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Unvergessenes. Denkwürdigkeiten aus dem Leben von Helmina von Chezy Von ihr selbst erzählt.

Autorenbild: Gerhard ZaunerGerhard Zauner

Aktualisiert: 16. Mai 2020

„Wenn die Füchse in der Sudpfanne nisten werden, und ein schönes Schloß in der Lahn gebaut wird, dann wird das Kammergut ein Jammergut werden!“






Dies ist ein gekürzter Abschnitt aus ihrem letzten Buch.

Blind geworden, diktierte sie es in Genf ihrer Großnichte.


Ich habe hauptsächlich nur die Texte von Hallstatt und Obertraun weiter unten ausgesucht.


Im dieser Geschichte geht es um gute Beziehungen zum Adel. Besonders zu den Frauen, bei denen sie Spendenaufrufe machte. Wie sie sich mit den Beamten anlegte, die Spenden und Steuergeld unterschlugen und wie sie verdächtigt wurde, Volksversammlungen für die Revolution zu organisieren.

Sie war eine Kosmopolitin, sparch mehrere Sprachen und war in mehreren Ländern zuhause.

Sie liebte das Salzkammergut.


Helmina von Chézy, geb. v. Klenk, auch Sylvandra, eigentl. Wilhelmine Christiane de Chézy, (* 26. Januar 1783 in Berlin; † 28. Januar 1856 in Genf) sie war eine deutsche Journalistin, Dichterin und Librettistin.


Sie hat auch das Buch Norika geschrieben, das ich bei den Reisetexten vorgestellt habe.


Ignaz Franz Castelli, hat in seinen Memoiren meines Lebens über sie geschrieben (s. 236):

Frau Helmina von Chezy war ein Mannweib und meine Freunde, welche sie durch mich kennen lernten, nannten sie dann immer "das Chezy".






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Unbewusst stand ich im Salzkammergut an dem entscheidendsten Wendepunkt meines irdischen Daseins. Ich zweifle, das ich Kraft finden werde, das Überschwengliche zu schildern, was in mein Leben und Handeln eintrat.


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Es war im Sommer 1826, wo die furchtbare Hitze und die Ausdünstungen der Zuckerfabrik, verbunden mit dem unbeschreiblichen Fleiß meines Sohnes, der über seine Kraft hinausging, diesem eine schwere Krankheit zugezogen. Dr. Grohmann verordnete Blutegel, späterhin, wie schon erwähnt, eine Fußreise bis nach Gmunden und eine Soolcur.


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Nach beschwerlicher Wanderung gelangten wir die Höhe herab nach Aussee, und von da über die Pötschen und Ischl nach Gmunden. Es war ein herrlicher Sonntagmorgen; wir fühlten uns so gestärkt und erquickt, das wir wünschten, die Wanderung möchte nun erst beginnen. Die schwarzäugigen Mädchen, mit ihren italienischen Gesichtsbildungen und mit großen weißen Filzhüten, kamen uns scharenweis entgegen, um nach der Kirche zu gehen. Sie waren alle in schwarzen Perkal gekleidet. Ihre Gestalt und der Ausdruck ihrer Physiognomie zeigte keine Spur von der herrschenden Noth, von welcher wir später erfuhren. Die frühe Jugend hat unbegreifliche Hülfsmittel dagegen. Man sieht rosenwangige Mädchen, pausbäckige Kinder, wenn auch das Brot im Hause fehlt. Wenn aber erst die reifern Jahre kommen, so stehen Gerippe vor uns. Dies frühe und vollständige Abblühen ist nicht minder räthselhaft als das erste Frühlingsprangen der Kindheit und Jugend bei dieser elenden Lebensweise.


