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Die Alpenrose von Ischl

Autorenbild: Gerhard ZaunerGerhard Zauner

Aktualisiert: 29. Sept. 2020

Ein Capitel aus dem Roman: Die Alpenrose von Ischl.

Die ganze Geschichte ist Hier.


Eine Geschichte von dem österreichischem Schriftsteller und Revolutionär

Aus der „Deutschen Roman Zeitung“ Aus dem Jahr 1875

Digitalisiert von Google.com

Produziert von Gerhard Zauner.

Eine interessante Seite zum Ischler Salzbergbau hat auch Norbert Leutner.


Die Geschichte dreht sich um die Almrosen.

Ein Graf verliebt sich in die Sennerin Rosl von der Reinfalzalm.

Die ist jedoch schon mit den Deserteur und Wildschützen, dem wilden Toni zusammen.

Der Vater des Grafen hat ein lediges Kind am Berg gezeugt. Wer ist jetzt miteinander...?

Der Ort der Handlung ist zwischen Obertraun und Ischl.

Überraschende, dramatische Wendungen, schönste Naturbeschreibungen und eine sehr genaue Beschreibung des Lebens auf der Alm machen den Roman wirklich zu etwas Besonderen.

Cover:

Die Seff aus der Gosau war Sennerin am Plankner.

In den siebziger Jahren „kindste“ sie meine Schwester und mich. Sie erzählte uns viele Märchen. Ich kann mich noch erinnern, wie mich der Papa vom der Alm am Rücken heruntergetragen hat, er schoss damals auch das Foto.

Die Rosl in dem Roman hat mich viel an sie erinnert.



Zwölftes Capitel.

Die Almerin.


Die Zeiten sind todt und längst versunken, in denen an den Stadthoren, bei Furten und Landstraßen, Reisige und Knappen standen, bereit den des Weges Ziehenden sicheres Geleit und Bedeckung zu geben, bis zu einer erwünschten Herberge, starken Veste oder friedliebenden Stadt.

Die längstversunkenen Zeiten scheinen neu auf leben zu wollen an den Brücken und Pässen des Ischler Gebietes, wo starke Männer mit den lanzenschaft ähnlichen Stöcken stehen und harren, oder ermuntern, wer ihres Geleites bedürfen möge! Der helle ziehende Strom, das Grün der Berge giebt den kühnen Gestalten der sonderlichen Lanzknechte die rechte Zeichnung, und läßt sie von der friedlichen Landschaft eindruckmachend sich absondern.

Ruhig, gleichsam sinnend, ging Graf Egon den Weg der Traunbrücke, nach Reiterndorf, Perneck, dem Salzwerke und den darüber hinausliegenden Höhen zu. Mehrere Männer drängten ihm entgegen, sich erbietend.

Petermichel aber, unter ihnen, mit der Zuversicht eines bewährten Reisigen, welcher Anrecht auf seinen alten Kunden besitzt, verdrängte alle Andern mit handwerksgemäßer und sicherer Bewegung. Sein trauliches Grüßen, sein behäbiges Besitznehmen, ertrug fast von beiden Seiten keinen Widerspruch, es war so zudringlich und scheinbar harmlos zugleich, daß Graf Egon einen bestimmten Führer besaß, ehe er überhaupt mit sich klar war, ob er irgend einen besitzen wolle.

Petermichel frug nicht wohin, nicht wie lange und nicht wann der Rückweg angetreten werden solle; mit einem Augenzwinkern nahm er Besitz von dem ganzen zu geleitenden Manne. Er griff nur nach dessen Plaid, um diesen auf sich zu nehmen. Alles Uebrige dachte er! –

Die Rainfalz, die Alpenhütte lagen obenaus! –

Seine Augenbrauen zuckten zuweilen heimlich, seine Lippen ordneten sich zu einem Lächeln in dem breiten Gesichte. In den Mundwinkeln saß fast schon, lauernd, die richtige Antwort auf die erste, wahrscheinlich kommende Frage.

Graf Egon war nicht gelaunt zu Mittheilungen. Fast schien ihm, wie eine Entwerthung, wie eine Herabwürdigung seiner Empfindungen, das Aussprechen oder halbe Entschleiern gegenüber diesem Führer.

Oder sollte er, der Graf, durch leichtfertigen Spaß sich selbst den Ernst, die Würde des Gedenkens und Empfindens vermindern? Sollte er über ein Grab lustige Sprünge machen und ausrufen, da unten ist ein Lotterbett? –

Sein eigener Stolz hob sich, als er versucht war, an Petermichel eine Frage bezüglich des Mädchens zu richten. Was sie war, Egon mußte es selbst, ganz selbst erfahren!

Ob ein Spielzeug – ein Röslein mit Gewürm in Kelche – eine Dirn, werth gesehen und vergessen zu werden – selbst war er sich genügend!

Petermichel‘s Augenbrauen und Mundwinkelchen spielten vergebens, die rechte Frage und die rechte Antwort wollten sich nicht für einander finden.

Als Egon, am Frohnleichnamstage, Rosl auf dem Schiffe der Andächtigen, über dem See erblickte, hätte er beinahe seinen eigenen Augen nicht getraut! Es war, Jene dort, dasselbe Mädchen – und sie war‘s doch nicht! Es lag eine Schönheit, eine Hoheit in ihr, die er nie gesucht, nie geglaubt bei der Almdirn‘! Trotz ihres Schusses!

