Reiseskizzen von Robert Byr.
Obwohl etwas duchgeknallte Bilder, ist das eine der schöneren Reiseskizzen aus dieser Zeit.
Weiter unten stelle ich außerdem einen Abschnitt aus einer Novelle von Robert Byr vor.
"Nur ein Spielzeug", die in der Hallstatt spielt.
Aus der Illustrierten Welt
1865
Man lobt Ischl's herrliche Hochgebirgsgegend, die prächtige Luft, die Gemüthlichkeit und das ungenirte Fürsichleben daselbst. Und doch, wie sehr gleicht es allen andern Badeorten der Mode! Dasselbe luxuriöse Treiben in glänzenden Toiletten und Equipagen, dieselben kostbaren Villen; das Kurhaus, die Wandelbahn, die Promenade, die Musik so vollkommen und langweilig wie überall, und wie lange währt's noch, so gellt auch dort die unvermeidliche Glocke der alle Mägen reformirenden, zeitstehlenden Table d'hôte.
Ich hab' es, so oft ich auch hinkam, nie lange in dem schönen Ischl ausgehalten, warf mein Ränzlein über die Schulter, und zog weiter in die grünen Thäler hinein.
Grüß Gott,
ihr alten Kameraden, ihr grauen, weisen, braunen bemoosten Häupter der Salzburger Alpen! Wie freu' ich mich immer, wenn ich euch sehe!
Habt jedesmal wieder die alte Zauberkraft, die mein Aug' und Herz erfrischt und fesselt. Da liegt Laufen, von der Traun an den Berg gedrückt, ein liebliches Bild; die Badgäste kommen auch auf ihren Nachmittagsspaziergängen oft hieher, es zu bewundern; aber weiterhin, da wird's schon stiller, nur hin und wieder ein Wagen oder ein einzelner Wanderer zieht durch das friedliche Thal. Es gleicht einem reichen Garten, zwischen dessen dichten Obstbäumen malerisch zierliche Häuschen hervorlugen. Ein Wagen rollt vorüber. Lebt wohl, ihr Freunde! leb' wohl, du schönes Kind! Ich grüße sie noch einmal, denn sie biegen ein; ihre Wallfahrt führt sie zu den Salz- und Fichtenbädern Aussee's, mein Weg geht weiter von St. Agath über den See.
Der Komfort mag gewonnen haben, die Romantik hat verloren.
Die Stille und Heimlichkeit weicht, wenn die Radschaufeln das Wasser peitschen. Und dann wieder das unselige Glockenzeichen, das die friedlichsten Leute rasen, springen und stoßen macht. Ach, Schiller hat in seinem hohen Liede die schrecklichste aller Glocken nicht genannt, ein Glück, das er sie nicht kannte, sie hätte furchtbar in dem unendlich harmonischen Geläute dissonirt – die Wahrglocke unseres Jahrhunderts, die Glocke der Eisenbahn, des Dampf- schiffes und der Table d'hôte. Mag ich auch sonst den Fortschritt – hier am Hallstädtersee will ich ihn nicht; er verwischt das Eigenthümliche, das ja eben darin besteht, das es so ist, wie es ist. Hieher gehört das Boot, plump und unbeholfen, wie's eben hier gebaut wird; es durchstreicht langsam die Fluten; stumm ruht die Natur um uns und bestrickt unsere Sinne, wir können uns leise hinüberträumen in die fremde Welt. Noch einen Blick auf den Untersee zurück, er ist lieblich und reich, wie der Traunsee bei Gmunden, nur viel natürlicher und unverfälschter. An den sanften grünen Ufern stehen schöne Baumgruppen, zwischen ihnen blinken nette, weiße Häuschen hervor, aber es sind keine Villen mit phantasievollen schnörkeln, Thürmchen, Erkern und Schweizerbalkons, es sind einfache, kleine und reinliche Bauernhütten, – herrscht wenig Eleganz darinnen, aber viel Redlichkeit und Biedersinn. Das Volk hier ist brav und treu. Ein letzter Blick zurück, und der Kahn schiest um ein Vorgebirge, der Zauberbann schliest sich hinter mir, und ich bin fern von der Welt drausen, viele Meilen fern. Wunderbar still ist's rings umher, als säße ich tief innen im Kyffhäuser beim alten Kaiser Rothbart und seinem schlafenden Hofstaat. Wie ernste Wächter dieser Zauberwelt rücken die mächtigen uralten Bergriesen zusammen und ragen steilrecht empor – keiner unter 6000 Fuß – als trügen sie das Stückchen Himmel, das sie sehen lassen, wie eine schöne, blaue Decke über dem tiefdunklen Wasser hier unten ausgespannt. Links ruht der lange Grat des kahlen Sarsteins wie ein schlummernder Titane, ihm gegenüber streben der Schneidkegel und Plassenstein in dunkler Wand aufwärts. Beide Riesenmauern engen den See, bis sie selbst von zwei feen- haft schönen Thälern, dem der Obertraun und dem Echernthal , begrenzt sind. Diese wie den See selbst schließt an der Südseite die mächtigste Wand dieser erhabenen Granitwelt ab: Elfer-, Zwölferkegel, Speichberg, Krippenstein, Rauchkegel, Hierlaz, – Monstrestufen zu den Gletschern des Thor- und Kochsteins, dem Throne des gebietenden Herrn der Berge.
