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Die stille Zeit im Salzkammergut

Autorenbild: Gerhard ZaunerGerhard Zauner

Film mit freundlicher Genehmigung von: STV1 Regionalfernsehen Bad Ischl




Die stille Zeit im Salzkammergut



„Durch des Septembers milden Blick— schaut noch einmal der Mai zurück."

So lautet ein Sprüchlein, das nicht ganz richtig ist. Wohl bringt uns der September noch herrliche Tage, Luft und Sonne sind sanft, das Herrische, Stürmische des Sommers ist aus der Natur gewichen. Eine Anmut durchzieht die Schöpfung, aber bei näherem Prüfen können wir es uns nicht mehr verhehlen: Das ist nicht die jubelnde Anmut des Frühlings, des Werdens, das ist die lässige Grazie ergebenen Vergehens, des Herbstes.

Das Wasser des Sees scheint mit jedem Tage klarer zu werden, immer weiter hinunter kann man den abfallenden Grund verfolgen. Da drunten spielen Fische, träumen ruhige Muscheln, strecken sich die smaragdgrünen Stengel des Wasserkrautes. Die Berge kommen dem Auge immer näher. Man entdeckt Waldblößen, die man im Sommer nie gesehen, an den fernen, sichtbaren Almhütten beginnt man Einzelheiten zu unterscheiden. Die Luft des Firmamentes wird dünner, das Blau dunkelt, das Himmelsgewölbe ist so zu sagen tiefer.

Im Walde läuten die Glocken des Dolden-Enzian den Herbst ein. Zyklamen duften süß und giftig. Im kurzen Grase der Wiesen wiegen die Herbstzeitlosen ihre Häupter. Späte Schmetterlinge schweben darüber hin und ab und zu ein langer silberner Faden, die ersten Greisenhaare des herbstenden Jahres. Die Hochalmen liegen bereits verlassen und verschlossen Nun läutet die Kuhglocke in ihren tiefen anheimelnden Tönen auf der Niederalm. Aber auch da und in den Schutzhütten denkt man schon ans Abfahren, ans „Abrauschen".

Bleibt der September schön, so verlängert man wohl den Aufenthalt immer wieder ein wenig. Ab und zu kommen immer noch Touristen um eine Herbsttour zu unternehmen, die die auszustehende Kälte durch eine weite Aussicht meist reichlich lohnt. Die Sommergäste der Täler haben bis auf wenige ihre Quartiere verlassen. Nur ganz besonders Glückliche können noch den Herbst in den Bergen verbringen. Die haben es freilich wunderschön. Um die Ruhe und Ungestörtheit, die sie genießen, sind sie wahrhaftig zu beneiden.


Für die Einheimischen sind die lohnenden und willkommenen Nebenbeschäftigungen, die ihnen der Fremdenverkehr bietet, fast gänzlich verschwunden. Mit der klassischen Ruhe der Gebirgsbewohner gehen sie wieder nur ihren bäuerlichen oder gewerblichen Arbeiten nach. Die Kinder, von welchen es im Sommer oft auf Gassen und Plätzen wimmelt, sind in der Schule. An Mariageburt ziehen bekanntlich die Schwalben „furt."


In den Hausgärtchen leuchten herbstliche Blumen, Astern, Georginen, Stroh- und Ringelblumen. Ein scharfer Wind erhebt sich, wenn die Sonne kommt und wenn sie geht. Morgen und Abend werden allgemach immer kühler, von den Wänden sehr beschattete Orte vermissen den Sonnenschein bald ganz, an solchen Stellen liegt dann den ganzen Tag hindurch der Tau, oft schon sogar ein leichter Reif. Die Bäche, die von der Höhe kommen, versiegen nach und nach oder gehen zum mindesten in ihrem Wasserreichtum zurück. Der See ist am Morgen mit einem dichten blauen Nebel fast ganz bedeckt, der sich aber beim Sonnenschein erhebt, zerreißt, die Berge entlang zieht und endlich verschwindet.


