Von Mila Nowak, Linz.
Das weltbekannte, herrliche Hallstatt im Salzkammergut ist von hohen Bergen gleich einer Mauer umfangen und der Flachländer denkt wohl bei seinem ersten dortigen Besuch: da ist kein Ausweg mehr. Aber der schein trügt auch hier. Nach allen Seiten kann man hinaus, nur heißt es meist „steigen". Ein richtiger Tourist ist davon nicht abgeschreckt und er wird stets befriedigt sein von seinen Unternehmen. Besonders anziehend sind die Übergänge übers Gebirge nach dem Gosautal hinüber. Der großartigste davon ist natürlich der über den Dachstein. Doch sind solche Partien nicht für jedermann. Eine lohnende, leichte und gänzlich ungefährliche Tour ist die von Hallstatt über die hohe Scheibe nach Gosau. Man braucht dazu nicht Hochtourist zu sein und der Weg ist auch Damen, die gut bei Fuß sind, zu empfehlen.
Eines schönen Tages um 5 Uhr früh rüsteten wir uns, mein Bruder und ich, von Hallstatt aus zu diesem Gange. Der Sommertag versprach herrlich zu werden. Der See lag ruhig, der Himmel mattblau und der Garten voll Tau. Der westliche Höhenzug, den wir heute übersteigen wollten, stand noch sonnenlos, in kühler Morgenbläue vor uns. Frisch begannen wir den Salzberg zu bezwingen. Das war leichte Müh. Gemütlich gingen wir den Serpentinenweg, die sogenannten „Wangen", ab; mein Bruder, ein großer Schweiger, mit dem Rucksack auf dem Rücken immer voran, ich, nur mit einem Bergstock ausgerüstet, hinterdrein, immer wieder den schönen, stillen Buchenwald des „Hallbergs", wie der untere Teil des Salzbergs auch genannt wird, bewundernd.
Nach dreiviertelstündigen Steigen langten wir bein Rudolfsturm an, wo wir die erste Rast machten auf jenen Bänken, die hier für die Bergleute, besonders für die Träger, hergestellt sind. Der Rudolfsturm ist ein kleines Befestigungswerk, das einst Albrecht I, Rudolf v. Habsburgs Sohn, zum Schutz des Salzbergwerkes errichtete und nach seinem Vater benannte. Damals war der Salzberg ein Gegenstand des Neides der Salzburger Bischöfe, die des öfteren ihre Leute übers Gebirge sandten und den Salzbau auf alle Art schädigten.
Aus jener Zeit hat sich bis heute ein launiges Geschichtchen erhalten. Ein Hutmann, ein Aufsichtsbeamter der damaligen Zeit, bemerkte eines Tages, daß das Kernlager bestohlen worden war. „Kern" wird das frischausgebrochene, noch ungereinigte Steinsalz genannt. Er warf seinen Verdacht sofort auf die Salzburger und legte sich des Nachts auf die Lauer. Wie entsetzt war er aber, anstatt der Menschen Teufel den Kern davonführen zu sehen!
„Wia oft kemmts denn nu?" fragte er zitternd.
„Neunmal", antworteten die Teufel mit geisterhaft hoher Stimme.
Der Hutmann schlug das Kreuz und nahm mit dem Ruf: „Aus is, aus is!" Reißaus. Die mit Bockshörnern und schwarzen, rotbezungten Larven geschickt als Teufel verkleideten schlauen Salzburger lachten und hatten für diese Nacht leichte Arbeit.
Nun ist längst Friede zwischen den Salzbergern und Salzburgern.
Nach kurzer Rast beim Rudolfsturm wanderten wir weiter. Mit flotten Schritten durcheilten wir die „Turmeben", um den darauffolgenden „Heanbichl" etwas langsamer zu nehmen.
Zu beiden Seiten des Weges liegt die Ortschaft Salzberg. Aus grünen Wiesen ragen die ärarischen Gebäude, die Wohnungen der Bergknappen, der Steiger und der Bergverwalter. Auch einige Stollentore gähnen uns schwarz entgegen. Beim oberen Berghaus, einer großen Knappen-Herberge, das einen Turm mit Glocke und eine Sonnenuhr besitzt, blieben wir stehen und blickten zurück.