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Mein jüngster Sohn fand es hier so lieblich und traulich wohnen, das er mir mit seiner hinreißenden Weise der Überredung den Entschluß einflöste, den Winter hier zuzubringen. Frau Bauernfeind, eine verständige Gastwirthin, bei der es uns behaglich war, äußerte Bedenklichkeiten über diesen Entschluß. Sie stellte uns vor, das hier die Fröste scharf und anhaltend wären, dicke Nebel die Gegend einhüllten und der Frühling sehr spät erschiene. Doch es grünte und prangte noch alles so freudig um uns her! Wir hatten eine wahrhaft göttliche Wohnung. Wir blieben, und gingen unbewust der verhängnisvollsten Zukunft entgegen. Ich arbeitete damals an einem Roman aus Ludwigs XIV. Zeit, und entwarf eifrige Vorstudien zu diesem Werke, welches ich „Hofgunst und Dichterglück“ benannte. Es liegt noch unvollendet unter meinen Papieren. Mein Max hatte ein schönes Gemälde entworfen, was ihn eifrig beschäftigte, Wilhelm eine dramatische Dichtung. Wir schlossen uns ein, um den ganzen Morgen ungestört zu bleiben. Unser Umgang beschränkte sich auf einige Beamtenfamilien, und auf die damaligen Besitzer des schlosses Ebenzweir, welches späterhin Erzherzog Marimilian von Este gekauft hat.


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Dem langen Herbst des Jahres 1826 folgte ein scharfer Winter mit sonnigen Tagen. Unsere Arbeiten beflügelten uns die Stunden. Wir vermisten nicht den lieben Kreis in Wien, noch die reichhaltigen Kunstgenüsse, die uns zur Gewohnheit geworden. Wie schon öfters geschehen, arbeitete ich mich krank. Eine Beamtenfrau kam mir Vorwürfe zu machen, das ich mich gar nicht mehr sehen ließe, und ich erfuhr bei dieser Gelegenheit von der schaudervollen Noth, die in diesem nackten Gebirgsland herrscht, und welche mir die verständige Frau Registrator Buchgräber mit den lebhaftesten Farben schilderte. Wir hatten bis dahin keine Ahnung davon gehabt. Ich wurde blas und bebte. Mir war zu Muth, als müsse man zu helfen versuchen. Die Mildthätigkeit des kaiserlichen Hauses war allgemein bekannt; ich glaubte, es käme darauf an, dort Hülfe zu erbitten, und mit einigen huldvollen Spenden, meinte ich, würde dem Lande geholfen sein. Der kaiserliche Hof muß dasselbe geglaubt haben; denn das Obersalzamt empfing 550 Kaisergulden vom Erzherzog Karl, und ähnliche Gaben von den Mitgliedern des kaiserlichen Hofes, die sie dem Pflegamt Orth zuschickten, um sie auszutheilen. Ohne mein Zuthun war es bekannt geworden, das ich zu diesen Wohlthaten durch meine Briefe Veranlassung gegeben. Nicht allein die Armen wollten mich sehen und mir danken, sondern auch mehrere Pflegebeamte, vor allen der Pfleger von Orth und einige Geistliche. Die paar Federstriche, die mich die ganze Sache gekostet hatte, wurden hoch angeschlagen, wie eine edle That.


