Ein Frauenausflug.
Von Anna Lutz, Wien (Floridsdorf)
Jedes Jahr, wenn mich im Sommer auf ein paar Tage die Pracht der Alpenwelt umgibt, fühle ich mich so glücklich, froh und frei, daß ich am liebsten die Welt umarmen möchte. Mitten in diesem Frohsein kommt aber immer beharrlich wieder der Gedanke an die vielen Tausende, die noch nie die Schönheit der Natur gesehen, außer im Kino, die noch nie die reine ozonreiche Luft der Wälder gekostet haben, die immer im Steinmeer der Großstadt um Luft und Leben ringen müssen. Ich kenne so viele von diesen Menschen, die nie aus der Stadt gekommen sind. Es macht mich immer traurig, wenn ich denke, daß nur wenige die Schönheit der Welt kennen, der größere Teil der Menschen aber zu Hause bleiben muß. Da möchte ich am liebsten, so wie es die Tochter des Riesen tat, all die Herrlichkeiten wohl nicht in eine Schürze, aber in meinen Rucksack packen, und den Daheimgebliebenen bringen.
Mein Gewissen sagte mir da immer: Willst du all dies Schöne denn nur für dich haben, unternimm etwas, um wenigstens einem kleinen Teil von Menschen etwas von der Schönheit der Natur zu zeigen.
So begann ich denn, den Frauen meiner Sektion zu erzähten und zu predigen von der Welt draußen, von den lieblichen Tälern und den schneebedeckten Gipfeln, den herrlich gelegenen Städten und Dörfern in den Alpen, die der Ausgangspunkt wundervoller Wanderungen sind, und wenn sie nur wollten, könnten sie unter meiner Führung wenigstens einen Teil dieser Herrlichkeiten genießen. Es war ein schweres Stück Arbeit, das da geleistet wurde, man bringt nämlich noch immer dem Vorschlag einer Frau kein rechtes Vertrauen entgegen, aber schließlich gelang es doch.
Eine alte brave Genossin unterstütze mich dabei und half mir, die Frauen zu begeistern und aufzumuntern. Seit dem Jänner lief sie jede Woche, die Schillinge einzukassieren.
Die Frauen zahlten in kleinen Raten die Reisespesen, denn nur so brachten sie das Geld für die Reise zustande. Fünfzig bis sechzig Schilling auf vier Tage aufgeteilt, ist wohl nicht viel, war aber doch für die Arbeiterfrauen schwer erspartes Geld. Mit einer bewundernswerten Willensstärke wurden die Groschen zusammengelegt und im August konnten wir, dreißig Personen an der Zahl, ins Dachsteingebiet fahren. Etwas bange war mir schon, was anfangen, wenn es den Ausflug verregnet, die Menschen wollen um ihr Geld etwas sehen und Hallstatt liegt in der Regenzone.
Viele Frauen waren noch nie von Wien fort, den meisten erschien es überhaupt wie ein Abenteuer, auf das sie sich fieberhaft freuten.
Lustig und munter ging’s auf der Fahrt zu. Als wir am frühen Morgen an den Traunsee kamen, war das Staunen groß, und erst als der Hallstätter See, von dem man sagt, daß er die Lieblichkeit des Traunsees mit der düsteren Erhabenheit des Königsees verbindet, sich den Blicken zeigte, da fand die Freude kein Ende.
Der Dampfer brachte uns über die Tiefen des Sees, die größte beträgt 125 Meter, nach Hallstatt, das in der Morgensonne sich dehnte und sich wie eine zarte Braut an die Brust des Geliebten, an die gewaltige Bergwand des Salzberges schmiegt.
Ein Teil der Häuser steht hart am Strand, die andern am Berg aufsteigend, die Fenster mit viel Blumen geschmückt. Am Wasser hebt die protestantische Kirche ihren schlanken Turm empor, während oben auf einem stark ummauerten Felsvorsprung die vorn Friedhof um gebene katholische Kirche thront. Links vom Markt ist die Mündung des Echerntales, „ln der Lahn“ heißt’s, da stehen die Salinengebäude, weiter rechts, wo das Gosautal sich zum Seekessei öffnet, wird hoch oben der Solenleiltungsaquädukt, der sogenannte Gosauzwang sichtbar. Der See ist südwärts von hohen Felsbergen umgeben und bietet ein Bild düsteren Ernstes.
