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Foto: Sammlung Risch-Lau Vorarlberger Landesbibliothek
Noë, Heinrich, 1835-1896
München: Verlag der J. Lindauer'schen Buchhandlung, 1867.
Zitierlink: http://data.onb.ac.at/rep/10915468
Vor vielen, vielen Jahren lebte am Hallstätter See ein
armer Mensch, der Pfannen-Toni genannt, weil er im Salz-
Sudwerke beschäftigt war. Jahr aus, Jahr ein kam er nicht
von seiner Arbeit. Wenn er nicht manchmal, so lange einer
der anderen Knechte krank war, mit den großen Salzschiffen
hinab nach dem Gmundner See gefahren wäre, er hätte viel-
leicht vergessen, daß es außerhalb der Felswände, zwi-
schen denen der tiefe Hallstätter See liegt, noch eine Welt
gibt. Seine Wohnung war eine hölzerne Hütte, deren Dach
an den steilen Berg stieß. So lebte er von seinem kärglichen
Taglohne, aber er war zufrieden.
Die Unzufriedenheit beginnt sich des Menschen zu bemächtigen,
wenn er sein Schicksal mit dem anderer Leute vergleicht, welchen es besser geht,
wie ihm. Aber zu solcher Vergleichung hatte der Pfannen-
Toni keinen Anlaß. Die Meisten um ihn herum waren
arme Arbeiter wie er und von den sonstigen Bewohnern der
Hallstatt wären es höchstens der Pfarrer und der Wirth ge-
wesen, deren Glücksgüter einigermaßen auffallen konnten,
weil sie sich um ihren Erwerb nicht so sehr plagen mußten,
als die kleinen Bürger und Salzarbeiter. Aber zu Leuten,
die so weit über dem Gewöhnlichen standen, wie die Beiden,
vermochte sich sein Blick nicht zu erheben– sie waren ein-
mal der Pfarrer und der Wirth und ihnen gleich zu sein,
fiel ihm so wenig ein, als es andern Menschen beikommt,
fliegen zu wollen, wie ein Adler. Auch hätte bei den Zweien,
wenn sie beneidet worden wären, sich wieder das Sprichwort
des alten Königs von Lydien bewahrheitet, daß man Niemand
vor seinem Tode glücklich preisen solle. Denn der Pfarrer
stürzte, als er in einer Nacht auf dem schmalen Stege von
der Gosaumühle nach der Hallstatt ritt, vom Pferde, zer-
schlug sich auf den Felsen und fiel in den See hinab, wel-
cher später die zerschmetterte Leiche so auswarf, daß sie an
der Wurzel einer Tanne hängen blieb und die Aasvögel an
ihr pickten. Der Wirth aber verunglückte noch jämmerlicher,
als er einmal seine hochgelegene Alpe besuchte. Beim Rück-
wege mußte er bemerkt haben, daß einer seiner schönsten
Ochsen sich fern von der Weide ab auf eines der großen
Eisfelder am Dachstein begab. Um ihn wieder einzufangen,
verließ er unbesonnen den sicheren Pfad. Die morsche Decke
einer Eisspalte wich unter ihm und so endete er sein Leben
halb erfroren, halb erstickt, zwischen den krystallenen Wänden.
Das geschah aber Alles viel später, als die Dinge, von
welchen wir eben sprechen wollen.
Das Weib des Toni arbeitete fleißig mit. Sie trug in ihrer
Butte große Lasten Salzsteine vom Berge herab nach dem
Sudhaus, wofür sie freilich nur wenige Kreuzer erhielt. Doch
auch das Wenige war den armen Leuten erwünscht. Im
Sommer, wenn es mit dem Salztragen langsamer ging,
sammelte sie Speik-Wurzeln, welche von steierischen Händ-
lern, die oft über den Krippenstein herüber kamen, gern ge-
kauft wurden. Im Frühjahr suchte sie unter dem Schnee
die Blüthen der schwarzen Nießwurz, am See „Schneekaterln“
genannt, und brachte sie denen in's Haus, von welchen sie
wußte, daß sie an Gicht litten. Auch betete sie fleißig den
Kreuzweg in der „Lahn“ ab– lauter Beschäftigungen,
welche dem kleinen Haushalt ersprießlich waren. So hätten
die beiden ohne Zweifel ihr Dasein ohne Freud und ohne
Leid bis zu jenem Tage fortgefristet, an welchem man ihren
Leib auf dem Friedhofe, der an den abfallenden Berg hin
gemauert ist, bestattet haben würde, wenn nicht eines Tages
der Wirth zum Toni gesagt hätte: „Toni, mein Christoph
hat sich den Fuß verstaucht und muß im Bett liegen. Ich
hätt' ein paar Stämme nach Steg hinauszufahren– fahr
Du, Du bekommst einen Zwölfer!“-
Es war vor dem Frühgottesdienst an einem Sonntag.
Der Pfannen- Toni sagte, er wolle nach der heiligen Messe
mit den Stämmen fahren. Dann trank er sein Glas Vogel-
beerbranntwein aus und ging nach der Kirche– vielmehr
er stieg, denn in der Hallstatt, welche am Absturz eines
Felsrückens in den See hingebaut ist, kann man nur auf-
oder abwärts gehen. Die ungefügen Treppen, welche nach
der Kirche führen, bedeckte frisch gefallener Schnee; der
Wasserfall, welcher durch die Häuserreihen herabstürzt, war
zur Hälfte in Eiszapfen verwandelt, und über den See zogen
Nebel so langsam, wie ein großes Salzschiff, welches eben
mühsam durch die erregten Wellen gerudert wurde. Schon
stand Toni auf dem Friedhof, betrachtete gedankenlos die zwei
gemalten Todtenköpfe über der kleinen Kapelle an der Wand
und schüttete die glühende Asche seiner Pfeife auf den Schnee
eines Grabhügels, als es ihm einfiel, das lange Stehen und
Knieen in der Kirche sei keine rechte Vorbereitung für die
Arbeit, welche er unternehmen sollte. Er sann eine Weile
nach.
– Es wird früh Nacht, sagte er endlich zu sich selbst. Ich
komme gar beim Heimweg in die Finsterniß und in die Schneib'm
hinein.
Froh, einen Vorwand gefunden zu haben, für dießmal
aus der kalten Kirche wegbleiben zu können, ging er in die
Schenke zurück. Doch beeilte er sich nicht, dem Wirth sagen
zu lassen, daß er jetzt fortfahren wolle. Vielmehr blieb er
noch geraume Weile vor einem Glas Branntwein sitzen.
Es war Niemand mehr in der Stube als ein fremder Bett-
ler, welcher seine Kreuzer vertrank. Beide betrachteten ein-
ander.
– Höre, sagte der wieder eintretende Wirth, am Steg
draußen wartet der Holzhändler bis Mittag. Er wird Dir
einen Sack mit dreihundert Zwanzigern mitgeben– liefere
ihm dafür den Schein da aus und sage, ich wäre selbst hin-
ausgekommen, wenn es nicht so staubte (stöberte).
Toni zog das „Traunerl“ vor die Schiffhütte und
hängte die rothen Lärchenstämme hinten an. Schwerfällig
glitt der Nachen mit seiner Last in den See hinaus.
Während der eintönigen Arbeit des Ruderns hatte Toni
Zeit, seinen Gedanken nachzuhängen. Trotz der Kälte rannen
ihm Schweißtropfen über die Stirn, denn die Stämme waren
schwer. Wie leicht, dachte er, hat es der Wirth! Seine
Knechte fällen ihm das Holz, schleppen es an den See,
rudern es hinaus und er hält bloß die Hand hin und
nimmt.–
In diesem Augenblicke schnellte vor ihm einer jener
Fische mit silbernem Rücken auf, welche man an jenem See
Rheinanken nennt. Sie sind so unvorsichtig oder dumm, daß
sie sich oft dabei mit den Händen fangen lassen. Dieser aber
blitzte nur einen Gedanken lang wie ein Silberblick auf und
verschwand wieder im Dunkel des Wassers.
