Erzählung von Marie von Salzberg.
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Wohl Jeder, der in früheren Jahren den Weg zum Gosausee gewandelt, wird sich des „tollen Sepp" erinnern. Lange Jahre saß der arme Teufel am Straßensaume, das ledergelbe Angesicht von langen, weißen Haaren umflattert, um seine Dienste den Vorübergehenden anzubieten, oder auch, um von denselben eine milde Gabe zu erbetteln. Der Alte war eine sympathische Erscheinung, mitleiderregend durch die Spuren des herben Schmerzes, die, deutlicher als Wehklagen es vermochten Jedermann sagten: der Mann hat die bittere Schule des Elends und Unglücks durchgemacht. Und nur das Antlitz allein vermochte über die düstere Vergangenheit des armen Sepp Andeutungen zu geben; denn er blieb allen Fragen gegenüber taub und fand keine Antwort für die theilnahmsvolle Neugier der Reisenden; es war nicht möglich, von ihm auch nur ein Wort über seine Vergangenheit zu hören.
Fragte man ihn um seine persönlichen Verhältnisse in der Vergangenheit, dann antwortete er blos durch ein blödes Lachen, welches die Meinung erweckte, der Mann sei von Sinnen; sein ganzes Wesen deutete darauf hin, daß er die Kraft zu denken und die Empfindung für Eindrücke verloren habe; er war stumpf und unbeholfen, und zeigte nur dann eine Energie, wenn es galt, zudringliche Frager abzuwehren. Wenn er, mit einem leichten Reisesacke auf seiner Achsel, Fremden den Weg nach dem Gesäuse zeigte, hielt er sich stets einige Schritte hinter Denjenigen, die seine Dienste benöthigten, wohl darum, um unbequemen Fragen auszuweichen. Er wollte nicht durch Fragen belästigt sein und wurde sogar, trotz seiner sonstigen höflichen Unterwürfigkeit, barsch, wenn man in ihn drängte; auf eine Frage nur gab er willig Antwort.
Doch klang sein Wort unheimlich und verworren und fast beängstigend war der Blick, der es begleitete. Diese Frage, welche den Alten so lebhaft erregte, lautete:
„Kannst Du mir wohl den Namen jener Spitze sagen, links vom Schneefeld?"
Die Erwähnung der Spitze links vom Schneefelde störte die fast blöde Ruhe des Sepp; er raffte sich zu einer Antwort auf, und es war, als wecke diese Spitze in ihm schmerzliche Erinnerungen an Tage, die vergangen sind, deren trübe Wirkungen jedoch noch andauerten. Diese Frage trieb ihm das Blut in das purpurfarbene Antlitz, seine Augen vergrößerten sich und entsetzt pflegte er zitternd zu antworten:
„Ja, ja, in alter Zeit wurde dort ein Mann vom Blitz erschlagen!"
Ein Schauer machte dabei seinen dürren Leib erbeben und rasch wendete er den Blick von der Spitze ab, um wieder mit einem blöden Lachen in den früheren Zustand der Empfindungslosigkeit zu verfallen.
So sehr sich auch Touristen, denen diese Veränderung im Wesen des Sepp auffallen mußte, bemühten, Näheres zu erfahren, war alles Zureden vergeblich; Sepp war nicht zu bewegen, auch nur ein Wort zu sprechen; was man ihm auch sagen mochte, er blieb starr und unempfindlich für Versprechungen und Drohungen; seine Vergangenheit war und blieb sein Geheimniß und erst der Tod vermochte ihm dasselbe zu entreißen: Auf der Ofenbank beim Gosauschmied entdeckte er dem Priester, der gekommen war, ihm die Tröstungen des Glaubens zu spenden, seinen Schmerz. Vom fernen Kirchthurme schlug die vierte Morgenstunde; hell funkelten die Morgensterne, während der Vollmond erbleichte. Im Osten begann der Himmel sich leise zu röthen. Doch für den blöden Sepp leuchtete heute die Sonne vergebens; aus der Ofenbank hatte er sein hartes Lager aufgeschlagen, von dem er wußte, daß es sein Sterbelager sein werde. Wohl klagte Sepp, der ganz andere Schmerzen erfahren hat, als jene, welche die Natur als Tribut für das Leben beim Sterben verlangt, nicht, allein seiner Umgebung, der braven Wirthin, konnte der Zustand des Schwerkranken kein Geheimniß sein; sie fragte theiluahmsvoll nach seinem Wunsche. Sepp antwortete nicht, aber er verstand die Frage und schlug andächtig das Zeichen des Kreuzes, nach der Thüre deutend. Die gute Frau verstand den Wink und sandte eilig nach dem Pfarrer, welcher bald darauf mit frommem Gruße die Stube betritt. Ehrerbietig entfernen sich die Anwesenden; der Priester bleibt allein mit dem Schwerkranken. Dieser richtet sich hastig empor, die Augen leuchten, die bleichen Lippen beben, mühsam preßt er die Worte hervor:
„Es geht zu Ende mit mir — ich will beichten."