Und in diesem majestätischen Kessel, an die Vorberge des Plassensteins, aus dessen Eingeweiden Ischl's berühmte Soole stammt, kleben sich wie die Nester der Mauerschwalbe die kleinen, braunen, hölzernen Häuser der alten Hallstadt neben- und übereinander. Hoch darüber ragt der Rudolphsthurm, und zwischen den Häusern durch stürzt schäumend das trübe Wasser des Mühlbachs. Zwei Kirchen strecken über die Schindeldächer umher, unweit von einander, die Thürme empor, nicht wie zwei feindliche Lanzen, viel eher wie zwei Arme, die nach demselben Gott emporweisen. Hier in diesem stillen Erdenwinkel ist mehr Toleranz, als man heutzutage zu finden gewohnt ist. Freundlich umschlingen sich die beiden Schwesterreligionen, und ihre Anhänger ruhen nicht nur friedlich nebeneinander im selben kleinen Fleckchen geweihter Erde, sie stehen auch brüderlich im Leben zusammen. Der Gottesdienst des Einen ist für den Andern nicht Abgötterei. In ihrer kindlichen Einfalt wirken sie Beide abwechselnd zur Verherrlichung desselben mit, und der katholische Gott, dem der würdige Priester an dem dreihundert Jahre alten Flügelaltare sein Opfer bringt, scheint in seiner unerschöpflichen Güte die falschen Töne des protestantischen Waldhorns ebenso gnädig aufzunehmen, als die Dissonanzen der rechtgläubigen Klarinette. Mich weht diese Eintracht wohlthuend an, und das ist wohl mit ein Grund, weshalb ich so gerne zum Friedhofe emporsteige. Ein freundlicher Blumengarten ist es, in dem die Biene summt, und in dem die alten naiven Schildereien an den Wänden und den Kreuzen nicht störend einwirken, so mild und nachsichtig stimmt der stille Ort. stundenlang kann ich da, an die Mauerbrüstung gelehnt, verträumen und in das reizende, grosartige Bild vor mir hineinsehen. Zur Rechten das Durcheinander der Häuser wie in einem Krippenspiele, das sich erst weiterhin, dem Echernthale zu, ordnet. Dort stehen um den Bogen der Bucht größere und schönere Gebäude, die kaiserlichen Salinenwerke.
Dort wird das Salz ausgesotten, das von Weibern mit vieler Beschwerde von den Stollen und Schachten des Plassensteins auf dem Kopfe hinabgetragen wird.