Er hätte es, bis dahin, nicht für möglich gehalten, daß man so reizend und doch so ungesucht, so mittellos an Zuthaten und doch so vollkommen sein könne!

Er hätte es niemals zuvor glauben mögen, daß die Hand, welche sich blos mit der Sichel und zum Herdfeuer und zur Krippe erhebt, so lieblich bewegend um die Hüften regen könnte!

Er hatte sie auf der Alpe gesehen, sie war eine schöne Dirn, nichts weiter.

Er hatte sie auf dem See im Feiertagskleide gesehen, sie war ein herrliches Weib – und noch mehr! Wie ein Bild, mit großem gewaltigen Ganzen, prägte sich die Gestalt ihm ein. Das unbefangene, große, lichte Auge, die Kraft und die Zartheit zu gleich – das war ein Neues, das hatte er noch niemals gesehen!

Ja doch, in Bildern war es schon da. Närrische Maler hatten es zum Zeitvertrieb gekünstelt.

Gekünstelt?

Das schönste Bild war nun da, lebendig, in Wahrheit, und vor ihm.

„Thöricht!“ sagte er sich, „Gisela an der Seite zu haben und an diese Dirn zu denken!“ – Er wollte mit sich selbst über sie scherzen. – Der Narr in seinem Herzen wollte doch nicht so recht lustig sein und heitere Sprünge machen.

„Führst Du oft Herren hinauf?“ wollte er Petermichel fragen. Die Frage saß auf der Lippe. Aber nein, er schämte sich vor sich selbst, und auch das Mädl mochte er vor sich selber gegen eine solche Frage hüten.

Man drückt zuweilen im Dunkeln die Augen zu und läßt die Flimmerlichter und Farbenkugeln spielen, die nicht existiren und nur ein Schein sind; aber man will sie eben nicht stören und nicht im eigenen Bewußtsein durch eine einzige Bewegung vernichten – es ist ein so schönes Spiel!

Wie ein spielend Kind kam sich Egon vor. Aber er wollte es sein.

Sie stiegen empor.

Es ward Abend.

Immer stiller und stiller.

Die hunderte Stufen waren mühselig erklommen.

Die Lichter rötheten sich, die Heerdenglocken zogen ihre Klangkreise immer enger und enger um den Wiesenplatz, es war auch, als ob ihr Ton länger, sanfter ausklänge, als am Tage.

„Jetzt ist‘s nichts!“ sagte Petermichel. „Jetzt hat sie die Alm zu versorgen. Wenn‘s Euer Gnaden mit um den Weg und um die Zeit ist,“ fuhr er mit pfiffigem, aber wie immer gleichzeitig höchst schuldlos scheinendem Ausdrucke fort, „so könnten wir auch noch sehr spät hinuntergehen. Der Mond geht dann auf und leuchtet uns ganz prächtig heim. – Es sind auch schon Herren über Nacht auf der Alm geblieben.“

„Hier?“ fragte hastig Egon.

„Ei ja!“ sagte Petermichel und schob die Augen brauen.

Das mußte Egon näher wissen und genauer kennen lernen. Wer wollte ihn beaufsichtigen, und etwa morgen zu bekennen drängen, wo er gewesen?

Er wollte Petermichel um nichts weiter befragen.

Er wollte warten, bis er Rosl sehen werde, wohl aus dem Walde, von der Gesteinwand dort herunter kommen, oder aus der Tiefe, wo Wasser zu holen.

Er war gewiß, sie bald zu erblicken und er wollte es.

Sein Auge suchte ringsumher, er stand und harrte.

Da hörte er ihre Stimme! diese kam von der Alpenhütte dort.

Sie war dabei! Doch nicht darin?

Sie sprach. Der Ton war so freiausschallend, daß ihn sicherlich keine Wand zuvor dämpfte.

Egon horchte schärfer. Alles war still.

Unten in dem tiefen fernen Thale legte sich mit merkwürdiger Raschheit das Dämmern ein, hier oben war es licht, aber duftig, wie neblig. Nichts regte sich, nur hin und wieder durchdrang die feierliche Stille das Schallen der Glocken an den Thieren, aber so eigen, mit ausklingenden Tönen – das einzige Lebenszeichen in ferner Höhe!

Weitab, weitab liegende Bergesgiebel glänzten roth im scheidenden Sonnenlichte und sahen schweigend auf dies Schweigen hier.

In der Alpenhütte knisterte es leise vom Abend Herdfeuer, und der bläulich feine Rauch zeigte davon. Keine Esse bietet ihm Abzug, denn die warme Säule auf hohem Berge kann den Blitz und das schlagende Wetter auf Menschenwohnung und Menschenhaupt leiten. Aus dem Dache der Almhütte, aus den Ritzen der Balken drang ein feiner durchsichtig - bläulicher Rauch in die stille Luft. Er kam nicht von einer Stelle, er kam von überall, er war wie ein Opferduft unter dem blauen Himmelstempel, und als ob die ganze Hütte ein Opfergefäß in diesem Riesenbaue Gottes wäre!

Ein braunes, weißfleckiges Alpenrind blieb auf grüner Matte stehen, sah dem befremdenden Manne mit großem Auge so ruhig, so ganz über das ganze Gesicht, in die Seele des Auges fast, als wollte es diese erforschen. – Die Kuh war nicht gewohnt, fremde Menschen zu sehen, und indem sie einen sah, prüfte sie denselben vertrauend, Milde heischend und doch kraftbewußt.

