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Der Kindergarten

Autorenbild: Gerhard ZaunerGerhard Zauner

Aktualisiert: 10. Mai 2020

Das Buch "Ischls Cursaal" handelt vom Tourismus 1877.

Ich finde das Buch ist sehr interessant, es erzählt mit viel Bildern über den damaligen Ischler Fremdenverkehr. Ein Blick lohnt sich.

Ischls Cursaal: ein Buch für Curgäste und Touristen Hirschfeld, Josef, 1877 Erlangen: Ferdinand Enke, 1870. - 17 cm. - XII, 179 Seiten

Dort sind auch Ausflüge beschrieben, unter anderem nach Hallstatt.

Das letzte Kapitel dort heißt: Der Cretinismus.

Es erzählt die wirklich schöne Geschichte der Entstehung des Kindergartens.

Am Ende habe ich noch die zwei Inserate aus der Wiener Zeitung vom Pastor Sattler eingefügt.


Der Cretinismus.


Dieser traurige Zustand physischer

wie geistiger Verkommenheit, ist nach

Dr. Pohls Untersuchungen im Salz-

kammergute nicht heimisch. Die vor-

kommenden Exemplare seien nach den

Aussagen des genannten Autors, aus

dem Ennsthale herüber gepflanzt worden.


Ohne uns hier mit einem Rückblick

auf die Entstehungsgeschichte des Creti-

nismus und den dießbezüglichen Hypo-

thesen aufzuhalten, wollen wir dem Le-

ser nur einige, hieher gehörige Mitthei-

lungen machen.


Kein Menschenfreund wird und

kann diese physische wie geistige Ver-

kommenheit von Menschen mit Gleich-

gültigkeit ansehen. Eine interessante

und höchst befriedigende Wahrnehmung

wird es daher sein, diese Idioten, (wie

wir weiter unten nachweisen werden)

solche Fähigkeiten erlangen zu sehen,

daß sie in die Reihe vollbürtiger geisti-

ger Menschen aufgenommen werden können.


Das große Verdienst um die Aus-

bildung derselben hat sich die hochherzige

Frau Erzherzogin Sophie erworben. Sie

gründete in Hallstadt eine Kinderbewahr-

anstalt und zeigt noch immer für dieselbe

das größte Interesse. Sie spendet jähr-

lich eine bestimmte Summe zur Spei-

sung und Kleidung armer in die An-

stalt aufgenommenr Kinder.


Die Veranlassung zur Gründung

dieser Anstalt gab folgendes unglück-

liche Ereigniß:


Zwei Kinder, deren Eltern ihrem

Broderwerbe nachgehen mußten, waren

ins Zimmer gesperrt, somit sich selbst

überlassen worden. In diesem Zimmer

nun kam, man weiß nicht auf welche

Weise, Feuer aus– die unglücklichen

Kinder mußten zu Grunde gehen.


Der evang. Pfarrer von Hallstadt

Herr Konrad von Sattler hatte einen

Aufruf in die Zeitung ergehen lassen,

in welchem er mit Hinweis auf den

eingetretenen Unglücksfall, zur Grün-

dung einer Kinderbewahranstalt in

Hallstadt, an edle Menschen appellirte.

Gleichzeitig wendete er sich persönlich

an ihre k. Hoheit die Frau Erzherzogin

Sophie, welche seiner Bitte volle Ge-

währung angedeihen ließ. Die hohe

Wohlthäterin gründete aus Eigenem

diese Anstalt und die humane Idee des

wackeren Pfarrers von Hallstadt war

realisirt. Die Verwaltung der Anstalt,

wurde den frommen Schwestern über-

lassen, die seither auch derselben mit

schwesterlicher Liebe und Sorgfalt vor-

stehen.


Unsere Leser werden das humani-

täre Bestreben des Pastors in noch

höherem Grade würdigen, wenn wir

ihnen mittheilen, daß derselbe aus Be-

sorgniß: die Evangelischen könnten sich

abhalten lassen ihre Kinder in die

Anstalt zu schicken, weil die frommen

Schwestern derselben vorstehen, und

diese sie zur katholischen Kirche bekehren

könnten,– mit dem guten Beispiele

voranging, seine eigenen Kinder die An-

stalt frequentiren zu lassen.


Dieses Vorgehen verfehlte auch

nicht seine beabsichtigte Wirkung auf

die Gemeinde, die nun ihre Kinder, son-

der Bedenken, in die Anstalt schickte.

Der ev. Pfarrer von Hallstadt

Herr Konrad von Sattler machte uns

vor Kurzem die erhebende Mittheilung,

daß seit dem nunmehr fünfzehnjährigen

Bestehen der Kinderbewahranstalt in

Hallstadt, viel weniger Cretins vorge-

kommen wären als ehedem. Er habe

schon vor Jahren beobachtet, schreibt

er uns, daß die Keime des Cretinis-

mus nur durch jene traurige Einwir-

kungen, welche die sozialen Zustände

der dortigen Bevölkerung auf Kinder

des frühesten Alters ausübten, entwi-

ckelt wurden.- Durch die Errichtung

jener oben gedachten Kinderbewahran-

stalt, ist nun diesem traurigen sozialen

Zustande auf das heilsamste begegnet

worden.


Vor dem Bestehen dieser Anstalt,

sagt Pfarrer Sattler, waren die zarten

Kinder zumeist in enge dunstige Räume,

die den Bewohnern zu Wohnstuben,

Schlafgemächern und im Winter zugleich

auch zu Küchen dienten, mit der ganzen

Familie eingepfercht und nicht selten

vom frühesten Morgen bis späten Abend

sich selbst überlassen. Die Eltern muß-

ten Erwerbes wegen den Tag außer

dem Hause zubringen. Hiezu, kam die

schwer verdauliche Nahrung, mit welcher

die zarten Kinder „angestopft“ wurden.

Abgesehen davon, daß sich kein Mensch

mit ihnen beschäftigte, keiner sie zu

körperlichen Bewegungen veranlaßte,

mußten sie auch den wohlthätigen Ein-

fluß der frischen Luft entbehren.


Seitdem jedoch die Kinder

von ihrem zweiten bis zu ihrem

sechsten Lebensjahre in der An-

stalt verbleiben und in geräumi-

gen Sälen, oder bei günstigem

Wetter auch in einem Garten,

einen ihrem zarten Alter ent-

sprechenden Unterricht genießen;

seitdem nun auf Reinlichkeit der

Kinder ebenso sehr, wie auf an-

gemessene Verpflegung Bedacht

genommen und durch solch' hu-

manes und zugleich rationelles

Vorgehen sich Geist und Körper

der Kleinen gleichzeitig entwi-

ckeln können, ist in Hallstadt die

Abnahme der Cretins bemerk-

bar.–


Seit einigen Jahren, berichtet un-

ser Gewährsmann, sind viele alte Cre-

tins gestorben und neue beinahe keine mehr

hinzugekommen. Ich glaube, sagt er,

dies letztere nur der besseren zweckmä-

ßigen Nahrung und Pflege, deren sich

die Kinder hier schon seit ihrer zartesten

Kindheit zu erfreuen haben, wie der

frühen Anregung ihres Geistes zuschrei-

ben zu dürfen.


Möge das Bekanntwerden dieses so

günstigen Resultates einen Impuls zu

angelegentlichen Erörterungen folgender

Frage geben:


„Ob und inwieferne es möglich sei

durch Macht der physischen und geistigen

Erziehung, das Verschwinden dieser phy-

sischen wie geistigen Verkrüppelung her-

beizuführen.“












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