– Und nimmt, fuhr Toni in seiner Gedankenreihe
fort, das helle Silber dafür. Ich freue mich, wenn ich heute
einen solchen Haufen Geld nur einmal ansehen darf. Es ist
freilich nur für einen Augenblick, denn es fällt ja doch gleich
wieder in die Geldtruhe des Wirthes.
Es war das erste Vorkommniß seit langen Jahren, welches
ihm Veranlassung gab, sich in seiner Lage unbehaglich zu
fühlen. Er empfand etwas wie Neid gegen den Mann,
in dessen Dienst er heute arbeitete.
Er sann darüber nach– wie es Viele an seiner Stelle
gethan hätten– welche Annehmlichkeiten er sich und seinem
Weibe mit den Geldstücken verschaffen könnte. Die bösen
Gedanken flogen durch seinen Kopf, wie die Schneeflocken
vor dem Winde, der ihn immer und immer wieder zurück-
trieb. Manchmal hob sich ein dunkler Wasservogel von der
dunkeln Fläche auf und jammerte, eilig über die Spitzen der
Wellen hin flatternd. Es ging dem Schiffe, wie seinem Kopf;
jenes kam vor dem Wind nicht über die letzten Häuser der
Hallstatt hinaus und dieser vermochte es nicht, die Gedanken
an das Geld zu verwinden, welches er heute nach dem
Wirthshause bringen sollte.
Endlich gelang beides. Der „untere“ Wind legte sich
und der Toni richtete seine Aufmerksamkeit auf eine Hoch-
zeitsgesellschaft, welche auf einem Schiffe daherkam, von dem
roth- und weiße Fahnen ihre Zipfel in das Wasser tauchten
und Alle mit Ausnahme der Ruderer sich durch rothe Regen-
schirme gegen das Unwetter zu schützen suchten. Ein heiseres
Lachen– er konnte wegen der Regenschirme nicht wahr-
nehmen, von wem es ausging– erscholl auf dem großen
Fahrzeug, ein Lachen, welches ihm vorkam, als ob es ihm
gälte. Vielleicht wurde gelacht, weil er mit den schweren
Stämmen so langsam von der Stelle kam. Aber dieser Arg-
wohn kam ihm rasch wieder aus dem Sinn.
Das Gestöber nahm jetzt so zu, daß es aussah, als ob
der See „zugeflickt“ werden würde, wie es die Fährleute
nennen, wenn der Schnee auf dem durchkälteten und erstar-
renden Wasser zu schwimmen anfängt. Aber schon hatte
das Traunerl die Nähe der Seeklause erreicht und bald stieß
es auf den unterm Schnee vergrabenen Kies.
Toni ging in’s Wirthshaus und fragte nach dem Holz-
händler. Der war noch nicht da. Von Kälte starr setzte er
sich an den Ofen und der Wirth neben ihn. Der Brannt-
wein und die Wärme machten den Toni bald gesprächig. Er
erzählte von den dreihundert Zwanzigern, die er heute zu
bekommen hatte und redete sich so in Eifer hinein, daß er
nicht lebendiger hätte sprechen können, wenn sie sein eigen
gewesen wären. Der Wirth aber schnitt allerlei Gesichter
und lächelte vor sich auf den Tisch hin.
Du könntest das Geld wohl besser brauchen, als
der, dem Du's geben mußt, sagte er endlich. Aber an Dir
geht's vorbei, wie der Schatten auf meiner Uhr draußen.
Der Wirth meinte die Sonnenuhr an seinem Hause, die
beste der ganzen Gegend, worein er einen gewissen Stolz
setzte. Der Mann war überhaupt ein Sonderling, welcher
trachtete, sich in Allem hervorzuthun und der auch seine
Launen mit vieler Zähigkeit zu verwirklichen wußte.
So besaß er zuerst unter den vielen Tausend Bauern,
die zwischen den großen Seen wohnen, eine Sackuhr. Diese
zu bekommen, trieben, ihn Eigensinn und Gewinnsucht an.
Denn, wie sich die Kunde von dem noch so wenig bekannten
Werkzeug verbreitete, wurde seine Stube von Neugierigen
nimmer leer. Die Bauern wußten von ihm mancherlei
Sonderbarkeiten zu erzählen. So hatten sich einmal in seiner
Stube die Holzknechte gestritten, ob das Einschmieren mit
Fett den Stiefeln schade oder nicht. Der Wirth vom Steg
horchte der Unterredung schweigend zu. Nach mehreren Mo-
naten sagte er zu den Knechten:
– Der Ungeschmierte hat länger gehalten!
Die Meisten wußten schon gar nicht mehr, was er da-
mit meinte. Er aber erzählte ihnen, daß er am Tage nach
jenem Gespräch ein neues Paar Stiefel angezogen habe, von
dem jeden Tag nur der eine geschmiert wurde. Und dieser
bekam früher Risse, als der andere.
Ein anderes Mal zählte er auf einem Marsche von
Aussee nach Ischl die Schritte. Dazu hatte er sich einen
Begleiter mitgenommen, welcher für ihn die zahlreichen Grüße
der ihnen Begegnenden Leute erwiedern mußte, damit er selbst
nicht irr zu werden brauchte.
Das Merkwürdigste aber hatte er oben unter dem
Dache. Dort stand unter altem Gerümpel der Sarg, worin
er sich einst beerdigen zu lassen gedachte. Er hatte ihn selbst
verfertigt und lange an ihm herum verbessert, bis er davon
befriedigt war, sich auch oft hineingelegt, um ihn zu pro-
biren.
So war der Mann beschaffen, der jetzt mit Toni plau-
derte. Ein besonderes Vergnügen machte es ihm auch, wenn
er einfältigen Gästen Lügen vorsagen konnte. So erzählte
er dem Knechte, der ein Glas Branntwein nach dem
anderen verlangte, eine Geschichte, die sich am letzten Aller-
heiligen-Abend in der Nähe zugetragen haben sollte. Das
ist, wie Jeder weiß, eine heilige Zeit, zu welcher man
Nachts für die Ruhe der Abgeschiedenen beten, nicht aber
Unfug treiben soll.
– Der Deubler Sepp, den kennst doch– nu, der
ist an dem Abend von Goisern 'raus gangen und war ihm
der Branntwein ein wenig in Kopf g'stiegn. Da hat er
grad g'juichzt und g'juichzt. Und wie er so eine Weil gangen
ist, da hat ihm Einer aus dem Graben bei die Häuser von
Obersee gegeng'juichzt, und so oft der Eine g'schrieen hat, schreit
der Andere auch.
– Wird halt der Wiederhall gewesen sein! sagte der
Toni, sein Glas austrinkend.
– Wart nur, was für ein Wiederhall war!
– Der Andere kommt dem Deubler Sepp immer
nähenter und nähenter und schreit immer stärker. Jetzt ist's
aber dem doch ein Biss'l anders worden und er hat sich
nimmer umg'schaut. Auf einmal juichzt's ganz laut hinter
ihm, er aber dreht den Kopf nimmer um– stockfinster,
war's auch schon. Mit einem Mal aber fühlt er etwas
auf der Schulter, und wie er hinschaut, sieht er Einen, der kein
Maul, aber einen Schnabel hat.
– Oho! sagte der Pfannen-Toni.
In diesem Augenblicke ging die Thüre auf und es
traten zwei Männer ein, von welchen der Eine ebenso spin-
nendürr als der Andere unförmlich dick war. Der Wirth
begrüßte in dem Einen den erwarteten Holzhändler, der an-
dere war der Lebzelter von Aussee.
Der Pfannen-Toni näherte sich dem Holzhändler und
brachte sein Anliegen vor. Der entgegnete: Ist schon recht!
