Die Leute im See.
- Gerhard Zauner
- 23. Nov. 2022
- 5 Min. Lesezeit
Die Leute im See.
Von Ludmilla Nowak.
Wenn die Fremden nach Hallstatt kommen, dann glauben sie, hier wohnen nur Leute in den Markthäusern, in den kleinen Häuserln am Seeufer und auf dem Berg.

"Wie ein Kripperl liegt’s da",
sagen die Fremden dann von der alten Hallstatt oder:
"Wie Schwalbennester sind die Häuserln an den Berg hingeklebt".
Umrahmt von den hohen Bergen liegt der See mit seiner tiefen, schwarz-grünen Flut, ein schweigsamer, geheimnisvoller Spiegel, der sich oft in wilden Stürmen bricht. Unergründlich ist er für das Menschenauge und regt zum Sinnen, zum Träumen.

Der Sage nach wohnen auch Leute im See, am Grund des Sees und halb grauenvoll, halb schalkhaft und gemütlich, weiß der Volksmund darüber zu berichten. Die Seeleute sind Nixen, Wassermänner und Wasserfrauen. Sie zeigen sich nur selten den Menschen, aber zwei sonderbare Geschichten reden doch von ihnen.

Im Markt, "am Hof", eng am See, steht ein kleines Häuserl das früher das "Scheutzen-Altenhaus" genannt worden ist. Davon erzählt man: In diesem Haus wohnte eine alte Hebamme. Einmal, in einer stillen Nacht klopft es an ihrer Haustür. Die Frau erhebt sich von ihrem Lager, gewohnt, pflichtgetreu jedem Ruf zu folgen, und sieht zum Fenster hinaus wer denn draußen wäre.

Da sieht sie einen Mann vor ihrer Tür, den sie nie zuvor gesehen hat.
"Was is denn, wo soll ich denn hinkommen?", fragt sie.
"Bitt’ dich gar schön, geh mit mir", sagt der Mensch.
"Zu meinem Weib; sie braucht dich notwendig".
Da gibt's kein zaudern mehr für die brave Hebamme sie fragt nicht mehr lang.
"Sind etwan arme, fahrende Leut",
denkt sie während des Ankleidens und tritt dann willig vors Haus hinaus zu dem Mann. Ganz unbekannt ist er ihr, aber sie geht doch mit ihm.
Wie erstaunt sie aber, als er sie gleich von ihrer Haustür weg einige Schritte zum See hinführt, in dessen Tiefe eine wahrhaftige Stiege hinabgeht!
Die ältliche Frau schreckt sich, prallt zurück. Er aber nimmt sie bei der Hand und fleht:
"Komm nur, komm, geh mit mir! Hab' keine Angst, so gut du mit mir hinunterkommst, so gut kommst du wieder herauf".
Sie jammert.

"Da awi soll i! Jesus, Maria und Josef, steht’s mir bei!"
Der arg bedrängte Nixenmann weicht nicht.
"Ich bitt’ dich gar recht schön, komm, komm!"
wiederholt er.
Da rafft sie sich auf.
"In Gottes Namen, so geh’ ich halt mit dir! Ich muß ja gehen, wann mich wer holt. Es ist meine Pflicht und ich hab's ja geschworen — und erbarmen tut mir dein Weib auch".
Und so steigt sie mit dem Mann in den See und kommt gut und trocken am Grund unten an. Dort steht ein nettes Haus und da hinein geleitet sie der Mann.

In dem Häuschen lag eine Frau in Kindesnöten und die Hebamme stand ihr getreulich bei. Wenige Stunden später waren die Bewohner des Seehauses um ein neugeborenes Seekindlein vermehrt.

Nun bedankten sich die seltsame Wöchnerin und deren Gatte und der Seemann führte die brave Helferin zu einer sogenannten "Schüsselrähm", einem Tellerbehälter an der Wand, die hier vollbesteckt mit schönen Zinntellern war.
"Von diesen Tellern"
sagte derMann,
,,kannst dir etliche nehmen zum Lohn für deine Hilf' und Gutheit. Nimm dir nur, was anderes haben wir nit zum geben".
Da nimmt sich die Hebamme bescheiden zwei.
"Jetzt mußt dich verabschieden und ich muß dich wieder hinaufführen",
sagt dann der Mann,
"denn deine Zeit ist um".

Sie gibt also jedem die Hand, macht noch segnend dem kleinen Kind das Kreuz und verläßt dann das Seehaus. Sicher und trocken bringt sie der Seemann wieder die Stiege hinauf, sie kommt dabei nicht vom Atem und sie kriegt kein nasses Fleckerl im Gewand.
Und wie das gute Weib wieder droben gestanden ist am Land, ist auf den Bergspitzen goldenrot der erste Sonnenschein gelegen — und golden sind die zwei Teller, die die Frau in der Hand gehalten hat. Sie waren am Tageslichte nicht Zinn, sie waren Gold, echtes, wirkliches Gold und sind es auch geblieben. Voll Freude wendet sich das wackere Weib noch einmal um nach dem See, will dem Wassermann nochmals danken für die überreiche Zahlung. Sie sucht nach der seltsamen Stiege, die sie gerade heraufgegangen ist — aber diese ist verschwunden und auch von dem Seemann war nichts mehr zu sehen.