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Die Kaiserin Charlotte Auguste hatte den Armen in der Hallstadt 200 Kaisergulden bestimmt, und Weisung gegeben, dieselben dem Ortspfarrer zu schicken. Dem Salzoberamt war die ganze Sache fatal; denn es hatte nicht ohne Mühe vor kurzem eine große Staatsersparnis-maßregel vorgeschlagen und ermittelt. Nach der Ansicht des Salzoberamtmanns von Schiller beschäftigte und zahlte der Staat überflüssigerweise 3000 Salinenarbeiter, welche erspart werden konnten, indem sie anderweitig Arbeit finden könnten, und im ganzen Bergwerk die Arbeitsaufgaben so gering seien, das man sie erhöhen müsse. Dies wäre die Ersparnis einer Summe von 60,000 Kaisergulden. Der gute Kaiser Franz gab seine Bewilligung zu dieser Masregel, nur unter der Bedingung, das man keine betagten Männer und Familienväter abdanke. Auf das feierlichste wurde betheuert, man würde nur junge Burschen verabschieden. Kaiser Franz glaubte diesen Betheuerungen, das alles in Salzkammergut vortrefflich ginge. Ja, er gab dem Salzoberamtmann jährlich 1000 Gulden Zulage. Endlich erfuhr er die Wahrheit, und nun wurde die Sache bedenklich. Das Salzoberamt wollte weitern Nachforschungen vorbeugen und schrieb nach Wien, das man die 200 Gulden von Ihrer Majestät der Kaiserin nicht zum Austheilen an den Ortspfarrer senden könne, weil er gestorben sei! Hierauf gab mir die Kaiserin Befehl, das Geld selbst in der Hallstadt auszutheilen. Als ich dort ankam, erfuhr ich, das Pfarrer Handlos, ein beliebter Redner, einstweilen als Vicar dort angestellt sei. somit war die Kirche nicht verwaist, und der Befehl der hohen Landesmutter konnte erfüllt werden. Frau Erzherzogin Sophie fügte 200 Gulden hinzu. Die Vorstände der lutherischen Schule luden mich sogleich nach meiner Ankunft ein, dort meine Wohnung aufzuschlagen. Mein Sohn Wilhelm war in Gmunden zurückgeblieben. Ich beeilte mich, dem Pfarrvicar Handlos die Spende der Kaiserin zu übergeben. Und da ich infolge der Reiseanstrengungen und unnennbarer Gemüthsbewegungen krank lag, mußte ich noch in der Hallstadt bleiben, wo ich Tage zubrachte, die ich nicht zu überleben glaubte. Ich lag schwer erkrankt, beinahe sprachlos darnieder. „Mein Zimmer wurde am Tage und abends nicht von Menschen leer– wahre Jammergestalten mit eingefallenen Wangen, die mir sanft und bescheiden ihre Noth vortrugen. Ich schrieb ihre Namen auf, und die Zahl ihrer Kinder, und ihre Bitten; diese beschränkten sich darauf, durch Arbeit Brot zu verdienen. Die guten Menschen hielten sich nun für geborgen. Ich gab ihnen Almosen von meinem wenigen Gelde. Meine kleine Kasse war zwar bald erschöpft, doch kümmerte ich mich nicht darum. Das herzerschütternde Elend um mich her verlieh mir einen gewissen Gleichmuth gegen mein eigen Schicksal. Einige greise Bergleute besuchten mich, um mir genaue Nachrichten über die Zustände der dortigen Gegend zu geben. Gerührt von der Treuherzigkeit und hülflosen Lage der Gebirgsbewohner, lies Graf Arthur Potocki bei seiner Anwesenheit in Ischl den Aufruf ergehen: Blinde sollten sich bei ihm einfinden, um unentgeltlich operirt zu werden. Dr. Alexander Rasumowski unternahm die Operationen, und führte sie mit bewunderungswürdiger Geschicklichkeit aus. Einer der Greise, der mich in der Hallstadt aufsuchte, gehörte zu diesen glücklich geheilten Blinden; man hies ihn nur den alten Wesel. Kein treueres Auge hat je zum Himmel emporgeblickt, kein treueres Herz je unter grober Leinwand geschlagen. Er starb 1830. Sein letzter Hauch war ein Segenswunsch für seinen geliebten Wohlthäter. Im Jahre 1827 war er noch sehr rüstig und mir der Wertheste unter diesen guten Bergleuten. Dieser Mann machte mir über den Zustand der lutherischen Kirche folgende Mit-theilungen. Die arme