Ist schon recht! und langte unter dem Mantel, den er auf
die Bank hingelegt hatte, einen zwilchenen Sack hervor und
gab ihn dem Toni. Den Schein durchlas er und steckte
ihn nachdenklich in seine lederne Brieftasche.
– Hast Du das heutige Holz 'runter gefahren? frug
er nach einer Weile.
Auf Toni's bejahende Antwort legte er ihm zwei Zwan-
ziger auf den Tisch und sagte:-
– Da trink, daß d' beim Heimfahren nit eingfrehrst.
Mittlerweile hatte der Lebzelter eine Flasche hervorge-
zogen, sich vom Wirth drei Gläser geben lassen und schenkte
eine zähe, goldgelbe Flüssigkeit ein. Es war ein von ihm
selbst bereiteter Liqueur. Der Holzhändler nippte, auch Toni,
der gerne das Ganze auf einen Zug hinuntergestürzt hätte,
trank schüchtern. Auch der Wirth wurde eingeladen. Der aber
sagte zum Lebzelter:
– Trinken nur Sie z'erst, damit ich seh, daß S'mich
nit vergeben.- Darüber lachte der Toni unbändig. Überhaupt kam
ihm jetzt Alles viel lustiger vor, als sonst. Da die beiden
Herren bald überdrüssig waren, mit ihm zu reden, fing er
an, mit dem großen Haushund zu scherzen, der sich vorhin
unter dem Ofen die Pfoten abgeleckt hatte.
Die Stunden schwanden– manchmal legte Toni die
Hand auf den von Silber strotzenden Sack neben ihm auf
der Bank. Mit den Stunden schwanden auch die Groschen
und Sechser und erst als plötzlich zu Abend gebetet wurde,
entsann er sich, daß sein Nachen draußen auf ihn warte und
daß es Zeit wäre, an die Heimfahrt zu denken. Er ging
hinaus und schaute nach dem Wetter.
Es fiel kein Schnee mehr, aber der Wind hatte sich ge-
dreht. Von Süden her über die Eisflächen des Dachstein
raste ein Sturm, der die Wellen weit über den verschneiten
Strand her warf. Doch die Luft war rein, der Himmel klar
und der Vollmond stand über dem Zwölferkogel. Die schnee-
bedeckten Berge schienen unter dem gelben Lichte geheimniß-
voll verklärt.-
– Heut magst nit heimfahren, Pfannen-Toni, sagte
der Wirth, der eben in den Gang kam, um das hintere Thor
zu schließen.--
– Heim muß ich, entgegnete der Toni. Ich laß halt
das Traunerl derweil da und geh den Fußsteig.
– Das thust! sagte der Stegener.
Bei einem Sturme, oder wie es jetzt der Pfannen-
Toni hätte thun müssen, gegen den Sturm, am westlichen
Ufer des Hallstätter See's zu fahren, ist ein gefährliches
Wagniß. An vielen Stellen senken sich Felswände steil
in den See, welche ein Entrinnen unmöglich machen. Am öst-
lichen Ufer aber bis Grub hinauf und dann quer über den
See nach Hallstatt zu fahren, wäre noch vermessener ge-
wesen, weil der Fährmann den tief aufgewühlten Wellen die
Breitseite des Schiffes hätte zukehren müssen, welches in
wenigen Augenblicken mit Wasser angefüllt worden wäre.
So nahm also der Pfannen-Toni seinen Sack mit den
Zwanzigern und machte sich auf den Weg. Dieser führt
bald hoch bald nieder über dem See an jenen Felsen hin.
Theilnahmlos schaute er in das Schauspiel, welches unzählige
andere Menschen entzückt haben würde. Der Glanz der
Gipfel im Mondenstrahl sah nichts Irdischem ähnlich. Wie
eine Wohnstätte von Geistern, die den Aether lieben, schauten
die Eiswände in die dunkle Schlucht des Sees.
Mit einem Male legte sich auch der Wind. Die Pracht
wurde stiller und redete nur mehr mit der berauschenden
Zunge eines nie gehörten und mit menschlicher Rede nicht zu
erzählenden Märchens. Der See beruhigte sich– glorreich
schwebte die goldgrüne Nacht über die jähen Spitzen, die im
Frost starrten.
Da dröhnte es plötzlich vom Sarstein herüber– bald
erhob sich ein dumpfes Jauchzen, ein frohlockendes Donnern
in andern Schlünden. Und jetzt schien ober seinem eigenen
Pfade der Mond, in Farbenstrahlen gebrochen, durch dünnen
Rauch– eine aufgewirbelte Schneewolke– dann ein
Krachen, als ob alle Berge in den See stürzten. Die Fluth
unten heulte auf; eine Lawine hatte vor ihm über den Fuß-
steig hin den See erreicht.
Es war, als ob die Geister der Berge jene unsägliche
Lichtfeier oben mit ihren Donnern grüßen wollten.
Lawine auf Lawine rollte und es toste über die Felswände am See
hin, wie das Gröhlen einer unermeßlichen Schlacht in der
Ferne.
Dem Pfannen- Toni schwindelte der Kopf– die zahl-
losen Unglücksgeschichten, deren Andenken in Täfelchen an den
Felsen hängt, traten ihm klar vor die Augen. Er fühlte sich
von der Lawine gefaßt und im bodenlosen See erwürgt. Das
Gespenst mit dem Schnabel stand hinter ihm– er wollte
zurück, da rieselten hinter ihm die Schneeballen herab, welche
die „Lahn“ verkünden und im nächsten Augenblicke huschte
diese selbst nieder, daß die Aeste der Lärchen auseinander
flogen und ein breiter schwarzer Streifen gegen die Berghöhe
hin aufgeschürft war. Da schloß der arme Mensch, der so
von den vorne und hinten auf dem Pfade liegen gebliebenen
Schneetrümmern eingesperrt war, die Augen, faltete die Hände
und betete ein Vaterunser.
Als er die Augen wieder aufschlug, starrte der Mond-
schein ruhig auf die Verwüstung hin, als ob nichts geschehen
wäre. Er rieb sich den Kopf, hob sein Säcklein wieder vom
Boden auf und sah sich um, wie er um die Lahne herum-
kommen könne. Er war eben doch ein Kind der Berge, bei
dem das Bangen vor den wilden Dingen seiner Heimath
nur flüchtig verharrt.
Es blieb nichts anders übrig, als hinüberzuklettern.
Dabei war nur zu besorgen, daß, während er bis über die
Kniee in dem aufgehäuften Schnee watete, etwa ein Nach-
trag zu der Lahn herabrollen und ihn mit den eingezwängten
Füßen gar unrettbar verschütten möchte. So schaute er,
während er über die zusammengeballten Schneeklumpen hin-
watete, sorgsam nach Rechts auf die Berghöhe. Es gelang.
Nach wenigen Minuten war er jenseits der Lawine.
Er wunderte sich nicht wenig, in geringer Entfernung
vor sich einen Mann hergehen zu sehen, der, wie es im
Mondenlichte klar zu erkennen war, einen grauen Rock an
hatte und über den Schultern etwas trug, was einem leeren
Sacke glich. Der Mann konnte nur einige Handbreit von
der verhängnißvollen Stelle entfernt gewesen sein in dem
Augenblicke, als die Lawine niederstürzte. Jetzt schritt er
ruhig dahin.
