Wie sich die Frauen organisierten.
Vom ersten Frauentag in Wien berichtet die Arbeiter Zeitung, 20. März 1911.
Das Bild des Frauentages in Linz war ein imposantes.
In dichten Scharen umdrängen Frauen das Podium, darauf Frauen den Vorsitz führen. Über die Massen hinaus ragt die Gestalt des Genossen Weiguny. Mächtig hallt die Stimme des greisen Genossen, der ein Menschenalter bereits kämpft für die Rechte der Frau, durch den Raum. Als Genosse Weiguny seine Rede schließt, ertönt Beifall, anfangs zaghafter, dann stärker und stärker anschwellend.
Genossin Beutlmayr findet ihren Weg sofort zu den Herzen der Frauen, man bemerkt, wie ihre Worte ergreifen. Zwischenrufe ertönen, die Frauen gehen aus sich heraus.
Die Rednerin spricht von der Blutsteuer, die angeblich die Frauen nicht bezahlen.
Die Mutter aber, die ihr Kind mit Schmerzen gebäre und mit Sorgen großziehe, die es dann zum Militär geben und vielleicht als Krüppel zurückempfangen muß, die zahle wohl die schmerzlichste Blutsteuer; da geht eine Bewegung durch die Masse, man merkt, hier unten stehen die Mütter, die für ihre Kinder kämpfen. Mit ernsten, feierlichen Worten ermahnt die Vorsitzende Genossin Nowak, die Frauen zu tatkräftiger Arbeit, zur Organisation und schließt die Versammlung.
Erst jetzt, beim Verlassen der Halle, bemerkt man die, Größe der Versammlung.
Die Zahl der Versammelten geht weit über 2000 hinaus, meistens Frauen.
Die junge Frauenorganisation von Ebensee hielt den 19. März 1911 ihre konstituierende Versammlung ab, gewiß ein Geburtstag von besonderer Bedeutung. Genosse Loidl sprach über den Frauentag und die Rechtlosigkeit der Frauen.
Der diesjährige Frauentag in der Steiermark.
Auch heuer wird die steiermärkische Arbeiterschaft am 8.,9. und 10. März in einer größeren Anzahl von öffentlichen Frauenversammlungen den energischen Ruf nach dem Frauenwahlrecht erschallen lassen. Die Versammlungen, die überall gut vorbereitet, werden den Gedanken des Sozialismus wieder in viele Proletarierhirne tragen, sie über ihre Rechte in der Öffentlichkeit aufklären.
Um den Frauentag, den mit uns die proletarischen Frauen von ganz Österreich, der Schweiz, Holland und Deutschland feiern, besonders wirkungsvoll zu gestalten, wird jede Demonstrationsversammlung durch einen Freiheitschor eines Arbeitergesangvereines eingeleitet.
Vorläufig sind für Samstag den 8. März in folgenden Orten Frauen-Versammlungen angemeldet: Puntigam, Fürstenfeld, Bruck, Eisenerz, Aussee und Pölsing-Brunn.
Für Sonntag den 9. März: Marburg, Kapfenberg, Kindberg. Veitsch, Mitterdorf, Kriglach. Mürzzuschlag, Trofaiach, St.-Peter-Freiensteln, Vordernberg, Judenburg, Fohnsdorf und Wies.
Für Montag den 10. März: Leoben und Graz.
Die Vertrauensmänner werden aufmerksam gemacht, daß keine anderen Parteiveranstaltungen am Frauentag zulässig sind, weil Frauen und Männer an diesem Tage gegen die politische Rechtlosigkeit der proletarischen Frauen demonstrieren müssen.
Alle Massenversammlungen müssen Massenkundgebungen werden.
Anmeldungen von weiteren Frauenversammlungen in Steiermark an diesen drei Tagen sind schleunigst an das Frauensekretariat, Graz, Mariengasse 16, zu richten.
In den nächsten Tagen wird den Freien politischen Frauenorganisationen eine illustrierte Flugschrift, den Frauentag betreffend, von Frauenlandeskomitee zugesendet, die sofort sowohl jedem Mitglied, als auch den indiferenten Frauen des Ortes zuzustellen ist. Das Frauenlandeskomitee.