kahle seeumflutete Hallstadt, die arme, vom Lande abgeschnittene Obertraun, wo damals wenige katholische Familien, wol aber mehr als tausend Protetestanten wohnten, hatten keinen evangelischen Pastor, und im Bethaus der Hallstadt war nur alle vierzehn Tage Gottesdienst, den entweder Herr Wehrenpfennig, Pastor in Goisern, oder dessen würdiger Bruder Bernhard versah. Beide musten oft mit Lebensgefahr über den See zur Zeit der Stürme und Eisgänge. Die Protestanten hatten auch keinen Schulmeister in der Hallstadt. Der dies Amt versah, ein Bewohner Obertrauns, bekam von der blutarmen Gemeinde nur 105 Gulden, und hätte Hunger gelitten, wenn er in zweiter Ehe nicht eine Mühle erheirathet hätte. Oft sah man ihn mit einem Sack auf der Schulter, oft mit dem Ruder in der Hand, über den stürmischen See schiffen– eine schwere Arbeit, die er dem zweistündigem rauhen, und im Winter lebens-gefährlichen Gehen längs den Felsen und Lawinen vorzuziehen alle Ursache hatte. Derselbe hielt auch an dem Sonntag, wo der Prediger fehlte, eine Andachtsübung in dem Bethause. Er war ein Mann von Bildung und Belesenheit, und sorgte musterhaft für die sittliche Ausbildung der Schuljugend. Der alte Wesel glaubte, es könne mir gelingen, der Hallstadt eine protestantische Kirche zu schaffen, und bat mich in den rührendsten Ausdrücken, ich möchte mich darum bemühen, Gott würde mit mir sein! Ich war bei dieser treuherzigen Bitte unbeschreiblich bewegt. Ich dachte an meine Grosmutter Karschin, die arme Schneidersfrau, die sich frühmorgens im Winter, in dünne Kleidung gehüllt, über drei lange Gassen zur Hökerin schleichen muste, ein Bündel Reisholz zu borgen, an dessen Glut sie eine Morgensuppe bereitete; an das demüthige Weib aus dem Volke, die den göttlichen Funken im Busen trug und gewürdigt worden war, ihrem heimatlichen Orte Tirschtiegel zum Kirchenbau behülflich zu sein. Mit klopfendem Herzen und nassen Augen reichte ich meinen guten Gebirgsleuten die Hände, undrief: „Ja, ich verspreche euch eine evangelische Kirche!“ Dies war ein großer Augenblick in meinem Leben. Ich fühlte so recht klar und tief, was Geist und Wille auf der Welt vermögen, wenn sie von Gott sind. Zwar wurde mir nicht eine Kirche zu Theil, aber doch ein Pastor und ein regelmäsiger Gottesdienst, und zwar keine zwei Jahre nach jenem unvergeßlichen Abend. Auf die Einladung des Brauers von der Hallstadt nahmen wir nun dort unsere Wohnung. Sie lag reizend am Seeufer, und zeigte in ihrer Einrichtung von bürgerlichem Wohlstand und strengem Ordnungssinn. Die Gespräche ihrer Besitzer waren unterrichtend und anziehend, so wehmüthig sie mich auch stimmen mußten; denn ihr Gegenstand war die allgemeine Noth der ganzen Gegend, in welche der Wohlhabende mit hineingezogen werden mußte, da jedermann unter vermehrter Arbeitslast, geschmälertem Verdienst, erhöhten Abgaben, Verkürzung der Rechte des Bürgers und Vermehrung seiner Pflichten zu leiden hatte. Die Bräuerin sagte in ihrer Volkssprache: „Wir haben keine Kinder, wir danken dem Himmel dafür! Unser Vermögen ist seit den schlimmen Jahren zugesetzt worden, und neues können wir nicht erhausen! Wir sind froh, wenn wir nur überhaupt mit Ehren bestehen. Den Kunden müssen wir borgen, die Kasse bleibt leer. Der Herr muß einen Knecht machen, und ich eine Magd; wenn sie in allen Häusern nachsehen, so finden sie dasselbe. Der Bürger muß arbeiten, und darbt selbst dabei. Wenn wir nicht so klug lebten, und hätten das Haus voll Kinder, wir hätten schon abhausen müssen. Hallstadt ist der schlimmste Ort im ganzen Salzkammergut, es wächst nichts darin. Er hat keinen Handel, kein Gewerbe, das seinen Mann ernährt, keine Fabrik. Nur der Berg erzeugt Salz, aber er hat den vierten Theil, oder auch mehr von seinem Betrieb verloren.“