Egon stand und hielt den Blick aus, ihm war es doch so eigen bei diesem Blicke, als dränge er tief, tief in ein halbverständliches Räthsel ein.

Da hörte er nun, durch die Stille, eine weibliche Stimme sanft auftauchen: „Sterndl‘, wo bleibst denn? Magst denn mit? So geh – komm, komm!“

Es war Rosl‘s Stimme. Sie stand an der rückwärtigen Thüre der Alpenhütte, dort wo das Almgethier einging, und rief und lockte es mit seinem Namen heim. - Die Stimme, sie war so lieblich – so lockende, klingende Töne hatte sie, als riefe sie einem Kinde, einer Freundin, als gälte sie für ein Herzigliebes und Sprödes!

„Geh, komm Almerl‘! Wo bleibst denn? Sennerl‘ mach nit so lang! Du überlegst‘s! Schau, hast noch nit Lust, Sennerl‘? Du thust aber gar lang um, Hasmin. So gehts! Kommt he (her), komm he!“

So sanft war der Ton, so traulich, so einschmeichelnd, daß die Thiere mit den Glocken aus der Ferne immer näher kamen und den Kreis immer enger schlossen. Dort eilte noch eines aus der steinigen Tiefe empor, das kleine Böcklein hörte man munter meckern; aber sie alle entschlossen sich schwer, die Freiheit zu verlassen.

Die rufende Stimme ward immer süßer, immer einladender und weicher. Dem hörenden Menschen ward wehmüthig bei diesen Tönen, in der heiligen Stille des scheidenden Abends und seines Abglanzes. Die Schatten der Thiere und Gewächse legten sich immer länger und blässer auf den Rasen.

Egon wollte die Almerin nicht sehen und stören, er stand und lauschte. Die süßen Töne wiederholten sich. Bald hörte Egon dann eine Kette klirren und eine Glocke dumpfer tönen, ein Thier war willig an seinen Platz und in das Pförtlein getreten. Rosl lockte und lud immer von Neuem, sie versprach dem Sennerl‘ was besonders Gutes, sie erklärte dem Sterndl‘, wie gar so lieb sie‘s habe, es möge doch mit so garstig sein und lange bleiben; und das Gamserl‘ erinnerte sie, daß es doch immer was Besonderes bekomme, drum auch heut‘ nit schlimm sein solle!

„Magst mich denn nimmer? Komm he, komm he! – wir zwei haben uns ja gar so gern – komm he!“

Wie gerne wäre ein bewußter Mensch in den Kreis dieser Lockungen getreten und hätte sich rufen und laden lassen mögen! Die Thiere verschwanden allmählich. Eines oder das andere stieß noch ein dumpfes, kurzes Brüllen vor dem Eintritte aus, wie zum Abschiede, an die freie Natur. Sie gingen an ihre Plätze, sie waren in der Hütte, draußen war‘s ganz und gar feierlich stille geworden, nichts Lebendiges regte sich!

Die ganze Natur war ein heiliger Tempel in dämmerndes Dunkel gehüllt. Der Abend war hereingebrochen, einzelne Sternlein glüheten weißhelle wie Lichterflammen; drunten war es tiefdunkel und rauschte leise, leise.

Lichter flimmerten roth und zerstreut im Thale. Es war Nacht in der Tiefe, nachtend hier oben. Ueber den fernen Bergen sah man tiefpurpurne, verwischte Streifen und blaßgeränderte Wolken, wie aus einer andern Welt! -

„Jetzt,“ sagte Petermichel, „wird‘s wohl heißen lang da bleiben, Euer Gnaden. Vielleicht die ganze Nacht bis morgen. Es kann geschwind Nebel kommen, und da ist‘s mit dem Mond dann nix!“

Egon schwieg. ´

„Gehen Sie jetzt noch mit in die Hütten,“ belehrte der kundige Führer. „Jetzt hat sie noch mit der Milch und im Kaser (Kühlhütte) zu thun. Jetzt schaut sie sich nit um. Sie muß aber gleich das Feuer frischen, dann gehen Sie hinein!“

„Geh Du voraus zu ihr!“

„Ich? O nein, Euer Gnaden, mir ist‘s recht, daß sie mich nicht gesehen. Thun Sie ganz, als ob sie allein wären. Es ist besser. Glauben Sie mir, Euer Gnaden. Ich verzieh mich, ich schleich‘ mich in eine Hütte in der Nähe, ich werde schon wo unterschliefen, sorgen Euer Gnaden mit um mich! Ich komm‘ schon wieder, wenn ich nit gut unterkomm‘!“ Mit diesen Worten, ehe eine Antwort erfolgen konnte, schlich Petermichel davon, wie auf den Zehen, und kicherte in sich hinein. Er glaubte seine Sache gut gemacht und den Führerlohn auf die Dauer und in seinem Werthe vervielfacht.

In Egon waren es vielerlei Gedanken, die ihn bestürmten, hier oben zu bleiben, in die Hütte zu gehen, zu thun wie der Führer gesagt – wenn er ihn auch gerne verachten, so recht ganz und aus guten Herzensgründen verachten wollte! Oder auch Dank hinterher schulden? – –

Er stand und harrte!