Folgendes Flugblatt wird den Freien politischen Frauenorganisationen vom Frauenlandeskomitee zur Verfügung gestellt:
Den Frauen ihr Recht!
Frauen und Mädchen der Arbeiterklasse!
Am 8., 9. und 10. März 1913 erheben sich die Frauen und Mädchen des arbeitenden Volkes zu einer imposanten Kundgebung für ihr Recht.
In allen Städten und Dörfern versammeln sich an diesen Tagen die rechtlosen, ausgebeuteten und ausgewucherten Frauen, um an die Gesetzgebung, an das Parlament, an die Landtage und Gemeindevertretungen die Forderung nach der Einführung des Frauenwahlrechtes zu erheben.
Das Frauenwahlrecht ist keine leere Phrase; wir sehen in anderen Ländern, daß Frauen weibliche Abgeordnete zum Parlament wählen.
In Finnland, in Amerika, in Nowegen haben die Frauen das gleiche, politische Recht. In England, in Dänemark und in Schweden sind die Frauen nicht nur Wählerinnen in die Gemeinden, sie können auch als Vertreterinnen gewählt werden. Frauen sind in Amerika und in England Bürgermeisterinnen und sie üben ihr Amt zum Vorteil der ganzen Bevölkerung aus.
Auch wir, die Frauen Österreichs, wollen das Wahlrecht.
Wir wollen wählen, auch wir wollen Frauen in alle gesetzgebenden und verwaltenden Körperschaften senden können.
Noch sind die Wunden nicht vernarbt, die die Kriegsgefahr den Frauen geschlagen. Die Männer und Väter sind noch unter den Fahnen; an der Grenze harren sie in Bangen des Loses, das sie erwartet.
Die Frauen und Mütter aber sind in Angst und Verzweiflung, ob sie den Gatten und Vater wieder sehen werden.
Die Frauen und Mütter leben in Not, sie und ihre Kinder müssen entbehren, gar oft hungern, weil Frauenarbeit schlecht bezahlt wird.
Die Frauen sind politisch rechtlos.
Verbrecher, Unzurechnungsfähige und Frauen haben kein Wahlrecht.
Ihre Gatten und ihre Söhne müssen die Frauen dem Vaterland hingeben, Steuern müssen sie zum Übermaß bezahlen, aber die Frauen haben kein Wahlrecht.
Die Frauen steuern bei den Lebensmitteln, beim Wohnungszins und in Zukunft zwei Heller bei jedem Schächtelchen Streichhölzer.
Frauen werden eingesperrt, wenn sie sich in Hunger und Verzweiflung für sich oder ihre Kinder an den Gesetzen vergehen, aber die Frauen dürfen nicht mitwirken, wenn die Gesetze gemacht werden.
Frauen, Arbeiterinnen!
Erhebt euch gegen diese geistige Knechtschaft, gegen eure politische Rechtlosigkeit.
Duldet nicht länger, daß man euch Mark und Blut aussaugt, als Arbeiterinnen und als Staatsbürgerinnen.
Verlangt zu den Pflichten auch Rechte.
Erhebt euch! Demonstriert am Frauentag mit den sozialdemokratischen Frauen der ganzen Welt. Ruft die Frauen und die Mädchen auf, ruft sie zur Kundgebung für ihre Rechte.
Erhebt den Ruf: Wir wollen nicht länger Ausgebeutete und Rechtlose sein!
Wir wollen das Wahlrecht
Die Frauenorganisation in Oberösterreich.
In den ersten Jahren des Weltkrieges 1914 und 1918 gingen fast 60 Prozent der weiblichen Mitglieder verloren. Mit Hilfe der treugebliebenen Genossinen setzte 1917 wieder eine, kräftige Agitation ein. Der Frauentag galt als Parole und die Versammlungen hatten einen Massenbesuch. In Ebensee hat unsere Organisation seit dem Frauentag, welcher im April abgehalten wurde, mehr als 60, neue Mitglieder gewonnen.
In Bad Ischl gingen dem Frauentag zwei Frauenversammlungen voraus, die äußerst gut besucht waren, und heute hat die junge Ischler Frauenorganisation hundert Mitglieder.
Die Frauen von Goisern haben am Sonntag den 8. Juni eine äußerst gut besuchte Frauenversammlung abgehalten und wurde die Konstituierung vorgenommen. Vierzig Frauen traten bei.