„Sie haben Mineralien und Fossilien“, unterbrach ich sie. Kopfschüttelnd fiel sie ein: „Wir haben keine Verkäufe zum Absatz, sonst könnten wir wol etwas besser gedeihen. Wir haben auch Marmor und Erz, Alabaster, Kupfer, Zinnober, und ich weis nicht was noch; aber was hilft es uns, wir sprechen nicht einmal davon. Denn wenn ein Schlaukopf darüber kommt, so beuteter die Berge aus, und schöpft uns das ganze Fett davon weg. Ja, wenn ein rechtschaffener Mann den Arikogl ausbeuten wollte, er könnte reich dabei werden, man könnte an hundert Arbeiter dort beschäftigen, aber die Sache muß einen Haken haben.“ Ich kannte den Haken. Gold und Silber, und die gehaltvollsten Erzstufen des Berges lagen in der Tiefe, und konnten nur noch mit Lebensgefahr erbeutet werden. schon die Römer hatten zu ihrer Zeit diesen Bergbau eingehen lassen. Wahrscheinlich war dies die Ursache, das das Salzoberamt vorzog, das Volk auszubeuten. Das ging leichter, und es konnte niemand dabei ins Wasser fallen. Wenn dieser Schacht einmal erschöpft war, so konnte man noch immer den Arikogl angreifen. Ich habe nicht erfahren, ob man es nicht endlich gethan hat; denn bei den ungeheuern Fortschritten der Wissenschaft ist es vielleicht möglich geworden, im tiefsten Schoß des Berges zu arbeiten, und vielleicht liegt ein Eldorado, oder gar ein Californien im feuchten Schoß des armen Landes. Es ist eine Thatsache, das von Zeit zu Zeit fremde Männer kamen, und in dem undurchdringlichsten der Wälder des Obernkammerguts Steine und Metalle ausbeuteten. Dies geschah schon seit undenklichen Jahren. Niemand hinderte diese Leute. Im Lande wurde versichert: sie fänden Gold– vielleicht nur Steine mit Goldadern; wer weiß aber, ob das nicht Fingerzeige der göttlichen Vorsehung sind, und ob man nicht bei genauem Nachforschen Goldminen fände, die hier im Schoß der bittersten Armuth verborgen liegen? Ich lies damals solche Vermuthungen nicht laut werden, sondern begnügte mich, den Einwohnern Muth zuzusprechen so gut ich konnte. Mit Worten läst sich kein Hunger stillen, und ich hatte nichts als Worte. Mein Max sagte einmal in seiner treuherzigen Art: „Meine Mutter ist die ärmste Wohlthäterin!“ Gott segne es meinen beiden Söhnen in alle Ewigkeit, wie liebevoll und Trostreich sie mir in jenen drangvollen Zeiten zur Seite gestanden; wie sie sich gern bemühten, heldenmüthig entbehrten, wenn irgend guten Menschen Hülfe geleistet wurde.


