Der Kindergarten
- Gerhard Zauner
- 9. März
- 4 Min. Lesezeit
Der Kretinismus und die Kinderbewahranstalt.

Das Buch "Ischls Cursaal" handelt vom Tourismus 1877.
Ich finde das Buch ist sehr interessant, es erzählt mit viel Bildern über den damaligen Ischler Fremdenverkehr. Ein Blick lohnt sich:
Dort sind Ausflüge in Orte des Salzkammerguts beschrieben, was man eben neben der Kur sonst noch machen kann. Im Kapitel von Hallstatt gibt es ein Unterkapitel über eine Krankheit, die in Hallstatt sehr verbreitet war, den Cretinismus.
Dort wird die Geschichte der Entstehung der Kinderbewahranstalt erzählt, die auch mit dieser Krankheit verbunden zu sein scheint. 1872 waren ca. 70 Behinderte im Ort, viele hatten den Kretinismus. Damals dachten die Ärzte, es läge an der wenigen Sonne, warum der Kretinismus hier so verbreitet war. Es war aber der Mangel an Jod.
Es gibt auch keinen schriftlichen Bericht über Schnapszuzler, obwohl sehr viele Ärzte im Salzkammergut forschten. Ich nehme daher an, der Schnapszuzler ist eine Verwechslung mit dieser Krankheit. Ich finde es, wenn auch über Generationen, nicht sehr fein, wenn man Menschen die ein behindertes Kind haben zu Unrecht beschuldigt.
Heute wird diese Krankheit Jodmangelsyndrom genannt. Seit 1963 wird in Österreich dem Speisesalz Jod zugefügt.
Damals hießen Behinderte Idioten und Trottel. Heute noch finden viele Behinderte das Wort "Invalide" diskriminierend, weil die Deutsche Übersetzung "Unwert" ist.
"Behindert" ist kein Schimpfwort.