Toni war nicht wenig neugierig, ihm ins Gesicht zu
sehen, ob es ein Bekannter wäre. Er kam ihm rasch an die
Seite. Es schien ein ältlicher Mann, den er nie vorher ge-
sehen zu haben glaubte. Der Mann schaute den vorbei-
gehenden Toni nicht an; er that, als ob er seiner gar nicht ge-
wahr würde. Toni hatte ihn anreden wollen; das Herabstürzen
der Lahn wäre ein schicklicher Vorwand gewesen. Aber es
verging ihm der Muth dazu. Er trachtete jetzt nur, dem
Grauen recht weit vorauszukommen, denn es wurde ihm fast
unheimlich vor dem lautlosen Menschen. Schon sah er die
Lichter von Hallstatt. Aber, siehe da! gerade vor ihm–
ging da nicht wieder derselbe Mann mit dem grauen Rock,
den er die ganze Zeit in seinem Rücken gelassen hatte? Wie
war das möglich? Halb neugierig, halb entsetzt beeilte er
sich wieder an dessen Seite zu kommen. Er schaute ihm in's
Gesicht– es war sicherlich das nämliche, welches er vor-
her gesehen hatte. Der Toni konnte nicht begreifen, wie es
dem Grauen möglich geworden war, ihm auf dem schmalen
Fußpfade, den tiefer Schnee bedeckte, zuvorzukommen, ohne
daß er es bemerkt hatte. Darüber konnte er wirklich nicht in's
Reine kommen. Doch ließ er, rüstig voranschreitend, den
Fremden bald wieder beträchtlich hinter sich zurück. Als er
auf seinem Wege an der Stelle angelangt war, welche dem
Felsen gegenüberliegt, unter dem heute die Begräbniß-
kapelle der Russen steht, traute er seinen Augen kaum. Vor
ihm ging abermals der Graue und dießmal erinnerte er sich
doch so bestimmt, daß er seiner Seele Seligkeit darauf hätte
verpfänden mögen– er war nicht an ihm vorbei gekommen.
Jetzt wußte er es ganz gewiß, daß er es mit einem
Venediger oder sonst einem Kobolde zu thun hatte. Hin-
ter ihm daher gehen, das wollte er nicht, so sauer es
ihm auch ankam, wieder an dem Gespenst vorbeizurennen.
Er that es, indem er sich dreimal bekreuzte. So glückte es
ihm, dem Grauen wieder zuvorzukommen. Doch es währte
nicht lange– einen Steinwurf vor den ersten Häusern von
Hallstatt und der Graue ging wieder zehn Schritte vor ihm.
Jetzt schoß ihm das Blut in Stirne und Wangen. Wären
nicht menschliche Wohnungen vor ihm gestanden– er hätte
sich keinen Schritt weiter gewagt. So aber betrat er zitternd
die Hütte des nächsten Nachbars, den er mit verstörter Miene
fragte, ob er den Förster nicht gesehen habe. Es war ein
nichtiger Vorwand– denn von dem, was ihn beängstigte,
wollte er nicht sprechen.
– Wo soll denn ich den Förster g'sehn haben? antwortete
der Mann und schaute den Toni verwundert an.
Ehe aber dieser sich weiter zur Rede stellen ließ, war
er wieder auf der Gasse draußen und lief dem Wirthshause
zu. Toni traf den Wirth nicht in der Stube. Es sollte
eben ein Fremder angekommen sein, dem er oben eine Stube
anwies. Während er sich besann und überlegte, ob er den
Sack mit Zwanzigern der Wirthin übergeben oder auf ihren
Mann warten sollte, kam dieser selbst herein.
Bist da, Toni? sagte er in herzlichem Ton. Du,
morgen stellst Dir einen Ersatzmann in der Saline und
bitt’st den Sudmeister, daß er Dich an acht Tag auslaßt–
ich hab' ein G'schäft für Dich!
Es kam manchmal vor, daß der Wirth dem Toni, wel-
chem er wohlwollte, auf ein paar Tage einen Verdienst zu-
weisen konnte, der größer war, als sein Erwerb in der
Saline. Dann stellte sich dieser einen Mann, der seine ge-
wöhnliche Arbeit beim Salzsieden verrichten mußte– ein
Unternehmen, zu welchem er jeweilig der Bewilligung seines
Vorgesetzten bedurfte, welche ihm dieser oft nur kopfschüttelnd
gewährte.
Mehr konnte der Toni für heute nicht erfahren, denn
der Wirth hatte unmittelbar nach den erwähnten Worten die
Stube wieder verlassen.
Man kann sich leicht denken, wie es diese Nacht im
Kopfe des Pfannen- Toni zuging. Er sah nur graue Ge-
spenster, die ihm über die Schulter schauten und höhnisch
zulächelten. In seinen Ängsten wälzte er sich von einer
Seite des Bettes auf die andere und war froh, als der
graue Tag anbrach. Seinem Weibe erzählte er Nichts von
seiner Begegnung– die wäre zu Tod erschrocken und hätte
an die allerschlimmsten Vorbedeutungen geglaubt.
– Du mußt einen fremden Herrn in die Koppen-
brüller Höhle führen, sagte der Wirth, als Toni, nachdem
er alles Nothwendige abgethan, zu ihm in die Stube kam.
– War recht! entgegnete dieser kurz.
– Was ist's denn für einer? fragte ein anderer
Bauer.-
– Was geht's mich an, bald er nur revierig zahlt,
sagte der Toni.
Ein Herr ist's, von den Studierten Einer, belehrte
nun der Wirth die Beiden, der schon lang reist, ob er nit
Gold und Silber im Gebirg findet. Jetzt hat er sich unsere
Höhlen einbild’t, es müßt' Kupfer oder Eisen in die Stein
zu sehen sein, wenn's etwan auch nit grad Silber wär.
– Wenn er so viel Silber find’t, so wird sich's
mit'm Zahlen nit weit fehlen, sagte der anwesende Bauer zu
Toni.
– Sell is g'wiß, entgegnete dieser.
– Unter fünf Zwanziger thust es nicht im Tag, warf
der Wirth dazwischen. Und nacher thust ihm recht schön und
sagst ihm, er wär der allerg'studiertest von allen den Herren,
die Du schon im Sommer 'rumg'führt hast, das tragt nacher
ertra wieder 'was.
– Akkrat so machst es, bekräftigte der Bauer.
Toni wollte eben seine vollständige Übereinstimmung
mit diesen Rathschlägen äußern, als die Thüre aufging, aber
auch sein Mund– der blieb sprachlos offen. Denn herein
trat die nämliche Gestalt, die ihn gestern auf dem Fußwege
so geängstigt hatte.-
– Das ist der Mann? fragte der Fremde den Wirth
mit heiserer Stimme, in seiner Vermuthung wenig sicher,
weil Toni mit diesem Ausdruck der maßlosen Verwunderung
eher einem Troddel als einem vernünftigen Menschen glich.
– Ja, der ist's! sagte der Wirth.
Auch die weiteren Fragen des Fremden über Verschie-
denes, was zu ihrem Handel gehörte, konnte Toni nur mit
einem röchelnden Ja! Ja! antworten, so daß in jenem ernst-
liche Zweifel aufsteigen konnten, ob es im Oberstübchen des
vorgeschlagenen Führers wohl richtig bestellt sei.-
Der Wirth selber wußte nicht, was er denken sollte
und er fing schon an zu besorgen, er möchte mit seiner
Empfehlung keine Ehre eingelegt haben. Als aber Toni
fortfuhr, den Fremden wie ein Narr anzuglotzen und auf
seine Erkundigungen unverständliche Antworten zu geben,
konnte er sich nicht mehr enthalten, ihn am Arm zu packen
und zu sagen:
– Da komm' einmal ein bißl heraus, Toni!
Dieser ließ sich ohne Einwendung vor die Thüre
schleppen.
Auf dem Gange überhäufte ihn der Wirth mit Fragen
und Vorwürfen. Es dauerte aber geraume Zeit, ehe der
Toni allmählich mit der Sprache herausrückte. Und so
brachte er denn nach und nach sein gestriges Erlebniß vor
und schloß damit, der Mensch drinnen sei kein anderer, als
ein Venediger Manndl und es wär für ihn gewiß sein Verderben,
wenn er mit so Einem ginge.
Der Wirth lachte laut auf.
– Ein Rausch hast g'habt, dasselbige fürcht' ich. Jetzt
aber geh' nein und stell' dich anders und nit so rauschig, sonst
laß ich den Seefrieder Jackl mitgehn statt Deiner.
