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Die Arbeiten des Schnitzers Johann Kieninger.
Von Prof. Dr. M. HABERLANDT.
Aus: Werke der Volkskunst. 1914
An der Volkskunst, die gewöhnlich aus wirklichen Lebensanlässen für den Eigenbedarf schafft, arbeiten viele anonyme Naturkünstler im Volke mit. Nicht jeder freilich vermag solche Dinge zu schaffen, so wenig wie der Nächstbeste ein Volkslied, einen Vierzeiler, einen Juchezer neu zu gestalten vermag. Es sind immer bestimmte und besonders veranlagte Naturbegabungen, die mit solchen Leistungen spielerisch oder auch im Nebenerwerb hervortreten.
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Weit über Hallstatt hinaus in einem großen Teil des Salzkammergutes bekannt und berühmt sind die Schnitzarbeiten des Salzarbeiters Johann Georg Kieninger (vulgo „Kramerschneider“), der, 70 Jahre alt, im Januar 1899 zu Hallstatt starb.
Stets mit Not und Armut kämpfend, aber immer aufrecht, hat er in den kargen Mußestunden seines mühevollen Daseins eine große Reihe von Arbeiten geschaffen, welche schon zu seinen Lebzeiten dem Manne eine gewisse Beachtung in seiner Heimat einbrachten.
© Volkskundemuseum Wien dia 596
Den Herren Prof. Gustav Goebel in Ischl und Direktor Pölleritzer in Hallstatt schulde ich für mehrere Nachweise verbindlichen Dank.
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Sein enger und äußerlich so armseliger Lebenslauf ist bald erzählt.
In Armut geboren, das jüngste von sechs Geschwistern, verlor er den Vater, als er neun Jahre alt war. Der älteste Bruder brachte sich und die Familie mit Schneiderei fort, wobei auch der jüngste mithelfen mußte.
Mehr als den geringen Volksschulunterricht von anno 1835 hat der junge niemals genossen, fachliche Ausbildung von niemand weder in Schule noch Lehre erfahren.
Seine Begabung für Schnitzerei und Mechanik soll sich schon in frühester Jugend geregt und bewiesen haben; mit fünf Jahren baute das Kind schon seine kleinen Mühlen im Gebirgsbach.
Zehn Jahre blieb er beim Militär (1848 58), um dann als Salinenarbeiter mit 17,5 Kreuzer Taggeld sich fortzubringen, wobei er für die alte lahme Mutter und für eine kränkliche Schwester zu sorgen hatte.
Dabei schaffte ihm seine angeborne Schnitzkunst einen kärglichen Nebenverdienst, aber da er in den Händen von Verlegern war, wurden ihm seine Arbeiten mehr abgedrückt als abgekauft.
Spät erst hat er einen eigenen Hausstand begründen können; seine Frau Dora war die Tochter eines evangelischen Lehrers, wie er selbst Protestant war, was bemerkt sei, da seine Kunst sich, soweit sie religiöse Motive behandelt, tatsächlich nur in der allgemeinen christlichen Überlieferung bewegt und vorzugsweise die Berichte der Evangelien ausschöpft.
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Ungeachtet andauernder Kränklichkeit wußte sich das wackere Paar schlecht und recht durchzukämpfen, trotzdem Johann Kieninger später (1888) bei herannahendem Alter mit 9 Gulden monatlichem Bezug pensioniert wurde und überdies in seinem künstlerischen Nebenerwerb von seiten der Hallstätter schwere Schädigung erfuhr.
In den Achtzigerjahren hatte der Schnitzer eine Reihe seiner Arbeiten im Hallstätter Museum ausgestellt und eine kleine Schnitzfigur (Fig.1) vor seinem mühevollsten Werk, dem reizvollen Modell der Hallstätter Kirche, diente dazu, kleine freiwillige Spenden aufzunehmen.