Die Leute sind sehr arm hier. Für die schwerste Arbeit verdient der Mann ja nur 35 Neukreuzer (etwa 20 Kreuzer rheinisch) täglich. Ist's ein Wunder, das so viele Kretins zur Welt kommen und die Kinder alle betteln? Doch mein Blick sieht ja nicht die Armuth hier oben, er erquickt sich an der Schönheit der Natur. Vor mir der See mit seinen wechselnden Lichteffekten, gegenüber das Schlößchen Grub, und dort weiter aufwärts im „Winkel“ der waldige Vorsprung mit dem einfachen, rothen Holzkreuze und der halbverwischten Votivtafel daran, zur Erinnerung an einen Unglücksfall, der vor Jahren an dreißig Bewohner Obertraun's, die von einem Begräbnisse auf dem hallstädter Friedhofe heimkehrten, in den von Erdbeben und Sturm wild aufgewühlten Wellen begrub. Das Vorgebirge heist „Am Kreuze“, und es sieht sich von dort besonders schön auf Hallstadt und die darüberliegende Schneemulde des Plassensteins hinüber. Und über die Bäume am Kreuze, da öffnet sich eine zauberische Perspektive in das liebliche Thal der Obertraun und nach dem duftblauen „Koppen“ im Hintergrunde. Und wie die Zeit verrinnt, so ändert sich das Bild. Dunkle Wolken ziehen auf dem graugewordenen Himmel vom Untersee herauf. Es ist die „Windnacht“, die warnend vor dem Sturm einhergeht, und bei deren Erscheinen jedes Schiff sich eiligst zu bergen trachtet. Und blitzschnell ist der Wind da und peitscht das erst noch so ruhige Wasser zu bösen, zornschäumenden Wogen auf. Die Sonne ist verschwunden, und bleigraue Dämmerung liegt über dem Abgrund ausgebreitet, in dem die empörten Fluten toben. Wildes Rauschen hat die frühere Feierstille verdrängt, und ein stolzes, mächtiges Gefühl schwellt die Brust beim Anblick dieses wilden Kampfes. Kühle mir, Tropfen, die Schläfe ! so flatterten Ossian's Haare im Sturme, als Beide ihre wilden Lieder sangen. so, Ossian, ich spanne meinen Regenschirm auf. Jetzt erst kann ich mich recht in die Situation hineindenken. So rasch das Wetter da war, so rasch ist's auch vorüber. Der Himmel klärt sich und der Sturm schweigt, und die untergegangene Sonne schickt durch Reflexion noch einen Blick in ihr liebliches, heimliches Thal herein, der als ein wunderschöner, rosiger Lichtstreifen langsam an der Wand des Sarsteins aufwärts schwebt. Da bist du ja, du herrliches, vielbesungenes und selten gesehenes Alpenglühen! Auch für mich ist's ein Abschiedsgruß, denn morgen soll ich weiter. Wie schwer wird's mir, von diesem Ort zu scheiden! Was hab' ich da für eine schöne, wohlthuende Zeit durchlebt! Ich habe dich lieb gewonnen, du einsamer See; ich habe euch lieb gewonnen, ihr einfachen, treuherzigen Kinder einer schönen, ernsten Natur! Fast möcht' ich bleiben unter euch und mir eine Hütte bauen. Es war die letzte Nacht.
Die letzten großen „Salzzillen“, die hier den Wind nicht mit dem Segel, sondern mit senkrecht aufgestellten Brettern fangen, waren zurückgekehrt. Tiefes Dunkel deckte den See, der stille lag zwischen den hohen, scharf in den Himmel hineingeschnittenen Wänden wie ein schwarzes Gewässer der Unterwelt. Ich nahm mir einen Kahn, wie sie dort gebräuchlich sind: fünf Schritte lang, einen breit, leicht schwankend, aber eben so leicht lenkbar durch den schwächsten Schlag des Doppelruders. Die Mitternacht war nahe.
Aus manchem Häuschen glomm noch ein Licht und küste ein zweites wach im schwarzen Spiegel darunter. Allmälig begann sich das Thal der Obertraun zu erhellen, die ganze Wand gegen die Gosau zu ward Licht, scharf und weiß waren die Felsenriffe in die schwarzen, fährenbestandenen Wände eingegraben, wie silberne Wasserfälle stürzen sie hinab in den See, und dort wiederholt sich dasselbe Bild aus der Tiefe herauf. Kein Lufthauch ist wach, kein Laut ist hörbar, außer dem leisen Ton des plätschernden Ruders; langsam treibt der Kahn vorwärts, und jetzt mit einem Male tritt er aus der Nacht, und er scheint aufzuflammen im zitternden Lichte sprühender Brillanten. Wie ein bleicher, verzehrender Flammenball hing der Mond an der Spitze des Krippensteins, und wo sein langer, flimmernder Strahl den See traf, lag ein heller, ruhiger Streifen weit über das Wasser gedehnt. Vom erhobenen Ruder rannen Silbertropfen, und dem doppelten Schlage immer weiter auseinander ziehend, helle, glitzernde Zeilen. Langsam kehrte ich zurück, noch war ich im Lichte, und drüben lag tiefer Schatten. Ich hörte von ferne Ruderschlag, Zither- und Waldhornklänge zogen weich über den See, Mädchen- und Männerstimmen sangen gedämpft ein schönes Lied. Ich weis nicht, als die Bäume des Rauchkegels ganz deutlich in die schöne, klare Mondscheibe hineinwuchsen, als dann nur mehr ein zarter Silberstreif um den Berggipfel zurückblieb, und hier unten wieder Alles tiefe, schwarze, verhüllte Nacht war, da war's mir fast, als hinge eine Thräne mir an der Wimper. Es war die letzte Nacht.