Milden Blickes reicht ihm der greise Pfarrer das Crucifix zum Kusse dar. Dehmüthig berührt es der Kranke mit dem Munde; seine Augen brennen in düsterer Gluth, sein Angesicht, das sonst so schlaff und blöde zuckt, flammt auf, und mit schmerzerstickter Stimme erzählt der Sterbende dem Priester seine Lebensgeschichte, welche eine Passionsgeschichte ist.
Vor langen Jahren war der tolle Sepp ein hübscher, frischer Bursche, einer der schmuckesten in der ganzen Gegend, dem gegenüber die Mädchen mit dem Beweise ihrer Gunst und Bereitwilligkeit nicht sparten. Allein Sepp war kein leichtfertiger Patron, der sich die Gelegenheit zu Nutzen gemacht hätte; ihm stach nur ein Mädchen mächtig in die Augen, und diese war es, um die er sich allein bewarb: er kümmerte sich nicht um die übrigen im Dorfe und hatte nur für die Eine Auge und Empfindung, für sie, von der er meinte, der Himmel selbst habe sie dazu ausersehen, seine Hausfrau zu werden. Auch diese Auserwählte hatte Sepp liebgewonnen und mit froher Zuversicht glaubte der Bursche einer glücklichen Zukunft entgegen zu gehen. Doch noch war kaum ein Jahr des freudigen Hoffens vergangen — da nahm das Glück ein jähes Ende.
Im Hochsommer war es, die Aehren standen in goldener Pracht; da kam ein reicher, vornehmer Fremder in den Ort, welcher Sepp und sein treues Liebchen beherbergte. Der sah das Mädchen gerne und that ihr schön; mit süßen Schmeicheleien gewann er bald ihr Herz und bethörte den leichten Sinn der für Schmeicheleien leicht zugänglichen Dirne. Sepp sah, wie der Fremde sich um ihre Liebe nicht ganz vergeblich bewarb, allein er mußte schweigen; es fehlte ihm der Muth, der Dirne offen entgegenzutreten und dann glaubte er an die baldige Abreise des Fremden.
Allein der Fremde blieb, und Sepp vermochte seinen Zorn nicht mehr zu meistern; er faßte einen Entschluß. Er ging zu seinem Mädchen und fragte sie, was sie im Sinne habe, ob sie ihm noch immer so gut sei wie ehedem und die Seine werden wollte; er bat sie innig, in klaren Worten zu sagen, ob sie ihn noch zum Manne haben wolle.
„Auf meine bange Frage," erzählte der Sterbende in tonloser Stimme dem Priester, „antwortete sie neckisch lachend:
„Wenn Du mich willst, so mußt Du mich von der Graswand runterholen." „Mein Schatz," sagte ich darauf, „in dem öden Gestein dort oben gibt es keine mAlpenrosen, von dort kann mein Liebchen nicht zu holen sein." „Stolz und allein," erwiderte sie, „steht aus der höchsten Zinne eine kleine verwachsene Zierbel, die bring' mir her, dann bin ich Dein." „Hoffärtiges Mädchen!" rief ich entrüstet aus „laß' Dir diesen Gedanken vergehen, ein solches Wagniß hieße Gott versuchen, hieße Leib und Seele an eine Zierbel wagen!" „Da wendete sie mir verächtlich den Rücken und sprach spöttisch lachend: „Der Andere har sich nicht solang bedacht!"
„DerAndere — wer?" — „Der Fremde."
Da schäumte mein Blut im Herzensgrunde und wild stieß ich die Frage her vor:
„Wann ist er fort gegangenß"
Gleichmüthig antwortete das Mädchen: „Kaum eine halbe Stunde ist es her."
„Was der wagt, thu' ich auch," rief ich, ergriff in wilder Wuth meinen Alpenstock und vorwärts ging's.