Tief drunten vor der schwarzblauen Mauer der östlichen Berge lag das Obertraunertal. Wie ein Kristallfaden lag die Traun zwischen den grünen Sammetpolstern der Obertraunerwiesen. Der See davor ruhte wie ein dunkler Spiegel, mit flimmernden, tanzenden Sternchen bestreut. Es trafen ihn soeben die ersten Sonnenstrahlen.
Von Hallstatt selbst ist von hier aus nichts zu sehen.
Über der Tiefe taucht gleich der Rudolfsturm auf. Rechts von ihn, im Wald ist das bekannte prähistorische Gräberfeld. Auch die Herren und Damen dieses vorgeschichtlichen Bronzevolkes mögen von der Höhe aus oft bewundernd ins herrliche Tal hinabgeblickt haben.
Wir schritten weiter, ein Stück auf dem Weg zum Plassen, dann links ab in das uns noch unbekannte, aber beruhigend wohlmarkierte Land. Wenn man einen Weg zum erstenmal geht, ist er immer am schönsten.
Über die Obertraunerberge, und zwar gerade über den „Lahnfried", dem Nachbar des Koppen, schaute bereits ein Steirer, der grimmige Grimming zu uns her. Auf den südlichen höhen erschienen schon die letzten Vorgebirge des Dachsteineisfeldes, der Gjaidstein, dessen Rücken von ferne wie poliert und leicht vergoldet erscheint, der Ochsenkogel, Gamskogel und andere. „Über den Gjaidstein fahrt in der Nacht im Herbst und Frühjahr das wilde Gjaid," sagen die Hallstätter, womit sie wohl Wotans wildes Heer meinen.
Nach strammem, nicht zu langem und nicht beschwerlichem Aufstieg stehen wir auf einer Hochwiese, der „Dammwiese." hier hatten die prähistorischen Hallstätter eine Kulturstätte, wie durch Funde entdeckt wurde, eine Art Tonwarenfabrik.
Wir lassen uns nieder auf den Platz, den die Sonne lieblich erwärmt hat, und erquicken uns an einem, wohl auch schon ziemlich altüblichen Hallstattergebäck, den „Weinbeerlwecken", die Bäckermeister Mayerhofer vorzüglich herstellt.
Neu gestärkt setzen wir unseren Weg fort. Jetzt geht es der Durchgangalm zu.
Die Sonne scheint etwas warm. Der Wald duftet. Bergfinken schlagen. Rechts von uns wächst der Plassen majestätisch auf. In seinem grauen Gestein hat er große, rote Bruchstellen, aus welchen rotes Geröll bröckelt. Er scheint im Zerfallen begriffen.
Schweigend durchschreiten wir die Durchgangalm. Wir sehen bereits die Hohe Scheibe, 1622 Meter hoch. Zwischen zwei ihrer Felszacken führt unser Weg, ein kleiner Paß, hinüber. Die rechte Felszacke leuchtet mit einer strahlend roten, frischangebrochenen Wand aus dem tiefblauen Himmel. Es ist, als stünde sie in immerwährendem Alpenglühen. Zu ihren Füßen lacht smaragdgrünes Bergkraut. Ein prächtiges, blendendes Bild!
Am Paß oben angelangt, beschlossen wir wieder zu rasten und etwas zu essen. Dabei kam's zu einem kleinen, komischen Intermezzo.
Mein Bruder zog einige Äpfel aus dem Rucksack hervor und legte sie neben mich. Ich machte eine Bewegung und stieß dabei an die Früchte, wodurch zwei von ihnen ins Rollen kamen und, o Schreck, wie toll geworden den weg hinuntersprangen. Ich stieß einen leisen
Schrei der Überraschung aus. Klein Bruder schritt den Ausreißern mit großen Schritten ruhig nach und brachte sie beide zurück, den einen am Bergstock aufgespießt.
Wir bekamen nun auch ein Tafelkonzert. Drunten in der Durchgangalm jodelten die Sennerin und ihr Hüterbub um die Wette.
