top of page
Suche

Eine Holzschnitzerschule.

Autorenbild: Gerhard ZaunerGerhard Zauner










Eine Holzschnitzerschule.

Im alten, sonnenlosen Hallstatt, das arm und demüthig hingesprengt, am Fuße der ungeheuren, schroff abfallenden Felswände des Saarsteins schwebt, hält ein fröhliches, junges Künstlervolk die Pforten seiner Schule offen.

Das oberösterreichische Städtchen, dessen krumme, bergige Gassen rings um den stillen, brunnenverträumten Rathsplatz man schnell genug durchwandert hat, hielt bis heute jeden Neuglanz, alle modernistischen Baugelüste von seiner harten, schlichten Straßenarchitektur feindlich fort.

Und vielleicht gerade darum mag man, wenn man so ganz und gar sich einspinnen ließ in ferne Historienstimmungen aus den verschollenen Tagen von Österreichs Gegenreformation, die hier noch immer über Häuser und Kirchen und bedrückte Menschengesichter zu schatten scheint: vielleicht gerade darum mag man darüber lächeln und ein wenig verwundert sein, daß die guten Hallstätter sich jetzt plötzlich trotz Bergeinsamkeit und schwerer Stadtvergangenheit besinnen wollen, mitzuthun, wie alle anderen auch, an Handel, Gewerbe und Kunst... Und weil ihr „Salzberg", den sie gleich einer ganzen Reihe von Städtchen und Märkten im reichlich salzgesegneten Salzkammergut besitzen und fleißig befahren, ihnen doch keine gerade ungewöhnlichen Handelsmöglichkeiten zubilligt, überdies noch der Staat das erste Wort beim Salzgewinn mitzureden hat, haben sie sich kühn und klug anderem Zukunftsausblick hingewendet: der Kunst...

Auch hier half ihnen der Staat. Dicht an das Seeufer hat er ihnen ein Helles, schmuckes Häuschen hingebaut, eine „Fachschule für Holzbearbeitung", worin all' die Meister an bildnerischer Arbeit wirken sollen, vorbildlich für Hallstatt und aller Alpenländer Hauptindustrie, die Holzschnitzerei. Man wird ein wenig skeptisch, wenn man hört, daß freilich selbst die reifsten dieser „Meister" erst siebzehn oder achtzehn Jahre zählen. Dennoch bestimmen in der That die fünfzig frischen Jungen, die als Vierzehnjährige in die Schnitzerhochschule aufgenommen werden und in vierjähriger Ausbildung sich künstlerisch selbständig entwickeln sollen, die Holzschnitzerei des ganzen Alpenlandes rings um sie. Obgleich selbst noch Schüler, wirken sie doch schon, kaum daß sie die ersten beiden Schulklassen mit Erfolg durchschritten, als dankbar begrüßte Lehrer. Sie verschenken ihre Einfalle, ihre Formerkraft an die Massenarbeiter, in deren Werkstätten die fingerfertige Geschicklichkeit der Holzschnitzer-„lndustriellen" nur treu Erschautes gewissenhaft wiederholen, nicht Selbständiges und Neues erfinden kann.

Handwerker, Wekstättenbesitzer und Gesellen Pilgern aus den Gebirgs dörfern in der Nähe und Weite nach Hallstatt auf die „hohe Schule", um die Anregung heimzuholen, die dann zu Hause huudertfach und tausendfach kopiert werden. Die Erinnerungsstücke und all die kleinen Geschenke, die mit den Touristen ins Ausland wandern, sind Massenerzeugnisse, in die sich nur ganz selten und vielleicht nur durch Zufall ein wirkliches Original verirrte.


Die strebsamsten Holzschnitzer kommen Jahr um Jahr nach Hallstatt, um die kleine Schülerausstellung zu besichtigen, die für sie die im Ablauf eines Schuljahres gearbeiteten Originale und Muster beherbergt, die von den Fachschülern selbst niemals wiederholt werden. In vier engen Sälen ist da Stück um Stück säuberlich und anspruchslos aufgesreiht, ein bunter Reigen von ungezählten Künstler eingebungen, die dann in die Ferne hinaus, ins Ausland erst als abgeschliffene und natürlich längst flachere Fabrikwaare ziehen. Aber hier sieht man all die Köpfe und Porträtbüsten noch ganz in ihrer ursprünglichen Feinheit und scharf herausgearbeiteten Charakteristik, derbe kernige Holzhauern wechseln mit den zierlichsten Putten. Und die Jungen schnitzen Läufer, Springer, Steinwerfer und Kämpfer, hundert Phantasiefiguren, die alle durch Gesichtsausdruck, Gliederspiel und Haltung verblüffen. Im katholisch frommen Alpenrevier ist's ganz selbstverständlich, daß in der Kunst der jungen Holzschnitzer die Kirche, die Legende, der Heiligenkult ganze Motivgruppen und selbständige Themen darbieten. Neben manch schlichter, innig durchleuchteter Maria mit dem Kindlein, ein frommer Franziskus oder das Martyrium des Gekreuzigten ...


