Den tollen Sepp, wer kennt ihn nicht.
Den Alten im zerriss’nen Hemde,
Mit ledergelbem Angesicht?
Reicht ihm doch willig jeder Fremde
Als Weggeld einen Kreuzer dar,
Sieht er am Wegsaum dort ihn sitzen,
Mit seinem langen, weißen Haar
Im Strahl der Julisonne schwitzen.
Der Mann hat manchen Schmerz getragen,
Sein Antlitz sagts; doch spricht er nie.
Er hat auf alles Drängen, Fragen
Die Antwort nur: Hä hä, hi hi!
Stopf' ihm die Pfeife mit Tabak,
So wird er brummend sich bequemen,
Des Fremdlings leichten Reisejack
Auf seinem Rücken mitzunehmen,
Auch zeigt er dir den Weg zum See;
Doch stör' ihn nicht mit vielen Fragen;
Die Antwort bleibt: Hi hi, hä hä!
„Könnt ihr den Namen jener Spitze sagen,
Vom Schneefeld links?“—„Hi hi, hi hi!""--
„Doch jene dort, wie nennt man sie;
Gleich einer Nadel seh' ich hoch sie ragen?"–
Er rafft sich auf aus blöder Ruh':
„„Dort ward ein Mann vom Blitz erschlagen
In alter Zeit– hu hu, hu hu!""—
Dann schweigt er still.–
Heut' ist er krank,
Liegt stöhnend auf der Ofenbank
Beim Gosauschmied; vier Uhr ist kaum vorüber,
Schon funkelt hell der Morgenstern,
Der Vollmond schimmert bleicher stets und trüber,
Ein Vöglein singt; die Sonn' ist nimmer fern!
Er hebt den Kopf.—„Willst Wasser trinken?"—
Die Wirthin fragt' s: sein Leiden thut ihr weh'.
Er schlägt ein Kreuz, die Frau versteht sein Winken:
„Lauf' schnell zum Pfarrer, Leni, geh'!“–
Die Dirne rennt.— Bald tritt der Pfarrer ein:
,,Gelobt sei Jesus Christ— Laßt uns allein!"–
Der Kranke richtet sich empor,
Die Lippe bebt, die Augen leuchten,
Und mühsam preßt er dann hervor:
„Es geht zu Ende— beichten will ich – beichten —"
Der greise Pfarrer, milden Blick' s,
Reicht ihm zum Kuß das Crucifix;
Mit seinen Lippen ohne Blut
Berührt er' s kaum; in düstrer Gluth
Brennt ihm das Aug’; sein Angesicht,
Sonst unbeweglich, schlaff und blöde,
Zuckt flammend auf, er stöhnt, er spricht–
Wild und bewegt ist seine Rede:
„Der tolle Sepp war auch vor Jahren
Ein hübscher Bursch' mit braunen Haaren
Und hellem Aug’; kühn und gewandt,
Mit flinkem Fuß und starker Hand;
Ein Mädchen stach mir mächtig in die Augen:
,,Die“, dachť ich, „hat der Himmel dir beschert,
Die soll dir einst zur Hausfrau taugen“.--
Bald hielt auch sie mich lieb und werth.
Doch eh der Spaß ein Jährchen noch gedauert,
Hat, wie' s ja oft zu kommen pflegt,
Der böse Feind, der stets im Dunkeln lauert,
Auch in mein Nest ein Ei gelegt.
Hochsommer war' s; die Felder standen
Im schönsten Gelb. Ein Fremder kam,
Vornehm und reich, aus fernen Landen–
Der war es, der das Schaaf des Armen nahm.
Mit Einem Wort: er sah die Dirne gern,
Und sie--- ihn auch. Die reichen Herrn,
Die wissen stets gar hübsch zu schwäzen–
Der Witz der Weiber ist gering--
Auch er verstand's, dem eitlen Ding
Verrückte Grillen in den Kopf zu setzen.
Das stahl mir alle Lebenslust;
Still wuchs der Zorn in meiner Brust.
Es kam ein schwüler Nachmittag,
Da rief's in mir:„ Du sollst die Dirne fragen,
Sie soll, ob sie zum Mann dich mag
Dir selbst mit klaren Worten sagen.“–
Gedacht, gethan!– Die Dirne spricht:
„Mußt von der Graswand mich herunterholen."—
Ich seh' ihr schönes Angesicht-
Sie hatt es einem Engel abgestohlen—
Und werde warm; mit sanftem Kosen
Sprech' ich zu ihr: „ Dort im Gestein,
Mein Schatz, gibt' s keine Alpenrosen:
Dort kannst du nicht zu holen sein!""
