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Eine Dachsteinwanderung

Autorenbild: Gerhard ZaunerGerhard Zauner

Foto: Wikipedia

Mittwoch, 9. Sept. 1903

Früh viertel 8 aufgestanden, mein weißestes Hemd und meinen höchsten Kragen angezogen, da ich einen Prager Kollegen erwartete. Dieser kam nicht. So löste ich dann kurz entschlossen eine Karte nach Hallstatt, ohne zu wissen, was ich anfangen werde. Um 8 Uhr 58 fuhr ich ab über Goisern, Anzenau, Gosauschmied (Gosaumühle?) nach Hallstatt. Hier Überfahrt mit dem Dampfer. Gehe ins Hotel, frage nach dem Zimmerkellner. Aber bevor dieser noch kommt, fallt mir ein:

„Was wirst du den ganzen Tag in Hallstatt machen, bleibe vormittag hier und geh nachmittag am Dachstein.“


So gab ich dann dem Hausknecht mein Gepäck, schau mir das Hallstätter Museum mit sehenswerten, aber wenigen Keltengräbern an, besichtige dann die alte gotische Kirche mit Friedhof und Beinehaus. Dieses besteht aus den Gebeinen und über 1000 Totenschädeln der auf diesem Kirchhof begrabenen Menschen. Denn da der Friedhof auf dem schmalen Ufersaum keinen Raum für alle Toten des Ortes hatte, so werden alle 10 Jahre die Toten ausgegraben, auf Wunsch der Angehörigen die abgeschnittenen Schädel mit Namen versehen und in diesem Beinehaus aufbewahrt. So zeigte uns die alte Friedhofwärterin mit tränenden Augen den Schädel ihres Mannes.


Dann stieg ich herunter und überlegte mir, ob ich denn überhaupt im weißen Hemd den Ausflug von 2200 m machen kann. Da ich zu einem nahestehenden Resultat kam, so ging ich zurück, um mir aus dem Rucksack ein Touristenhemd zu nehmen. Um mir dieses anzuziehen, wies mich der Diener in ein Altstadtzimmer, das Vereinslokal eines Gesellenvereins des Ritterbundes „Burgau“ - wunderbar angeordnet mit falschen Emblemen, Stammbäumen, Verbrüderungsurkunden, Baretten, Helmen, Rüstungen, Visieren, Hellebarden und Schwertern, ja, in der Mitte des Zimmers stand sogar ein Femgerichtsstuhl mit Totenschädel und allem Zubehör und Femkutten mit dem roten Henkersrock und dem blutigen Gerichtsbeil. Die Funktionen sind gleichfalls vortrefflich geordnet.


Dann trat ich auf das Geratewohl meinen „Spaziergang“ auf den Dachstein an. Den nächsten Menschen fragte ich nach dem Weg und ging mechanisch so lange drauflos, bis ich plötzlich nicht wußte, ob ich gradaus oder der Markierung nach gehen sollte. Deshalb ging ich paar Schritte zurück, man sagte mir, ich hätte gradaus gehen, und im Gespräche wollte man wissen, wie ich denn verproviantiert sei?


Durch 7 Stunden kommt keine Quelle und kein Gasthaus. Das war der erste Schritt, mir meine Bummelstimmung zu nehmen. Nun las ich noch an der Wand massenhafte Aufklärung über Verhaltungsmaßregeln und Notsignale bei Unglücksfall. Ich begann, meinen Aufstieg etwas schwerer zu nehmen, versorgte mich mit Wein und Salami. Aber nach wenigen Schritten, die ich auf dem Franz-Josef-Reitweg gemacht hatte, war ich abermals in einer solchen phlegmatischen Stimmung, daß ich mich gar nicht darum scherte, daß sich der Nebel so dicht über die ganze Umgebung senkte, daß ich nach wenigen Stunden durch denselben durchschreiten mußte. Ich wußte zwar, ich werde oben keine Aussicht haben, aber viel zu träge, den Entschluß zu fassen umzukehren, ging ich weiter und kam nach 6 Stunden auf die Simonyhütte. Während man mich hier oben meines Pechs bedauerte, blieb mir das in meiner gleichmütigen Stimmung so egal, daß ich in den Schlafraum ging, hier mein Tagebuch zu schreiben.


