Der Haller-Hans.
- Gerhard Zauner
- vor 2 Tagen
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Von Susi Wallner, aus dem Buch Erzählungen, 1902.

Der Haller-Hans.
Ein Gebirgsdorf.
Zu tiefst drinnen in einem Wildbachtale.
Die kleinen, holzgedeckten Häuser steigen die waldigen Abhänge hinauf, buntverstreut und „schier blangig“ *) nach dem buchenlaubigen Schutz wie eine Gaisenherde. Ein schmaler Saumweg führt den einen Talberg entlang zum Dörfel. Unten braust der Wildbach und springt über die Steinblöcke in seinem Bett, dass der weißgischtige Saum hoch aufsprüht.
*) blangig: lüstern, genäschig

Das Kirchel steht auf einem untermauerten Felsen, der jäh und gerade hinunter steigt in's hellgrüne Wasser. Dort droben auf dem Kirchenplaze ist just noch Raum für den „Freithof“, das Totengräberhaus und für den Dorfweg, den vor dem Kirchel ein altanartiger Ausbau über die grausigen Tiefen trägt. Es muß ihn jeder gehen, der vom Saumweg herabsteigt und an den ersten zwei, drei Hauserln vorbei will ins Dorf, um dort zu hausen oder lezte Rast zu halten, ehe er sich hinaufwagt zu den weißköpfigen Bergen, die über Hochwald und Kogelrücken herunterlugen in's Dorf.
Wenn sie g'rad gut aufgelegt sind und ihnen keine finstere Wolke über die Firnstirnen zieht. Aber wenn die Sonne lacht, dann flimmern und schimmern sie, dass es eine Pracht ist. Und dass man schon meinen kann, sie hätten aus ihrem Innern einen der wunderschönen Edelsteine auf den glänzenden Knauf der Kirchturmspitze gespendet; einen von den vielen, die „wilde Jungfrauen“ heute noch hüten sollen.
Wunder wäre eine solche Gabe auch weiter keines. Eigentlich völlig eine Schuldigkeit. Denn die alten Berge sind die Taufzeugen des Dörfels. Sie haben es entstehen und wachsen gesehen . . .

Wie der Haller-Hans noch ein Schulbub ist gewesen, da hat er gemeint:
„Wenn der liebe Herrgott wirklich so einen großen Bart hat, als wie auf unserem Altarbild, dann müßt er so blüaweiß sein, wie dort oben der ewig" Schnee."
Den Zweifel an der Richtigkeit des heiligen Bildes, das den Dörflern ein gemalenes Evangeli war, hat man dem Haller-Hans gar übel gedeutet.
Und ein paar Dorfsybillen haben ihm „a schiachs End“ vorhergesagt.
Aber vorderhand ist der Hans einmal ein lustiger, stattlicher Bursch geworden. Und einer der geschicktesten Holzschnitzer. Freilich wohl: die Hirschen und Gamserln, die er aus einem Holzklumpen so fein und zierlich und lebhaft herausschneidet -- „g'rad' zan davonspringa“ -- die allein „san eahms net“. Wirkliche will er haben, der Hans. Und die holt er sich heimlich herunter von den Zinken und G'wänden. Und seine „Büchsen“ hilft ihm, die er unter seinem Strohsack versteckt hält, wie ein Geiziger seinen Schatz.

„Der Haller-Hans tut wildern," das weiß ein jeder im Dorf.
Nicht jeder ist frei von der gleichen Sünd'. Aber der Hans ist halt noch ein armer Teufel dazu -- da redet sich das viel leichter herum. Auch der alte, gutmütige Pfarrer hat's ihm schon verwiesen:
„Hansl, laß die Hand davon! Die Hirsch'n und Gamserln geh'n Di nix an . . .“
Dann drehte der Haller-Hans wohl verlegen den Hut in den Händen und grollte stumm in sich hinein:
„Ah wohl! Netta z'sammtreib'n derf i's, dass dö stadtmodischen Herrn a kamoders Einischiaßen haben . . .“
„Denn schau, Hansl, die Hirschen und Gamserln g'hören dem Jagdherrn so gut wie Dir Deine g'schnizten Viecher g'hör'n. Wer Dir ans nimmt, ist a Dieb. Net? Na also...“
Und wenn der Hans draußen stand vor der Pfarrstubentür, dann drückte er seinen Hut fest auf den Kopf und murmelte:
„Pfarrer, Dein heilige Weih' in Ehren. Aber das verstehst net. I hab' mir meine Gamserln selber g'macht. Aber der Jagdherr . . . Kreuzsakra! Und i glaub's oanmal net!“ --
Wie der Haller-Hans von den „Kaiserlichen“ ist heimgekommen, da ist die Lehner-Nanni just die sauberste Dirn vom Ort gewesen. Es gehen ihr eine Menge Buam zu G'fallen. D'runter auch der Hochgrub-Seppen. Ein Dorfbauer. Nimmer gar zu jung. Aber das sauber gehaltene Anwesen ist sein, das hoch oben hinter dem Dorf steht. Vom Freithof aus sieht man so das Schindeldach, das mit großen Steinen beschwert ist. Damit der Sturm keinen Neugierigen machen kann. Die Nanni aber haust mit ihrer Mutter herunten in einer windschiefen Hütte. In dem kleinen Vorgartl wachst ein schöner, voller Buschen „brennater Lieb“ . . .

