Stimmungsbild aus Hallstatt.
von Ludmilla Nowak
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Es ist Herbst. Die Buchen sind schon unansehnlich geworden, dürr und rostrot schauen sie von den Bergen her. Der Wald ist scheckig. Noch haben die Lärchen ihre Nadeln. Wachsgelb stecken sie zwischen den dunklen Tannen und Fichten, marschieren hoch durch die Wälder hinauf, steigen immer höher und höher, stehen über schroffen Felsen von weißlichen und lichtgrauen Wänden, bis sie sich in immergrünen Zirben und Löckern verlieren.— Wie zierliche gelbliche Pyramiden sehen sie aus.
Wald und Berge spiegeln sich im See und dieser zeigt genau wieder das bunte Bild.
Ruhig ist es jetzt in den Bergen. Die Sommergäste sind fast alle fort. Hie und da tauchen freilich noch Besucher auf, die die Bergwelt immer wieder unwiderstehlich anlockt, die sie nicht lassen können, aber die merkt man kaum.
Die Einheimischen gehen ihrer Arbeit nach, suchen in Feierstunden noch die Sonne, die immer sparsamer wird mit ihrem Schein, und sitzen auf Bänken, ja auf Stiegenstufen, und schauen still über den See. Kuhglocken klingen herüber von Rindern, die am jenseitigen Ufer weiden.
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Foto von Sepp Zauner ca. 1930
Manchmal ist es lau wie im Lenz und mild wie im März. Es gibt Abende, wo man glauben könnte, der Frühling kommt. Das ist, wenn Südwind weht.
Abends steigt der Mond feierlich über die Bergmauer am See; er ist gelblich, der Himmel beinahe fliederfarben; noch ist es lichte Dämmerung. Der See schimmert noch blau.
Unterm Standpunkt des Mondes liegt ein Helles, goldfarbiges Flimmern auf den winzigen Wellen des Abendwindes. Nahe am Ufer schwimmt das Spiegelbild des Mondes, bald eine runde, zitternde Scheibe, bald ein schwankender, dicker Metallstrich. Das klare Wasser gluckst leise, tastet ans Wehr, schlägt an die Waschbank, rollt über kleine Steinchen ans Ufer der Zufuhr.
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Mücken tanzen in der Luft, so warm ist es.
Eine kleine jagende Fledermaus wagt sich kühn sogar über den See hinaus.
Der Mond gleitet sacht von einer Höhe zur andern. Es wird dunkler und nun zaubert er mir sein anmutigstes Spiel vor: er streut Silber auf den See; dort draußen, vor der Dunkelheit der Berge, blinkt und blitzt es auf der Wasserfläche, als würden Tausende von Silberblättchen einen geheimnisvollen Tanz aufführen.
Ist das solches Märchenland, wie es der Sage nach brave Kinder und arme Frauen als Lohn für ihre Mühe oder für einen Dienst, den sie Feen und Zwergen erwiesen haben, im Walde aufheben und heimtragen? Alte Sagen und Märchen fallen mir ein. Kindhaft weich wird meine Seele im Anblick dieser Schönheit.
Abendläuten klingt. Eine Plätte gleitet vorüber, die Ruder, die im Takt leise plätschernd auf und nieder tauchen, glänzen im Mondlicht.
Immer strahlender und silberner wird der große Himmelskörper. Nacht bricht ein Das Licht ist so hell, daß der Wasserfall silberweiß erscheint, der unablässig tosend durch den dunklen Wald niederstürzt.
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Hinter einem Gipfel hervor zieht eine lichte Wolkenlämmerherde, der Mond schwimmt siegreich durch sie. hindurch und alles spiegelt sich im See.
Es ist so schön, daß man immer am Ufer stehen möchte und schauen, schauen...
Ich bin dann doch in meine Stube gegangen. Da warf sich der bläuliche Mondenschein in breiten Streifen zu den Fenstern herein und auf den Fußboden hin. Und an der Zimmerdecke zitterte der Widerschein des mondbeglänzten Sees und flutete mit der leisen Bewegung des Wassers. Auf dem breiten Bauerntisch funkelten in diesem Lichtspiel die Wasserflasche und die Gläser und das Papier war kalkweiß. Das Mondlicht setzte sich auf den alten Lehnstuhl und ich setzte mich zu ihm und träumte.
In der Nacht, vor dem Niederlegen, schaute ich noch einmal auf den Balkon hinaus. Noch war die Luft lind, noch war der Mond rein, aber plötzlich schob sich hinter dem hohen Zwölferkogel eine schwarze Wolke hervor, lauerte und kroch dem Mond immer näher—
und fraß ihn schließlich auf.
In der Nacht weckte mich Sturm. Der See schlug wie rasend und ich fürchtete, der Anprall würde mir die Balkontür eindrücken. Ich hörte keinen Regen, doch hatte ich die Empfindung, „es schneit". Eisig kalt pfiff es durch die Bodenspalte der Balkontür. Der Wind hatte sich gedreht. „Im Herbst ist's Wetter hinterm Zaun", sagen hier die Leute.' Und das war ein wildes Wetter.
Ein fürchterliches Schneien mußte es sein. Durch die Bergwelt ging ein Wehen, Brausen und Tosen. Eine Gespensternacht. Tobte das wilde Gejaid vom Gjaidstein über die Gipfel hin, wie die Sage berichtet?
Es wurde dann wieder stiller, ganz still; der Schnee sank jetzt wohl lautlos; ich schlief wieder ein.
Als ich am Morgen zum Fenster trat, wareu die Berge beschneit .bis herunter zum See.
Ich konnte mich auch an diesem Anblick nicht satt sehen.
Die Berge waren weiß von oben bis unten.
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Aber nein, sie waren nicht ganz weiß. Erst allmählich wurde mir klar, welches Wunder ich sah!
Die Wände, die sich früher vom dunklen Wald lichter abhoben, schienen in dieser Weiße jetzt dunkelgrau, schwarz. Und wenn man genauer und länger hinsah, konnte man an ihnen, an den Bändern der Gesteinsschiebung, den Bau der Berge verfolgen. Man ahnte, wie sich diese Mauern aufgetürmt hatten, wie sich Felsen abbröckelten wie Geröll entstand und Erde, wie sie Wald ansetzte und Wiesen mit Almen bildeten. Greifbar deutlich konnte man die Runzeln der Wildbäche verfolgen. Man konnte sich lange in dieses Schauen vertiefen; es war ein fesselnder Anblick, der einem kaum mehr losließ. Der neue Schnee ließ die Gestaltung der Berge noch klarer hervortreten.
Und nun erkannte ich: die Berge sind riesige Tafeln, auf denen schwarz auf weiß die Geschichte ihrer Entstehung geschrieben ist.
Sie standen um den See herum und hielten sich mir entgegen wie unendliche, schwarz-weiße Zeitungsblätter. Eine Zeitung, in der man mit Interesse liest, in der man lesen könnte—
jahrhundertelang.
Eine Zeitung, die der Herrgott geschrieben hat, er selbst mit seiner ewigen Hand, nicht von heut auf morgen, sondern in Jahrtausenden— und an der er immer weiterschreibt.
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