Die Sterne wurden größer und mehr und mehr, und schlossen zuletzt eine unendliche Kuppel voll Flimmerglanz hoch oben und rings hinab, ins Unabsehbare.

Egon überkam‘s wie ein leises Schauern. War es die Nachtluft, waren es die widersprechenden Empfindungen, die dies bewirkten?

In der Alpenhütte, wo das Feuer leise geglimmt, und die Spalten zwischen den Balken nur sanft angeglüht hatte, wurde es jetzt lichter. Es knisterte und prasselte. Die Flamme schlug mit heller Lohe auf, und beleuchtet von derselben war, an der offenen Thüre, das Mädchen, huschend, flüchtig zu sehen.

Angeleuchtet, aus dem Dunkel heraustretend, gewährte sie wieder einen seltsamen, eindrucksvollen Anblick!

Egon ging näher in den Lichtschein, der auf dem Grase, von den Schatten der Thürpfosten scharf ab gerahmt war, und sein Herz bebte eigenthümlich. Er trat noch näher und endlich an die Schwelle ein! Er war noch nicht in der Hütte gewesen.

Ein Brand auf dem Herde zuckte hell auf, als er eintrat und beleuchtete einen Augenblick überhell den Raum des Hüttchens.

Das Mädl war nicht da – Thüren zeigten sich in Hintergrunde, sie mußte durch eine gegangen sein.

Der aufzuckende Brand strömte nun ein weißes mildes Licht aus und beleuchtete den Hintergrund so hell, daß kein Stückchen verborgen blieb.

Egon stützte sich auf seinen Stock und sah so vor sich und um sich. Der Herd stand gleich an der Seite der Thüre. Er war so niedrig, wie ein tiefes Bänkchen, und blanke Bretter zogen sich als Kranz um ihn herum. Ein Kessel hing von einer Art Baum über dem Feuer. Gescheuerte Holzgefäße standen und hingen rings umher. Ein Geschirrschrank, der an der Wand hing, enthielt Teller, Schüssel und Schalen, deren glasige Flächen schier das Feuer wiederspielen ließen. In einer Reihe waren mehrere blecherne Löffel so blinkend aneinander geordnet, daß sie fast zum besonderen Schmucke wurden. Neben dem Geschirrkorbe, oder Schranke, hing ein Handtuch, weiß wie frischer Schnee.

Fast in der Mitte der Wand, welche sich durch die ganze Breite der Hütte zog, war eine niedere Thüre, und darüber hing ein Muttergottesbild, im schlichten braunen Rahmen. Aber das Bild hing nicht an der gebräunten nackten Holzwand, sondern auf einer weißen Linnenfläche, welche über die Wand oben gespannt war, als sollte dies heilige Bild kein gemeines Holz berühren. Auf dieser blüthenweißen Decke, welche von gleichartigen verschlungenen Fransen rings umziert war, hing noch ein hübsches, irdenes Weihbrunngefäß, und daran staken auch frische, farbenreiche duftige Alpenblumen. Den Schluß unten, wie eine Guirlande, machte die zierlich gehängte Kette des „Rosenkranzes“.

Egon stand und besah diese einfache Zier. Ihn bewegte fast diese Sauberkeit und Einfachheit, dieser eigenartige Hausaltar in der sonderlichen, einsamen Kapelle! Jedoch, festes Vertrauen zu diesen Zeichen und deren Beziehungen zum einsamen Mädchen in der Alpe, wollte er noch immer nicht gewinnen, so sehr sie ihm das Herz bewegten! -

Er stand und sann noch, ringsum seine Augen streifen lassend.

Da trat aus einer Thüre, Winkel, Rosl heraus.

„Grüß Gott, Rosl!“ rief ihr Egon entgegen.

Das Mädchen erschrak nicht. Ihre hellen, blauen Augen traten aus dem Dunkel ins Licht noch mehr heraus, sie sah den Erschienenen fest an. Ihre rosigen Wangen gewannen im röthlichen Feuerscheine an Rosigkeit.

„Grüß Gott auch! Woher denn so spät?“

„Von unten, von einem Spazierwege, von wo Du willst!“

„Seid Ihr allein?“

„Ja, ganz allein!“ sagte Egon dreister.

„Willst Du noch heute weiter?“ frug sie, das Du und das Ihr unwillkührlich wechselnd, da sie letzteres gewohnt war.

„Ich kann ja nicht! Ich weiß den Weg nicht. – Kann ich nicht, kann ich nicht . . .?“ sagte Egon etwas verlegen.

„Da bleiben?“ nahm ihm Rosl das Wort aus dem Munde. „Z‘wegen dem, wenn‘s weiter nichts ist, das kannst schon!“

„Machst mir Platz?“

„O ja!“ Egon wurde zutraulich. Er versuchte ihr in die Wange zu kneifen und sich ihr zu nähern.

Der Reiz des Augenblickes war so groß, daß er alle früheren Zweifel und die Zurückhaltung vergaß. „O, wir werden schon gute Freunde werden und uns vertragen!“ rief er. Er warf Plaid und Rock weg und suchte seine Arme um Rosl zu breiten.

„Na na na!“ sagte sie, mit geschickter Wendung sich ihm entziehend. „Sei a bisserl ruhig erst, Herr, setz‘ Dich nur nieder!“

Egon setzte sich, wie unwillkührlich, auf die Bank neben dem Herde.