Ich dachte des Vorabends zum Johannistage, wie plötzlich aus dem mächtigen See eine helle Flamme aufschlug – ein Scheiterhaufen zum Johannisfeuer entzündet. Hier schwamm einer und dort einer, und da loht noch einer empor, und überall, wohin das Auge sah, Lichtchen und Flammen, die' die grausige Tiefe zu tauchen schienen und wieder emporäugen, als hätte die Hölle ihren Rachen geöffnet. Vage Schatten schwangen die Brände in großen Kreisen, das sie wie feurige Räder umherfuhren. Dazu Schuß auf Schuß, Ätzen, Jodeln, Geschrei und Gesang und wieder Schüsse und Flammen – eine schauerlich - schöne Unterweltsszene. Ich dachte des Fronleichnamsfestes, Sonnenlicht und Feiertagsstimmung allüberall.
Den Morgen schon begrüsten Böllerschüsse, die mächtig wiederhallten, und wieder donnern die Böller von der großen, geschmückten Zille, die auf dem See hin und wieder fährt, zu den verschiedenen Momenten des Hochamtes. Von Nah und Fern sind fromme Theilnehmer über den See gekommen; die Frauen im neuen schwarzen Kopftuch, die Männer in der Sonntagsjacke, den grünen Hut mit Alpenrosen geschmückt. Von der Kirche herab schlängelt sich die bunte Prozession. Dreimal hält der Zug, das Glöcklein klingt, die Schüsse rollen durch die Berge, und wieder bewegt sich der Zug unter Gebet und Musik. Am Ufer wartet eine neue große Zille, von grünen Tannenzweigen ist eine Kapelle darauf errichtet, Alpenrosen, Speik, Sammetröschen, Alpenveilchen schmücken den Altar, weißgekleidet sind die Bootführer. Die Klerisei besteigt es, ein anderes die Bergmusik, und auf weiteren drängte sich die weisgekleidete Kinderschaar. Jetzt stoßen die Zillen vom Lande, und werden hinausgerudert mitten in den See, dort wird das vierte Evangelium gelesen. Im Nu ist der See bedeckt mit Hunderten von kleinen und größeren Schiffchen, alle im schmucke lustig flatternder Wimpeln und Fähnchen, dazu die Klänge einer guten Musik und frischer Kinderstimmen – welch' heiteres, sonniges, farbentrunkenes Bild!
Und ich dachte der herrlichen Spaziergänge im Echernthal zum brausenden und stäubenden Fall des Waldbaches Strubb, zu den Ursprüngen, zum Rudolphsthurm, auf die Hirschalm und bis zu der Gletscherebene des Karls-Eisfelds, und dann fragte ich mich:
Wie kommt's doch, das es hier so einsam ist, und das die Besucher kaum auf einen halben Tag hieher kommen, eigentlich bloß um Kaffe zu trinken, Bädeker zu lesen horribile dictu – Karten zu spielen, und dann eiligst wieder nach Ischl heimkehren, als käme ihnen hier mit der Nacht auch die Pest auf den Hals?
Seeauer ist ein unternehmender Mann, er besitzt zwei Gasthöfe und hat das Dampfboot gebaut, hält Pferde für die Bergpfade und einen Omnibus für Ischler Gäste. Zeigt sich Theilnahme, er kultivirt gewiß noch weiter.
Die Soole ist die von Ischl, wohin sie ja erst geleitet wird.
Die Natur ist schön; Fichtennadeln und Lustbäder wären leicht mit dem Seebade zu verbinden. Mein Gott, man könnte ja auch zur Abwechslung einmal Bademusik hören, die statt auf einer Tribüne an Bord einer Zille spielt, und dazu, statt zu lustwandeln, gondelfahren.
Warum, warum ist's doch so einsam hier?
