![](https://static.wixstatic.com/media/a6588b_a2c859e082484b959210a006e233a401~mv2.jpg/v1/fill/w_980,h_1475,al_c,q_85,usm_0.66_1.00_0.01,enc_auto/a6588b_a2c859e082484b959210a006e233a401~mv2.jpg)
Novelle des Herzens.
Ein Felsenschloss der treuen Liebe.
Das Geheimnis der Kopenbrüllerhöle bei Obertraun -
Franz Engel und Anita Hofer-Sef, das treueste Liebespaar von Österreich.
Es gibt viele berühmte Denkmäler der Liebe, Stätten, die als Symbol inniger Liebe der Nachwelt erhalten sind.Die „hängenden Gärten der Semiramis", wo sich Zauber der Liebe hinter Blumenwundern verbarg, die Trümmerstätten der griechischen und römischen Tempel, wo Bacchus und Priapos ihre Feste feierten.
Tausende ziehen alljährlich an diese Stätten, um mit dem Baedeker, in der Hand ihrer Phantasie Bilder langst verklungener Zeiten, hinabgesunkener Jahrtausende vorgaukeln zu lassen.
Unbekannt den großen Massen des Reisepublikums aber gibt es eine Stätte der Liebe in Österreichs Alpen, die das Symbol des „Hohen Liedes" des Herzens genannt werden könnte. Rührend wie das Schicksal des klassischen Liebespaares Hero und Leander, rührend wie das Romeos und Julias ist das Erleben des fast unbekannten österreichischen Deserteurs Franz Engel und seiner Geliebten Anita Hofer-Sef.
Jahrzehntelang ging das Andenken an die beiden im Volksmund der Bevölkerung des Salzkammergutes um. Auch die Pfarrer auf den Kanzeln pflegten dann und wann in ihren Hochzeitsreden die Ehepaare an das Beispiel treuer Liebe jener zwei in den Koppenbrüllerhöhlen hoch oben im Dachsteinmassiv zu erinnern.
Man weiß, daß das ganze Dachsteinmassiv von gewaltigen Höhlensystemen unterwühlt ist. Die in ihrem, geheimnisvollen Zauber unerreichten Eishöhlen und Dome der Dachsteineisriesenwelt sind allgemein bekannt. Weniger populär sind die kleineren, aber ebenfalls sehenswerten Koppenbrüllerhöhlen des Koppensteines, die in ihrer pittoresken Formung einen gewaltigen Eindriick hinterlassen. Sie wurden erst vor kurzem durch den Touristenverein „Die Naturfreunde" für Besucher zugänglich gemacht.
Um die Mitte des vorigen Jahrhunderts war die Existenz dieser gewaltigen Höhlensysteme noch wenigen bekannt. Nur die Einheimischen wußten davon, doch verstrichen hier oft Jahrzehnte, bis irgend ein neugieriger Dorfbewohner den Weg in die gewaltige Unterwelt wagte. Seine Erlebnisse und Geschichten kursierten dann für viele Jahre als Gesprächsstoff in den Tälern und auf den Almen...
Und es war am Ende des vorigen Jahrhunderts, daß, durch einen Jäger verbreitet, seltsame Kunde im Salzburgischen und Oberösterreichischen aufflatterte. Oben in den Höhlen des Koppensteines, durch die man, nur durch einen ganz schmalen Eingang kriechend, gelangen könne, müssen Menschen hausen. Denn der Jäger habe die Spuren menschlicher Behausung in einer der abgelegensten Hohlenschrunde festgestellt. Die Menschen selbst waren zwar nicht zu entdecken. Aber es wären noch glimmende Feuerreste dagewesen und Schafpelze und Reste menschlicher Nahrung. Die Leute schüttelten die Köpfe, die Kunde ging von Dorf zu Dorf und bald wurden aus dem Menschenpaar geheimnisvolle Geister, die da oben im Koppensteinmassiv ihr Unwesen trieben.
Die Freude am Bergsteigen und die Naturliebe war damals noch nicht so in die weiten Volkskreise gedrungen wie heute. Und ein junger Mann wie Franz Engel, der keine freie Zeit unbenützt verstreichen ließ, um seiner geliebten Bergwelt einen Besuch abzustatten, wurde als ein ordentliches Wunder, ja als Sonderling bestaunt.
Als Franz 20 Jahre alt war, lernte er Anita Hofer-Sef kennen, die ihm für das Leben von entscheidender Bedeutung werden sollte. Anita war ein Mädel aus reichem Haus, schön und ebenmäßig von Wuchs, ein junges, lebensfrohes Wiener Geschöpf. Das mit dem KennenIernen war eine seltsame Sache. Auf einer seiner Wanderungen traf er Anita, man kam ins Gespräch und bald sahen die beiden, daß sie von den gleichen Neigungen beseelt waren. Sie unternahmen in der Folge dann zu zweit Ausflüge und schließlich band eine starke und große Leidenschaft die beiden Menschenkinder aneinander. Die zwei konnten gar nicht mehr ohne einander sein. Es war, als schlüge ein Herz und eine Seele in zwei Leibern.
Franz machte seine Schulen fertig und wollte dann in den Staatsdienst eintreten. Da aber erreichte ihn der Ruf des Kaisers ... Franz wurde zum Militär ausgemustert.
Drei Jahre lang ohne Anita! Drei Jahre ohne seine Berge! Das schien ein Herz nicht ertragen zu können. Sein Gehirn arbeitet fieberhaft in diesen Tagen, indes der Zeitpunkt der Einrückung näher und naher rückte. Was tun, was tun?