Um 1895 wurde ihm dies aus unbekannten Gründen — untersagt und gleichzeitig verboten, seine Schnitzereien im Museum zu belassen, ein Verbot, das ihn pekuniär sehr schwer traf, da er die freiwilligen Gaben der zahlreichen von seinen Arbeiten interessierten Besucher verlor und ebenso auch die kleinen Aufträge, die ihm hie und da bei dieser Gelegenheit zu teil wurden.
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Wieder war er der knappen Verlegerhand ausgeliefert, als der Schreiber dieser Zeilen 1898 durch Herrn Dr. Richard Heller auf den Schnitzer und seine Werke, die dann als in einem elenden Schuppen untergebracht waren, wo sie in kürzester Zeit zu Grunde gehen mußten, mit berechtigter Wärme aufmerksam gemacht wurde.
Ich reiste sofort nach Hallstatt und erwarb von Kieninger, indem ich einen wohl von Alter und Krankheit Gebeugten, aber doch einen schlichten ganzen Mann und Künstler aus dem Volke fand, sämtliche noch vorhandenen Arbeiten für das Museum für österreichische Volkskunde um eine Kaufsumme, welche dem Greis und seiner Frau den Lebensabend soviel als möglich erleichterte.
Volkskundemuseum von POS 2389
Johann Kieninger ist bald darauf gestorben; am 13. Januar 1899 ward er abberufen.
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Von den authentischen Arbeiten dieses absolut ungelernten Naturkünstlers, dessen künstlerisches Niveau sich so hoch über das landläufige Können von Volksarbeitern erhebt, befindet sich eine nicht kleine Zahl im Besitze des k.k. Museums für österreichische Volkskunde, welche es ermöglicht, ein Bild von seinem Schaffen zu gewinnen; es sind die folgenden:.
1. Das Modell einer Kirche mit vollständiger Inneneinrichtung, von welcher vier Altäre und die Kanzelpartie besondere Aufmerksamkeit verdienen.
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2. Die Weihnachtskrippe, teilweise mit beweglichen Figuren ausgestattet, ein überaus reizvolles Werk, in welchem die Mischung von volkstümlicher Tradition und individuellem Erfindungsgeist besonders bemerkenswert auftritt.
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3. Großer Heiland am Kreuz .
4. Modell des „Zwangs“ von Hallstatt, nach einer Photographie gearbeitet, mit getreuer Wiedergabe der landschaftlichen Konfiguration und der Ansiedlungen.
5.Vier Modelle ländlicher Bauwerke (Mühlen,Schmiede, Tenne) mit zugehörigen beweglichen Figürchen.
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6. Schnitzfigur einer alten „Baderin“, der Mutter des Künstlers.
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7. Schnitzfigur: Napoleon als Trommler.
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8. Figur der alten „Regerl“ .
9. Holzschlittenführer.
10. Vier Korpusse von Schächern.
11. Rahmen mit Bleistiftskizze: Darstellung der Mutter Kieningers auf dem Totenbette. Im Besitze des Herrn Dr. R. Heller in Salzburg befinden sich weitere zwei hier abgebildete Stücke:
1. Tabernakel mit Figur des auferstandenen Heilands.
2. Kreuzigungsdarstellung mit Magdalena.
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Nach einem mir gütigst zur Verfügung gestellten Berichte des ehemaligen Direktors der Hallstätter Schnitzereischule Prof. Gustav Goebel,der Kieninger sehr gut gekannt und seine Tätigkeit mit großem Interesse verfolgt hatte, hat der Meister außer größeren Objekten nach Art der angeführten und der Altargruppe im Kalvarienbergkirchlein in Lahn meist einzelne vollrunde Figuren, Volkstypen und Gruppen, Szenen aus dem Volksleben darstellend, aus Holz gefertigt. Die meisten dieser kleineren Schnitzarbeiten wurden entweder direkt oder durch den Verleger Ignaz Seetaler an Touristen oder Sommerfrischler verkauft.