Nichtsdestoweniger ist auch der Weltlichkeit und Nützlichkeit, der sich die Schönheit zugesellen muß, im Arbeitsplan der Holzschnitzerbuben der breiteste Spielraum gegönnt. Natur ist ihre große und unbeirrte Lehrmeistern! Natur allein. Man kann in ganzen Schränken die dichtgefüllten Mappen und Hefte durchblättern, die als Bleistiftskizzen die ersten Entwürfe aneinandereihen, die der Holzbearbeitung des gleichen Themas vorangehen. Und es sind sorgsame, fleißige Übungen von Stufe zu Stufe, ein beharrliches, gewissenhaftes Erklimmen und Besiegen stets gesteigerter künstlerischer Schwierigkeiten. Den ersten schüchternen Versuchen, verschiedenerlei Laubart in jeder Zacke und Faser der Natur abzugucken, folgen stets reichere Blätterornamente, die schließlich zu blühendem, üppigem Rankwerk sich verschlingen. Und aus mühen, eine Bergfichte, ein Stück Wiese oder die Linie eines Abhangs festzuhalten, wächst zuletzt groß und übermächtig die ganze, vielbewegte Alpenlandschaft mit Kuppen und übereinander aufgewürfelten Berghäuptern, mit ihrer Wiesenanmuth, ihren Walddickicht und ihren Bergströmen hervor. Dann wandern in die Bergfauna noch die Bergmenschen: auch sie erst mit dein Bleistift zeichnerisch festgelegt, in jeder Muskelnuance erst mit dem Bleistift „ausstudiert", bevor sie das Messer aus dem Holze holen darf...

Die Natur in ihrer Lehrfreudigkeit ist freilich gerade vor diesen Holzschnitzerjungen verschwenderisch genug. Nichts fehlt, was sie auch zeichnen und schnitzen wollen, in berauschenden Farben und Formen in unmittelbarster Nähe. Vor ihren Fenstern stürmen die Berge himmelan und lassen ihre romantisch-phantastischen Silhouetten noch einmal im blanken Seespiegel sich wiederholen, vor ihren Fenstern wandern die sehnigen, wetterfesten Menschen über die Landstraße hin, die Jäger, die Holzsammlerinnen, die Bergführer, die ihnen dann auch die Holzlandschaft bevölkern. Und von den Kirchen ihrer Heimathsdörfer, aus denen sie von allen Ecken und Enden der Bergländer hier zusammenströmten, bringen sie die Erinnerung an feierliche, alt ehrwürdige Altäre mit, die auch sie mit ihrer jungen Kunst nachbilden wollen.


Jedes Haus in Hallstatt selbst mahnt ja mit seinen halbverblaßten Fresken, mit seinen einfältigen Heiligenbildern über dem Thorbogen, wie zur Ehre der Himmlischen frommer, künstlerischer Ausdruck gefunden werden könnte...


Der freien Entfaltung der jungen Künstlerphantasie steht keinerlei Hemmung im Wege. Dem Holzschnitzerbuben wird von den Leitern der Schule irgendein Thema zur Lösung gestellt, manchmal ein Altar, manchal ein Jägerstückchen, bald ein Rudel äsender Hirsche oder auch ein Wilddieb, der hinter Buschwerk das Nahen seiner Beute belauscht. Alle Ausdrucksmittel müssen die Jungen von Anbeginn durch eigene Anspannung finden: die Gesammtanlage, die Perspektive, die Farben-Verwendung und ihre Abstimmung, die charakteristischen Figurenmerkmale. Selbst wo die Ausführung mißräth oder doch im Einzelnen versagt, bleibt der Reichthum der Schülervorwände erstaunlich und die Fülle der Schattierungsmöglichkeiten von Stück zu Stück.

