top of page
Suche

Der tolle Sepp.

Autorenbild: Gerhard ZaunerGerhard Zauner


Den tollen Sepp, wer kennt ihn nicht.

Den Alten im zerriss’nen Hemde,

Mit ledergelbem Angesicht?

Reicht ihm doch willig jeder Fremde

Als Weggeld einen Kreuzer dar,

Sieht er am Wegsaum dort ihn sitzen,

Mit seinem langen, weißen Haar

Im Strahl der Julisonne schwitzen.


Der Mann hat manchen Schmerz getragen,

Sein Antlitz sagts; doch spricht er nie.

Er hat auf alles Drängen, Fragen

Die Antwort nur: Hä hä, hi hi!

Stopf' ihm die Pfeife mit Tabak,

So wird er brummend sich bequemen,

Des Fremdlings leichten Reisejack

Auf seinem Rücken mitzunehmen,

Auch zeigt er dir den Weg zum See;

Doch stör' ihn nicht mit vielen Fragen;

Die Antwort bleibt: Hi hi, hä hä!

„Könnt ihr den Namen jener Spitze sagen,

Vom Schneefeld links?“—„Hi hi, hi hi!""--

„Doch jene dort, wie nennt man sie;

Gleich einer Nadel seh' ich hoch sie ragen?"–

Er rafft sich auf aus blöder Ruh':

„„Dort ward ein Mann vom Blitz erschlagen

In alter Zeit– hu hu, hu hu!""—

Dann schweigt er still.–


Heut' ist er krank,

Liegt stöhnend auf der Ofenbank

Beim Gosauschmied; vier Uhr ist kaum vorüber,

Schon funkelt hell der Morgenstern,

Der Vollmond schimmert bleicher stets und trüber,

Ein Vöglein singt; die Sonn' ist nimmer fern!


Er hebt den Kopf.—„Willst Wasser trinken?"—

Die Wirthin fragt' s: sein Leiden thut ihr weh'.

Er schlägt ein Kreuz, die Frau versteht sein Winken:

„Lauf' schnell zum Pfarrer, Leni, geh'!“–

Die Dirne rennt.— Bald tritt der Pfarrer ein:

,,Gelobt sei Jesus Christ— Laßt uns allein!"–

Der Kranke richtet sich empor,

Die Lippe bebt, die Augen leuchten,

Und mühsam preßt er dann hervor:

„Es geht zu Ende— beichten will ich – beichten —"


Der greise Pfarrer, milden Blick' s,

Reicht ihm zum Kuß das Crucifix;

Mit seinen Lippen ohne Blut

Berührt er' s kaum; in düstrer Gluth

Brennt ihm das Aug’; sein Angesicht,

Sonst unbeweglich, schlaff und blöde,

Zuckt flammend auf, er stöhnt, er spricht–

Wild und bewegt ist seine Rede:


„Der tolle Sepp war auch vor Jahren

Ein hübscher Bursch' mit braunen Haaren

Und hellem Aug’; kühn und gewandt,

Mit flinkem Fuß und starker Hand;

Ein Mädchen stach mir mächtig in die Augen:

,,Die“, dachť ich, „hat der Himmel dir beschert,

Die soll dir einst zur Hausfrau taugen“.--

Bald hielt auch sie mich lieb und werth.

Doch eh der Spaß ein Jährchen noch gedauert,

Hat, wie' s ja oft zu kommen pflegt,

Der böse Feind, der stets im Dunkeln lauert,

Auch in mein Nest ein Ei gelegt.

Hochsommer war' s; die Felder standen

Im schönsten Gelb. Ein Fremder kam,

Vornehm und reich, aus fernen Landen–

Der war es, der das Schaaf des Armen nahm.

Mit Einem Wort: er sah die Dirne gern,

Und sie--- ihn auch. Die reichen Herrn,

Die wissen stets gar hübsch zu schwäzen–

Der Witz der Weiber ist gering--

Auch er verstand's, dem eitlen Ding

Verrückte Grillen in den Kopf zu setzen.

Das stahl mir alle Lebenslust;

Still wuchs der Zorn in meiner Brust.

Es kam ein schwüler Nachmittag,

Da rief's in mir:„ Du sollst die Dirne fragen,

Sie soll, ob sie zum Mann dich mag

Dir selbst mit klaren Worten sagen.“–

Gedacht, gethan!– Die Dirne spricht:

„Mußt von der Graswand mich herunterholen."—

Ich seh' ihr schönes Angesicht-

Sie hatt es einem Engel abgestohlen—

Und werde warm; mit sanftem Kosen

Sprech' ich zu ihr: „ Dort im Gestein,

Mein Schatz, gibt' s keine Alpenrosen:

Dort kannst du nicht zu holen sein!""