Toni war im Grunde nicht sonderlich abergläubisch und
so leuchtete es ihm bald ein, daß der Wirth so Unrecht
nicht haben könne. Was aber am meisten zu seiner Er-
nüchterung beitrug, war der Hinweis auf den Seefrieder Jackl,
seinen Todfeind seit einer Rauferei, die vor zwanzig Jahren
stattgefunden hatte.
Der fremde Naturforscher war bald zufrieden gestellt.
Es wurde beschlossen, gleich aufzubrechen. Während Toni
hinausruderte, faßte er ihn scharf ins Auge. Daß der Mann
derselbe sei, den er gestern auf dem Stege gesehen hatte, das
war für ihn auch jetzt noch außer Zweifel. Wie es aber
damit stand, daß er ihn auf so seltsame Art dreimal vor
sich erblickte, während der Mann doch hinter ihm gehen
mußte– das konnte allerdings vielleicht eine Wirkung der
Branntwein- Geister gewesen sein, denen er gestern sich un-
bekümmert hingegeben hatte. Auch mochte das trügerische
Mondlicht und das Blenden des Schnees zur Täuschung
beigetragen haben. Im Uebrigen suchte er, um den Rest
von Scheu, der noch in ihm steckte, vollends mit Gewalt zu
beseitigen, mit dem Fremden ein Gespräch anzuknüpfen.
– Gnädiger Herr sind gestern auch erst spät Abends
nach der Hallstatt gekommen.-
– Ja.
– Ich hab' den gnädigen Herren auf dem Fußsteig
begegnet?
– So?
Mehr konnte der Pfannen-Toni für dießmal nicht aus
dem Grauen herausbringen. Denn dieser schaute verwundert
in die Höhe. Die beschneiten Fichten, welche oben auf dem
Berggrate standen, brannten in dem schmalen Morgenlicht-
saum, der dort lag, wie feuerflüssiges Gold. Auf dem See
war es noch dunkel; in den Wolken, welche in ihn herein-
hingen, die oben schon glühten und blendeten, dämmerte es
unten stahlblau– die Berge aber mit ihrer gleißenden
Pracht auf den Giebeln schauten aus wie überirdische Wesen.
Jetzt schallte die Orgel aus der Kirche und die gedehnten Töne
wallten ruhig über die Wasser und durch die Lüfte hin. Der
fremde Mann schaute empor und blickte so feierlich, als ob
er in einer Kirche wäre. Er schien gar andächtig zu sein,
als ob der schimmernde Himmel oben die Decke eines hohen
Domes, die Berge erhabene Altäre mit Lichtern und der
Sonnenglanz oben der gegenwärtige Herr wären. Toni ver-
wunderte sich über das Herumschauen. Er selbst sah gar
nichts Ungewöhnliches oder Auffallendes weder oben noch
Unken.
Als sie von Obertraun gegen die Höhle zu wanderten
bemerkte Toni, wie sein Begleiter manchmal etwas aus dem
Geleise aufhob, welches die Schlitten in den Schnee ein-
gefurcht hatten. Er zerbrach sich den Kopf, was es sein
könnte– die Wahrheit errieth er nicht und der räthselhafte
Eindruck, welchen der Mensch auf ihn hervorbrachte, steigerte
sich.–
Es war weiter nichts, als eine Art Mücken, die sich
auch im winterlichen Schneegestöber herumtreiben, von wel-
cher der Fremde einzelne fand und ansah.
Es war kalt und der „Foam“ hing von den entlaubten
Zweigen der Ahorne. Der Fremde beklagte sich, daß er
seine Handschuhe vergessen habe, worauf ihm Toni seine
eigenen Däumlinge anbot. Während dieser sie anzog, sah
Toni, daß einige seiner Fingerspitzen schwarz gefärbt waren.
Da packte ihn ein neues Grausen, das er sich hätte ersparen
können, wenn er gewußt hätte, daß unter den Chemikalien,
mit denen der Mann vielleicht handierte, mancher ätzende Stoff
sich befinden mochte. Jetzt wagte er, den alten Gedanken wieder
hingegeben, nicht einmal eine Weile den Genossen zu be-
trachten. Schon faßte er halb und halb den Vorsatz, mit dem
Grauen gar nicht in die Höhle hineinzugehen. Weiß der
Himmel, mit welchem unheimlichen Volk er dort vielleicht
zusammentreffen wollte. Das Jodeln der Holzknechte, die
weit in den verschneiten Wäldern drinnen arbeiteten, gab
endlich seinem Nachsinnen eine andere Richtung.
Nahe am Eingang zur Höhle machte sich der Graue
an einem Felsen etwas zu schaffen, der von Schnee fast ent-
blößt war, weil wuchtige Tannen den Schirm ihrer Zweige
darüber hielten. Nachdem er das Gestein längere Zeit be-
trachtet, schüttelte er den Kopf.
– Da ist Eisen! antwortete er den fragenden Blicken
des Führers.
Dieser bückte sich, sah aber nicht das Geringste, was er
dafür halten konnte. Vielleicht besaß der Graue die Gabe,
durch die Felsen in den Boden hineinzuschauen, wie es die
Erdmänner können.
An der Höhle angekommen, sah Toni an den sichtlich
erst vor kurzer Zeit verlaufenen Spuren des Wassers, an
den Anschwemmseln, die vor großen Blöcken lagen, daß es
in ihrem Innern anders aussehen müsse als gewöhnlich.
Dort floß nämlich durch die dunkeln Gänge ein Bach.
Wenn er, durch reichliche Zuflüsse aus den Adern des Berg-
innern genährt, überschwoll, so verließ er sein nächtliches Bett
unter der Erde und floß aus dem Höhleneingang. So mußte
es vor kurzer Zeit gewesen sein nach dem, was Toni vor
ihr verändert fand. Toni sagte daher zu seinem Reisege-
nossen, er möge eine Weile vor der Höhle heraus warten,
indessen er selbst hineinstiege und mit der Fackel in der Hand
nachschaue, ob das Wasser schon hinlänglich gefallen sei, um
ein Vordringen in die inneren Gänge möglich zu machen.
Das überhängende Portal der Grotte hatte verhindert, daß
auf den Boden unter ihm Schnee falle und so kam
der Fremde auf den Gedanken, sich die Zeit seines Allein-
seins mit dem Anzünden einer der überflüssigen „Bucheln“
(Holzfackeln) zu vertreiben, welche Toni mitgebracht hatte.
Bald loderte das Feuer. Er setzte sich auf einen trockenen,
mit Moos bewachsenen Block und schaute bald in's Thal
hinaus, in welches unaufhörlich Flocken herabstöberten und
dann in die Finsternisse der Höhlengänge, an deren über-
dachtem Eingang er sich niedergelassen hatte.
– Wunderbare Flamme, sagte er für sich hin, so lo-
derst du zum Himmel und strebst nach deiner erhabenen
Geburtsstätte! Du bist nur ein verschwindender, kümmer-
licher Streif gegen den unendlichen Strom, unter dessen
glühendem Anprall einst diese Steinkuppen sich emporblähten!
Dort unten heult noch das Gewässer, das vom siedenden
Geisir übrig geblieben– es schleppt sich noch immer ge-
fangen durch sein Verließ, du bist frei, unbändig und ver-
gißt der Heimath nicht. Möchten die Seelen der Menschen
Flammen sein, dir gleichend! Heilige Wissenschaft, dir
danke ich es, daß ich ein solches Wesen geworden bin. Du
bist diejenige, welche den Apfel der Verjüngung reicht, nicht
Iduna, wie sich die Thoren vorstellen. Dir danke ich es,
daß ich dieser Flamme gleich bin, die jetzt noch lebt, wie
einst die Urflamme unter diesem Gestein lebte, als es glühend
heraufstieg. Ich weiß es ja, daß ich nicht sterbe. Wie einst
von Odins wunderbarem Ring. Ringe mit denselben Juwelen
sich loslösten, so haut ein gleißendes Bild, ein beseligender
Gedanke nach dem andern aus deinen Augen auf mich nieder,
auf ich der ich unverwandt in der Flamme Tiefen schauen
will. Sei mir gegrüßt, helles Licht, das auch aus dieser
Höhlennacht scheint, heilige Unterweisung, die mich die
heulende Stimme dieses Gewässers der Abgründe verstehen
lehrt daß sie zu mir redet, wie ein verschollener Bruder.