Lang stehts nicht an, so hat der Haller-Hans neben seinem Gamsbart auf dem Hut gern so ein rotes Blümerl stecken. Und wann die Nanni am Sonntag neben ihrer Mutter über den Freithof zur Kirchen geht und der Haller-Hans unter den anderen Burschen vor der Kirchentür wartet, dann kriegen ihre Wangen auf einmal eine Farb", wie die „brennate Liab“.
Und wie heiß es ihr zum Herzen schießt, wissen tut's niemand. Nicht einmal dem Hans hat sie 's jemals „g'standen“ in den heimlichen Stunden, wann er zu ihrem Fensterl kommt. Denn sie ist eine herbe, stolze Dirn'.
Die Erste, die's weiß, wie es um ihn steht, das ist die Nanni.
Ein Dirndl, dem der Bua abgeht beim Fensterln, kriegt scharfe Augen -- wann's auch noch so dunkel ist. Und mit zitternder Angst horcht's so manche Nacht auf jeden Schritt, auf jede laute Stimme . . . jede Stund' können sie ihn ja bringen . . .
Nein! Das kann s' nicht mehr tragen. Eins muß er lassen. Entweder die Gamserln, oder sie. Die Nanni in ihrer festen, raschen Weis' will keinen Mann, den sie teilen müßt mit einer heimlichen Lust. Lieber gleich gar keinen.
Der Hans verspricht alles Gute.
Kann's aber nicht halten. Sie geben sich harte Worte. Die Nanni trutzt auf ihr Recht. Der Hans kann sein Unrecht nicht finden. Oder soll er sich etwa ducken, weil er g'rad nur ein armer Teufel ist und der „g'stazte“ Hochgrub-Sepp um sie herumstreicht? Na! Just nicht! Er will ihr schon zeigen, dass er sich die „Launigkeit“ nicht zu Herzen nimmt. – Und er trinkt in den Wirtshäusern mit ein paar Kameraden herum.
G'rad der Dirn z' Fleiß! Das wär" was. Weiberknecht werden, er, der Haller-Hans ? Gibt's net! ...
Der Winter kommt.
Die Sonne schaut sich gar nimmer um, um das einschichtige Dörfel zu Füßen der weißkopfigen Berge. Und die „brennate Liab“ im Garten hat schon längst ein kalter Reif versengt . . .
Die alte Mutter von der Nanni klagt jetzt gar so oft, dass ihr die Armut halt so „müahseli“ wird. Ja, wenn die Nanni a G'scheute machen möcht' und Hochgrubbäuerin würde, anstatt dass den Haller-Hansen, den leichtsinnigen Ding überanand, allerweil noch im Kopf hätt?! Der hat eh 's Gamserln schiaßen und sein Wirtshaus lieber, als wie die ganz' Nanni; der -- der vergessene Lump, muß man g'rad' sagen. Herentgegen der Sepp, was ist das für ein braver Mann . . .
Ja, brav und rechtlich ist er, der Sepp.
Und einer von den Stillen, von den Festen und Zähen, die langsam durchsetzen, was sie wollen. Und er will einmal die Lehner-Nanni zum Weib. Sie oder keine. Im Fasching hat er richtig auch mit ihr Hochzeit gehalten, wann die Nanni am Sonntag neben ihrer Mutter über den Freithof zur Kirchen geht und der Haller-Hans unter den anderen Burschen vor der Kirchentür wartet, dann kriegen ihre Wangen auf einmal eine Farb', wie die „brennate Liab'“.
Wann zur selbigen Zeit nur dem Hansl allein was Schlechtes wäre nachzureden gewesen --- die Dorfsybillen hätten sauber Feierabend machen müssen. Denn der Hans hat jetzt fleißig „g'schnitzelt“ und sein Schießprügel hätt unterm Strohsack rosten mögen. Aber wie er beim großen Herbstjagen, bei dem er als Treiber gedungen war, die Büchsen von den hohen, kurzsichtigen Herren hat knallen hören und die Gamsen hat springen sehen, da hat sich auch die alte Leidenschaft in ihm wieder geregt. Als wenn ihn wer mit beiden Fäusten an der Brust packen tät, so hatt's g'rüttelt und g'rüttelt an ihm, bis seine guten Vorsätze schwach sind worden --- und bis der Hans wieder ein Wilderer war.
Die alte Mutter von der Nanni klagt jetzt gar so oft, dass ihr die Armut halt so „müahseli“ wird. Ja, wenn die Nanni a Gscheute machen möcht' und Hochgrubbäuerin würde, anstatt dass den Haller-Hansen, den leichtsinnigen Ding überanand, allerweil noch im Kopf hätt?! Der hat eh 's Gamserln schiaßen und sein Wirtshaus lieber, als wie die ganz' Nanni; der -- der vergessene Lump, muß man g'rad' sagen. Herentgegen der Sepp, was ist das für ein braver
Mann...
Ja, brav und rechtlich ist er, der Sepp.
Und einer von den Stillen, von den Festen und Zähen, die langsam durchsetzen, was sie wollen. Und er will einmal die Lehner-Nanni zum Weib. Sie oder keine. Im Fasching hat er richtig auch mit ihr Hochzeit gehalten.
Lustig ist 's gewesen. Getanzt und geschmaust ist worden . . .
Denn der Sepp ist wohl ein Kluger, aber kein Geiziger.
Die Nanni war eine wunderschöne Braut -- ein wenig trutzig wohl. Aber geweint hat s' kein Tröpferl. Nur vor der Kirchentür hat s' auf einmal ganz verschreckt dreing'schaut, als könnt dort einer stehen, dem sie früher die brennate Liab auf den Hut gesteckt hat. Aber der is selbesmal weit droben in den Bergen gelegen und hat von der ganzen Welt nichts sehen und hören mögen. Drum hat er den Kopf tief hineingewühlt in den Schnee und einmal hat er aufgeschrien wie ein wundes Tier.
Die Nanni ist eine rechtschaffene Bäuerin worden. Der Hans ist erst recht ein Wilderer blieben. Auf seiner Schnitzlbank ist oft wochenlang der Staub liegen blieben.
Und eines Tages haben sie ihn erwischt. Das war ein Aufsehen!
„Den Haller-Hans bringen s' -- den Haller-Hans' haben s'".
Ein' Arm ham 's' ihm zerschossen! Vom Saumweg her kumman s' schon – „
Die Dorfbuben laufen mit der Neuigkeit voran und schreien die Leute aus den Häusern. --- Zwei Jäger führen den Hans.
Er hat den rechten Arm in blutige Lappen eingewickelt und sein Schritt ist schwer. Wie er über die Maueraltan vor dem Kircherl kommt, mag er nicht mehr weiter. Die Jäger stoßen ihn voran. Da keucht er:
„Verschnaufen -- laßt 's mi, verschnaufen.“
Seine heißen. Augen schauen über 's Dorf.
Über 's ganze Dorf -- bis hinauf zum steinbeschwerten Dach vom Hochgrubhof . . .
Und auf einmal gibt er dem einen Jager neben sich einen Schlag in's Gesicht, dass er taumelt und ehe der zweite recht weiß, wie er zufassen soll --- steht der Hans schon auf der niedern Brüstung und springt hinunter in den Wildbach. Der zischt über ihn zusammen und sein Gischt wird rot, als hätt' der Hans einen Buschen brennater Liab mit sich hinabgeworfen. Und dann braust der schnelle Bach weiter, als wär' nichts geschehen. Erst ein gut Stück uferabwärts hat er den toten Haller-Hans auf einen Felsblock hingelegt, damit ihn die Menschen begraben können.