Da plötzlich rief mich der Wirt „aussi“. Die Berge boten bereits etwas zu sehen. Ich beschloß langsam den Gedankengang der Sätze, ging hinaus, aber hier war meine phlegmatische Gemütsverfassung im Augenblick verflogen. Die vielen ungeheuren Berge, zum geringen Teil mit kleinen Büschen, sonst mit riesigen Felsblöcken besäet, die zahlreichen kleinen Schneefelder, der für mich Neuling ungeheure Gletscher und dann die Riesengipfel der Dachsteingruppe in nächster Nähe.


Und da sagen die Herren Mittelschulprofessoren:

Der Schafberg ist der schönste Aussichtspunkt der Monarchie!

Na freilich, vom Dachstein sieht man keine „österreichische Kultur“, keine Dörfer, keine Kirchen, keine Dampfschiffe. Aber die Natur in ihrer vollen Schönheit und ihrer ganzen Größe sieht man vom Dachstein, der für ein Kronland zu viel Ehre, zu viel Gnade Gottes wäre und der deshalb in 3 Kronländern steht.



Leider wurde es draußen zu kalt, ich mußte hinein in die Hütte. Hier sangen die Sennerinnen über 30 der schönsten Volkslieder. Das Lied „Wenn du noch eine Mutter hast“ hörte ich zum ersten Male, sang und lauschte den Volksliedern. Eine schöne Weihe an Mutters Geburtstag.

Ein schweres Gewitter trieb den Sturmwind heulend in die Hütte, die Regentropfen peitschten die Fensterscheiben, Blitze erhellten die Nacht, als ich schlafen ging.


Donnerstg, 10. Sept. 1903 Habe trotz bedeutender Ermüdung nur unzusammenhängend geschlafen, der Wind weckte mich, außerdem fror ich, obzwar ich mich angekleidet auf die Matratze geworfen hatte, wie ein obdachloser Rohrspatz im Winter.

Das ist halt die Gletscherregion. Früh aber, als ich ein bißchen hinausschauen wollte, peitschte mir der Regen die Tropfen in einer so gemeinen Weise ins Gesicht, daß ich schleunig die Tür schließen mußte. Nach paar Minuten verwandelte sich der Regen in Schnee, und jetzt sitze ich eingeschneit ohne Havelock in der Hütte und lese „Fliegende Blätter".

Stellenweise hebt sich zwar der Nebel, und ich habe für einige Minuten die imposanteste Aussicht auf die Berge und das wunderbare Ausseetal mit seinen malerischen Hütten, aber der Frost zwingt mich wieder zurück ins langweilige Hütteninnere (wo ich aus purem Müßiggang dem Führer in sein Zeugnisbuch eine Lobeshymne dichte).


Um 10 versuchten wir mit einem Lehrer aus Pöckschach den Aufstieg auf den Schöbl, der hohe Dachstein, der nur eine Stunde längeren Wanderns erfordert, war gänzlich im Nebel gehüllt, aber bevor wir auf die Spitze kamen, zwang uns ein dichter Nebel und ein eisiger Frost zur Rückkehr; in der Hütte angekommen, war die Hand, welche den Stock nicht gehalten und daher untätig geblieben, gänzlich steif angefroren und mußte erst durch langsames Frottieren zu ihrer früheren Gelenkigkeit zurückgebracht werden.


Aus Dankbarkeit schrieb ich meinem Führer Seetaler ein Lobesgedicht.

Dann stieg ich wieder herunter nach Hallstatt, hier überkleidete ich mich, und nach einem kleinen Techtelmechtel mit der 16jährigen Kellnerin fuhr ich per Dampfer auf den Bahnhof, von hier nach Gmunden.

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