Ich habe ihn lieb gehabt, diesen Bruder, wie wir noch als
Atome im Weltennebel mit einander tanzten!
Bei den letzten Worten hatte sich der Graue erhoben
und die Hand gegen de Höhle ausgestreckt, in welcher der
letzte Schein von Toni's Fackel bereits verschwunden war.
Gleich darauf hörte er einen durchdringenden Schrei, den die
wiederhallenden Wände herauswarfen und wenige Minuten
später erschien Toni selbst unter dem Grotteneingang und
schaute hinaus in die Helle, wie er im Wirthshause zuerst
den Grauen angestiert hatte.
Folgendes hatte sich zugetragen.
In einer gewissen Entfernung von der Öffnung der
Höhle, deren erster, breiter Gang sich gemach in die Tiefe
senkt, liegt zwischen ungeheueren Blöcken ein winziger See.
Wer an seinem Ufer steht und aufwärts schaut, gewahrt den
hereinfallenden Tagesstrahl nicht mehr. Das Gewässer aber
wird von ihm noch erreicht. Dann blinkt aus einer Tiefe,
welche dem menschlichen Auge unergründbar scheint, der Tag,
einer glänzend weißen Scheibe vergleichbar– so weit, so
weit unten, daß man den Himmel der Gegenfüßler zu sehen
glaubt. In dem Augenblicke, in welchem Toni zufällig hinein-
sah, stand mitten in dem bleichen Mond, der unten aus der
Nacht heraufsah, eine graue Gestalt, welche ihm drohend ab-
winkte. Es war der Fremde, welcher eben seine Hand gegen
den Grotteneingang hin ausstreckte. Toni hatte in der Über-
raschung ihn vergessen– so kam es, daß er einen Schrei
des Entsetzens ausstieß und rasch zur Erde heraufkroch.
Der Fremde lachte, als ihm Toni die Geschichte er-
zählte. Sie stiegen nun hinäb, denn das Wasser war, wie
Toni bemerkt hatte, schon so weit zurückgewichen, daß man sich in
die Gänge wagen konnte. Als sie an dem See vorbeikamen,
staunte auch der Graue über den weißen Mond, zu welchem
hier der Tag zusammengeschrumpft war, ein Gestirn, wie es
den Ungeheuern des nächtlichen Weltanfanges geleuchtet haben
muß.
Und lag nicht ein solches Ungeheuer gerade vor ihnen?
Dort, aus dem undeutlichen Schimmer der vorange-
tragenen Fackel ragte ein mehrere Klafter langer Felsblock.
Er ruhte auf dem nassen abschüssigen, von Auswaschungen
zerrissenen Kalkboden. Sein vorderer und mittlerer Theil
glich dem Kopf und dem Leibe eines ungeheueren Krokodils.
Vorn waren rundliche Wülste, glotzenden Augen ähnlich.
In den Klüften hinter ihm, von noch nicht durchdrungenem
Schatten und Wölbungen versteckt, wüthete der angeschwollene
Bach mit seinem tausendstimmigen Wimmern und Heulen–
ein höllischer Fluß, dem das Stein gewordene Ungeheuer
entstiegen zu sein schien. Die Luft wurde dumpfer und
schwüler.
– Der Kerl sieht aus wie ein Saurier, sagte der
Fremde vor sich hin, während sie an dem Blocke vorüber-
gingen.
Toni horchte.
– Was sieht das G'stein gleich? fragte er endlich.
Der Fremde erklärte ihm, was die Saurier seien und
wie große es früher gegeben habe, als noch keine Menschen
auf der Welt waren. Es wunderte den Toni nicht wenig,
daß sein Begleiter von Dingen etwas wußte, die kein Mensch
gesehen haben konnte. Allmählich begriff er, daß es sich um
Eidechsen von ungeheurer Größe handelte.
Sind aber doch g'wiß keine Stutzen gewesen? fragte
er endlich wieder, den Grauen scheu anschauend.
Nun war die Reihe des Fragens an diesem.
– Gnaden, gnädiger Herr, werden doch schon von
Stutzen gehört haben. Das warn auch solchene Viecher, aber
die sind roth und g'fleckt.
– Wo sieht man denn die?
– Ja die, entgegnete Toni durch die Frage einiger-
maßen überrascht, ja sehn thut man die eigentlich nicht leicht,
aber gar soviel sagens davon.
– Nun, was sagt ihr denn?
– Sie schau'n halt ganz roth aus, wie ein Laub, das
von den Bäumen g'fallen ist. Ist auch schon einmal passirt,
dem Großvater vom Kühberger Franzl – so hat er g'heißen–
der hat einmal auf der Gamsjagd glaubt, er knieet sich ins
Streu hinein; derweil hat sich's geregt unter ihm und der
Stutzen hat ihn umg'worfen. Da war er auf einem Stutzen
knieet gewesen. Der ist fortglaufen und hat dem Schützen
nichts mit than.-
– Hat der Jäger ihm nicht nachgeschossen?
– O, das wär weit g'fehlt gwesen! Da wär ja der
Stutzen dem Menschen mitten durchs Herz durch gsprungen,
daß er augenblicklich todt liegen blieben wär.
– So böse ist das Thier? lachte der Fremde.
– Ja, der Stutzen ist das allergefährlichste, was
es gibt.
Die Männer schwiegen nun eine Weile, während deren
der Fremde auf dem Boden herumsah und sich bückte, als
ob er etwas suche. Toni fragte ihn, was er wünsche. Aber
sei es, daß er vor dem Tosen des Wassers in den Gewölben
die Frage nicht hörte oder sie nicht hören wollte– er gab
keine Antwort darauf.-
Mit einem Mal zuckte ein Blitz. Die ganze Höhle bis
in die dunkeln Schlünde, unter denen das Wasser sich durch-
wühlt, stand in purpurrothen Flammen.-
Der Reisende hatte ein Feuer angezündet, dessen greller
Schein nach wenigen Augenblicken wieder erlosch. Solche Feuer
hatte man in der Einsamkeit dieser Berge noch nie gesehen.
Jener aber lachte laut auf, als er unter den Blitzen
Tonis vor Schrecken verzerrtes Gesicht gewahrte.
– Was war das? fragte dieser endlich.
– Das nennt man rothes Höllenfeuer. Gib Obacht,
du sollst noch ganz andere Dinge sehen. Einstweilen aber reiche
mir deine Fackel.
Der Fremde nahm sie in die Hand, leuchtete damit an
den vom Hauch der Wasser feuchten Wänden herum und
pochte hie und da mit einem Hammer daran. Dann
dröhnte es gewaltig in der Unterwelt. Er lauschte, er schüt-
telte den Kopf, dann nahm er wieder Bruchstücke in die
Hand, schaute sie an und steckte manche davon in einen
zwilchenen Sack, den er aus seinem Mantel hervorzog.
Toni schaute aufmerksam zu, ohne von dem Allen etwas
zu verstehen. Manchmal warf er wieder einen Seitenblick auf
das zu Stein gewordene Ungeheuer, welches am Bache schlief.
So oft ein verirrter Strahl der Fackel darauf fiel, schien es
den Rachen zu einem gräulichen Gelächter verziehen zu wollen.
Dieser Klotz freute sich über den Besuch, der in seine Nacht
eindrang.
Der Fremde forderte Toni auf, ihn weiter in die in-
neren Gänge zu führen. Durch mehrere enge Röhren, in
welchen sie sich auf dem Bauch vorwärts schieben mußten,
erreichten sie ein zweites größeres Gewölbe, dessen Ende von
Nacht versteckt war."...