„Willst Du im Heu schlafen, oder im Bett?“

„Wie? Du hast ein Bett für den Gast?“

„Das nit, aber das meine! Wenn Du willst, kannst Du in mein Bett schlafen!“

„In Deinem Bett?“

„Ja!“ „Brauchst Dich nit zu scheuen! Schau, es ist recht sauber!“ (rein).

Egon wollte sprechen, ihm fehlte das Wort, das rechte Wort.

Ehe er noch nach irgend einen suchen konnte, begann Rosl wieder zu sprechen. „Willst es „leicht sehen?“

„Ja, ja!“ rief Egon auf, und erhob sich, um Rosl wieder zu nahen.

Sie aber eilte zum Herde, griff in einem Nu einen breiten Span von einem Stangengerüste herab, das darüber hing, und im nächsten Augenblicke prasselte und loderte das dünne breite Holz hell aus dem Feuer hervor. Sie schritt mit dieser Holzfackel an die Hinterwand, zu dem Thürchen, über welchem das Bild auf weißem Linnengrunde hing, klappte den hölzernen Riegel auf und leuchtete dem Fremden hinein.

Dieser mußte sich bücken, um einzutreten. Ein Kämmerchen, niederer als der Raum in der vordern Hütte, war hier. An der Seite dehnte sich, auf glatten, ungetünchten Tannen Brettern, ein Bett mit blendend weißem Linnen. Ja die Kissen und die Decken waren roth verbrämt, so zierlich, wie er es in keiner Alpenhütte je gedacht oder vermuthet.

„Ist‘s Dir recht?“ frug sie, und sah mit ihren großen blauen Augen fest und unbefangen in die seinen.

„Ist das Dein . . . willst Du mir . . .“ stammelte Egon. Es kämpften zwei Naturen in ihm – jene, die unter dem Gewirre der Stadt und den dunklen und dunkelbergenden Straßen erwachsen, und jene, die hier in der Alpenluft sich am Gottesodem erfrischt und erneuet!

„Wenn‘s Dir nur recht gut schmeckt!“ sagte Rosl, indem sie wieder von der Thüre weg trat, dem Herde entgegen, und so den Gast zum Heraustreten aus der dunklen Kammer, in die lichte Hütte, unwillkührlich nöthigte. „

Laß Dir nur was Gut‘s träumen,“ sagte sie.

„Bei Dir – nur von Dir!“

„Gehst nit!“ sagte Rosl scherzend und verweisend. Du hast gewiß schon die Deine unten! Bist epper (vielleicht) gar nimmer ledig!“

„Ich!? wo denkst Du hin!“ rief Egon rasch verweisend, als hätte sie ihm Schlechtes zugemuthet.

„Gewiß nit?“

„Gewiß nicht! Ich schwöre Dir!“ Er erhob die Hand.

„Laß gehn! Wer wird denn wegen so was gleich schwören!“

„Glaubst Du mir?“

„Sicher! Du siehst ganz treuherzi‘ aus, trau Dir schon!“

„Du thust das?“

„O ja, ich fürcht‘ mich nit!“

Es wurde Egon ganz eigen zu Muthe. Worte, die er zu ihr sprechen, ihr erst versichern sollte, sagte sie selbst, brachte sie ihm entgegen! Sie schien ihn doppelt schön und größer, seiner Kleinlichkeit gegenüber.

Sie war mit einem kurzen Rosaleibchen bekleidet, das ihre üppigen Formen, an der Grenze der Schulter und des Halses, unter dem emporgezogenen weißen Hemde, schwellend, ahnen ließ. Eine blaue Schürze über dem rothen Rocke, das zierlich geknüpfte Kopftüchlein, welches wie eine dunkle Rose sie krönte und umhing, vollendeten ihren Schmuck. Das blonde Haar, die himmelblauen großen Augen, die frischen Wangen leuchteten fast wieder von den Flammen; in ihren Hüften bewegten sich Kraft und Anmuth.

„Ich fürcht‘ mich nit!“ hatte Rosl recht zutraulich gesagt, und ihre spitz gewölbte Oberlippe nahm dabei einen eigenen Zug an.

„Das ist recht, das ist recht von Dir!“ sagte Egon entzückt. „Wir werden uns ganz gut mitsammen vertragen, ganz gut; gewiß; nicht wahr?“

Und dabei suchte er mit tosendem Finger ihr an die Wange zu kommen. Sie entzog sich sanft, aber doch nicht so ganz, daß er sie nicht hätte berühren können. Seine Hand fühlte eine heiße weiche Wange und es durchzuckte ihn elektrisch.

„Freilich müssen wir uns vertragen!“ sagte sie. „Du hast ‚leicht noch nichts gegessen. Willst ein Nachtmahl haben?“

„Rosl, Du bist ein herziger Schatz! Du weißt ja Alles, was ich will und möcht! Ja Kind, herztausiger Schatz!“ sagte er warm erwidernd. „Du machst mir...“

„Willst Du sauere Milch, warme Stohsuppen (saure Milchsuppe) oder Schoten (Rahmkäse), oder magst Butter?“

„Nein, mein liebes, liebes Dirndl! Ich hab‘ Dir sogar was mitgebracht. Da, sieh her, hier habe ich Kaffee und Zucker, Fleisch und Kuchen. Greif Du selbst zu, was Du magst!“

„Aus ist‘s, aus ist‘s!“ rief sie verwundert und schlug die Hände zusammen, während er seine wohl gefüllten Taschen entleerte.

