![](https://static.wixstatic.com/media/a6588b_530acad0dcd14bf2a6835f3e84186c5a~mv2.jpg/v1/fill/w_727,h_1000,al_c,q_85,enc_auto/a6588b_530acad0dcd14bf2a6835f3e84186c5a~mv2.jpg)
Ein Mädchen erzählt Arbeiter Zeitung 25. Mai 1952
Von Fritz Habeck:
Der junge Mann saß am Fenster und malte. Er war einundzwanzig Jahre alt, trug einen Vollbart und hatte seit Kriegsende kaum etwas anderes gemacht als gemalt. Neben ihm, auf einem Schemel, stand sein Farbkasten, vor ihm die Staffelei, in einer Ecke sein Bett. Dann gab es noch die beiden Stühle, auf denen er und das Mädchen saßen, sonst war der Raum leer. Außer den Bildern natürlich, die an den Wänden hingen, und mir. Ich lehnte hinter ihm an der Wand. „Ich weiß eigentlich nicht, was er war“, sagte das Mädchen. Es war siebzehn, mager und hatte dunkle Schatten unter den Augen. „Irgendein Bonze auf jeden Fall. Im dreiundvierziger Jahr hat er sich von meiner Mutter scheiden lassen, aus seinem Verschulden natürlich, weil er ja damals schon die andere gehabt hat. Und dann ist es losgegangen, ein Prozeß, noch ein Prozeß, noch ein Prozeß, alles wegen mir.“ Der Maler beugte sich über den Farbkasten. „Er hat dich nicht bei deiner Mutter lassen wollen.“ „Nein. Er hat gesagt, sie übt einen schlechten Einfluß auf mich aus und sie steht nicht auf dem Boden der Weltanschauung. Angeblich war er kein so schlechter Mensch. Was weiß ich, heute ist es ja egal. Auf jeden Fall hat er den ersten Prozeß gewonnen, und den zweiten auch. Vielleicht sogar noch einen dritten.“ „Ist ja auch egal“, meinte der Maler und betrachtete forschend ihre Augen. „Natürlich ist es egal, Ich rede ja nur, weil ich reden soll und weil du mich fragst.“ „Er war also ein Bonze.“ „Ja. Und er hat mich zugesprochen gekriegt. Das war gerade so Anfang fünfundvierzig, sie haben mich meiner Mutter weggenommen und zu ihm gebracht. Damals war er schon mit der anderen verheiratet.“ Es blieb eine Weile still. Der Maler neigte den Kopf schief, setzte kurz den Pinsel an, zog ihn wieder zurück, versuchte eine andere Farbe. Dann sprach das Mädchen weiter. „Im März sind sie davongerannt und haben mich mitgenommen. Er und die andere. Wir sind bis Linz gefahren, haben dort übernachtet, am nächsten Tag mit einem Lastauto bis Gmunden. Da war auf einmal kein Benzin mehr da, wir sind ausgestiegen, haben uns in einen Schuppen gesetzt und gewartet. In dem Schuppen hat sie davon angefangen.“ „Wovon?“ „Daß er ihr erster Mann sein soll." „Ach, sie war schon einmal verheiratet.“ „Ja, klar. Mit einem Juden, der achtunddreißig geflohen ist, ein Rechtsanwalt, Sie hat sich von ihm scheiden lassen, weil er weg war, und dann hat sie meinen Vater getroffen und hat ihn sich geangelt Und jetzt hat sie sich eben gedacht, es wäre doch schön, wenn er sagt, er ist ihr erster Mann, dann ist er rassisch verfolgt und kein Mensch kommt auf die Idee, daß er ein Bonze war.“
„Geschickt“, sagte der Maler. Er sagte es ganz ruhig. „Natürlich. Sie haben mir gleich gesagt, mein Vater heißt Doktor Mondschein und war im KZ.“ „Im KZ.? Dein Vater war doch nie im KZ.“ „O ja, dienstlich schon." „Ach so.“ „Aber ich habe nicht wollen. Ich habe immer wieder meinen Namen gesagt. Ich war damals zehn Jahre alt. In Hallstatt, in einem Gasthaus, haben sie mich wieder gefragt. Und ich wieder: nein, nein, ich heiß nicht Mondschein, ich heiß Biegler. Sie war sehr bös und hat mich geschlagen. Da war’s natürlich dann ganz aus.“ „Klar.“ „Auf einmal sind sie beide aufgestanden und haben mir gesagt, ich soll zehn Minuten warten, sie müssen sich um das Auto umschauen, das uns weiterbringen soll. Ich bin also sitzengeblieben, der Kellner hat mir noch ein Schmalzbrot gegeben, obwohl ich kein Geld gehabt habe. Eine Stunde ist vergangen, aber die zwei sind nicht zurück gekommen.“ „Klar.“ „Klar. Aber damals habe ich mir das nicht vorstellen können, daß ein Vater sein Kind einfach in einem Gasthaus sitzen läßt, weil er einen anderen Namen braucht. Noch dazu, wo er doch so gerauft hat, daß er mich meiner Mutter wegnehmen kann.“ Der Maler setzte einen Punkt auf das Blatt. Ich mengte mich ins Gespräch.
„Ihr Vater hat Sie dort ruhig sitzen lassen?“ fragte ich atemlos. Sie sah geradeaus. „Ja“, sagte sie ruhig. „Die Koffer haben sie mitgenommen und weg waren sie. Der Kellner hat mich auf die Polizei gebracht, und dann bin ich zu fremden Leuten gekommen, die haben mich bei sich behalten, bis mich im Winter meine Tante aus Wien geholt hat. Meine Mutter war tot.“ „Und Ihr Vater?“ „Ich weiß nicht. Wahrscheinlich sitzt er irgendwo als Doktor Mondschein.“ „So." Der Maler stand auf. „Fertig. Ja, komische Sachen passieren.“
Dann wandte er sich an mich. „Ist ja egal heute. Haben Sie eine Zigarette?“ Auch das Mädchen stand auf, schüttelte seine Beine ein wenig und sah mich an.
„Ja, Sachen passieren. Haben Sie für mich auch eine?“ Wir rauchten. Ich schaute auf das Aquarell. Die Augen des Porträts erzählten von einem gefaßten, ruhigen Charakter. Trotzdem stimmten sie traurig. Sie waren gänzlich illusionslos. Im Zimmer standen ein Bett, eine Staffelei, zwei Stühle und zwei ganz junge Menschen. Und das Sonderbarste daran: die Geschichte ist wahr.
Fritz Habeck ist ein sehr interessanter Autor, der auch gegen das Vergessen von Austrofaschismus und Nationalsozialismus anschrieb.
Ein Jugendroman von ihm ist "Der Aufstand der Salzknechte" über Hallstätter Bergknappen im Mittelalter.
Dieser Zeitungsbericht könnte mit dieser Geschichte zusammenhängen.
In Hallstatt wurde der seinerzeitige Ortsgruppenleiter der NSDAP und Propagandaredner von Krems, Karl Rohrhofer, festgenommen. Rohrhofer war SA.Obersturmführer und Führer eines Volkssturmbattalions.
Ein PDF über die Nazi-Zeit in Krems. Die Kremsernachrichten.
Comentários