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Der Tag der Austheilung der kaiserlichen Gaben rückte heran, man wollte mich dabei haben. Ich hatte mich darauf gefaßt gemacht, den Saal, in welchem sie geschehen sollte, mit nothdürftig gekleideten abgemagerten Müttern, oder hinfälligen Greisen anfüllen zu sehen; doch im Gegentheil erblickte ich nur wohlgenährte rüstige Dirnen, und wohlgekleidete Matronen, welche ihr empfangenes Theil rasch in die Tasche steckten, und mit einer schnellen Verbeugung wieder aus dem Saale gingen. Da jedoch die Liste der Beschenkten nur Dürftige und Würdige, nur Cretins und halbsterbende Kranke enthielt, so glaubte ich, die wohlbeleibten geschniegelten Empfängerinnen seien nur im Auftrag der Betheiligten da, und es mag auch zum Theil so gewesen sein. Es war nun Zeit nach Gmunden zurückzufahren. Die guten Hallstädter beschenkten mich noch beim Abschied mit manchem merkwürdigen Fossil, mancher Versteinerung, einer Kiste voll Salzarten, darunter rosenfarbene und himmelblaue, und mit andern merkwürdigen Kleinigkeiten, welche sie als Augenweide jahrelang aufgehoben hatten.


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Man entsann sich in Salzkammergut einer alten Prophezeiung, welche seit Menschengedenken im Lande umhergekreist hatte, sie hies: „Wenn die Füchse in der Sudpfanne nisten werden, und ein schönes Schloß in der Lahn gebaut wird, dann wird das Kammergut ein Jammergut werden!“ Kurz nach Lenoble's Tode brannte die Sudpfanne in der Hallstadt ab. Man beschloß, sie nicht wieder aufzubauen. Die alten Leute erinnerten sich der Prophezeiung, von der sich nun schon ein Theil erfüllte. Und das Oberamt lies ein prächtiges Verwesamt in der Lahn bauen. Nun war auch das Schloß da. Zwei Theile der Prophezeiung waren erfüllt; man fürchtete, der dritte würde nicht ausbleiben, und es geschah so. Im Jahre 1824 wurde zu der Abdankung der dreitausend armen Salinenarbeiter geschritten. Sie hatte Hunger und Mangel zur Folge, und die politischen Behörden, die nur allzu gut wusten, das nicht die Abdankung allein, sondern ihre Umtriebe und Erpressungen einen grosen Antheil am Elende des Landes hatten, setzten alles in Bewegung, um den Glauben zu verbreiten, das die Brotlosigkeit von dreitausend Individuen ganz allein Schuld an den unglücklichen Zuständen des Landes sei.