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Sie scheinen seither oft von anderer Hand kopiert oder plagiiert worden zu sein, so z.B. Nr.8 („Regerl“) oder die Scherzgruppe von Dachsteinbesteigern. Auch werden jetzt in Hallstatt manche Schnitzwerke als Kieningersche Arbeiten bezeichnet, die gewiß nicht aus seiner Hand hervorgegangen sind.
© Volkskundemuseum Wien neg492
Schon diese knappe Liste der authentischen erhaltenen Arbeiten lehrt den absolut volkstümlichen Charakter dieses Lebenswerkes erkennen, welches, nicht frei von naiven Anklängen an gewisse typische Kunststücke, sich doch dabei zu rein künstlerischer Artung hindurchgerungen hat.
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Solche primitive Reminiszenzen stecken selbst in den großen Arbeiten Kieningers, in der Kirche wie der Krippe. Die Tausende handgeschnitzter Schindelchen, mit denen das Kirchendach und der Turmhelm in mühevollster Art eingedeckt sind, das Glockenspiel des Turmes mit selbst gegossenen Glöckchen, die kindliche Spielmechanik besonders auch in der großen Krippe sind beispielsweise solche Züge, auf welchen urunkultivierter Geist einen Akzent legt.
Aber wenn wir derartigen künstlerischen Armenleutgeruch nicht verschweigen, dürfen wir um so nachdrücklicher auf die im ganzen doch hohe und befreite Haltung und auf den erfrischenden Humor hinweisen, der diese kleinen Kunstwerke fast durchwegs auszeichnet.
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Das jenige Werk, auf welches sich der Meister wohl das meiste zugute tat, ist der zierlich schöne Bau seiner Hallstätter Kirche. In ihrer Architektur sowohl wie ihrer künstlerischen Ausstattung ist sie der Hauptsache nach durchaus das Werk des Schnitzers.
Zunächst im Grundriß als Nachbildung der protestantischen Kirche von Hallstatt gedacht, Kieninger war, wie erwähnt, evangelischer Konfession, — wie auch der Turm diesem Vorbild entlehnt ist, — entschied sich der Schnitzer während der Arbeit, vermutlich von seinem künstlerischen Ehrgeiz getrieben, um sich eine größere Aufgabe stellen zu können, für den Aufbau der Kirche das Vorbild der alten hochragenden katholischen Pfarrkirche zu wählen.
Den Turm placierte er ebenfalls dem letzteren Vorbild entsprechend. Aus dieser Synthese ist nun, wie der Augenschein lehrt, ein sehr wirkungsvoller Bau von durchaus harmonischen Abmessungen und eindrucksvoller Silhouette hervorgegangen.
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Weitaus die größere und wirklich künstlerische Erfindung ist aber an die Inneneinrichtung der Kirche verwendet, welche bis in die letzte Einzelheit in sauberster und zierlichster Schnitzarbeit ausgeführt erscheint.
Es seien hievon nur die vier gotisierenden Flügelaltäre, sowie die eindrucksvoll phantastische Kanzelpartie hervorgehoben, wobei jedoch nicht unterlassen sei zum bemerken, daß die ganze Ausgestaltung des kirchlichen Innenraums in der Tat einen künstlerischen Eindruck — bei aller Winzigkeit der Maße — ausübt.
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Die auf unseren Abbildungen in Wirklichkeitsgröße dargestellten Kirchenaltäre (Tafel III, Fig.1,3) sind in der Hauptsache Nachahmungen des alten Hochaltars in der katholischen Pfarrkirche zu Hallstatt, die Darstellungen im Mittelschrein, einzelne Flügelbilder sowie die Figürchen des Altaraufsatzes sind aber selbständige Kompositionen Kieningers.
Ebenso müssen die beiden Altäre (Tafel III, Fig.2 und Textbild 3) als eigene Schöpfungen des Meisters gelten und wenn auch nicht frei von Unbeholfenheit und künstlerischen Unzulänglichkeiten, so sind sie doch vollster Beachtung namentlich in Bezug auf die Reliefdarstellungen der Altarflügel würdig.