Viele von den Frauen sagten, so alt haben sie werden müssen, bis sie so etwas Schönes sehen durften. Ich erzählte ihnen die Geschichte Hallstatts und seines Bergarbeitervolkes aus der vorrömischen bis auf die heutige Zeit und von der Sage, die wissen will, daß einst anstelle des Hallstätter Sees eine große volkreiche Stadt gelegen war, welche infolge der Sündhaftigkeit ihrer Bewohner durch Wasserfluten vernichtet wurde.
Im Hallstätter Konsumverein fanden wir gute Aufnahme. Der Vormittag verging mit der Besichtigung des Marktes, der Kirchen, des Museums, in dem die Funde aus der Kelten- und Römerzeit aufbewahrt sind, und des Beinhauses, in dem die, nach alter Sitte bemalenen Totenschädel untergebracht sind.
Nachmlttags ging’s durch Echerntal zum Waldbachstrub. Das Tal wird zur Rechten von der Siegwand, über die der Spraderbach stürzt und einen ausgezeichneten Staubfall bildet, und zur Linken vom riesigen Absturz des Hirlatz eingesäumt, vor uns die Felswand des Dürrenberges, nächst der sich der Strubfall befindet. Wenn das Tal durchschritten Ist, geht es steil aufwärts. Dumpfes Brausen und Donnern verkündet uns die Nähe des Waldbachstrub.
Der Wald öffnet sich und wir stehen vor dem schönsten Wasserfall des Salzkammergutes. In mächtig brausendem Falle stürzt der Waldbach 95 Meter hoch über drei Absätze herab, ein Felskessel voll weißer Schaummassen nimmt die Fluten auf und die Gewalt dieses Sturzes verursacht ein solches Donnern, daß man sein eigenes Wort nicht versteht. Er ist der Abfluß des größten Dachsteingletschers, des Karl-Eisfeldes. Rechts, aus riesig senkrechter Höhe, stürzt der Lauterbach in den Kessel. Vom Waldbachstrub zweigt rechts der sogenannte Gangsteig zum Salzberg ab und obwohl sich dieser nur für rüstige Spaziergänger empfiehlt, blieb doch keine Frau zurück.
"Das war ein Kraxeln mit die Füaß und mit die Händ und mit die Haxeln.“ Steile Stufen, dem Felsen abgerungen, führten an einer hohen Wand hinan. Oben auf Waldwegen weiterwandernd erreichten wir das Bergwerk, in das die Frauen auch einfuhren. Ober den Rudolfsturm, der im Jahre 1284 erbaut wurde und heute dem Bergverwalter als Wohnung dient, ging es ins Ouartier nach Hallstatt, das senkrecht darunter liegt.
Regen, der gefürchtete, weckte ans am nächsten Morgen. Grau und bleiern hing der Himmel, der See bot dasselbe Bild. Alles war trostlos, ich am meisten. Abwarten, hieß es.
Man blieb im Bette und erzählte Geschichten und Witze, worüber auch die andern Touristen lachen mußten, die durch eine Bretterwand von uns getrennt waren. So wurde die schlechte Laune verscheucht. Um 10 Uhr lachte die Sonne, flugs waren wir draußen und mit einer Musikkapelle an der Spitze, es waren Arbeiter aus Thalesbrunn an der Nordbahn, ging’s um den See herum nach dem Winkel, wo der Aufstieg zu den Dachsteinhöhlen beginnt. Im Wald überraschte uns ein starkes Gewitter, mir war bange, denn nur wenige von den Frauen waren touristenmäßig ausgerüstet, aber umkehren wollte niemand, trotz des heftigen Regens. Unter Blitz und Donner ging’s zu den Höhlen auf der Schönbergalpe, 1493 Meter hoch, dreieinhalb Stunden dauerte der Aufstieg. Auf halbem Wege hörte für kurze Zeit der Regen auf, die Sonne kam hervor und es bot sich uns ein prächtiger Ausblick auf den See, Obertraun und Hallstatt, den Gebirgsstock Plassen und Sarstein. Die größte Überraschung waren die Höhlen.