An einem Montag sollte es sein. Würde ihn Anita nicht vergessen? Würde er dieses schöne Leben der Liebe nach drei Jahren dort anknüpfen können, wo er es heute unterbrach.
Aber auch Anita traf die Trennung schwer. Auch sie konnte den Gedanken daran nicht fassen und ihre Nächte waren von Schmerz und Sehnsucht zerquält. Montag war der Abschiedstag. Am Freitag zogen sie noch einmal hinaus in ihre geliebte Bergwelt.
Und — kamen nicht wieder.
Polizei und Gendarmerie wurden aufgeboten, man dachte an ein Unglück. Aber nichts, keine Spur der beiden konnte entdeckt werden... Da erließ die Militärpolizei einen Steckbrief wider Franz Engel wegen Desertion und gegen Anita Hofer-Sef wegen Beihilfe zu diesem Verbrechen.
Zehn Jahre vergingen. Da tauchte zum erstenmal in der Gegend von Obertraun die Erzählung von den Menschen in der Koppenbrüllerhöhle auf. Sie wurde nicht geglaubt und verwandelte sich im Volksmund bald zur Erzählung von den Geistern bei Obertraun.
Und wieder Vergingen fünf Jahre. In einer wilden Novembernacht klopft es an der Türe des Pfarrhauses in Hallstatt. Das Gesinde ist schon lange schlafen gegangen. Nur der Pfarrer Stibiger wacht noch, über die heiligen Schriften gebeugt.
Das Klopfen scheucht den Pfarrer aus seiner beschaulichen Ruhe. Er öffnet... draußen steht in zerissenem Mantel mit eingefallenen Wangen ein Mann.
„Was wollen Sie hier zu so später Nachtzeit?" „Ein Versehgang," „Wohin?" "Ich bin der Mann von der Koppenbrüllerhöhle!" Der Pfarrer bekreuzigte sich. „Fürchten Sie sich nicht. Ich bin ein Mensch wie Sie, ein Mensch von Feisch und Blut . Mein Name ist Franz Engel, ich bin der lang gesuchte Deserteur." Der Pfarrer bekreuzigt sich noch einmal. „Ich muß Sie verhaften lassen." "Tun Sie das. Aber erst kommen Sie mit mir. Meine Frau liegt im Sterben, oben in den Koppenbrüllerhöhlen."
Der Pfarrer sckwankte nicht lange.
„Ein Toter ruft nach mir, nach Christus, nach den letzten Tröstungen. Und ist die Sache noch so unheimlich ... es muß sein."
Er nahm Hut und Mantel und ging mit dein Fremdling. Nach stundenlanger Wanderung kamen sie zum Höhleneingang. Auf dem Boden kriechend gelangten sie in das Innere des Berges. Feuchte, modrige Luft schlug ihnen entgegen. Nach halbstündiger Wanderung im Innern des Massivs waren sie am Ziel.
Da sah Pfarrer Stibiger eine Frau mit liebe fieberglühenden Augen auf einem Lager von Heu und Fellen liegen. Anita Hofei-Sef. Und indes der Mann andächtig daneben steben blieb, setzte sich der Pfarrer neben die Frau, faßte ihre brennend heiße Hand und sagte:
„Bekenne also deine Sünden, du armes Menschenkind" „O, ich war nicht arm", gab Anita,zurück und in ihren Augen flammte ein Schein voll Glut und Liebe auf.
„Ich war reich, unendlich reich — an Liebe."
Und Anita erzählte.
„Seit fünfzehn Jahren hausen wir in dieser Höhle. Es war ein Leben der Entbehrungen und doch ein Leben voll Glück. Seit fünfzehn Jahren habe ich das Licht der Sonne kaum mehr gesehen. Nur des Nachts, wenn die Sterne funkelten, sind wir hinauf, um frische Luft zu schöpfen. Und alles das habe ich gerne ertragen — für ihn, für ihn. Furchtbar nur war es, wenn er oft Tage auf der Nahrungssuche draußen war. Er mußte ja nicht nur für den nächsten Tag sorgen, er mußte auch für den Winter sammeln. Da bangte ich um ihn. Da zitterte ich um ihn. Aber wenn er wiederkam... oh, dieses Glück, oh, diese Seeligkeit. Fünfzehn Jahre waren wir in diesem Kerker, den uns die Liebe zum Paradies gemacht hat!"
Und Anita erzählte, erzählte. Bis ihre Kraft erschöpft war, bis ihr Atem nur mehr röchelnd pfiff und kalter Schweiß auf ihre Stirne trat.
Und ein Lächeln voll Glück in den Augen verschied sie in den Armen ihres Geliebten, versehen mit den Tröstungen der Religion.
Verzweifelnd schlug Franz seine Stirn an die feuchten Wände.
„Ich habe sie gemordet... ich ... ich. Ihre zarte Lunge hat diesen Moder nicht ertragen ... sie starb durch meine Schuld."
Dann trugen sie die Leiche ins Freie. Der Sturm war strahlendem Sternenhimmel gewichen. Am nächsten Tag wurde sie in Obertraun zur letzten Ruhe geleitet. Franz aber stellte sich dem Gericht. "Zehn Jahre Kerker", lautete das Urteil, „wegen Desertion." Nach einem halben Jahr aber hat Pfarrer Stibiger ein Gnadengesuch an den Kaiser gerichtet. „Euer Majestät, geben Sie den Mann frei, der seine Freiheit daransetzte, einer Frau die letzten Tröstungen der Religion zu verschaffen." Und der Kaiser begnadigte Franz Engel ein halbes Jahr, nachdem ihn das Gericht verurteilt hatte.
Das ist die seltsame Geschichte von Romeo und Julia in Obertraun.
Comentarios