Warum kommt doch so selten eine Schwalbe hieher, um sich für einen Sommer oder eine Saison hier niederzulassen? Ich habe die Frage schon einmal wo anders beantwortet, und ich will es nur gleich wortgetreu wiederholen:
„Da sagen sie: es falle gar kein Sonnenstrahl in das schwarze Wasser, es sei beengend, beklemmend, drückend, ängstlich, das die Brust nicht athmen könne, und was sagen sie nicht noch Alles und verläumden dich, du schönes, du heiliges, einsames Auge der Natur; und sie erzählen es nach."
Einer dem Andern, um die Vernachlässigung vor sich selber zu beschönigen, die sie sich gegen dich zu Schulden kommen lassen, denn es hat dich Keiner von allen Denen gesehen, die so von dir sprechen, du kleine, ernste, stille, mächtig große Welt. „Wer eine kräftige Seele und ein fühlendes Herz hat, der gehe hin, – ihm wird diese „drückende Natur wohl thun, sie wird ihn zur Reaktion anspornen; aus Sturm und Wogen wird sein Herz gesänftigt hervorgehen wie der Spiegel des ruhenden Sees, und sein Geist wird erstarken, bis er sich fest und mächtig fühlt wie die Felsenhäupter um ihn. Eine süßliche Natur würde ihn ja nur weich machen und erschlaffen.“ „Ihr kleinen, sanften Herzchen aber, ihr gefühlvollen Schwärmerseelchen, die ihr euch nur an sanftgeschwungenen, erbsengrünen Wellenformen erlabet, die ihr ein Wässerlein wollt und ein Hügelein mit einem Häuslein darauf, und einem wohlservirten Kaffeeschälchen darin und einem süsen Küchelchen dazu – ihr könnt ferne bleiben, recht weit davon, damit ihr hübsch unerdrückt und unbeängstigt und unbeklemmt wieder nach Hause kommt; der See wird's euch danken; so bleibt er still und ernst und einsam – ein ungeschliffenes Juwel. So hatte ich am letzten Abende geschrieben – am nächsten Morgen zog ich weiter. Mit wie ganz andern Gefühlen legte ich diesmal den schönen Reitweg am See zurück. Da war die Gosaumühle wieder. Schäumend sprang die rasche Gosa aus dem engen Thale in den See, und hoch darüber spannte sich im kühnen Sprunge der Gosauzwang auf sieben schlanken Steinpfeilern. Eine Ziege stand oben auf dem hölzernen, gegitterten Brückchen, und sah sich tief sinnig von oben herunter die schöne Natur an, und leckte dazu an der Rinne, durch welche die Soole geleitet ist.
Der Blick schweifte noch einmal dankbar für die genossene Gastfreundschaft über den See hin, und dann wanderte ich mit wehem Herzen unter der meckernden Ziege weg und das enge Felsenthal hinein, das sich das kleine Flüßchen seit Jahrtausenden unermüdlich ausgewaschen hat. Bald konnte mein Auge nicht mehr zurück und sah sich gefangen in den enge zusammengerückten waldigen Abhängen, die mit jeder Biegung des Weges ein neues pittoreskes Bild boten.
Allmälig erwachte in mir wieder der alte frische Wandermuth, ich pfiff ein heiteres Lied und achtete nicht mehr der Zeit. Ein weiter Wald und Wiesengelände lag jetzt das Gosauthal vor mir, von blauen, blühenden Flachsfeldern durchzogen. Häuser lagen überall hin zerstreut und gruppirten sich zum Theil inmitten des Thales um die Kirche mit ihrem schlanken Thurme. Alles lachte mich so freundlich an, es war kein Wunder, das die Sonne mir auch freundlich und froh ins Herz hinein schien. Das Ränzlein auf dem Rücken, Den Stab in meiner Hand. Zieh' ich selb Dritt gar fröhlich Vergab, bergauf durch's Land.
ImSalzkammergut:
Bild vom See mit Reiher
(Illustr. Welt 1857, s. 213)
Nun es ging nicht gar fühlbar bergauf, und bald saß ich zur kurzen Rast beim Gosauschmied auf der Bank vor dem Hause. Die Gosa brauste und schoß ungestüm unter dem gewaltigen Rade durch, die Hämmer in der Schmiede stampften taktmäsig, stöhnend in ihrer Sklaverei, auf den Ambos nieder, und dazwischen hinein tönte das friedliche Gakern einer Henne, an deren schaudervollem Tode ich eine indirekte Schuld fühle. Ach, sie war so zähe, das sie mei- netwegen noch lange weiter hätte gakern können.
