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Hallstätter Winter

Autorenbild: Gerhard ZaunerGerhard Zauner

Hallstätter Winter



Der Mühlbach, der Sommer über nie zum Plaudern aufhört, schwieg, denn er war verfroren und an Stelle seiner regen Wasser starrten Eiszapfengardinen. Die gern gesehenen Sommergäste, die Leben in den Ort brachten, und die so oft von uns Kindern bewundert wurden, waren fort und Hallstatt lag still und in sich gekehrt.


Die Berge hatten ihre mit Schnee-Hermelin verbrämten Wintermäntel an. Es schneite und das große graue Auge des Sees sah die leichten kleinen Flocken ruhig in sich hineinversinken, ohne nur zu zucken.




Wir gingen in die Schule und buchstabierten dort: „Die Katze ist ein Haustier" und „Das Huhn nährt sich von Würmern und Sämereien" und rechneten „Ein mal eins ist eins". Nach der Schule holten wir uns die „Schlittgoas" aus der Holzhütte und sausten einigemale über den „Badergraben" und den „Pfannhausbühel" hinab.


Wenn wir dann nach Hause kamen, erwartete uns die alte Großtante, die bei uns die Stelle einer Kinderbeschützerin inne hatte, mit warmen gebratenen Äpfeln, die lieb­lich im Rohre dufteten.







Es war Advent.

In der Kirche sangen sie die schönen alten Lieder „Tauet Himmel den Gerechten" und „Maria sei gegrüßet, du lichter Morgenstern". In den alten Hallstätter Familien aber sang man abends Jahrhunderte alte Weihnachts­lieder, die sich von Geschlecht zu Geschlecht fortgeerbt hatten.



„Stacherl sollst g'schwind aufsteh'n," „„Ja was den toan?"" „Mi wunerts daß D' schlafa magst, -" „„Ja l schlaf schon."" „Geh' mit mir auf die Weid', Schau was's für a Musi geiht, Is so liacht wia beim Tag," „„Ja was war das?"" „Dö Musi, dö währt so lang" „„Na i hör nix."" „Nimm d' Pfeifen a mit Dir," „„I bin schon g'richt."" „D' Engerl'n toant singa drob'n, Es sei ein Kind gebor'n,— Wann das Messias war, -" „„Bua, das war rar!""



Ich weiß sie leider nicht mehr genau und ganz, die lieben, alten Hirtenlieder, aber sie wären wert, gesammelt und aufbe­wahrt zu werden, denn sie sind schön.





Bild von Josef Höger / Liechtenstein Collection




Auch die „Regerl", ein armes schwachsinniges Wesen, das durch seine unbewußte Originalität urkomisch wirkte, versuchte diese Lieder zu singen. Sie war stets von ihrer Habe, die sie in zwei oder drei Binkeln trug, umgürtet und hatte immer zwei Haferln in der Hand, in die sie sämtliche milde Gaben, die man ihr reichte, hineinwarf. Oft sah man da einen Biererpatzen im schönsten Sauerkraut liegen, wozu sich dann noch ein Krapfen oder ein Stück Gugelhupf, in Hallstatt mit „Bunkel" angesprochen, gesellte.


Die Regerl, eigentlich hieß sie Regina, wohnte bei ihren Geschwistern im Spital, welche abends die milden Gaben sor­tierten. Alltäglich, ob es schön war, ob es wetterte, ging die Regerl aus und erreichte dabei ein ziemlich hohes Alter. Sie strickte auch jahrein, jahraus an einem Strumpf, der aus vielen, vielen farbigen Fäden bestand, die sie alle sorgsam von der Straße aufgehoben hatte. Sie war harmlosen Gemütes und tat niemanden etwas zu Leide. Im Sommer trug sie einen großen „Gugnhut", über den ein grüner Schleier geworfen war, den sie unterm Kinn in einer Masche zusammenband. Ihre Schuhe glichen meist jenen der demutsvollen Seelenruhe, die Wilhelm Busch so vortrefflich gezeichnet hat.

Foto aus der Hallstatt-Chronik


Aus dem Buch "Heimatlieb" von Maria Reisenbichler.



Der „Niklo" fing an, umzugehen.