– Geh zurück! sagte der Graue.
Toni hatte dem Befehle kaum gehorcht, als ihm eine
blendende Lohe um die Augen schlug. Er wandte den Kopf
um und sah hinter jenem eine Wand von grünlichen Flam-
men zittern.
– Keine Stalactiten! keine Tropfsteine! sagte der Graue
kopfschüttelnd; keine Spur von Eisenadern. Dagegen sieht das
verwünschte Loch so dunkel aus– so zäh legt sich die Nacht
herein– vielleicht haben sie hier im Jul dem Gott Freyr
ihre Eber geschlachtet, wenn überhaupt seit den Höhlenbären
noch etwas Lebendiges herein gekommen ist.-
Eine Fledermaus, welche gerade ober ihm an einem
hervorspringenden Zacken hing, belehrte ihn rasch vom
Gegentheil.--
– Es gibt sonderbare Läuse auf diesen Nagethieren,
sagte er für sich hin. Ich will sie mitnehmen. Dabei zog er
einen zweiten Sack aus seiner weiten Manteltasche, steckte
das regungslose Thier hinein und band ihn fest zu. Das
grüne Licht erlosch wieder.
– Ich weiß nicht, wie's mir vorkommt, sagte Toni,
dem es mit jedem Augenblick unbehaglicher zu Muth wurde
– es scheint, das Wasser rauscht jetzt stärker, als vorher.
– Pah! sagte der Graue, das Gewölbe hier ist höher.
– Es thut wilder– es ist gerade, als ob's eine
neue Kluft durchbrochen hätt'.– Der Graue lachte.
– Führe mich weiter hinauf! sagte er.
Mehrere Gänge der Höhle stiegen im Innern des Berges
hinan. Finstere Gänge, durch welche man auf unebenem,
von Wasser durchfurchtem Kalkboden halb gehen, halb kriechen
muß, führen so hoch hinauf, daß man an ihrem oberen Ende
die Schritte derjenigen vernehmen kann, welche auf der Straße
gehen, die über den Bergrücken des Koppen hinführt. Toni
machte den Grauen darauf aufmerksam und sagte, man hätte
hier höchstens ein Haus tief herabzugraben und damit den
Theil der Höhle erreicht, in welchem sie eben saßen.
– Mir gefällt es da herunten besser, entgegnete kurz
der Graue.
Langsam stiegen sie wieder herab. Je mehr sie sich den
Wölbungen näherten, durch welche der Bach braust, konnte
auch der Fremde nicht umhin, zu bemerken, daß sie jetzt ein
stärkeres Rauschen vernahmen, als vor zwei Stunden, zur
Zeit ihres Eintrittes. Starr vor Entsetzen aber wurde der
Führer, als er mit einem Mal bemerkte, daß es hinter ihnen
zu rieseln und zu quellen begann, und daß das Wasser sich
Zoll für Zoll fast geräuschlos an den braunen Wänden in
die Höhe hob und schon das Fackellicht aus dem überflutheten
Boden wiederstrahlte.
Toni war um diese Jahreszeit noch nie in der Höhle
gewesen. Er hatte nur oberflächlich daran gedacht, daß es
jetzt, wo so viel Schnee schmolz, mit dem Wasser im Höhlen-
Innern ganz besonders aussehen müsse. Während sie sich aber
in den Gängen herumtrieben, hatte draußen der Südwind
seine ganze Macht entwickelt. Aus unzähligen Rinnsalen
schwoll das Wasser zusammen– ein mächtiges Plätschern
und Surren verstärkte das Tosen des unterirdischen Gewässers.
In abgerissenen, halb gekeuchten Worten machte Toni
seinem Begleiter begreiflich, daß sie die höchste Eile anzuwenden
hätten, um vor dem nachrückenden Wasser her den Ausgang
zu gewinnen. Vor dem Johlen und Heulen der in den
Kluftengen angestauten Fluth konnte er dessen Antwort
nicht mehr vernehmen.
Sie kamen nun wieder an eine der Engen, durch welche
man sich mühsam auf dem Bauche hindurch winden mußte–
eine schmale Spalte zwischen zwei Gängen.
– Eile dich, daß du hinüberkommst! sagte der Graue,
das Wasser rückt dir nach.
Toni ließ sich das nicht wiederholen. Er legte sich auf
den Boden und zwängte sich, nachdem er die Fackel voraus
hinübergeschoben, mit einiger Anstrengung durch. Drüben
angelangt, hielt er die Fackel nieder auf den Boden, um dem
Fremden durch die Spalte zu leuchten. Er konnte aber nicht
erkennen, daß dieser sich ihm näherte, sondern er hörte nur
die Worte, die in die Höhlung hereinhallend klangen, als
stiegen sie aus einer Gruft:
– Ich komme nicht hinüber! Ich komme nicht hinüber!
Toni dachte jetzt mit Schrecken daran, daß sie auf dem
Herwege nicht durch diesen Gang gekommen waren und daß
sein Begleiter zu beleibt sein möchte, um den Durchgang
ausführen zu können.
– Ziehn Eure Gnaden den Mantel aus, vielleicht auch
dem Rock– so wirds leichter gehen.
Daran, daß er selbst durch einige Stöße auf das zer-
fressene, morsche Gestein den Durchgang erweitern konnte,
dachte er nicht. Von drüben vernahm er nur etwas,
wie ein sonderbares Flüstern. Da er keine Antwort erhielt,
schickte er sich eben an, wieder hinüber zu kriechen und dem
Fremden beizustehen, als es ihm aus der Spalte entgegen-
quoll– ein trübes Wasser mit Blasen, langsam, links und
rechts in die Kalkritze hinein sickernd.
Jesus, Maria und Joseph! rief er hinüber, schleunen
sich Euer Gnaden, sonst wird es zu spät!
Wenn Einer die Unbequemlichkeit nicht scheute, sich ins
Wasser zu legen, so war es immerhin noch ein Leichtes
herüber zu kommen. Denn dieses war nur ungefähr einen
Daumen breit hoch und bot kein Hinderniß.
Toni aber, welcher glaubte, es sei dieß nur der Vor-
läufer eines gewaltigeren Schwalles, der dicht hinter ihm
herabströme, vermeinte nicht anders, als er müsse den Kopf
gleichsam in einen mit Wasser angefüllten Sack stecken, wenn
er es unternähme, wieder in die Felsenröhre zurückzukriechen.
So beschränkte er sich darauf, aus voller Kehle zu dem
Anderen hinüber zu schreien.".."
– Ich komme schon noch zu dir scholl es aus der
Spalte ihm entgegen.-*
In diesem Augenblicke aber hob sich das Wasser mit
einem Ruck so merklich, daß Toni voll Entsetzen beinahe die
Fackel aus der Hand fallen ließ. Es schnarchte, gurgelte,
heulte auf allen Seiten....
Der Kopf des Fremden erschien noch immer nicht dieß-
seits des gewölbten Spaltes. Toni aber kam es vor, als ob
auch von der Seite her, nach welcher hin sie sich zu flüchten
hatten, ein Wasserwulst über den durch die Spalte her-
kommenden sich entgegen dränge, ja diesen überquelle, denn
er fühlte seinen Knöchel, der halb über die plumpen Schuhe
hervorragte, wie von einem schwächlichen Wirbel umfluthet.
Der drüben blieb still, lautlos– das Wasser stieg; da verließ
den Toni Ehrlichkeit und Muth und mit einem lauten Schrei
stürzte er von der Spalte weg den Gang entlang in der
Nacht weiter. Das Wasser spritzte unter seinen weit aus-
gespannten Schritten bis an die Decke der Wölbungen– er
wußte, ja er sah kaum mehr, wohin ihn sein Entsetzen jagte.