Mit einem Juhschrei als Dank zogen wir schließlich weiter. Bald stehen wir vor der Blankensteinalm, 1554 Meter, mit ihren vierzehn Hütten. In einer derselben lassen wir uns Milch geben. Wir bewundern die schöne, stattliche Großalm, die sich auf einer weiten Hochwiese ausbreitet, hier trifft man auch die dem pferdezüchtenden Gosau eigentümlichen Almrosse, die wie die Kühe mit Glocken am Hals herumspazieren.
Der Weiterweg geht durch große Wälder, die sich sanft zu Tal neigen, wir kommen in ein höhlenreiches Gebiet und auch an dem Sagenreichen „Wildfrauenloch" nächst der Grubalm vorbei, das in einem langen Gang in den Berg hineinführen soll.
Den Eingang bildet ein schmaler Spalt in einer Felswand, aus dem ein kühler Hauch weht. Ein Wässerlein, das im lieben Sonnenschein über die Wiese rinnt, verschwindet in dieser Höhle. Sieben Herde sollen drinnen stehen, auf welchen die wilden Damen kochten. Diese waren der Sage nach oft sehr gut und freundlich mit den Gosauern und halfen ihnen beim Mähen und Heuen.— Zur Zeit der Reformation diente das Wildfrauenloch den verfolgten Protestanten als Zufluchtsort. Es ist nicht ratsam, ohne Führer in die Höhle einzudringen.
Auch den Arbeitsplatz der Gosauer Schleifstein-Industrie durchwanderten wir.
Hier gewinnen die Gosauer die Schleifsteine, die weit und breit als sehr gut bekannt sind.
Mittags hatten wir das Tal erreicht.
Um ein Uhr langten wir im Gosauer Mittertal an, wir halten also zu dem Uebergang acht Stunden gebraucht, jedoch hatten wir uns sehr Zeit gelassen und öfters ausgiebig gerastet. Trainierte Touristen bringen die Tour leicht in sechs Stunden hinter sich.
Wir ließen uns beim „Brandwirt" nieder und genossen dort auf der Veranda einen guten Imbiß und die herrliche Aussicht auf das Gosautal. Lang gestreckt dehnt es sich vor uns aus mit seinen freundlichen Wiesen und den traulichen, festgebauten Häusern, deren Dachschindeln zum Schutz gegen die Stürme bereits nach salzburgischer Art mit Steinen beschwert sind.
Majestätisch bauen sich im Hintergrund die Donnerkogeln auf. Vor Zeiten haben sie wohl Dunnarkogeln geheißen nach dem alten deutschen Donnergotte. Es ist, als hätte sich in diesen vielen Steinzacken der Dachstein ein kleines Felsenheer vorgeschoben, das die zu ihm strebenden beobachtet.
Die Gosauer sind ein freundlicher, aufgeweckter Menschenschlag, der für fremde Gäste wohl sorgt. Sowohl das Gasthaus zum „Brandwirt" als auch das zum „Gosauschmied", welches sehr schön am Ende des Hintertals und den Gosauseen, daher näher, gelegen, sind sehr empfehlenswert. In beiden ist man gut aufgehoben und erhält das feine Fischlein, das sich „Schwarzreiter" nennt und eine Spezialität des vorderen Gosausees ist.
Gegen drei Uhr verließen wir das liebe Tal und gingen die angenehme Straße durch die malerische Gosauschlucht, welche längs des wilden Gosaubaches nach Gosaumühle und dann nach Hallstatt führt. Mir waren in sieben Viertelstunden wieder an unserem Ausgangspunkt, Hallstatt, angelangt. Jedoch ist solcher Gewaltmarsch der letzten Strecke einer Tour eigentlich unklug und es ist viel mehr zu empfehlen in Gosau zu übernachten, mann kann dann am nächsten Tag den Gosauseen noch seinen Besuch abstatten oder per Wagen herausfahren. Man kann sich auch mit einem Stellwagen in Verbindung setzen, deren einer nach Gosaumühle, einer hübschen Ortschaft an der Gosaumündung am Hallstättersee mit bestbekanntem Gasthof, der andere nach Hallstatt zurückfährt.
Es heißt, die Wasserkräfte des mit starkem Gefälle aus den Gosauseen ausfließenden Gosaubaches werden bald großen Elektrizitätswerken dienstbar gemacht werden und eine elektrische Bahn wird das Gosautal auch für bequeme Naturfreunde leicht erreichbar machen.
Kommentare