„Was Du Alles mit bringst! Magst Du das Alles?“

„Wirst Du nicht mit mir halten?“

„Schon, das schon!“ sagte sie ganz offenherzig.

Und diese Antworten ohne Falsch und Scham, ohne Rückhalt und unnöthiges Zieren, entzückten ihn.

„Ach,“ fuhr sie fort, „wir sehen ja so wenig hier davon! Seit dem Feiertag, als ich in der Hallstadt drüben war, ist‘s mir nimmer so gut ‚gangen!“

„Ich hab‘ Dich da gesehen!“ rief Egon entzückt. „Rosl, Du warst reizend, auf dem Schiff!“

„Meinst Du?“ sagte sie und lächelte, indem sie ihm in die Augen sah. Und nun wurde er gesprächig und sagte ihr genaue Zeichen, wie er sie gesehen und beobachtet – wie überrascht er war – was er fühlte – und daß er zu ihr, nur zu ihr gekommen! Ein halbes Geständniß war unwillkürlich heraus und erleichterte sein immer beengter werdendes Herz. Fast mit Spannung und Pein beobachtete er, welchen Eindruck dies auf sie machen werde, erwartete er, was sie hierauf zu sagen habe.

„Zu mir?“ sagte sie und sah ihm mit ihren hellen Augen so recht über das ganze Gesicht.

„Geh, Du machst nur Spaß!“

Das kurz Gesagte hatte einen lieblichen, kindlichen Ton, den man dieser starken, festen Gestalt gar nicht hätte zumuthen sollen! Aber dieser Ton klang schon in lieblicher Fülle, als sie vorhin, am Abende, den Thieren rief.

„Ernst! Ernst! vom Herzen Ernst ist‘s!“ rief Egon warm.

„Geh! hör‘ auf! Ich bin nur eine arme Almerin. Da unten giebts weit Schönere!“

„Keine Schönere als Du!“

„Glaub‘ Dir‘s ja nit!“ sagte sie treuherzig und nickte ihm dabei mit einem Spanstücke entgegen, das sie dem Feuer gab.

„Und wenn sie auch nit so schön wär‘, sie ist hold a Deinesgleichen, und da muß es Dir besser g‘fallen.“

„Das meinst Du, und ist doch nit so!“

„Ist schon!“

„Aber ich gefalle Dir nicht!“ sagte Egon umwendend, vergeltend und gleichzeitig erforschen wollend, was er so gerne gewußt hätte.

„Du hast einen Burschen! Sag‘s, sag‘s! Geh, ich bitt‘ Dich, sag‘s!“

„So ganz allein bin ich nit!“ sagte Rosl. „Sie lacheten mich ja sonst aus, als ob mich Keiner möcht‘!

„Aber . . .“

„Aber!“

„Aber er ist weit von hier, und mit dem Heirathen hat es Zeit!“

„O, Du glückliche Rosl! Du glückliche Rosl!“ rief Egon, sich vergessend, aus, und bezeichnete dem Mädchen als Glück, was er im Augenblick als eines für sich selbst hielt.

„Glücklich? z‘wegen was denn?“

„Ich meine, könntest Du noch einen Andern lieb haben?“

„Das weiß ich nit; ich müßt‘s erst probiren!“

„Kennst Du Einen?“

„Nein!“

„Rosl, nimm mich! nimm mich!“ rief er entzückt aus und war, da er so nieder am Feuer saß, im Begriffe, sich zu ihr zu neigen, daß er halb an ihr sich stützte.

„Du närrischer Bub!“ sagte sie, indem sie ihm Eines mit einem kleinen Löffel auf die Schulter klopfte und dabei lachte.

„Da, nimm den Löffel, und schau, daß der Kaffee nit übergeht! Ich muß um die Milch sehen!“ Sie hüpfte in die nächste kleine Kammer.

Der feurige Graf saß am Herde in der Almenhütte und kochte einer Dirne Kaffee. Er schöpfte in brodelnden Sude und hütete ihn vor dem Ueberschäumen. Er kam sich komisch vor, komisch!

Aber doch war es ihm in dieser eigenartigen Umgebung, als wäre er in die Natur eingekehrt, als läge in seinem Thun etwas von den Urvätern, wie sie pilgerten und zu den Töchtern des Landes, in den Hürden einkehrten, am Brunnen und am Hirtenfeuer. Es schien ihn, als kehre er zu einer Art Menschenthum zurück, das in seiner Art lieblich und, bei all seiner Einfachheit, hoch oben auf dem Berge, einsam, dem Himmel nahe, eine Erhabenheit und Würdigkeit habe, die vor Scham behüte, ja verschöne und mit Recht das Herz im Innern schneller pochen mache!

Wie aber, wenn dies Naturkind Sitte und Schranken so wenig engnehme und wahre, als die Freiheit der Natur ihm gestattet? So frug er sich, als er allein war. fand bald in sich die Antwort auf die Frage. Dann war‘s ein schöner Traum gewesen!

Und seine Neigung möge währen von heute bis morgen, ein liebliches, duftiges Apen- und Schäferspiel!

Er geizte um die Minuten, Rosl wieder zu sehen. Sie kam.

