu Goisern. Da sitzt er in seiner älplerischen Tracht, mit Lodenjoppe, Kenielederhose und eisenbeschlagenen Bundschuhen. In der einen Hand hat er die Tabakspfeife, in der anderen ein offenes Buch, das auf dem Oberschenkel liegt. Ein stattlicher kerngesunder Mann mit kleinen schalkhaften Äuglein, kräftiger Nase und dem rechtschaffenen Schnurrbart drunter. Wie ein Dorfrichter sieht er aus, der über einen Paragraphen des bürgerlichen Gesetzbuches nachdenkt. Sein Gesetzbuch ist die Naturgeschichte und die Menschengeschichte. Sein Leben, Denken und Wirken ist darnach ausgefallen und wird von einigen modernen Philosophen, freilich recht einseitig, genutzt, als ein Beweis von der moralischen Kraft und Größe des Materialismus.
Deubler führte ein sehr regel- und naturmäßiges Leben; er hatte sich die Normalwollkleidung angeeignet, war ein Feind des Trinkens und des Kartenspieles, welches letztere er für einen Beweis einer geistig bankerott gewordenen Gesellschaft erklärt. Er spricht von geistigen Epidemien und nennt den heutigen Antisemitismus eine solche. Seine Weltanschauung drückt sich weniger in Worten als in Thaten aus; was er geworden, das ward er trotz seines Standes und der Zeit Ungunst aus sich selbst. In der Kunst zu leben, und glücklich zu leben, war er Meister.
Deubler wird einn „Materialist“ genannt, und er selbst hält sich für einen solchen, obwohl ihm Karl Grün einmal schreibt: „Hören Sie auf, sich Materialist zu nennen, Sie sind es nicht.“ Dieser Materialismus des Bauern - Philosophen war in der That nicht sehr consequent, er entfaltete sich nur in den Tagen des Glückes, in Leidensstunden zog er sich mehrmals zagend zurück, um endlich das Gleichgewicht zwischen Geist und Herz doch zu finden. Der Weise von Goisern hat trotz des materiellen Druckes seiner Zeit und seines Standes Idealen zugestrebt. Und gerade diese Gläubigkeit an den Fortschritt der Menschheit, das unverbrüchliche Festhalten an den Idealen der Freiheit, des Rechtes, das begeisterte Zustreben den geistigen, nicht den materiellen Gütern - diese Eigenschaften haben mir den Konrad Deubler so lieb und werth gemacht.
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