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Der Sohn des Bergmeisters Pruckner, Heliodor, war erst vor kurzem von seinen Studien aus Kemnitz zurückgekehrt. Er begleitete mich auf meiner Rückreise. Es ergötzte ihn, das man ihn nach fünfjähriger Abwesenheit nicht wieder erkannte. Mein Söhne waren auf einem Alpenausflug, wir wollten uns in der Obertraun wieder treffen. Auf dem Wege dahin schlug mir Heliodor vor, eine Niederalpe zu besuchen, welche statt auf einer Spitze in einer tiefen Schlucht liegt, wo herrliche Futterkräuter wachsen. Es war dunkel geworden, Heliodor schlug vor dort die Nacht zuzubringen, der Weg ging fast abschüssig hinunter. Wir gelangten glücklich bei dem Dorfe an, sahen die Feuer zur Abendkost brennen, und athmeten die sanfte Abendluft ein, durchwürzt vom Odem des Blumen bedeckten Bodens. Einige Almerinnen bemerkten uns, und fragten uns ziemlich verwegen, wer wir denn seien, und was wir hier wollten? Die Erläuterung war kurz und deutlich. Als die Mädchen hörten, ich sei „die Frau“, denn so hies mich das ganze Land, erschraken sie heftig, und baten mich um Verzeihung. Es wurde beschlossen, Heliodor sollte zu einer alten Almerin in die Hütte. Sie konnten sich über seine Wiederkehr nach Aussee gar nicht fassen, und bereiteten uns ein köstliches Nachtmahl. Sie boten mir an, uns von ihren Liedern einige zu singen. Ich ging indessen weit ab von der Hütte, um ungestört zuzuhören. Die Mädchen hatten sich bei der Auswahl von Liedern schnell und eifrig wie zu einem Concert verabredet. Diese Sennerinnen sind wahre Künstlerinnen; herrlich nahmen sich ihre Töne beim schimmer der flackernden Herde, beim säuseln der dichtbelaubten Buchenwipfel aus. Das ganze Dorf lief zusammen, um mich zu bewillkommnen. Mehr als hundert Stimmen fügten sich zum vollen Chor, den sie nur mit Hülfe der Natur einstudirt hatten. Einige Solostimmen von der erquickendsten Frische und kecksten Höhe setzten mich in Erstaunen. Ich dachte daran, ob ich nicht Anstalten treffen sollte, diese Natursängerinnen nach Wien zu schaffen; doch ich verwarf diesen Gedanken, die guten Kinder hatten mir ja nichts zu Leide gethan.- Eine angenehme Müdigkeit, wie sie nur nach einem solchen Gang und nach solchem Vergnügen folgen kann, bemächtigte sich meiner, und ich schlummerte ganz beseligt ein. Zu meinen Füsen hatte sich die gute Almerin ein Lager bereitet. Der Waldbach rauschte in meine Träume hinein, und einzelne Klänge von Alpenliedern kamen wie Freunde, die nach unserm Schlummer schauen. Mit der Morgenröthe erschien Heliodor's Hausfrau mit einem guten Kaffee, und die lieben Mädchen begleiteten uns bis auf die Heerstraße, wo sie uns noch nachsangen, solange sie uns sahen. Sie sprachen nicht mehr von ihrer Ungeschicklichkeit beim Empfang, aber sie küsten mir die Hände, auf welche verstohlen mancheThräne fiel.... Liebes gutes Volk! Obertraun bleibt eine meiner wärmsten Erinnerungen. Ostsüdlich der Hallstadt gegenüber liegt das idyllische Thal hart am See, den es im Halbmond einschliest. Eine schmale Brücke über die Traun, die von hier aus in den See strömt, verbindet es mit dem jenseitigen Felsufer, von welchem aus in zwei Stunden die Hallstadt auf schmalem gefährlichen Fuswege erreicht werden kann. Diesen Weg muß der Schulmeister nehmen, wenn es stürmt. Hier sank seine erste Gattin in das feuchte Wellengrab, dreißig Personen mit ihr. Sie kamen fröhlich von einem Hochzeitsfeste in Hallstadt, der Sturm erhob sich, der leichte Nachen schlug um. Diese Gegend, nach der wir, ich und meine Söhne, uns oft zurücksehnten, wird von Salzarbeitern bewohnt, unter denen es viel Wildschützen gibt, die ganz im stillen die Gegend weit umher mit dem köstlichsten Wildpret versorgen, welches ihnen nur knapp bezahlt wird. Die politischen Behörden und die Geistlichkeit gehörten zu ihren freigebigsten Kunden.

Die Freude des Erlegens, die Gefahr des Fortschaffens bringen eine Art von Poesie ins Leben des Jagdvölkchens, sie meinen dabei treuherziger Weise:

„Das Wild sei ihr Eigenthum, es lebe in freier Luft, und koste kein Futter.“

Es ist schwer sie über diesen Punkt aufzuklären, da sie der Ansicht sind, das ihre Behörden es nicht genau mit dem Mein und Dein nehmen. Wie in Böhmen die Contrebande, wird das Wild bei diesen freiwilligen Jägern bestellt.

Das grüne Deutschböhmen umschliest ein Dorf, das von sogenannten Paschern bewohnt wird, und wohin die Einwohner der umliegenden Dörfer und Städtchen gehen, um sich mit Kaffee und Zucker zu versorgen. Sie wissen wol, das dies verboten ist; aber sie sagen, die Waaren, die verzollt werden müssen, seien zu theuer, und halten daher ihr Contrebandiren für eine menschenfreundliche Handlung. Es gibt keine geschicktern Schützen als die Obertrauner, die dabei die ehrlichsten Seelen von der Welt sind.

Mord und Todtschlag fiel wenigstens zu jener Zeit in dieser Gegend nicht vor; die Wilddiebe hatten wachsame Auflaurer und sichere geschickte Zeichen; sie freuten sich der Gefahr und des Sieges darüber.

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