Die goldenen Teller aber sind geblieben und die Frau hatte genug für ihr Leben lang.

Im Jahre 1750 brannte Hallstatt ab.
Die Ursache des Brandes wird verschieden angegeben. Die einen sagen, das Feuer sei im Bäckerhaus am Marktplatz (heute de Pretis) ausgebrochen und zwar soll dort in ganz unglaublicher Weise eine Kiste mit heißer Asche auf den Dachboden gestellt worden sein. Das scheint nicht sehr wahrscheinlich. Richtiger ist wohl die Angabe, daß das Feuer im Pfannhaus, dem alten Sudhause, entstand, das sich damals mitten im Orte befand, und zwar dort, wo es heute noch "am Pfannhausbühel" heißt.
Das Feuer richtete furchtbaren Schaden an; sogar die Kirche verbrannte, die Glocken schmolzen und fielen herab. Der reichste Mann von Hallstatt war damals Siegmund Seeauer, Bürger und Salzfertiger. Er verlor bei diesem Brand sein halbes Vermögen. Er blieb noch ein reicher Mann, starb aber ein Jahr darauf, 1751.

Die Bewohner der drüber dem See gelegenen Ortschaft Obertraun eilten bei jenem Brande den Hallstättern zu Hilfe. Alle Häuser des Marktes brannten ab, bis zum sogenannten Kramerschneiderhaus am oberen Weg nach der Ortschaft Lahn, das zum Andenken seither immer einen roten Anstrich hat.
Die armen Hallstätter waren durch den Brand in eine schreckliche Lage versetzt worden. Die Kaiserin Maria Theresa schickte viel Geld zur Hilfe, kam dann sogar einmal selbst, um nachzusehen. Bei diesem Besuch fand sie noch viele Häuser erst schlecht ausgebessert und noch mit den Spuren des Brandes behaftet.

Manches Haus erhob sich überhaupt nicht mehr; auf einigen Brandstätten wurden Gärten angelegt. Der Markt erstand aus diesem Zusammenbruch in vielfach veränderter Gestalt.
Um die Wiederholung eines sochen Unglücks zu verhüten, baute man das neue Pfannhaus in die Ortschaft Lahn hinüber, abseits von den anderen Häusern.
Bei diesem Bau trat zum letztenmal jemand von den Seeleuten hervor.
Man hatte nämlich zuerst einen Baufehler gemacht. Das Gebäude war so angelegt worden, daß die Türen und die Öffnungen der Öfen gegen das Echerntal zugewandt waren. Als man nun einheizte, blies der Waldbacherwind das Feuer aus und es war nichts zu machen.
Als sich nun die wackeren Pfannhausknechte so vergebens mühten, sahen sie auf einmal beim See eine Jungfrau stehen, die lachte und immer wieder lachte, so als wollte sie sie auslachen.
Die Männer waren empört und zugleich gefiel ihnen das Weiblein und sie fingen es mit einigem Bemühen ein.

Das Fräulein hatte fremde Kleider an sich, griff sich sehr kalt an und hatte etwas an sich, das die Männer in Achtung vor ihr erhielt. Die merkten auch bald, mit wem sie es zu tun hatten und flüsterten einander zu:
"Gebt’s Obacht die is nit wie unsereins — das is eine Seejungsfrau!"
Sie stellten sich eng um sie herum, so daß sie nicht entkommen konnte.
"Alsdann, warum hast g’lacht, was is’s",
fragten sie.

"Hi, hi, hi",
kicherte sie schalkhaft,
"ich sag euch’s nit! — Laßt’s mi aus!"
"Wir lassen dich nit ehender aus, bis daß 'd uns g'sagt hast, warumst lachst!"
Und sie schlossen fester den Ring um sie und sie konnte nirgends durchschlüpfen.
Da lachte sie nochmals und ihre grau-grünen Augen blitzten.

"Hi, hi, hi, dumm seid’s g'wesen, habt’s ja’s Pfannhaus verkehrt baut! Ihr müßt’s es so machen, daß das Feuer zum See hinsschaut, nachher wird’s euch brennen!"
"Aah so!" machten die Männer. Jetzt ging ihnen ein großes Licht·auf.
"Laßt's mi aus, laßt's mi aus, tut’s mir nix!"
befehlte wieder das Fräulein vom See. "Mir tun dir eh nixi. Geh hin in Gottsnam und schön Dank für dein Rat!"

Die Männer traten auseinander, das Weiblein lief vorwärts und rauschend in den See hinein, wo es verschwand. Es war die letzte Seejungfrau, die man in Hallstatt gesehen hat. Man tat nach ihren Worten, verlegte Türen und Öfen im Pfannhaus und seither brennen die Hüttenflammem wie es sich gehört, leuchten hinaus zum See, der Heimat der sagenhaften Wasserleute.
Quellenangabe: Handlung der Sagen aus mündlicher Familienüberlieferung, einige Daten aus Ignaz Gielge, Beschreibung des Landes Österreich ob der Enns, Anton Rosenauer,
Artikel über Goisern.
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