Hart an der Friedhofmauer, gar nicht weit von der Kirchenstiege, haben sie ihm die letzte Liegerstatt zurechtgemacht. Und nun wartet er wieder auf die sonntäglichen Kirchengeher.
Die Nanni denkt daran, wie sie 's erstemal mit ihrem Bauer an dem Hügerl muß vorüber gehen. Es zuckt so seltsam in ihrem stolzen Gesicht. Und entschlossen tut's ein paar Schritte vom Bauer weg, gegen das braune Hügerl zu. Aber der Sepp langt nach ihrer Hand. In seinen ruhigen Augen glost heiße Eifersucht:
„Da bleibst!“
„An Vaterunser mag mir neamt net verwehren“, trutzt die Nanni.
„Neamt net als i, Dein Mann. Hab'n d' Leut' no net g'nua g'redt ? Bet' in der Kirch'n!“ Und er zieht die Nanni fort – und 's Hügerl bleibt allein.
Die Nanni langt so im Fortgehen nach ihrer Brust, als wenn ihr was recht weh tät da drinnen. Und da fallt ihr ein Sträußerl aus dem Mieder, das sie heute nach so langer Zeit wieder aus dem Garten der Mutter hat gebrockt:
Brennata Liab.
Denn die hat den Reif bestanden . . .
Und nachher ist's ganz still worden auf dem Freithof. Selbst die Glocken schweigen, weil der Pfarrer seine Predigt anhebt. Da kommt das Totengräberdirndl getrippelt, findet die Blumen, spielt sich mit ihnen und schupft sie dann in überdrüssigem Übermut in die Höhe.
Sie machen einen Bogen über das lichte Kinderköpfel und fallen just auf dem Haller-Hans sein braunes Hügerl. Und nun setzt die Orgel ein und ihre Stimme singt und klingt über alle Gräber …
Auf ihrem Kirchensitz halt' sich die Nanni tief über ihr Gebetbuch. Ein paar schwere Tropfen fallen auf die zerlesenen Blätter.
Die Hochgrubbäuerin betet dem Haller-Hans ihr Vaterunser.
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