Natürlich müssen die Kleinen, die Vierzehnjährigen, beim Konventionellen, beim Übungsmäßigen beginen. Die hübschen, runden, braunen Holzbüchsen sind ihre Erstlingswerke, die glatten, heltpolierten Rundspiegel, die dann nach solchem Muster in ungezählten Eremplaren in den Dörfern angefertigt und verkauft werden. Und sie üben ihre Fertigkeit an Zierstücken, an einfacherem Wandschmuck und Konsolenschmuck: wild durch die Landschaft sprengende Hirsche gibt es da zu sehen, an denen vor Allem das übermächtige Geweih imponieren soll, bellende Hüter des Hauses drängen sich an gewichtig ausschreitenden Bauern mit der qualmenden Holzpfeife, oder gar an unheimliche Berggeister. Dabei ist's lustig zu beachten, wie die Anfänger ihrer Kunst das Unwesentliche mitunter weit stärker betonen als das Wichtige und Entscheidende, wie sie hier ein Bergstock, dort die Pfeife, dann wieder der möglichst echte Buckel eines Rucksacks mehr angelockt hat als Haupttbema und Grundanlage. Aber trotz der Verschnitzelung huscht doch schon mehr als einmal über solch erste primitive Arbeitszeugnisse ein Vorzeichen kommender Meisterschaft. Vor Allem an jenen kleinen Fügürchen meldet sich die verheißungsvolle Zukunft, an jenen kleinen Männerchen, die nur in der Phantasie der Gebirgler leben, aus Schlucht und Felsklamm, aus tausend Bergmärchen und Waldgeschichten auch in ihre Bildnerwerkstatt huschen. Virtuos sind diese Berggeister a la Rübezahl, die Bergkobolde und Bergzwerge erfaßt, haarscharf in Linie, wie bei geducktem Schreiten über krumme, groteske Bergrücken, oft am verblüffendsden in der Silhouette erschaut, die mit einem einzigen Messerstich restlos bezwungen scheint.

Die Prunkstücke der Hallstätter Holzschnitzerschule liefern freilich erst die Achtzehnjährigen, die am Schlusse ihrer Ausbildung stehen. Sie haben nichts mehr von Naivität und kindlichem Ausschweifen, sie wählen ihre Stoffe in deutlicher Klarheit, und, wie ihre geistige Zucht straffer und, strenger ist, so zeigt sich auch ihre Technik sicherer und überlegener. Sie bannen, was sie schnitzen wollen, nicht mehr wie die Jüngeren zur Vorsicht und besseren Anleitung vorerst noch einmal aus Papier: sie bilden sich rohe Gipsmodelle, die für ihre figürlichen Darstellungen den Grundton angeben. Die Feinheiten, die Veredelung empfängt dann erst das Holz.

Die Ergebnisse vierjähriger Selbstentwicklung unter der unmerklichen Korektur klug zurückhaltender Lehrer kann man nirgends besser als vor den Heiligenholzschnitzerei verfolgen. Bei den Anfängern noch plumpe, in ihrer Steifheit fast rührende Primitivität, bei den Ältesten trotz ihrer achtzehn, manchmal nur siebzehn Jahre, fast malerische Wirkungen. Daß freilich auch die Ältesten mitunter noch befangen sind, daß sie nach dem Siege über ihr handwerkliches Rüstzeug erst noch den Sieg innerlich selbstbefreiter Künstlerschaft sich in ernsthafter Weiterentwicklung werden erringen müssen, beweist der starte Einfluß, der von der Heiligenmalerei altitalienischer Meister auch hier oft deutlich spürbar wird. An sanften Madonnen merkt man ihn, an Engelchen und Kinderköpfen, so unsäglich beseelt sie auch der junge Bildschnitzer selbst gestaltete.


Wie viel entwicklungsfähige, edle Keime indes trotz der vorläufigen Abhängigkeit von übermächtiger, fremder Einflüsterung in all der Künstlerjugend ruht, beweist gerade die Vielseitigkeit der Heiligenschnitzer, die verweilt selbständig und selbst schöpferisch wird, sowie sie sich unbeschadet der Legendendarstellung am Kunstgewerblichen versucht. Oder auch nur am Weltlich Freien. Neben herber, kraftverhaltener Eigenwilligkeit in der Behandlung des Figürlichen entzückt fast Mozartsche Zartheit, ein Mozartsches Quellen und Blühen der Formen und Rhythmen, die alles Gegenständliche, Alltägliche und Gebrauchsmäßige verschönen und stilisieren wollen.


Entscheidend aber bleibt vor allen Stücken, gleichviel ob Kunstgewerbe, ob Landschaft, ob Menschenbildung, das verschwenderische sich ausgeben können an bildnerischem Reichthum, der sich später einmal auf enger begrenzten Sondergebieten vielleicht doppelt fruchtbar verdichten wird.


63 Ansichten0 Kommentare

Aktuelle Beiträge

Alle ansehen

Comments


bottom of page