Der Cretinismus.
Dieser traurige Zustand physischer wie geistiger Verkommenheit, ist nach Dr. Pohls Untersuchungen im Salzkammergute nicht heimisch. Die vorkommenden Exemplare seien nach den Aussagen des genannten Autors, aus dem Ennsthale herüber gepflanzt worden.
Ohne uns hier mit einem Rückblick auf die Entstehungsgeschichte des Cretinismus und den dießbezüglichen Hypothesen aufzuhalten, wollen wir dem Leser nur einige, hieher gehörige Mittheilungen machen.
Kein Menschenfreund wird und kann diese physische wie geistige Verkommenheit von Menschen mit Gleichgültigkeit ansehen. Eine interessante und höchst befriedigende Wahrnehmung wird es daher sein, diese Idioten, (wie wir weiter unten nachweisen werden) solche Fähigkeiten erlangen zu sehen, daß sie in die Reihe vollbürtiger geistiger Menschen aufgenommen werden können.
Das große Verdienst um die Ausbildung derselben hat sich die hochherzige Frau Erzherzogin Sophie erworben. Sie gründete in Hallstadt eine Kinderbewahranstalt und zeigt noch immer für dieselbe das größte Interesse. Sie spendet jährlich eine bestimmte Summe zur Speisung und Kleidung armer in die Anstalt aufgenommener Kinder.
Die Veranlassung zur Gründung dieser Anstalt gab folgendes unglückliche Ereigniß:
Zwei Kinder, deren Eltern ihrem Broderwerbe nachgehen mußten, waren ins Zimmer gesperrt, somit sich selbst überlassen worden. In diesem Zimmer nun kam, man weiß nicht auf welche Weise, Feuer aus– die unglücklichen Kinder mussten zu Grunde gehen.
Der evang. Pfarrer von Hallstadt Herr Konrad von Sattler hatte einen Aufruf in die Zeitung ergehen lassen, in welchem er mit Hinweis auf den eingetretenen Unglücksfall, zur Gründung einer Kinderbewahranstalt in Hallstadt, an edle Menschen appellirte.
Gleichzeitig wendete er sich persönlich an ihre k. Hoheit die Frau Erzherzogin Sophie, welche seiner Bitte volle Gewährung angedeihen ließ. Die hohe Wohlthäterin gründete aus Eigenem diese Anstalt und die humane Idee des wackeren Pfarrers von Hallstadt war realisirt. Die Verwaltung der Anstalt, wurde den frommen Schwestern überlassen, die seither auch derselben mit schwesterlicher Liebe und Sorgfalt vorstehen.
Unsere Leser werden das humanitäre Bestreben des Pastors in noch höherem Grade würdigen, wenn wir ihnen mittheilen, daß derselbe aus Besorgnis: die Evangelischen könnten sich abhalten lassen ihre Kinder in die Anstalt zu schicken, weil die frommen Schwestern derselben vorstehen, und diese sie zur katholischen Kirche bekehren könnten,– mit dem guten Beispiele voranging, seine eigenen Kinder die Anstalt frequentiren zu lassen.
Dieses Vorgehen verfehlte auch nicht seine beabsichtigte Wirkung auf die Gemeinde, die nun ihre Kinder, sonder Bedenken, in die Anstalt schickte.
Der ev. Pfarrer von Hallstadt Herr Konrad von Sattler machte uns vor Kurzem die erhebende Mittheilung, daß seit dem nunmehr fünfzehnjährigen Bestehen der Kinderbewahranstalt in Hallstadt, viel weniger Cretins vorgekommen wären als ehedem. Er habe schon vor Jahren beobachtet, schreibt er uns, daß die Keime des Cretinismus nur durch jene traurige Einwirkungen, welche die sozialen Zustände der dortigen Bevölkerung auf Kinder des frühesten Alters ausübten, entwickelt wurden.- Durch die Errichtung jener oben gedachten Kinderbewahranstalt, ist nun diesem traurigen sozialen Zustande auf das heilsamste begegnet worden.
Vor dem Bestehen dieser Anstalt, sagt Pfarrer Sattler, waren die zarten Kinder zumeist in enge dunstige Räume, die den Bewohnern zu Wohnstuben, Schlafgemächern und im Winter zugleich auch zu Küchen dienten, mit der ganzen Familie eingepfercht und nicht selten vom frühesten Morgen bis späten Abend sich selbst überlassen. Die Eltern mussten Erwerbes wegen den Tag außer dem Hause zubringen. Hiezu, kam die schwer verdauliche Nahrung, mit welcher die zarten Kinder „angestopft“ wurden.
Abgesehen davon, daß sich kein Mensch mit ihnen beschäftigte, keiner sie zu körperlichen Bewegungen veranlaßte, mußten sie auch den wohlthätigen Ein- fluß der frischen Luft entbehren.
Seitdem jedoch die Kinder von ihrem zweiten bis zu ihrem sechsten Lebensjahre in der Anstalt verbleiben und in geräumigen Sälen, oder bei günstigem Wetter auch in einem Garten, einen ihrem zarten Alter entsprechenden Unterricht genießen; seitdem nun auf Reinlichkeit der Kinder ebenso sehr, wie auf angemessene Verpflegung Bedacht genommen und durch solch' humanes und zugleich rationelles Vorgehen sich Geist und Körper der Kleinen gleichzeitig entwickeln können, ist in Hallstadt die Abnahme der Cretins bemerkbar.–
Seit einigen Jahren, berichtet unser Gewährsmann, sind viele alte Cretins gestorben und neue beinahe keine mehr hinzugekommen. Ich glaube, sagt er, dies letztere nur der besseren zweckmäßigen Nahrung und Pflege, deren sich die Kinder hier schon seit ihrer zartesten Kindheit zu erfreuen haben, wie der frühen Anregung ihres Geistes zuschreiben zu dürfen.
Möge das Bekanntwerden dieses so günstigen Resultates einen Impuls zu angelegentlichen Erörterungen folgender Frage geben:
„Ob und inwieferne es möglich sei durch Macht der physischen und geistigen Erziehung, das Verschwinden dieser physischen wie geistigen Verkrüppelung herbeizuführen.“



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