Die Dirne d'rauf: „Stolz und allein
Steht eine Zirbel auf den höchsten Zinnen;
Die bring' mir her, so bin ich dein---
Ein Mensch mit scharfen, klaren Sinnen
Kann sie an hellen Tagen sehn
Hoch auf der Felsennadel steh'n.“–
„Das ist ein böser Zeitvertreib,
Hoffärtig Mägdlein laß dir sagen,
Denn solch ein Spaß heißt nicht den Leib,
„„Heißt auch die Seel um eine Zirbel wagen!""–
Die Dirne dreht sich um und lacht:
„Der andre hat sich nicht so lang' bedacht!"—
„„Der andre– Wer?_"",,Der fremide Mann“–
Aufschäumt mein Blut im Herzensgrunde:
,,,,Der Fremde ist gegangen? Wann?""–
„Nicht länger ist' s, als eine halbe Stunde.“–
Da fahr' ich auf in wilder Wuth:
,,,,Das wag' ich auch, was jener thut!""
Nehm' rasch den Alpenstock zur Hand:
Mit Gottes Hilfe soll's mir glücken!
Zwei schwere Stunden– und ich stand
Rechts von der Graswand auf dem Felsenrücken.
Im Busen fühlt ich's mächtig klopfen,
Auf meiner Stirne stand der Schweiß,
Ich trocknete die hellen Tropfen
Und sah zurück, vom Steigen Heiß.
Rings alles farblos, trüb und kahl,
Kein Laut durchtönt die Felsenmassen,
Die Lüfte schwül; ein Sonnenstrahl
Glänzt friedlich drüben auf dem Plassen.
Ich sah mich um: Die Sonne sank
In eine graue Wolkenbank.
Fern an den Tauern regte sich
Sekundenlang ein mattes Glimmen;
Rasch brach ich auf und wandte mich,.
Die Felsennadel zu erklimmen,
Nachdem ich Gott noch im Gebet
Um seinen Beistand angefleht.
Vor meinen Augen, schroffgezackt,
Zog aufwärts eine Klippenschneide
Empor zum Gipfel, steil und nackt—
Selbst eine Ziege fände keine Weide!
Nur Riff an Riff: Die Gemse zagt,
Eh sie hinanzuklettern wagt.
Da gilt' s das Leben-- Einerlei!
Was thut man nicht, ein Mädchen zu erringen?
Bist ja noch jung und sorgenfrei;
Nur frisch gewagt, so wird's gelingen!
Mit einer Hand den Fels gepackt,
Den Bergstock kräftig eingehackt!
Nach aufwärts einen kecken Schwung,
Dann auf die Klippe einen Sprung!—
Noch einmal so! Rutscht unter deinem Schuh
Auch das Geröll– blick nicht hinunter!
Nur immer aufwärts ohne Ruh',
Ob deine Hand auch blutet, aufwärts munter!
Nun packe fest den Leckernstrauch!
Schwing' dich herum! Nun auf den Bauch!
Mag' s meilentief auf beiden Seiten gähnen,
Dein Fuß ist fest, der Stein ist hart—
Gelungen ist' s! Vergebens harrt
Der Rachen mit den spitzen Zähnen!–
Das Wetter stieg; doch höher gieng's,
Ich sah nicht rechts, ich sah nicht links,
Nur immer vor! Mit kühnem Griff
Schwing' ich mich um das letzte Riff,
Noch Einen Wagesprung— ich stand
Hoch auf der Zinne ohne Grauen,
That ein Jauchzer, Herr, und– fand–
Die Zirbelkiefer— abgehauen!–
Das fuhr mir schütternd durch' s Gebein,
Mein Herzblut kocht, die Pulse toben,
Den Bergstock schlug ich an's Gestein,
Daß sprühend rings die Funken stoben!
Klar stand vor mir mein Mißgeschick:
Der Fremde hat die Braut mir weggestohlen!
Ich schrie hinab mit wildem Blick:
„Hab' meine Seele und mein Glück
Vor einer Stunde Gott befohlen,
Der mich betrog,– ich nehm' s zurück:
Mag meine Seel der Teufel holen!“–
Dann lachť ich auf– mein Lachen klang
Gar schaurig das Gebirg' entlang,
Ein Geier schrie, mit hellem Pfiff
Sprang eine Gems um’s nächste Riff,
Dann tiefe Ruh’; fern hört' ich rasseln
Noch das Geröll in wilder Kluft;
Ein fahler Schein– ein fernes Prasseln-
Ein leises Rauschen durch die Luft
Ein kühler Hauch– ich sah mich um:
Rings alles grau und trüb und stumm.
Erloschen war der Sonnenschein
Auch drüben längst am Plassenstein.
Grau schien des Dachstein' s Gletscherschnee,
Umstarrt von wetterbleichen Zinken,
Tief unten lag der Gosausee,
Als wollt er mich hinunterwinken,
Dort stand das Gemsfeld dunstig grau,
Dort das Gebirg' von Abtenau,
Der Watzmann dort.— Am Himmel stand
Im Westen eine dunkle Wand,
Am Horizont ein fahles Wolkenmeer
Umbrandete die Glocknerspitze,
Und immer düst'rer ward's umher,
Und immer greller züngelten die Blitze.