„Zwei schwere Stunden waren verflossen, endlich stand ich auf dem Felsenrücken, rechts von der Graswand. Mächtig fühlte ich es in der Brust klopfen, in großen Tropfen stand der Schweiß auf meiner Stirne. Ich gönnte mir ein paar Minuten Rast und sah zurück. Rings war alles trüb und farblos, kein Laut störte die tiefe Einsamkeit; die Luft war schwül. Drüben auf dem Plassen glänzte ein Sonnenstrahl, bald aber sank die Sonne in eine graue Wolkenbank. Fern von den Tauern regte sich ein mattes Glimmen; rasch brach ich auf, um die Felsennadel zu erreichen. Innig bat ich zu Gott um seinen gnädigen Schutz. Vor meinen Angen zog sich eine Klippenscheide aufwärts, so steil und nackt, daß keine Ziege eine Weide gefunden hätte. Riff stand an Riff, dort mag selbst die Gemse zögern, ehe sie es wagt, hinabzuklettern. Nun, dacht' ich, gilt's das Leben! — Doch einerlei! — ich wollte es wagen, ich mußte es, da ich nur hiedurch in den Besitz meines Schatzes gelangen konnte. Ich hoffte, daß es mir gelingen werde. War ich doch jung und stark und geübt in dem Erklettern der Berge! Mit einer Hand den Fels ergriffen und den Bergstock kräftig eingehackt! Nun aufwärts mit einem kecken Sprung von Klippe zu Klippe. Unter meinen Füßen rutschte das Gerölle — ich blickte nicht hinunter. Ohne Ruhe ging es aufwärts, ob auch die Hände bluteten, fest griff ich in die Leckerstauden. Meilentief gähnte der Abgrund zu beiden Seiten, seines Opfers harrend, mit spitzen Zähnen — umsonst — mein Fuß war fest; es mußte ja gelingen. Das Wetter stieg: ich sah nicht rechts, nicht links — nur immer vorwärts! Kühn schwang ich mich um das letzte Riff — noch einen Wagesprung — ohne Scheu stand ich auf der höchsten Zinne, that einen frohen Jauchzer und fand zu meinem Entsetzen, daß die Zierbelkiefer bereits abgehauen war. Das fuhr mir schüttelnd durch's Gebein, mein Herzblut kochte, die Pulse bebten, ich schlug den Bergstock an den Stein, daß die Funken stoben. Mein Mißgeschick stand klar vor mir: mit der Zierbelkiefer war mir die Braut gestohlen worden! Der Fremde hatte sie errungen! Wild schrie ich hinab:
„Vor einer Stunde erst befahl ich Gott, Leib und Seele — er hat mich nicht erhört — ich nehm's zurück, mag der Teufel meine Seele holen!"
Und hellauf lachte ich, daß es schaurig durch das Gebirge hallte Erschrocken flog ein Geier auf und eine Gemse sah ich scheu um das nächste Riff springen, als wäre sie aufgescheucht durch meine gottvergessene Rede. Dann herrschte wieder tiefe Stille. Fern nur vernahm ich, wie das Gerölle zur steilen Schlucht hinunter rollte. Da zuckte ein Blitz auf, dem ein dumpfer Donner folgte. Ein leises Rauschen ging durch die Luft, ein kühler Hauch. Ich sah um mich, rings war alles trüb und fahl. Längst war der Sonnenschein erloschen; des Dachsteins Gletscherschnee schien grau vor wetterbleichen Zinken umstarrt. Tief unten lag der Gosausee: in Dunst gehüllt stand das Gemsfeld, der Watzmann und das Gebirge der Aptenau. Es ward immer dunkler, ein wüstes Wolkenmeer wogte am Horizont: immer greller zuckten die Blitze. Laut aufschreiend in Zorn und Schmerz sprang ich hinab von Stein zu Stein, von Riff zu Riff. In tollem Laufe ging es fort, bis ich, trotz der Aufregung zu Tode ermüdet, schweißbedeckt auf einer scharfen Scheide, auf meinen Stock gestützt, Rast nehmen mußte. Ich war von Schrecken und Gefahr umgeben, wohin ich blickte. Wer rechts oder links hinunterschaute, den packte jählings der Schwindel. Das flache Land lag, kaum sichtbar - noch sonnenhell. Die Thorsteinspitze war von dichtem Gewölke umzogen; weißlichfahl schimmerten die Gletscher. Aus einer Felsenritze hoch über mir quoll weißer Dampf hervor und senkte sich in wilden Wirbeln herab. Erst tiefe Ruhe — dann fuhr ein Windstoß heulend durch die Lüfte — dann wieder bange Stille. Sturmbeflügelt jagten die Wolken, dumpf stöhnte es in den Wäldern unter mir. Nun begann es rasch zu dunkeln,
Plötzlich tönte ein schwerer Schritt die Schneide entlang; so scharf ich konnte, spähte ich dorthin. Näher und näher schallten die Schritte, da erblickte ich ihn, der mir meine Braut geraubt, der der mich betrogen um meine Hoffnungen, er war es. Die schwarzen Locken klebten an der marmorweißen Stirne — die Zierbelkiefer ruhte in seinem Arm.