Oberösterreich. Vom 23. bis 25. März fanden im Salzkammergut vier Frauentagsversammlungen statt, in denen Genossin Gabriele Prost aus Wien als Referentin sprach.
Alle diese Versammlungen wiesen einen sehr guten Besuch auf und waren fast durchwegs von Frauen besucht.
In Hallstatt war zugleich die Gründung einer Frauenorganisation; es ließen sich dort 25 Frauen in die Frauenorganisation einschreiben. Zuschriften sind zu richten an die Vorsitzende Genossin Marie Pilz, Lahn 71.
Auch in den anderen drei Versammlungen in Ischl, Goisern und Ebensee wurden neue Mitglieder ausfgenommen. Die Resolution fand einstimmige Annahme.
In Ebensee war der Frauentag im schön dekorierten Saale „zum Auerhahn" eine Massenversammlung! Genossin Ferdinanda Floßmann aus Linz erstattete das Referat; Vorsitzende war Genossin Zieger. In Goisern versammelten sich die Frauen im Konsumvereinshaus. Die Genossen Sänger verschönten durch ihre Mitwirkung den Tag. Genossin Else Czermak aus Linz als Referentin entledigte sich ihrer Aufgabe in gewohnt ausgezeichneter Weise. In Gosau, wo noch tiefer Winter ist, kamen viele Frauen zu der Versammlung; selbst aus Abtenau waren sie da. Sie lauschten den trefflichen Ausführungen der Genossin Risa Bruckschlögl aus Linz. Viel persönlicher Dank zeigte, wie sehr die Frauen den Sinn der Rede erfaßt hatten.
Die Genossinnen in Hallstatt feierten am 30. März durch eine Festrede des Genossen Höll und durch Gesang den Tag der Frauen; ebenso die Genossinnen im Bergrevier Holzleithen.
Hallstatt. Frauentag.
Sonntag den 30. März hielt die Frauenorganisation unter sehr zahlreicher Beteiligung den Frauentag ab. Genosse Höll sprach über die Bedeutung des Frauentages, schloß mit einem Appell an die Fräuen als Mütter die Jugend zu erziehen, daß an dem Ziele, was wir uns als Sozialdemokraten gesteckt, unsere Kinder weiterarbeiten bis zur Erreichung desselben.
Im weiteren Verlauf sorgte der Arbeiter-Gesangverein Hallstatt unter Letung des bewährten Chormeisters Genossen Pilz und des Obmannes Genossen Steiner für ein gediegenes Programm, in Abwechslung Freiheitschöre, Musikeinlagen und heitere Duetten. Und die Leitung des Vereines "Kinderfreunde" verschönerte das Fest mit einigen von ihren Zöglingen sehr hübsch vorgetragenen Gedichten.
Gosau. Frauentag.
Auch in unserem stillen verborgenen Gebirgsdorfe konnte man am 11. April die Würdigung des nunmehr wieder ins Leben gerufenen internationalen Frauentages bemerken. Das Referat der Genossin Floßmann, die den Versammelten die Bedeutung des Frauentages vor Augen führte, wurde sowohl von den Frauen, als auch von den anwesenden Männern mit großem Beifall aufgenommen. Von letzteren in der Erkenntnis, daß die Forderungen der Frauen nach Gleichberechtigung vollauf gerecht sind.
Hochinteressant waren die Ausführungen, wieso Bildung und Moral unter den Urvölkern Wurzel zu fassen begann und sich durch die vielen Jahrhunderte bis zur gegenwärtigen Kultur entwickelten. In ihren weiteren Ausführungen kam Rednerin auf die Erstehung des Frauenwahlrechtes in den einzelnen Staaten zu sprechen, stellte die Mangelhaftigkeit des gegenwärtigen Mutterschutzes und des Entwurfes zum Altersversicherungsgesetze ins volle Licht und kritisierte so manche Stellen unseres bürgerlichen Gesetzes und des Strafgesetzes, aus welchem die Veraltung deutlich spricht.
Genossin Floßmann fordert die Anwesenden auf, in der Werbearbeit nicht zu ermatten, durch engen und kräftigen Zusammenschluß aller für Sozialismus Sinn und Verständnis habenden Frauen allmählich diesen ihre Rechte zu erkämpfen. Bei der hierauf vorgenommenen Wahl wurden in den Ausschuß gewählt Theresia Kals, Josefa Hölzer und Marie Posch.