Wie im Wunderland kommt man sieh darinnen vor und wir hatten das Gefühl, als wenn wir uns nach alten Sagen, in die Faust eines Frostriesenkönigs begeben würden. Diese mächtigen Hallen und Dome, darinnen vereiste Wasserfälle, Tierbilder aus Eis. Kanzeln und Vorhänge aus den herrlichsten Eiskristallen. Märchenhaft durchleuchtete das Magnesiumlicht alle diese Schönheit. Unterirdisch hörte man geheimnissvoll die Wasser rauschen. So begeistert waren alle daß erst am Heimweg eine Genossin entdeckte, daß sie ihre Schuhsolen verloren hatte. Durch und durch naß, aber frohen Mutes, kamen wir in unser Quartier.
Der dritte Tag kam, aber heimfahren wollte noch niemand, trotz der Strapazen, die unsere Frauen mitmachten. Das neue Naturfreundehaus auf der Wiesberghöhe, errichtet von den Floridsdorfern und Hallstättern, lockte. Wenn man schon so nahe ist, wollte man es doch noch gesehen haben. Ein Teil der älteren Genossinnen, denen wir von neuerlichen Strapazen abrieten, blieben in Hallstatt zurück, um eine Dampferfahrt auf dem See zu machen. Der größere Teil der Frauen marschierte wieder durchs Echerntal, dann vorüber beim Gletschergarten, wo der Wasserfall so stark war, daß Schaum und Gischt über die Brücke stürzte und man beim Hinuberlaufen gehörig naß wurde. Langsam, doch stets aufsteigend, begleitet von feinem Regen, ging’s vobei am tosenden und brüllenden Waidbach und der Tropfwand. In der Tiergartenhütte wurde Rast gemacht und die Kleider etwas getrocknet. Dann ging’s vorüber an der großartigen Doline „Tiergartenloch“ und durch die Herrengasse sahen wir bald den Gjaidstein und Ochsenkogel, aber auch die Hütte der Naturfreunde. Der Regen, vermischt mit Schnee, fiel immer stärker und wir kamen ganz durchnäßt an. In der Hütte war alles besetzt, kein Lager war zu erhalten, die Frauen zeigten schon verzagte Gesichter. Was nun? Kurz entschlossen nahm ich von der kleinen alten Bauhütte Besitz, das Zimmer wurde ausgekehrt, die Lampe geputzt und bald brannte ein Feuer im Ofen, das die Hütte behaglich durchwärmte. Die Kleider wurden rund um den Ofen aufgehängt, die Stiefel darunter und schon saß eine Partie bei Rummy. Ein Genosse, den wir mitgenommen hatten, damit er von seiner 110 Kilogramm schweren Leibesfülle etwas verliert, musste den Ofen bedienen und ein Hoizscheit nach dem andern in seinen Rachen schieben, sonst wäre es im Raume bald wieder unfreundlich geworden. Heißer Tee ließ die Gemüter auftauen, frohe Stimmung kehrte ein. Die Küche des Pächters war vorzüglich und stimmte alle zufrieden, aber erst das Schlafengehen war lustig. Bis man sich da zurecht fand, in den Kasten und Fetzen der Schusterbetten, das ungewohnte und enge Beisammenliegen, das Suchen nach dem richtigen Plätzchen, war immer wieder Anlaß zu Lachen und Heiterkeit. Während draußen der Schneesturm um die Hütte tobte und heulte, hüllte man sich drinnen wohlgeborgen.
Sieben Uhr Morgens war Abmarsch. Beim Abstieg hatten wir prächtiges Wetter. Mittags waren wir in Hallstatt, wo uns der Dampfer über den See zur Bahn brachte. Beim Abstoß von der Landungsbrücke grüßte noch ein viel stimmiges „Freundschaft“ Hallstatt und seine Bewohner. Die Blicke konnten sich kaum trennen von diesem lieben Marktflecken und Seiner herrlichen Umgebung.
Glück and Zufriedenheit ob des Gesehenen leuchtete aus aller Augen und nur eine Bitte gab's; nächstes Jahr wieder so eine schöne Tour zu unternehmen. Ich versprach, die Frauen im kommenden Jahr in das schöne Land Salzburg zu führen.
Comments