Man hörte des Abends Geschrei auf der Gasse und Kettengerassel und wenn die Magd nach dem Abendmahl ums Bier geschickt wurde, eilte sie gar sehr und erzählte uns dann, daß sie schon wieder einem Niklo mit der „Niklogoas" begegnet hätte. In der Früh kauften wir uns beim Bäcker „Niklomanderln", die wir dann in die Schule mitnahmen, wo wir sie verspeisten. Ich habe nie einen wirklichen Niklo gesehen, denn ich habe mich in der Nacht nie hinausge­wagt, aber sie sollen sehr schrecklich und sehr humoristisch aussehen.

Weihnachten kam mit seinem Kerzenschimmer und seinem Tannendust und der Mette in der alten Hallstätter Kirche. Die ersten Tage freuten wir uns ausschließlich an den erhaltenen Geschenken, wir und Nachbars kleine Nanderl. Wir besuchten einander auch und bewunderten gegenseitig unsere Christbäume.


Beim Nachbar stand der Christbaum immer in der sogenannten Kammer, einem luftigen Gemach, das nicht geheizt war und dessen Plafond noch ungeweißt das schön braungebeitzte Holz wies. Wenn ich jetzt in diese Kammer trete, ist es mir noch immer, als müßte mir die weihnächtliche Kälte, durchmischt mit dem trauten Duft des Christbaumes, entgegenwallen und es überkommt mich ein feierliches Gefühl und immer, wenn ich irgendwo Kälte und Christbaum rieche, muß ich an die Nachbar-Kammer denken, die und der Christbaum sind in meiner Erin­nerung unlöslich miteinander verbunden.

Nachdem man sich einige Tage so gefreut hatte, ging man Krippelanschauen. Krippeln sah man überall, zwischen den Fenstern waren sie errichtet, auf Moospolstern standen die kleinen Figuren, Maria mit dem Jesuskind in der Krippe und Josef der Nähr­vater, Ochs und Esel, die Hirten, Männer und Frauen und die weißen Lämmlein.




Auch wir selber hatten ein Kripperl, das alle Weihnachten mit frischem Moos belegt und rundum mit Löggernzweigerln besteckt wurde, um die die Hallstätter alle Winter den Strähn (Soolenleitung) hinabgehen, bis gegen Steg, wo die Löggern an dem düsteren, felsigen Ramsaugebirge bis auf den Strähnweg herabwachsen. Abends zündeten wir rote und blaue Kerzchen vor dem Kripperl an und es war sehr lieb.





Aber alle diese Krippeln waren nichts gegen das „rührende Krippel" des Kramerschneiders, das Mooser Krippel und das Loamakrippel. Das Mooserkrippel stand in der Lahn und war so groß, daß es die Hälfte eines Kabinetts einnahm. Die Figuren waren sehr hübsch und groß und ein Brunnen war zu sehen, der wirklich lief. Das Loamakrippel hatte eine solche Größe, daß zwei Betten darunter stehen konnten. Am klarsten aber steht in meiner Erinnerung das Kramerschneider Krippel!


Die nächsten zwei Bilder sind Ausschnitte von diesem Bild.


Der Kramerschneider wohnte in dem hübschen großen roten Haus, das an der Grenze zwischen Markt und Lahn am oberen Weg steht, und bis zu dem, wie man sagt, der große Markt­brand gegangen sein soll. An der Türe des Hauses ist heute noch eine große Schere gemalt, das Zeichen der ehrsamen Schneiderzunft. Durch diese Tür gelangten wir Kinder zur Herrlichkeit des rührenden Krippels. Dies war nicht gar so groß, aber ungemein reichhaltig und beweglich. Es stand schräg aufsteigend auf einem Tisch. Unter den Tisch schlüpfte der Kramerschneider und dann ging es los!

Die alte Uhr tickte, zwischen einem Fenster hüpften auf Tannenreisern Meisen und Rotkröpferln herum, die der Kramer­schneider über den Winter beherbergte, die Stube war warm und traulich und der Kramerschneider sang und redete unter dem Tisch mit einer gemütlichen Stimme und bewegte die aus Holz geschnitzten Figuren, die sich an Drähten im ausgesägten Boden des Krippels hin und herschieben ließen.


Im Mittelpunkt des Krippels stand der Stall mit allem heiligen Zugehör. Auch der Stern des Morgenlandes war da und die heiligen drei Könige. Etwas seitlich vom Stall war die Sternwarte, ein kleiner Turm, aus dem plötzlich raspelnd ein Männlein in, schwarzen Talar mit einem Fernrohr in der Hand zum Vorschein kam. Der Kleine hob das Fernrohr resolut bald an die Augen, bald ließ er es sinken und sang dazu:

„Sterngucker, das is fein, das kann nit a jeder sein."