Pfeilgeschwinde war ich emporgeschossen und verstellte ihm entschlossen den Weg. Laut pochte mein Herz in der Brust. Bleich trat mir der Fremde entgegen und starrte mich zum Tod erschrocken an. Wohl dem, der die Wuth nicht kennt, die das Blut zum Sieden bringt, und glühend das Gehirn betäubt! Mein Herz schlug zum Zerspringen, der Athem keuchte, wüthend schrie ich den Fremden an:
„Die Zierbel her! sonst . . ."
Ich vermochte vor Aufregung den Satz nicht zu vollenden.
„Der Baum ist mein nach Fug und Recht," erwiderte er schüchtern, als ahne er mein Vorhaben.
„Laß' mich vorbei, der Weg ist schmal."
„Für Einen ist er breit genug," gab ich erbittert zur Antwort: wie Fieber lief es durch meine Glieder.
Der Fremde bat: „Gib Raum, der Weg ist zu gefährlich." „Stirb," schrie ich, „oder gib die Zierbel!!" —
„Zum letzten Male sage ich, weich' aus, ich hab' die Zierbel nicht für Dich geholt!"
Da packte ich ihn an mit voller Wucht und rief:
„Du gibst sie nicht? So fahre hin . . . dem Teufel Deine Seele!"
Ein kurzer, wilder Kampf entspann sich - nur einige Minuten - wir taumelten Beide an den Rand des Abgrundes. Ein Stoß — ein gellender Schrei — der Fremde war verschwunden. Ich schrie ihm nach:
„Die Zierbel her!" er riß sie mit.
„Ich klomm hinab, vergeblich war mein Suchen, es half nichts ich fand die Zierbel nimmer. In tödtlicher Angst und Qual, in nagender Reue lief ich in's Gosauthal hinab. Schon war es Nacht, als ich es endlich erreichte. Ich rannte zu ihr, die an all' dem Schaudervollen die Schuld trug. Sie stand, bei meinem Eintritt am Heerde, der rothe Feuerschein röthete ihr bleiches, liebliches Gesicht. Scheu rief ich ihr zu: „Die Zierbel kann ich Dir nicht bringen, ich hab' sie droben im im Gebirg verloren im Sturm und Wetter."
Schrill klang des Mädchens Lachen in den Ohren, indem sie sagte:
„Nur dem, der mir die Zierbel bringt, will ich gehören, der Fremde bringt sie mir gewiß!"
„Der Fremde!" schrie ich auf, „der klettert wohl noch durch die Dunkelheit, wenn ihn der Blitz nicht schon erschlagen hat!"
Laut auflachend lief ich zur Thür hinaus.
„Das Mädchen ist schon längst gestorben", flüsterte der Sterbende unhörbar, „ich aber wurde krank im Hirn.
Der fremde Herr — Gott schenke ihm Erbarmen — ihm ward sein Recht, er har dem Armen all' sein Glück zerstört.
Das Eine nur begreif ich nie" — der Sterbende konnte den Satz nicht vollenden — er sank zurück, ein Stöhnen noch — und er hatte ausgelitten.
Durch's Fenster dringt das Morgenroth und verklärt mit mildem Strahl das bleiche, stille Angesicht des „tollen Sepp". Unvesöhnt schied er aus dieser Welt, die ihm nur Jammer und Enttäuschung gebracht, um in das ungewisse Jenseits zu gehen; er hat sein Gewissen erleichtert durch die Beichte, allein der tröstende Zuspruch des Priesters, der ihn während seiner Erzählung aufrecht erhielt, vermochte das Opfer seiner Leidenschaft, dessen Gebeine in einer Schlucht bleichend vermodert sind, nicht zu neuem Leben erwecken.
Der „tolle Sepp" starb unglücklich wie er gelebt . . .
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