„Geh, Herr!“ sagte sie, „gieb das Kesselgericht herüber.“

„Kesselgericht? Was ist das?“

Sie lachte. „Nun, der Baum und das Querholz, an dem der Kessel hängt und sich drehen läßt.“

Er griff an und bewegte den Kessel an der Vorrichtung, welche eine bewegliche Längenachse mit einem Querholze einer Art Arm, ist. Sie schöpfte warmes Wasser aus dem Kessel und sagte:

„Ich muß Dir ja auch was geben und „Nocken“ machen!“

Sie nahm eigenthümlich gestaltete eiserne Löffel, Gabel und Schäufelchen von der Wand, und legte sie zurecht. Sie begann aus Mehl und heißem Wasser in einer Schüssel einen Brei zu machen.

„Geh,“ sagte sie ganz ohne Scheu, ,gieb mir den Muser!“

„Muser – was ist das?“

„Ihr Stadtherren wißt aber gar nix!“ sagte sie heiter. „Das dort, womit man das Mus rührt!“ Sie zeigte auf das zierliche Schäufelchen. Er reichte es. Im Nu hatte sie dasselbe in dem Teige (Mus) benutzt, hierauf mit dem Löffel kleinere runde Teigkügelchen gestaltet, und sie schmorten in der Pfanne mit Butter. Goldbraun prasselten und zischelten sie bald über den Kohlen.

„Siehst, ich will mir nicht Alles geben lassen, Du sollst auch was von mir haben!“

Egon war fast gierig auf diese Gegengabe, die Kost der Gebirgsbewohner.

So schlank drehte und wendete sich Rosl bei Allem, was noch zu thun war, so blank kam jedes Geschirr und Geräth herbei, daß dem Stadtherrn das Herz hüpfte!

Ihr Mund lächelte so frisch roth, und die Augen waren so hell blau, wie Alpenrosen und Enzianglocken in diesen Gebirgen.

Das Feuer knisterte immer lustig, der Rauch zog sich durch die halb offene Thüre, durch die Lücken und Falze zwischen den Balken der Hütte hinaus. Einen Schlot gab es nicht. Diesen duldet der Wind und das Gewitter nicht.

Rosl ließ eine an die Wand geklappte Tischplatte sammt deren Stütze herab, die Tafel war gebildet, die Sitzbank an der Wand zog sich darunter hin. Sie saßen zu beiden Seiten und schmausten. Sie machte die Hausfrau, so lieb, so zutraulich. Sie bewirthete, und es verschwand alle Scheidung zwischen Geben und Empfangen.

Egon konnte die trefflichen Nocken nicht genug loben. Er hatte Brod vergessen, sie legte ihm das ihre, Schwarzbrod, hin und er aß es und fühlte sich glücklich!

„Und wenn Dein Schatz da wäre,“ sagte Egon, „gäbst Du ihm jetzt einen Schmatz?“

„Ja!“

„Und mir?“

„Du kriegst keinen!“

„Doch einen!“ Er ward zudringlich. Sie wehrte sich. „Und wenn ich doch will!“ sagte er in seiner Mannhaftigkeit, herausfordernd.

„Wer kann mich zwingen?“ sagte sie, stemmte eine Hand in die Hüfte und sah ihm fest in‘s Gesicht. Vor diesem Blicke senkte sich der seine. Er fühlte, wie von seinem Wirbel bis in sein Herz hinein sich etwas leise bebend und schaudernd zog.

„Du wirst mir doch noch gut werden!“ sagte er kleinlaut und sanft.

„Mag sein; will‘s nit verreden!“ Das war so selbständig, so schlicht, so wahr, daß er fast meinte, dies müsse er verdienen und sei des Bewerbers werth.

„Und singst Du mir ein Lied?“

„O ja, immrigsmal (manchesmal) gefreut‘s mich schon! Mögst Du vielleicht gar eins hören?“

„Rosl, sing‘! Ich bitt‘ Dich, sing‘!“ flehte Egon.

„Wart‘, ich stell‘ mich hinaus, und da hör‘!“ Und sie trat in die Thüre. Der Feuerschein drang über ihre Gestalt, draußen war der Mond aufgegangen und leuchtete mit magisch-weißem Lichte über die Felswände, über den düstern Wald, in die Tiefe dort unten, die wie ein halb durchsichtig Meer hinab ging, ohne daß man den Grund entdecken konnte. Die Hauslichter waren erloschen, keine Flamme war zu sehen –

Leere, Stille herrschte! Da schwoll ihr Lied empor, da wuchs es so rund, so weich mit seinen vollen, hellen Tönen, bog ein und tauchte wieder auf; und wirbelte und trillerte wie Lerchenschlag, und flötete wie melancholischer Nachtigallengesang! Dann aber jauchzte es so grell, so über alle gewöhnliche Kraft hinaus, daß die Berge ringsum leise, geisterhaft wiederhallten! –

Mit einem Aufschrei brach sie ab! Als sie aber abgebrochen hatte, da tönte, wie geisterhaft, ein ähnlicher Gesang aus der Ferne herbei, antwortend, fortsetzend und, gleich Rosl, rasch mit einem durch Nacht und unerklärbare Ferne verschönten Aufschreien endend! Beide hörten sie, stille, stille zu.