Die Dirne d'rauf: „Stolz und allein

Steht eine Zirbel auf den höchsten Zinnen;

Die bring' mir her, so bin ich dein---

Ein Mensch mit scharfen, klaren Sinnen

Kann sie an hellen Tagen sehn

Hoch auf der Felsennadel steh'n.“–

„Das ist ein böser Zeitvertreib,

Hoffärtig Mägdlein laß dir sagen,

Denn solch ein Spaß heißt nicht den Leib,

„„Heißt auch die Seel um eine Zirbel wagen!""–

Die Dirne dreht sich um und lacht:

„Der andre hat sich nicht so lang' bedacht!"—

„„Der andre– Wer?_"",,Der fremide Mann“–

Aufschäumt mein Blut im Herzensgrunde:

,,,,Der Fremde ist gegangen? Wann?""–

„Nicht länger ist' s, als eine halbe Stunde.“–

Da fahr' ich auf in wilder Wuth:

,,,,Das wag' ich auch, was jener thut!""

Nehm' rasch den Alpenstock zur Hand:

Mit Gottes Hilfe soll's mir glücken!

Zwei schwere Stunden– und ich stand

Rechts von der Graswand auf dem Felsenrücken.


Im Busen fühlt ich's mächtig klopfen,

Auf meiner Stirne stand der Schweiß,

Ich trocknete die hellen Tropfen

Und sah zurück, vom Steigen Heiß.

Rings alles farblos, trüb und kahl,

Kein Laut durchtönt die Felsenmassen,

Die Lüfte schwül; ein Sonnenstrahl

Glänzt friedlich drüben auf dem Plassen.

Ich sah mich um: Die Sonne sank

In eine graue Wolkenbank.

Fern an den Tauern regte sich

Sekundenlang ein mattes Glimmen;

Rasch brach ich auf und wandte mich,.

Die Felsennadel zu erklimmen,

Nachdem ich Gott noch im Gebet

Um seinen Beistand angefleht.


Vor meinen Augen, schroffgezackt,

Zog aufwärts eine Klippenschneide

Empor zum Gipfel, steil und nackt—

Selbst eine Ziege fände keine Weide!

Nur Riff an Riff: Die Gemse zagt,

Eh sie hinanzuklettern wagt.


Da gilt' s das Leben-- Einerlei!

Was thut man nicht, ein Mädchen zu erringen?

Bist ja noch jung und sorgenfrei;

Nur frisch gewagt, so wird's gelingen!

Mit einer Hand den Fels gepackt,

Den Bergstock kräftig eingehackt!

Nach aufwärts einen kecken Schwung,

Dann auf die Klippe einen Sprung!—

Noch einmal so! Rutscht unter deinem Schuh

Auch das Geröll– blick nicht hinunter!

Nur immer aufwärts ohne Ruh',

Ob deine Hand auch blutet, aufwärts munter!

Nun packe fest den Leckernstrauch!

Schwing' dich herum! Nun auf den Bauch!

Mag' s meilentief auf beiden Seiten gähnen,

Dein Fuß ist fest, der Stein ist hart—

Gelungen ist' s! Vergebens harrt

Der Rachen mit den spitzen Zähnen!–

Das Wetter stieg; doch höher gieng's,

Ich sah nicht rechts, ich sah nicht links,

Nur immer vor! Mit kühnem Griff

Schwing' ich mich um das letzte Riff,

Noch Einen Wagesprung— ich stand

Hoch auf der Zinne ohne Grauen,

That ein Jauchzer, Herr, und– fand–

Die Zirbelkiefer— abgehauen!–


Das fuhr mir schütternd durch' s Gebein,

Mein Herzblut kocht, die Pulse toben,

Den Bergstock schlug ich an's Gestein,

Daß sprühend rings die Funken stoben!

Klar stand vor mir mein Mißgeschick:

Der Fremde hat die Braut mir weggestohlen!


Ich schrie hinab mit wildem Blick:

„Hab' meine Seele und mein Glück

Vor einer Stunde Gott befohlen,

Der mich betrog,– ich nehm' s zurück:

Mag meine Seel der Teufel holen!“–


Dann lachť ich auf– mein Lachen klang

Gar schaurig das Gebirg' entlang,

Ein Geier schrie, mit hellem Pfiff

Sprang eine Gems um’s nächste Riff,

Dann tiefe Ruh’; fern hört' ich rasseln

Noch das Geröll in wilder Kluft;

Ein fahler Schein– ein fernes Prasseln-

Ein leises Rauschen durch die Luft

Ein kühler Hauch– ich sah mich um:

Rings alles grau und trüb und stumm.

Erloschen war der Sonnenschein

Auch drüben längst am Plassenstein.

Grau schien des Dachstein' s Gletscherschnee,

Umstarrt von wetterbleichen Zinken,

Tief unten lag der Gosausee,

Als wollt er mich hinunterwinken,

Dort stand das Gemsfeld dunstig grau,

Dort das Gebirg' von Abtenau,

Der Watzmann dort.— Am Himmel stand

Im Westen eine dunkle Wand,

Am Horizont ein fahles Wolkenmeer

Umbrandete die Glocknerspitze,

Und immer düst'rer ward's umher,

Und immer greller züngelten die Blitze.