Laut schrie ich auf in Zorn und Pein
Und sprang hinab von Stein zu Stein,
Von Riff zu Riff; hinab, hinauf
Ging es nun fort in tollem Lauf;
Auf einer Schneide, scharf und schroff,
Indeß von Schweiß die Stirne troff,
Hielt ich dann Rast, auf meinen Stock gebückt,
Umgeben rings von Schrecken und Gefahren–
Wer rechts und links hinunterblickt,
Den packt der Schwindel jählings bei den Haaren.
Kaum sichtbar fern am Himmelsrand
Lag sonnighell das flache Land,
Doch düster rings das Gosauthal,
Gewölk’ umzog die Thorsteinspitze,
Die Gletscher drunten, weißlich fahl;
Hoch hinter mir aus einer Felsenritze
Quoll's nun herein, wie weißer Dampf,
Und senkte sich herab in wilden Wirbeln;
Erst tiefe Ruh', wie vor dem Ktampf–
Dann fuhr ein Windstoß heulend durch die Zirbeln,
Dann wieder Stille.— Dumpf und bang
Hör' ich die Wälder in der Tiefe klagen
Und drüben an dem Bergeshang
Seh' ich die Wolken sturmbeflügelt jagen–
Nun wird es dunkel.– Plößlich klang
Ein schwerer Schritt die Schneid' entlang;
Ich späh' hinan, so scharf ich kann,
Die Schritte schallen näher stets und tiefer—
Er ist's! Er ist's! Der fremde Mann,
Der Fremde mit der Zirbelkiefer!–
Nun pfeilgeschwind emporgeschnellt
Und breit und plump den Weg verstellt!
Laut pocht mein Herz in raschen Schlägen,
Nun tritt der Fremde mir entgegen,
Die Zirbel tragend, kreidebleich,
Die Stirn' umrahmt von schwarzen, wirren Locken;
Fast schien er mir dem Teufel gleich;
Er starrt mich an, zu Tod erschrocken.-
Du kennst sie nicht, die höchste Wuth,
Die sieden macht des Lammes Blut,
Die glühend uns den Geist betäubt
Und uns das Haar zu Berge sträubt!
Mein Odem feucht, mein Herz schlägt schwer;
Ich schrei' ihn an: „Die Zirbel her!"—
,,,,Der Baum ist mein nach Recht und Fug;
Der Weg ist schmal— laß’ mich vorüber!""—
„Er ist für Einen breit genug!"—
Durch meine Glieder läuft' s wie Fieber.–
„Gib Raum mein Freund, der Weg ist schmal."—
„„Stirb oder gib die Zirbel! Wähle!""—
„ Weich aus, ich sag's zum letzten Mal!"-.
„„ Du gibst sie nicht?– Dem Teufel Deine Seele!""—
Ich pack' ihn an mit voller Wucht–
Ein wilder Kampf von zwei Sekunden–
Wir taumeln an den Rand der Schlucht—
Ein Stoß- er wankt— ein Schrei— er ist verschwunden.
Laut schrei' ich noch: „Die Zirbel her!"
Er reißt sie mit– da ging der Nebel nieder.
Ich klomm hinab, mein Suchen half nichts mehr:
Die Zirbel sah ich niemals wieder!
In wilder Angst, in Reu' und Qual
Spreng’ ich hinab in's Gosauthal;
Schon ist es Nacht– ich stürm' hinein
In ihr Gemach, sie ist allein.
Ihr blasses Angesicht verklärt
Der rothe Feuerglanz vom Herd.—
,,Die Zirbel hab' ich nicht gebracht,
Hab' im Gebirge sie verloren
In Nacht und Sturm“– Die Dirne lacht—
Noch klingt ihr Lachen schrill mir in die Ohren!—
Ich sprach: Wer mir die Zirbel bringt,
Nur der ist's, der die Braut erringt;–
Der Fremde bringt sie mir gewiß!""—
,,Der Fremde, Dirn'? Der Fremde klettert
Wohl jetzt noch durch die Finsternis,
Wenn nicht– ein Blitz ihn lange schon zerschmettert.“
Dann lacht' ich auf und schoß hinaus
Und bot mein Haupt dem Wettergraus.–
Gestorben ist schon längst die Dirn',
Ich aber wurde krank im Hirn.
Der fremde Herr– Gott schenk ihm sein Erbarmen-
Ihn ward sein Recht: er stahl das Schaaf des Armen!
Das Eine nur begreif' ich nie,
Daß Gott der Herr– hi hi— hi hi"
Er sinkt zurück, ein Stöhnen, er ist todt.–
Durch' s Fenster glüht das Morgenroth,
Bestrahlt mit seinem milden Licht
Des Alten bleiches Angesicht.
Druck von W. Drugulin in Leipzig.
Gedichte
Berger, Alfred, Freiherr von, 1853-1912
Wien: L. Rosner, 1878.
Zitierlink: http://data.onb.ac.at/rep/1132320E
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