„Das ist die Sepherl drüben auf der Hüttenecker Alm. Mein G‘spielin,“ sagte Rosl, ehe Egon fragen konnte. Ja, er hatte andächtig und lustschauernd zugehört. Jetzt, in einsamer Almhütte, auf der Höhe, verstand er den Alpengesang, hatte er die Poesie der Menschenstimme erkannt, welche, mit dem Leblosen hier lebend, sich diesem mittheilt und es zu einem Echo, durch geistigend, wachruft!

Wenn die Menschenstimme aus unabsehbarer Ferne antwortete –wie poesiereich und erhaben war es! Jetzt verstand er die Berge, den Gesang in den Felsen!

„Geh‘, komm, Rosl, sing‘ mir noch ein Liedl‘ da!“

Sie zierte sich nicht. Die Lust des Gesanges war ihr eigen, und den Andern gefreute sie ja! Und sie setzte sich zu ihm und sang ihm vor, von dem Wildschützen, ein Lied, das sie recht freuete:


Jetzt geh‘ ich auf die Alma,

Wo die schön‘ Hütteln steh‘n –

Wo ich einkehr‘, das weiß ich schon,

Die mich am besten kennt! Juchhe!


Da setz‘ ich mich hold nieder,

Aber dernt (dennoch) nit gar lang‘;

Seh‘ ich a Schöckl‘ Gamseln steh‘n,

Da wurd‘ mir schon recht bang‘!



Aft (drauf) nehm‘ ich mein Stutzerl auf

Und schieß‘ schön tapfer drein!

Zwei Gamsl‘ sein auf einmal g‘fall‘n,

Ja, das thut mich g‘freu‘n!


Wie ich‘s aft ausweiden thu,

Schaut mir der Jäger zu.

Ei ja, mein lieber Wildpratschütz,

Gieb acht, was ich dir thu!

Der Jäger nimmt sein Kugelbüchs‘

Und schießt ihm ja auf‘s Leben! –

Die Kugel gang nur durch‘s Gewand,

Ich wollt‘ s ihm wieder geben!

Ei ja, mein liebes Jägerlein,

Ich muß dir jetzt was sagen –

Weils du auf mich geschossen hast,

Mußt mir die Gamseln tragen!


O je, mein lieber Wilderschütz,

Das wär‘ mir wohl ein Spott! –

Tragst mir jetzt die Gamseln nit,

So schlag‘ ich dich halb todt!



Der Jäger nimmt die Gamseln auf,

Und tragt‘s der Landstraß‘ zu –

Der Wildschütz der geht hinten nach

Und lachet sich hold g‘nu‘!


Und wie er zu der Landstraß‘ kommt,

Schmeißt er die Gams in d‘ Mitt‘ –

O je, mein lieber Wilderschütz,

Verrathen thust mich nit!


Ei ja! wenn ich ein Gamsl‘ schieß‘,

So zahlt das mir ein Wein –

Wenn ich das Lied im Wirthshaus sing‘,

Muß‘s alle Schützen g‘freu‘n!

Juchhe, Juchheihoiho!


So sang sie mit eigenem Behagen und recht zu Egon‘s stillinniger Freude.

Dann saß sie wieder ruhig neben ihm, und er frug: wie sie lebe, was sie tagüber mache, und über ihre Heimath und Winterszeit?

Und sie sagte ihm alles Leid und alle Freud, die sie hier oben und im Jahre durchmache. Sie erzählte von den stürmischen Wettermächten, von ihrer geschützten Hütte daheim, von der Ziege und den Aeckerchen, von Bräuchen und Festkuchen, und Kränzen und Rauschgold, daß des Grafen Seele immer erregter und erregter ward!

So nahe lebte die große Welt diesem Leben, und so wenig wußte sie von diesem reichhaltigen, wunderlieblichen!

„So“ – sagte Rosl, plötzlich, rasch – „und jetzt ists spät. Geh‘ schlafen, morgen muß ich zeitlich (frühzeitig) auf!“

„Wo schläfst Du?“

„Neben Dir!“

„Neb . . . .“

„Geh nur in die Kammer!“ Sie ging ihm voran, sie öffnete die Thüre dazu. Der Mond schien hell durch ein Fensterchen an der Seite und leuchtete magisch über das weiße Lager und die dunklen, niedern Wände. Er trat ein und stand. Sie trat einen Schritt zurück, eilig in die Hütte wieder hinaus, sie zog die Thüre rasch nach sich zu, und häkelte sie mit einer Klammer, die vorne saß, in ein Ringlein am Pfosten draußen ein.

„Schön‘ ruhsame Nacht! Bfhüt Dih Gott!“ sagte sie, ohne Arg und Falsch und Spott, als wäre alles Frühere wohlbewußter Scherz zwischen ihnen Beiden gewesen!

So einfach, so treuherzig war dieses „fhüt Gott!“ diese „ruhsame Nacht!“ geboten, daß sich Egon schier schämte, Arg in diese Hütte, in dieses Herz tragen gewollt zu haben.

Er bot eine „gute Nacht!“ ein „behüt Gott!“ wie er kaum geglaubt, so bieten zu können. Wenn er gewöhnt gewesen wäre, ein Gebet auf seine Lippen treten zu lassen, vor dem Schlafengehen, er hätte es jetzt doppelt inbrünstig gesprochen, und den Namen Rosl in dieses Gebet geschlossen! –


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