Der Arbeiter-Gesangverein, der die Versammlung mit einem Chor eröffnete, schloß auch diese mit einem solchen.
Frauentag in Ebensee. Nacht ist es, übergossen vom silbernen Licht des vollen Mondes ist die wuchtige Beton Brücke, eine Schöpfung der sozialdemokratischen Gemeindeverwaltung im Zentrum der Marktgemeinde von Ebensee. Sechs Masten flankierten heute die Brücke, ragen hinein in den sternbesäten Himmel, sechs Flaggen fesselnd in rot-weiß-rot; die tragen flatternd hinaus den Freundschaftsgruß den mutigen Frauen entgegen. Von weit her sind sie gekommen. Viele, viele Frauen. Zu zeigen den Gefährtinnen von Ebensee, daß sie nicht allein stehen im Kampf ums soziale Problem, zeigen mit ihnen mitfühlen, mitkämpfen zu können, für die sozialen Rechte des proletarischen Mannes, als seine proletarische Frau. Einen kleinen, aber sprechenden Ausschnitt des sozialen Verstehens der Frau, bildete der Festzug im Rahmen der Tagung. Bei strahlenden Himmel, unter klingendem Spiel, marschierten die Frauen; voran ihre Träger der kommenden sozialeren Welt, die Jugend mit wehenden roten Fahnen, dann sie selbst in langen, langen Viererreihen, Greisinnen, Mütter und junge Frauen, stille Heldinnen am Herd und geistiger Prolitarität in bewußter Eintracht. Wohl manches Antlitz von bitteren Lebenssorgen durchfurcht, konnte man sehen, doch alle hatten helle Augen mit frohen, entschlossenen zukunftsblick. Nicht zu vergessen die Proletarier, die mitmarschierten als treue Kampfgenossen im sozialen Aufwärtsstreben der Frau. Stets werden diese Tage als neuer sozialer Auftakt im sozialistischen Lichtfüge, allen die es miterleben durften, in Erinnerung bleiben segenbringende Früchte zeitigen.
Ebensee. Unser Frauentag.
Die Leitung der Frauenorganisation spricht auf diesem Wege vor allem der Abg. Beutlmayr, für das bei unserer Festfeier gehaltene großzügige Referat unter der Devise „Nie wieder Krieg", welches allen Teilnehmern noch lange in Erinnerung bleiben wird, den besten und herzlichsten Dank aus, ferner dem Gesangverein „Kohlröserl" sowie dem Frauenchor für die Eröffnungschöre, die unter Leitung des Chormeisters Schrempf sehr gut zum Vortrag gebracht wurden.
Dem Leiter der Volksbühne Demel und seinen Mitarbeiter gebührt Dank für den Einakter „Der Prolet", desgleichen Lehrer Ramsauer für seine große Mühe bei der Einlernung der Kinderlieder, welche schon sehr gute Schulung verrieten.
Die Jugendgenossinnen haben ein prächtiges, von Genossin Raimann (Bad Ischl) verfaßtes Gedicht sehr gut zum Vortrage gebracht. Dieser geschlossenen Zusammenarbeit verdanken wir unsere schöne, eindrucksvolle Festfeier.
Schließlich danken wir der Gemeinde für die Freigabe des Saales, den Genossen Derfler und Neuhuber für ihre Mithilfe und zuletzt, doch nicht als letztem, Gemeindebeamten Lahnsteiner für seine ausgezeichnete Klavierbegleitung.
Wir wollen hoffen, daß die Worte des Referats nie vergessen werden, die sich dem Gedichte in unserer Festschrift anschlossen, das da lautet:
„Ich habe meinen Sohn zum Krieger nicht geboren. Ich zog ihn auf zum Stolz und Freude meiner alten Tage. Wer wagt es, ihm die Waffe in die Hand zu drücken? Damit er einer andern Mutter teures Kind erschieße! Es ist nun Zeit, die Waffen wegzuwerfen,
und alle Mütter sollen in die Welt es rufen: Ich habe meinen Sohn zum Krieger nicht geboren!"
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