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Von Interesse ist es auch, die Figur des auferstandenen Heilands im Mittelschrein des Altars (Tafel III, Fig. 2) mit der selbständigen Heilandsfigur auf Tafel I, Fig.2, zu vergleichen und den künstlerischen Fortschritt festzustellen, den diese spätere Arbeit des Schnitzers unverkennbar bedeutet. Erwägt man die winzigen Maße dieser Kompositionen, die technischen Schwierigkeiten der vielfach mikroskopisch kleinen Reliefs, so wird man in Anbetracht der gänzlichen Ungeschultheit des Schnitzers sowie der Primitivität seiner Schnitzbehelfe diesen seinen Leistungen die vollste Bewunderung nicht versagen dürfen. Um so mehr, als diese Arbeiten durchaus nicht den fatalen Eindruck von mikrologischen Kunststückchen, wie die bekannten Berchtesgadener Arbeiten: Kreuzigungsgruppen aus Beinin Nußschalen ausüben, sondern trotz ihres Miniaturstils künstlerisch wirken.
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Das gleiche gilt von der Kanzelpartie der Kirche, deren kunsthistorische Analyse eine anziehende biographische Aufgabe wäre, die uns aber hier zu weit führen würde.
Noch mehr als aus dieser merkwürdigen Architekturschöpfung dringt ein warmer Strahl echten Kunstempfindens und tiefer volkstümlicher Frömmigkeit aus Kieningers Lieblingswerk, seiner Krippe, zum Beschauer.
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Mit welcher Lieblichkeit ist Maria mit dem Kinde aus dieser knochigen Hand hervorgegangen! Wie belebt und charaktervoll sind all die traditionellen Gruppen des Vordergrundes, zu denen dem Künstler alle in ein paar schlechte alte Papierbogenausschnitte Modelle abgegeben haben. Und es ist Kieningers eigenstes Werk, wie er den seit dem 16. Jahrhundert traditionellen „Krippenberg“ benutzt, um zahlreiche, echt volkstümliche und schalkhafte Typen und Genreszenen darauf ebenso ungezwungen als lebensvoll unterzubringen.
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Über dem Stall baut sich zunächst die Stadtfront mit flankierenden Seitengebäuden auf, darüber erhebt sich in mehreren Etagen die ländliche Landschaft. Als bunte Staffage gewahren wir, mit perspektivisch gedachter Verringerung der Figurenhöhe nach dem Hintergrunde, die typischen Hirten, Jäger und Handwerker, Holzarbeiter, eine Gruppe von Pilotenschlägern, den Rammblock mit seiner Mannschaft, den Schleifer, einen Zweighacker im Baumgeäst, die Hobelbank mit zwei Hoblern, alle Figuren und Gruppen wirkungsvoll und natürlich verteilt. Das Ganze überkrönt von reizvollen gloriasingenden Engelfiguren im Strahlenkranz.
Unübertrefflich und unnachahmlich ist die Mischung von traditioneller und individuell-persönlicher Ausgestaltung dieses Werkes, aus welchem ebenso kindliche Frömmigkeit wie urwüchsiger Heimatsinn den Beschauer anspricht.
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Eine der eigenartigsten Gruppen von Kieningers Lebenswerk wird durch die kleine Reihe der lebensvollen Charakterfiguren aus dem persönlichen Milieu des Schnitzers gebildet. Da ist vor allem die Figur seiner alten Mutter, der berühmten „Baderin“ von Hallstatt (Tafe lV, Fig. 7). In voller Lebenstreue, mit jedem Zug der Kümmernisse und professionalen Strenge im faltigen Gesicht, und von allem naiven Zubehör ihres Amtes umgeben sitzt die „weise Frau'*, ihre Kunden erwartend, am wackeligen Tischlein — ein wahrhaftes Bild der guten alten Zeit.
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Daß der Schnitzer Porträttreue angestrebt und erreicht hat, sieht man nicht ohne Rührung an der Bleistiftskizze, in welcher Kieninger später das Bildnis der toten Mutter mit wehmütigem Ernst und Fleiß festgehalten hat (Textabbildung 6).