Als er zu dem Blocke kam, den der Graue mit einer un-
geheueren Eidechse verglichen hatte, reichte ihm das Wasser
bis an die Hüfte und der Hintertheil des Ungeheuers war
von den überall ausbrechenden Wellen versteckt. Der Tümpel,
in welchem er das Spiegelbild des Grauen gesehen hatte, war
jetzt ein Trichter, in dem sich die quirlende Fluth umhertrieb,
ein letztes Becken, worin sie ruhte, ehe sie die Kraft gewann,
an den abschüssigen Hang des Grotteneinganges hinauf zu
drängen und über seinen Rand befreit hinauszustürzen in das
Thal der donnernden Traun.
Zwischen den Blöcken draußen glimmten die Überreste
des Feuers, welches der Graue angezündet hatte– vielleicht
war jetzt in ihm selbst jener Funken verglommen, dessen er
sich beim Anblick der Wirkungen großer Kräfte noch so sehr
gefreut hatte.––-
Toni erzählte den Leuten in der Hallstatt das traurige
Schicksal seines Begleiters. Die ganze Wahrheit aber blieb
ihnen verschwiegen– denn sie erfuhren nicht, wie leicht es
ihm gewesen wäre, den Fremden zu retten. Jeder war der
Meinung, das Wasser habe den Mann ersäuft, mit fort-
gerissen und in irgend einem versteckten Loche der weit ver-
zweigten Klüfte begraben. Ihn wieder aufzusuchen, daran
dachte Niemand; denn es mußte ein Ding der Unmöglichkeit
sein, die Stelle zu finden, an welche der Leichnam, unter
Geröll verschüttet oder in die finsteren Spalten der Blöcke
eingeklemmt, in einer der unzähligen Gänge und Kammern
des Höhlengebirges hingerollt worden war. Toni hielt nun
auch nicht mehr mit der Erzählung dessen zurück, was er
auf dem Fußsteige vor Hallstatt gesehen hatte– die räthsel-
volle Art, anf welche der Fremde zu Grunde gegangen zu
sein schien, half den erschreckenden Eindruck verstärken, welchen
Tonis erstes Abenteuer mit dem grauen Mann auf die Zu-
hörer hervorbrachte. Am Ende war er doch nur ein Venediger
oder ein Bergwichtel gewesen, welcher den Toni dorthin zu
einem kläglichen, jähen Tod gelockt hatte und spurlos ver-
schwunden war, als er sah, daß es dem Toni unter Gottes
Schutz gelang, sich aus dem Teufelsspiel loszumachen. Mit
dieser Meinung stimmte das ganze Gebahren, welches Toni
schilderte und übertrieb. Die Flammen, in denen er gestanden
war, sein Wissen von Thieren, die nie ein Mensch gesehen
hatte, sein Lachen und vor Allem das Herumpochen an den
Wänden, wie auch die eingefangene Fledermaus, das ging
nicht mit gewöhnlichen Dingen zu.
Indessen, je mehr Andere anfingen, an einen Spuk
zu glauben, desto mehr regte sich bei Toni das Gewissen,
daß er nicht das Äußerste gethan und dem Manne aus der
Höhle drüben durch den Spalt hindurch geholfen hatte. Es
wollte ihm anfangen, zu bedünken, als ob er schlecht gehandelt
habe– die Gefahr war ja noch nicht so groß gewesen und
mehr als einmal träumte ihm von dem ungeheueren Krokodil
der Höhle, daß es fletschend vor sein Bett kommen und ihn
frage, was er mit „seinem Freunde“ angefangen habe.
Indessen, die Zeit heilt Alles. Die Wasser des Winters
und Frühjahres verrannen, die Zweifel und Bedenken des
Salzarbeiters verrannen– es kam der Sommer, Toni
wurde wieder, wie er vorher gewesen war.
Schon oft hatte sein Weib von dem Geld gesprochen,
welches der verschwundene Fremde bei sich getragen haben
müsse und wie schad es sei, daß vielleicht die schönen Thaler
in dem Loche dort drinnen lagen, wo sie Niemanden etwas
nütze wären. Toni bebte Anfangs mit dem Schauder zurück,
den er sich zum großen Theile selbst eingeredet hatte. Bald
aber wich seine Scheu vor der verständigen Auseinandersetzung
seiner Lebensgefährtin. „Wenn es ein Mensch war, wie wir,
sagte sie, so brauchst du dich nicht zu fürchten, nach dem zu
suchen, was mit ihm verloren gegangen ist– du hast Gefahr
an Leib und Leben genug ausgestanden seinetwegen und nicht
einmal einen Kreuzer dafür bekommen. Ich möchte wissen,
ob du dafür nichts nehmen sollst, wenn du es bekommen
kannst. War es aber ein Venediger, nun ja, die Thaler von
denen darf man nehmen, wo man sie findet, die sind so reich
genug. Ich weiß mehr als Einen, der auch reich geworden
ist mit dem, was er auf dem Berg gefunden hat, wo die
Wichteln etwas versteckt haben, so sagen die Leut' und ich
glaub's auch“.–-
Kurzum, an einem schönen Junitage raffte sich der
Pfannentoni auf und ging in die Höhle. Je weiter er darin
vordrang, ohne etwas Auffälliges zu bemerken, desto mehr
wuchs sein Anfangs etwas unsicherer Muth. Erst, als er
den verhängnißvollen Spalt erreichte, stand er einen Augenblick
still. Es war ihm etwas unheimlich geworden, doch rasch
entschlossen, schob er die Fackel vorwärts, sich nach, wie er
es in jener Stunde gethan hatte. Starr schauten die Augen,
nachdem er mühelos bis zum andern Gang durchgekrochen
war. Da lag ein weißer und ein dunkler Gegenstand auf
dem Boden, halb in schlammiges Geröll eingebettet. Toni
bückte sich und erkannte einen zwilchenen Sack mit Steinen,
einen großen ledernen Beutel mit Silber. Beide schwere
Beutel hatte die Fluth, welche die abgelegten Kleider und
den Leichnam mit fortgewälzt haben konnte, auf dem Kalk-
schotter liegen gelassen– wenn es ein Mensch war, dem
sie gehört hatten. Vielleicht aber– doch welche Vielleicht
schwirrten jetzt in Tonis Gehirn! Er nahm Steine und
Silber mit sich. Mehrmals kam ihm der Gedanke, daß er
vielleicht eines Morgens beim Aufstehen auch die Steine in
Thaler verwandelt finden würde.
Von jetzt an ging Toni auch an jedem Werktage in's
Wirthshaus. Niemand konnte sich die Quellen seines plötz-
lich eingetretenen Wohllebens erklären, wenn man das
Wohlleben nennen kann, daß er jeden Abend branntwein-
trunken nach Hause kam und mehrmals halbtodt aus dem
See gezogen wurde. Seine Frau fing an, zu begreifen,
was es mit den Geschenken der Venediger für eine Be-
wandtniß habe. Toni wurde bald arbeitsunfähig; der Berg-
meister jagte ihn von seinem Dienste.
Eines Tages– die Thaler gingen schon stark auf die
Neige– ging Toni in der Abenddämmerung wieder den
Fußsteig. Ein gewaltiger Sturmwind jagte den See zu
klafterhohen Wellen auf. Gerade an der Stelle, an wel-
cher er damals den Venediger zuerst gesehen hatte, rieselte
jetzt ein Gewitterbach herab. In seiner Trunkenheit verfehlte
Toni die Steine, welche gelegt waren, um ihn überschreiten
zu können, und in einem Nu lag er schwer zerschunden
unten zwischen zwei Blöcken am felsigen Ufer. Er war un-
fähig, sich zu bewegen. In gemessenen Zwischenräumen
überstürzte ihn der See mit seiner aufgeregten Fluth und
nahm ihm zeitweilig den Athem. Nach einer Stunde war
er den unzähligen Anstrengungen gegen den Erstickungstod
erlegen.-
Der Graue hatte sich gerächt.
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