Auch diese harte Erfahrung hatte ich noch nicht gemacht, als ich der Gosa entlang durch den schattigen Wald schlenderte, und mich nach der letzten kurzen Steigung plötzlich vor dem dunkelgrünen Spiegel des vorderen Gosausees sah. Es bedurfte einiger Augenblicke, ehe ich meiner Ueberraschung Herr werden konnte, so unerwartet lag dies Bild vor mir. Märchenhaft still und verlassen erschien mir das kleine ruhige Wasser inmitten der dichten Föhrenwälder.
Nicht einmal der Schrei eines Vogels stört die Todtenstille, undlängst waren die Schläge der Art verhallt, die ich auf dem Wege aus der Ferne vernommen. Der See lag träumend in seinem himmelhohen Granitbette. Rechts zackten die Dannerkegel malerisch und abenteuerlich in den blauen Himmel hinein, flammend und zerrissen wie der zu Stein gewordene Donnerkeil des alten Vaters Zeus, der ihm entfiel, als seine Hand, schon müde und altersschwach geworden, den Weltenszepter von den Titanen des Geistes sich entwinden lies. Zeus modert, er spukt nicht einmal mehr; seine Blitze aber haben ihn überdauert, ein Monument seiner gefallenen Gröse, in seinem Namen noch die Erinnerung an die einstigen Herren des Landes wahrend.
Im Hintergrunde schieben sich die waldigen Bergrücken coulissenartig in- und hintereinander, und über alle ragt in wundervoller Klarheit und Nähe der Dachstein empor. seine blassrosigen Spitzen erheben sich wie kolossale Pyramiden aus dem blendenden Weis der Gletscher. Wie ein mächtiger Herrscher blickt er von seinem Eispiedestal herunter in die grüne, duftige Pracht der Wälder, auf den einsamen, dunkeln Bergsee und auf die ausgezeichneten Forellen, die denselben der Sage nach zur Sommerfrische bewohnen sollen. Ich sollte leider die Sage nicht ergründen. Da ich den Dachstein diesmal nicht zu besteigen verlangte, drang ich nicht weiter zum hintern Gosausee vor. Mein Weg war ein anderer, doch konnt' ich ihn am selben Abend noch von der Spitze der Zwieselalp begrüßen. Von hier aus liegt er hellgrün wie eine Wiese zwischen kahlen Kreide- felsen, ein freundliches, offenes Auge neben dem schwermüthig träumerischen, dem der vordere Gosausee gleicht. Dort blitzt der frohe Lebensmuth aus dem Blicke, hier weint tiefinnen verborgene Leidenschaft in schwärmerischer Poesie um ein verlorenes Glück.
Düstre Schatten deckten jetzt beide; das Gosauthal ging zur Ruhe und ich wandte mich der sinkenden Sonne zu. Wie eine grose Fackel flammte der hohe Göll. Lieber, alter Freund, wie oft bist du schon kunstgerecht mishandelt worden, und doch war's mir immer eine Freude, wenn ich dir selbst in solchem Zustande in irgend einer Kunstausstellung begegnete. Gute Nacht, du den Malern allezeit getreuer, jetzt erlöschest auch du, und es ist finster in unserer alten Hemisphäre. Wenn mein guter Freund, der hohe Göll, nicht besser geschlafen als ich auf dem Laubsacke der reizenden kanonischen Sennerin Judith, die mich das Nachtlager zwar den Umständen angemessen, wohlfeiler als Holofernes, aber dennoch theuer genug bezahlen ließ – so war ihm am nächsten Morgen gewiß ebenso übernächtig und unbehaglich wie mir, was ich aber ebenfalls nicht ergründen konnte, denn der Himmel war grau und eigentlich einige hundert Fuß unter mir, und überdies ganz feucht und kalt; denn als ich durchkam, fror mich abscheulich und das helle Wassertrof von meinen Kleidern.
Wie ein Tritone auf seiner Kontinentaltour stand ich vor dem halbzerbrochenen Wegweiser. Abgeblast und verwaschen waren die Buchstaben:
„Nach Abtenau“.
Jetzt zu der Novelle
"Nur ein Spielzeug"
Ich habe sie etwas fad gefunden, aber das ist ja Geschmackssache.