Das Bildchen, im selbstgeschnitzten Rahmen bis zum eigenen Tode von Kieninger aufbewahrt, mag auch als Zeugnis für das zeichnerische Können des Schnitzers nicht ohne Interesse sein, um so mehr, als wir von vertrauenswürdiger Seite, der Nichte des Meisters, Frau Pauline Schneuz in Hallstatt Nr.26, wissen, daß derselbem mehrfach ähnliche Zeichnungen für seine Bildwerke vorher entworfen und danach gearbeitet habe.
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Ein würdiges Seitenstück zur Baderin ist die Figur der „Regerl“ (Tafel V, Fig.6), eines alten Weibsoriginals von Hallstatt, welche von Lebenswahrheit bis zur Karikatur erfüllt ist.
Dieses Dorforiginal hat der Schnitzer, wie es scheint, mehrfach verewigt, wenigstens befinden sich drei verwandte, in unwesentlichen Zügen voneinander abweichende Darstellungen dieses Motivs im Besitze des Museums für österreichische Volkskunde.
Sie lehren, daß der Künstler sein Sujet stets mit gleich charakterisierender Kraft aufgefaßt hat, ohne sich mit einfachen Wiederholungen abzugeben. Es ist uns glaubhaft bezeugt, daß der Meister trotz seiner großen Not solche simple, vom Verleger bestellte Wiederholungen seiner Arbeiten nur äußerst ungern ausgeführt habe.
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Einweiteres treffliches Stück ist die Karikaturfigur Napoleons (TafelV ,Fig.5), den der patriotische Schnitzer zumTrommler degradiert hat (mit Mechanismus). In diese Reihe gehören dann schließlich noch eine Anzahl verschiedener Gruppen und Figuren von Hallstätter Lokalkolorit — Dachsteinbesteiger, Schlittenführer, tanzende Bauern — Motive, aus denen schließlich eine ganze Ortsschnitzindustrie inhaltlich hervorgewachsen ist. (Vergl. auchTextabbildung 5 .)
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Eine weitere Gruppe wird von den religiösen Schnitzwerken Kieningers gebildet. Wir sind glücklicherweise in der Lage, den künstlerischen Charakter dieser Arbeiten an den reproduzierten Stücken ausreichend beurteilen zu können.
Wenn sich der evangelisch gesinnte Mann von der Ausgestaltung spezifisch katholischer Motive aus der Heiligenlegende ferngehalten hat, so tritt seine wahrhaft christliche Frömmigkeit bei der Schöpfung seiner religiösen Werke doch unverkennbar und ergreifend an den Tag.
Voll gültiges Zeugnis dafür sind seine Kruzifixusdarstellungen (TafelI, Fig.1,3; Tafel II, Fig.1) und die schöne Figur des Auferstandenen. Die kunsthistorischen Bezüge und Quellen für diese Werke herauszufinden muß ich anderen überlassen.
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Zweifellos sind solche vorhanden; aber ebenso zweifellos spricht aus diesen Werken eigene Kraft und selbständiges, aus tiefem und frommen Herzen gespeistes Können des ungelernten Mannes, für dessen Technik die beiden angefangenen Korpusse der Schächer mit ihrer charakteristischen Schnittart von Interesse sind; sie haben aus diesem Grunde vorstehende Abbildung erfahren (Textbilder 7 und 8).
Gleichzeitig mit Kieninger haben in Hallstatt und Goisern zwei andere Volkskünstler Arbeiten in Holz geschnitzt, welche nach dem Urteil von Sachverständigen hervorragende Leistungen bäuerlicher Volkskunst darstellten. Es sind dies Ignaz Hager in Hallstatt — seine Schaffenszeit liegt um 1860— 70 — und Ernst Heisel in Ebensee; letzterer ursprünglich ein armer Holzknecht, später Jäger.