Laut schrie ich auf in Zorn und Pein

Und sprang hinab von Stein zu Stein,

Von Riff zu Riff; hinab, hinauf

Ging es nun fort in tollem Lauf;

Auf einer Schneide, scharf und schroff,

Indeß von Schweiß die Stirne troff,

Hielt ich dann Rast, auf meinen Stock gebückt,

Umgeben rings von Schrecken und Gefahren–

Wer rechts und links hinunterblickt,

Den packt der Schwindel jählings bei den Haaren.

Kaum sichtbar fern am Himmelsrand

Lag sonnighell das flache Land,

Doch düster rings das Gosauthal,

Gewölk’ umzog die Thorsteinspitze,

Die Gletscher drunten, weißlich fahl;

Hoch hinter mir aus einer Felsenritze

Quoll's nun herein, wie weißer Dampf,

Und senkte sich herab in wilden Wirbeln;

Erst tiefe Ruh', wie vor dem Ktampf–

Dann fuhr ein Windstoß heulend durch die Zirbeln,

Dann wieder Stille.— Dumpf und bang

Hör' ich die Wälder in der Tiefe klagen

Und drüben an dem Bergeshang

Seh' ich die Wolken sturmbeflügelt jagen–

Nun wird es dunkel.– Plößlich klang

Ein schwerer Schritt die Schneid' entlang;

Ich späh' hinan, so scharf ich kann,

Die Schritte schallen näher stets und tiefer—

Er ist's! Er ist's! Der fremde Mann,

Der Fremde mit der Zirbelkiefer!–

Nun pfeilgeschwind emporgeschnellt

Und breit und plump den Weg verstellt!

Laut pocht mein Herz in raschen Schlägen,

Nun tritt der Fremde mir entgegen,

Die Zirbel tragend, kreidebleich,

Die Stirn' umrahmt von schwarzen, wirren Locken;

Fast schien er mir dem Teufel gleich;

Er starrt mich an, zu Tod erschrocken.-


Du kennst sie nicht, die höchste Wuth,

Die sieden macht des Lammes Blut,

Die glühend uns den Geist betäubt

Und uns das Haar zu Berge sträubt!


Mein Odem feucht, mein Herz schlägt schwer;

Ich schrei' ihn an: „Die Zirbel her!"—

,,,,Der Baum ist mein nach Recht und Fug;

Der Weg ist schmal— laß’ mich vorüber!""—

„Er ist für Einen breit genug!"—

Durch meine Glieder läuft' s wie Fieber.–

„Gib Raum mein Freund, der Weg ist schmal."—

„„Stirb oder gib die Zirbel! Wähle!""—

„ Weich aus, ich sag's zum letzten Mal!"-.

„„ Du gibst sie nicht?– Dem Teufel Deine Seele!""—

Ich pack' ihn an mit voller Wucht–

Ein wilder Kampf von zwei Sekunden–

Wir taumeln an den Rand der Schlucht—

Ein Stoß- er wankt— ein Schrei— er ist verschwunden.

Laut schrei' ich noch: „Die Zirbel her!"

Er reißt sie mit– da ging der Nebel nieder.

Ich klomm hinab, mein Suchen half nichts mehr:

Die Zirbel sah ich niemals wieder!


In wilder Angst, in Reu' und Qual

Spreng’ ich hinab in's Gosauthal;

Schon ist es Nacht– ich stürm' hinein

In ihr Gemach, sie ist allein.

Ihr blasses Angesicht verklärt

Der rothe Feuerglanz vom Herd.—

,,Die Zirbel hab' ich nicht gebracht,

Hab' im Gebirge sie verloren

In Nacht und Sturm“– Die Dirne lacht—

Noch klingt ihr Lachen schrill mir in die Ohren!—

Ich sprach: Wer mir die Zirbel bringt,

Nur der ist's, der die Braut erringt;–

Der Fremde bringt sie mir gewiß!""—

,,Der Fremde, Dirn'? Der Fremde klettert

Wohl jetzt noch durch die Finsternis,

Wenn nicht– ein Blitz ihn lange schon zerschmettert.“

Dann lacht' ich auf und schoß hinaus

Und bot mein Haupt dem Wettergraus.–


Gestorben ist schon längst die Dirn',

Ich aber wurde krank im Hirn.

Der fremde Herr– Gott schenk ihm sein Erbarmen-

Ihn ward sein Recht: er stahl das Schaaf des Armen!

Das Eine nur begreif' ich nie,

Daß Gott der Herr– hi hi— hi hi"


Er sinkt zurück, ein Stöhnen, er ist todt.–

Durch' s Fenster glüht das Morgenroth,

Bestrahlt mit seinem milden Licht

Des Alten bleiches Angesicht.




Druck von W. Drugulin in Leipzig.

Gedichte

Wien: L. Rosner, 1878.


84 Ansichten0 Kommentare

Aktuelle Beiträge

Alle ansehen

Comments


bottom of page