Gegen Ende September, anfangs Oktober rüstet die Sennerin unwiderruflich zur Heimkehr. Schön ist das Almleben und mit Freuden treibt sie im Frühjahr ihre Herde auf die altgewohnte Hütte zu den würzigen Bergwiesen. Nun aber hat die Almerin selbst wieder Verlangen nach den, warmen Bauernhaus im Tal und nach der Gesellschaft der Menschen. Das Almgeschirr wird nocheinmal gereinigt, es wird bestimmt, was davon hier bleibt, und was in den leichten Handwagen kommt. Eines Tages erscheint der Bauer selbst oder ein besserer Knecht, um die Sendin mit ihren Schutzbefohlenen, zu welchen auch der meist jugendliche Halter gehört, zu Tale zu geleiten. Der Bauer oder Knecht bringt auch etwas für den Schmuck der Kühe mit, buntes Papier, Rauschgold und Schaumgold. Nun geht es an ein eifriges Vorbereiten. Für den Stier und die Glockenkuh, die Regenten des lieben Viehes, wird das Schönste auserwählt. Ich habe schon einmal einen Stier gesehen, der einen ganzen kleinen, bunt verzierten Tannenbaum auf den Hörnern balanzierte. Der „Glockin" wird ein hohes, breites Schild aus vergoldeten Alpenrosenkraut, reich mit farbigen Papier und Rauschgold besteckt, an die Hörner gebunden. Die übrigen Kühe, die „Untertanen" tragen bescheidenere Kränze. Man setzt eine Ehre darein, die Kühe so schön als möglich zu machen und es ist eine lustige Arbeit. Traurig hat es die Sennerin, der ein Stück Vieh verunglückt ist, ihre Kühe haben Trauer um den verlorenen Kameraden und dürfen nicht geschmückt gehen. Groß ist der Stolz jener Almerin, die um ein oder mehrere Stück mehr heim bringt.

Von den letzten Mehl- und Schmalzvorräten wird noch der „A'rausch" gebacken. Aus einem einfachen Teig werden Tiere, Gemsen, Hirsche, und Figuren, Sterne u.s.w geformt und im Fett gebräunt. Auch sogenannte „Schneeballen" macht man gern. Dieser „A'rausch" wird am Heimweg und zu Hause an Bekannte und Kinder verteilt. Besonders die Kinder können das A'rausch betteln schön und ganz melodisch klingt der singende Ruf ihrer jungen Stimmchen: „An A'rausch, an A'rausch!" Auch der A'rausch wird teilweise mit Schaumgold vergoldet, damit der noch schöner aussieht. Burschen, die mit solch einem goldenen Gamsen beschenkt werden, stecken ihn zur Zierde auf den Hut, die Kinder aber essen nach einigen Anschauen auch das Vergoldete und mir hat als Kind immer der goldene A'rausch noch besser geschmeckt als der andere.


Der Heimzug einer glücklichen und vermehrten Herde gleicht einem Triumphzug. Voran schreitet der Stier mit dem Bauer oder Knecht, dann folgt die „Glockin" und hinter ihr die übrigen Kühe der Rangordnung nach. Die Sennerin geht im Sonntagsstaat neben her, meist das Tuch mit einem Teil des A'rausch im Arm, immer die Ordnung aufrecht erhaltend, zuletzt kommt der Halterbub mit dem Handwagerl.


Mitunter ist das Vieh durch die lange Einsamkeit etwas scheu geworden und es ist schwer, es in Reih und Glied zu erhalten. Jener Stier mit dem Tannenbaum auf dem Kopf war zum Beispiel sehr unruhig, sah fast bei jeder Haustür hinein und bei einem Fleischhauer ging er in die Bank, was eigentlich nicht sehr klug von ihm war.


Im Tale herrscht natürlich zur Zeit der Heimfahrt freudige Erregung. Gar oft müssen die Kühe auch noch eine Wasserfahrt über einen See machen, bevor sie zu Hause angelangt sind. Große, breite Schiffe werden hiezu verwendet, sogenannte „Zillen" oder „Mutzen."


In manchen Gegenden ist es noch üblich, daß man den jungen Geißen im Frühjahr ein Glöckerl um den Hals hängt, und sie den ganzen Sommer über wild im Walde herumlaufen läßt. Ebenso ist das bei den Lämmern der Fall. Im Herbst geht man dann dem Klange nach und fängt die Tiere ein; das ist oft ein hartes Stück Arbeit aber mit Ruhe und Beharrlichkeit bringt es der Bauer auch zustande. Übrigens wird das Vieh nie ganz scheu. Es zeigt sich gern in der Nähe des Menschen, wenn es auch bei seinem vollständigen Herankommen blöd ausreißt und sich erst nach und nach wieder ganz an ihn gewöhnt. Im Dachsteingebiet ziehen herdenweise eine Gattung dunkler Schafe herum, Steiermärkern gehörig und „Schladminger Lampln" geheißen, die so wild sein sollen, daß sie sogar beißen, welche Sage aber vielleicht nicht ganz den Tatsachen entsprechen mag.

Sind alle Bergbewohner also wieder glücklich im Tale vereint, so will man noch ein wenig lustig sein. Eine Hauptfeier ist das Schützenfest. Da krachen die Stutzen ganz feierlich durch die herbstliche Stille, das Gejole des Zillers, der in seiner bunten Tracht herumspringt, begleitet die Schüsse.


Am Abend singt und brummt dann eine gemütliche einfache Musik den Landler und den Steirischen in den Wirtshäusern. Warum soll man nicht tanzen? Die Arbeit ist getan, die Zeit der Ruhe naht und die Kammern sind voll, so voll sie eben sein können. Ärmere Leute machen sich auch jetzt auf eine sonderbare Expedition das „Äpfelbetteln." Mit einer gewissen Selbstverständlichkeit gibt ihnen der wohlhabende Bauer von einem Obstüberfluß. Es ist dies eine althergebrachte, hübsche Sitte, die nicht erlöschen sollte, sie hat etwas so rein Menschliches an sich.