Seine Tierstücke und Jagdszenen bzw.-gruppen — in Ebensee und Umgebung in Privatbesitz verstreut — gehören nach Prof. Gustav Goebel wohl zu den besten Erzeugnissen alpenländischer Volkskunst.
Aber auch sonst ist diese Gegend, ähnlich wie die unfern gelegene Viechtau zwischen Gmunden und Altmünster, offenbar seit langer Zeit sehr fruchtbar in der Hervorbringung urwüchsiger Schnitzertalente gewesen, was ja auch für die seinerzeitige Gründung der k.k. Fachschule für Schnitzerei in Hallstatt maßgebend gewesen ist. Das originellste und überragendste künstlerische Talent der Gegend ist aber sicher unser Johann Georg Kieninger gewesen, der mit seinen Arbeiten für die Schnitzproduktion dieses Teils des Salzkammergutes vorbildlich geworden ist.
Ein echter Repräsentant volkstümlicher Begabung, hat er auch das typische Schicksal einer solchen durchgekämpft; und es ist nur zu wünschen, daß, wenn wieder eine so reiche und reine Begabung in unserem Alpenvolke da oder dort auftaucht, die neue Zeit wachsam er ihr Wirken wahrnehmen und fördern werde.
Unserem Johann Kieninger ist seine Zeit bis auf einen kargen Bissen Brot leider alles schuldig geblieben.
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Auf Seite 63
Ein Schnitzwerk von Johann G. Kieninger.
Mitgeteilt von F. PÖSCHL, Wien.
Im Anschluß an die in dieser Zeitschrift, S. 4 — 12, erfolgten Mitteilungen über die bewundernswerten volkskünstlerischen Arbeiten des Meisterschnitzers J. Kieninger (Hallstatt) wird es Interesse finden, zu vernehmen, daß sich eine kleine, aber interessante, authentische Arbeit dieses Meisters in meinem Besitz findet. Sie ist nebenstehend in Fig. 3 1 abgebildet.
Die beiden naiven Figürchen stellen die ehemaligen Besitzer des Hauses Nr. 25 in Obertraun, namens Johann und Eleonore Zauner, dar.
J. Kieninger war der Schwager der Frau. Die beiden Porträtfigürchen stammen aus den Siebzigerjahren des verflossenen Jahrhunderts und sollen überaus wohl getroffen sein. Meine Gewährsleute sind die jetzigen Besitzer dieses Hauses, das sie samt aller Habe — darunter auch die Schnitzerei — von den Zaunerschen Eheleuten, ihren „Goden”, geerbt haben.
Das Stück ist aus Lindenholz geschnitzt und in ziemlich diskreter Art gefaßt. Die Länge des Kästchens beträgt 12,5 cm.
Der Fund eines authentischen Schnitzwerkes von J. Kieninger in Wiener Privatbesitz gibt der Direktion des k. k. Museums für österreichische Volkskunde willkommene Gelegenheit, auf die zahlreichen Arbeiten hinzuweisen, die von Kieninger für Verleger und Händler gearbeitet, gewiß noch in Sammlerhänden zu finden sind, ohne daß der Betreffende selbst von der Provenienz des Stückes unterrichtet ist.
Sollten die in unserem ersten Hefte publizierten Stücke zu einer Eruierung derselben in Sammlerkreisen verhelfen, so stellt die Direktion an alle für die Sache interessierten Leser das freundliche Ersuchen, sie mit einem solchen Funde gütigst bekannt machen zu wollen, eventuell auch eine Publikation des Stückes zu gestatten.
Bibliografische Informationen
Person, Institution:
Haberlandt, Michael [Herausgeber]
Titel:
Werke der Volkskunst. Mit besonderer Berücksichtigung Österreichs. I. Band
Zusatzinfo:
Mit Unterstützung des k. k. Ministeriums für Kultus und Unterricht herausgegeben von Prof. Dr. M. Haberlandt
Ort, Verlag:
Wien: Löwy
Jahr: 1914
Dieser Text und diese Bilder sind aus dem digitalen Archiv des Volkskundemuseums Wien.
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