Der Inhalt:
Warter hat es gesundheitlich erwischt, ein Schlagerl oder so. Er kauft sich am Kreuz, gegenüber von Hallstatt einen Grund und baut sich ein kleines Haus.
Er sucht die Ruhe aber dann verliebt er sich.
In die Falsche.
Für sie ist er "Nur ein Spielzeug".
Irgendwann zuckt er dann voll aus
und haut sich von der Steingrabenschneid.
Aus Quatuor. Novellen
von Byr, Robert
Leipzig: Günther, 1875
Zitierlink: http://data.onb.ac.at/rep/105FCB09
Das hübsche Mädchen sah erstaunt auf Gürtler,
als fordere sie eine Erklärung der vertraulichen Unter-
brechung, doch im selben Momente begann eine heftige
Kanonade und lenkte Aller Aufmerksamkeit der Feier-
lichkeit zu.
Die Procession war allmälig bis ans Ufer her-
abgekommen. Hier warteten vier oder fünf, der ersten
auf's Haar ähnliche, ganz neu gebaute Salzzillen, die
mit grünem Laubwerk hübsch besteckt waren. In der
einen wölbte es sich wie eine Hütte über einen kleinen
Altar und dieses Capellenschiff bestieg der Geistlich
mit seiner Assistenz. Die andern wurden von der Berg
musik, bei der ohne Streit Katholiken und Protestan-
ten so harmonisch als möglich zusammenwirkten, von
den weisgekleideten Schulkindern, von den Honoratioren
und Beamten besetzt und folgten alle, von ebenfalls
weisgekleideten Ruderern geführt, dem voranziehenden
Capellenschiffe.
Ungefähr auf halbem Wege zum andern Ufer hielt
dieses, umwogt von den vielen, buntbesetzten und bunt-
bewimpelten, kleinen Kähnen. Ein malerischer Anblick,
dem die Schüsse, die Musik, der Gesang und das
Glockengeläute eine eigenthümlich wirkungsvolle Fär-
bung gaben. Hier in der Mitte des Sees wurde das
dritte Evangelium gelesen und erst als der Segen
unter allgemeiner feierlicher Stille, welche nur von
dem nachrollenden Donner der Pöller unterbrochen
wurde, ertheilt war, begann Gesang, Musik und Gebet
vom Neuen und die Procession kehrte wieder ans Land
zurück.
Das Boot, auf dem sich die kleine Gesellschaft
befand, war inzwischen auch dem Ufer näher gekom-
men; während des Segens lag es beinahe knapp an
der Terrasse des Gasthauses „zur Post.“
Da die Betrachtung des farbenvollen, von der
Sonne reich beglänzten Bildes aller Aufmerksamkeit
fesselte, zum Theil auch andächtige Theilnahme an dem
religiösen Vorgange die Gemüther erfüllte, hatte Nie-
mand auf Warter geachtet. schon seit längerer Zeit
stand er, das Ruder in der versteinerten Hand, wie
eine Statue reglos da; nur in seinen Zügen arbeitete
es heftig und sein durchbohrender Blick hing glühend
an einer eleganten Frauengestalt, die umgeben von
andern Gästen unmittelbar neben Baron Bollwitz,
oben auf dem breiten Balcone, scheinbar voll Antheils
an dem Schauspiele stand.
Jetzt senkte sie, wie von Warter's gebieterischem
Blicke magnetisch gezwungen, auch ihren Blick und
beider Augen hingen eine Secunde lang fest ineinander.
Nur ein leises Zucken ihrer Rechten, die sich auf das
Balcongeländer stützte, verrieth, das auch sie ihn er-
kannt hatte.
Doch diese Frau war gewohnt, sich vor der Welt
meisterhaft zu beherrschen; was auch in ihrem Innern
vorgehen mochte, sie wandte sich ruhig ab und trat
in den Speisesaal zurück, der Baron folgte ihr mit
der süffisanten Miene des berechtigten Begleiters,
ohne Warter, den er wohl erblickt hatte, auch nur zu
grüßen.
Nur Tantchen Ida hatte den kleinen Vorgang
beobachtet, ohne jedoch eine tiefere Bedeutung darin zu
suchen.
„O, sie fallen ins Wasser, nehmen sie sich in
Acht!“ rief sie Warter lachend zu. Er war starr ge-
blieben, bis der Ruderer den Kahn ans Land stieß,
da wankte er und erst dieser Moment brachte ihn wie-
der zum Bewustsein.
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