Aber nicht nur die Menschen lockt es von der Höhe, auch die Tiere wollen ins Winterquartier: die Vögel: Meisen, Kohlmeisen, Blaumeisen, Bergfinken, Stieglitze, Rotkröpserln, sowie auch der Kreuzschnabel und Dompfaff zeigen sich plötzlich in der Nähe der Häuser. Da rücken die Buben und Männer mit dem Fangapparat, dem „Schlägl" aus, um Jagd auf die Tierchen zu machen. Es wird aber nicht so grausam als es aussieht. Ein Fenster der Wohnung wird hergerichtet, mit Moos ausgepolstert und mit Tannenzweigen besteckt, dahinein läßt man die Vögel. Sie werden wohlgefüttert und vor der Hauskatze wohlgehütet. Das ganze Haus, besonders aber die Kinder und der Ähnl und die Ahnt haben ihre Freude an den munteren Gästen, denn Gäste sind sie, sie bleiben nicht für immer da. Im Frühjahr, wenn es draußen wieder milder wird, wenn die Tierlein den Lenz sehen und fühlen, mit den Flügeln verlangend schlagen und ungestüm an die Scheiben picken, öffnet ihnen der Hausvater oder die Hausmutter einfach das Fenster und sie dürfen wieder hinausfliegen in die Freiheit. Nur einen von ihnen, einen recht schönen, lieben Kerl, behält man hie und da zur bleibenden Gesellschaft.


Um die Mitte des Oktobers sind die Sommerfrischler endgültig verschwunden. Nur hie und da kommt noch eine Bergbesteigung vor, sonst aber sind die Gebirgler unter sich. Sie wintern ein. In den Holzhütten knarren tagelang die Sägen, das Holz ist notwendig.

Immer kürzer werden die Tage, wenn jetzt einmal Regen eintritt, so ist es vorbei mit der schönen Zeit, und scheu zieht sich Mensch und Tier ganz in die Häuser zurück, um den grimmigen Gast, den Winter zu erwarten.

Und eines Tages ist er da. Aus dem Reif ist Schnee geworden. Der See friert an seinen Ufern zu. Der Eisstock und die „Schlittgoaß", wie man den kleinen Handschlitten auch nennt, werden hervorgesucht.

Auch ein schöner Wintertag ist etwas Herrliches. Die gleißend weißen Berghäupter, die in den kaltblauen Himmel ragen! Der Wald blaut, an seinen schütteren Stellen hebt sich jeder Baum scharf und dunkel vom dichtbeschneiten Boden ab. Auf den Seen arbeiten fleißig die Eissägen. Gefriert ein See ganz zu, so entwickelt sich reges Leben auf seiner harten, weißen Fläche, man versucht das Schlittschuhlaufen, spannt Hunde an die Schlitten, um sich von ihnen ziehen zu lassen u.s.w., das Ungewohnte übt seinen Reiz, hier wie überall.


Die langen Abende des Winters werden auch hier traut und gemütlich. Man sitzt ruhig zu Hause, verrichtet leichte Arbeiten, raucht, spielt ein wenig und erzählt sich dabei wieder die alten Geschichten von den wilden Frauen, die den Bauern heuen geholfen und ihnen nebstbei gelegentlich die Kinder umgetauscht haben, vom Teufel, der die Jäger und Holzknechte heimsuchte. Man glaubt heute nicht mehr so recht daran, aber wenn der Sturm ums Haus heult, dann kommt der alte Glaube wieder, wenigstens auf Stunden, und das Gruseln ist immer angenehm. Das „wild' Gjoad“ fährt über den Gjaidstein, dem Nachbar des Dachstein, wenn's der Wind gar so treibt. Jetzt regt man sich nicht mehr so darüber auf, aber von einem alten, jetzt schon verstorbenen Müller habe ich noch gehört, daß er in der heiligen Nacht zur Beruhigung der alten Gespenster Mehl nach allen Himmelsrichtungen ausstreute. In den Rauhnächten und den heiligen Zeiten singt man die uralten Weihnachts- und Neujahrslieder. Im Fasching kommt der Tanz und dann die Fasten. Und allgemach rückt im ewigen Kreislauf der Frühling wieder näher. Unter Lawinendonner erblühen die ersten Blumen, Schneekatzen und die Frühlingserika, der „Sendl". Bald nach Ostern ist die Zeit der Ruhe dahin. Wiesen und Äcker müssen bestellt werden, das Haus wird hergerichtet, diese und jene Stube besonders schön, denn sie ist für die „Herrschaften" bestimmt, die sich, wenn das Wetter schön ist, schon bald wieder sehen lassen.



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