Unweit des Turmes schlugen Männer Piloten mit genau derselben Pilotenmaschine, die beim See gebräuchlich, nur daß sie natürlich ins Winzige übertragen war. Auch sogenannte Hoarschlager waren da. Der Hoar ist ein gewichtiger Holzpflock, der mit vielen Handhaben versehen ist und den viele Männer heben und niederstoßen, womit sie ebenfalls die Piloten in den Seegrund treiben.


Holzhacker gab es. In einem Stollen fuhren die Berg­leute mit ihren Hunden aus und ein. Auch der Bergschaffer trat auf und schimpfte mit den Bergknechten. Eine Eisenbahn fuhr pfeifend im Hintergrund vorbei, der Rauch der Lokomotive war­ aus Watte gebildet. Die österreichischen Soldaten maschierten auf und Kaiser Franz Josef nahm die Parade ab— alles dicht bei Bethlehem zur Zeit der Geburt Christi!

Räuber erschienen und beraubten die Leute, da ritt „die Flucht nach Ägypten" vorbei und dieser taten die Räuber nichts! Der Schlußefekt aber war immer der: ein kleiner Brunnen begann zu laufen, eine kleine Dienstmagd kam herbei, füllte ihr Schaff, hob es auf den Kopf, aber so, daß das Wasser daraus den hinter ihr stehenden zuschauenden Kindern gerade ins Gesicht flog.


Das gab ein Hallo und ein Gelächter und unter diesen Beifallsbezeigungen kroch der Kramerschneider wieder unter dem Tisch hervor. Man sieht, daß das Kramerschneider Krippel wirklich ein rührendes Krippel war. Der Kramerschneider ist nun tot und sein hübsches Werk— er hatte das Krippel selbst geschnitzt,— ist in Wien in einem Museum. (Volkskundemuseum Wien)




Die Neujahrsnacht war unversehens da, in der die Neu­jahrssänger durch den Ort zu bekannten und befreundeten Fami­lien zogen und wieder die innigen Hirten- und Neujahrslieder sangen.

Die heiligen drei Könige kamen und mit ihnen die Glöckelkrapfen. „Glöckler" gibt es in Hallstatt nicht, aber Dreikönigenlieder, die die Begebenheit von der Anbetung Christi in ebenso anheimelnder Weise erzählen, wie die Advent- und Weihnachts­lieder die Geburt des Herrn.




Aber die Zeit schritt vor und Christbaum und Krapfen mußten schwinden und der Fasching rückte an. Scharenweise standen am Sonntag nach der Kirche die jungen Burschen vor den Geschäften des Marktes, sie hatten festtägliche rosa und himmelblaue Krawatten und lächelnde Ge­sichter und kauften sich Larven.


Dann begann das Faschinglaufen. „Fasching uhu! Fasching uhu!" schrien die Kinder und die verlarvten Burschen liefen mit Lust hinterdrein und jagten sie, prügelten wohl auch wie die „Niklo" einen oder den andern recht schlimmen Buben hie und da einmal durch. Am Faschingdienstag wallte immer der Faschings­zug durch den Ort, von den Kindern mit unendlicher Spannung erwartet.

Und so war auf einmal die stille Fasten da, in der sich die Menschen zum Osterfest und die Natur zur Auferstehung vorbereitet. Unsere Schneehäuser im Garten zerschmolzen. Die Schlittbahn wurde „aper", der Sonnenschein wärmer und wärmer.


Salzkammergut ab Minute 4:23 Der erste Farbfilm von Österreich.

Glimpses of Austria. Metro-Goldwyn-Mayer (MGM)


Aus den Dachrinnen sang und rann es. Wir trugen unsere Puppen ins Freie und in den Sonnenschein, denn jetzt konnten sie sich nicht mehr verkühlen, sondern nur rote Backen bekommen.

Dann kam eine sehr langweilige Regenzeit. Aber im Mühlbach barst donnernd das Eis und tagejang toste sein be­freites Wasser in wildesten Stürzen. Und im Steingraben blühten Sendl und Schneekatzerln, der Lenz war gekommen, der Winter war aus.


Es waren aber die Winter der Kinderzeit, die ich in Hallstatt verlebte, die schönsten, die ich denken kann.


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