Der Ausbruch des Kessels.
Von Ludmilla Nowak.
Eine Hallstätter Regenerinnerung.
Während der langen Regenzeit des heurigen Sommers erinnerte ich mich oft eines Hallstätter Erlebnisses aus dem Jahre 1901, also vor 29 Jahren!
Es war damals gerade die Straße Lahn-Obertraun fertig geworden und natürlich wurde sie von allen Hallstättern und Sommergästen interessiert begangen und —- allen, die die Hirschau kannten, fiel etwas auf: die eine der Hallstätter Riesenquellen der Hirschbrunn der sehr nahe am See liegt, wurde von der Straße ganz richtig überschritten, die zweite der Quellen aber, der Kessel, der weiter weg vom See am Fuß des Rauhkogel sich auftut, war entschieden zu leicht genommen worden.
Dieser Kessel, ein kesselförmiges Loch im Felsen, auf dessen Grund immer Wasser steht und zwar ins Gestein hineinverschwindend, so daß es ausschaut als sähe man ein Uferstück eines unterirdischen Sees, geht bei längeren Regengüssen in wildem Sturzbach über und für eben dieses Wasser war in der neuen Straße nur ein kleiner Durchlaß vorgesehen worden, zu dem alle Hallstätter die Köpfe schüttelten.
Ich selbst sprach mit einem Einheimischen darüber.
"Ja, was wird denn das werden, wann der Kessel einmal geht?"
Der Mann war auch wenig überzeugt.
"Mir hams eh den Herren gesagt,"
erwiderte er.
"Aber sie ham uns nit g'glaubt!" Das Lackerl hams g'sagt, was soll denn das tun! — Wie s einmal werden wird,— ja, das kann man sich denken"
Und noch dieser Sommer sollte dies zeigen
Ich kann mich nicht mehr an das genaue Datum erinnern, aber es kam auch damals eine lange Regenzeit. Die Berge waren mit Wolken und Nebel verhangen die Tropfen klingelten Tag ein, Tag aus in den See hinein, der feine "Lacken" machte ein Zeichen, daß es mit der Nässe nicht so bald aufhören will. Eines Tages in der Früh sah man vom Markt aus, daß der Hirschbrunn weiß schäumend mit außerordentlicher Gewalt "ging".
Die Einheimischen rangen schon gelinde die Hände.
Wir bestiegen ein Schiff und ruderten mit einem seetüchtigen Hallstätter am Steuer in die Hirschau hinüber, um das interessante Schauspiel in der Nähe zu sehen. Es regnete damals so, daß in den Falten meines Rockes in kurzer Zeit Wasserrinnen entstanden, die nicht mehr versiegten. Wir wurden buchsstäblich bis auf die Haut durchnäßt, was uns aber wenig beirrte.
Über den See schwebte Wasserdunst wie Dampf.
Von Winkl her begegneten uns die Fischerzillen, die Einbäumln, die in dieser Stimmung ganz geisterhaft aussahen.
Als wir uns dem Hirschauufer näherten kamen wir gerade recht zu einem unerwarteten Naturereignis. Dort, wo der Kessel ist, wurden auf einmal gewaltige Wassermassen in die Luft geschleudert, so daß man es über die Uferbäume hin sah. Dann hörte man ein unbeschreibliches Brausen und Tosen. Der Kessel war ausgebrochenl
Wir landeten schnell und gingen hinzu —- soweit dies überhaupt möglich war.
Da wälzte sich ein brüllender Fluss über die neue Straße in den See. Der Kessel "ging" mit aller Wut! So als wollte er mit aller Macht beweisen, daß man seine Majestät schmählich verbannt und viel zu geringschätzig behandelt hatte!
Von dem schmalen Durchlaß, den man für ihn hergerichtet, sah man überhaupt nichts, den schien er gänzlich zu ignorieren. Er spuckte und rollte unglaubliche Wassermassen aus sich heraus, die erdbraun und mit weißem Schaum vermischt waren, wie kochendes Bier. Von seiner Felsumrandung war nichts mehr zu sehen. Er war nur mehr der gewaltige, siedende, unaufhaltsam überlaufende "Kessel" der Bergnatur, der eben desshalb seinen Namen führte.
Dieser Ausbruch wird mir immer unvergesslich bleiben.
Der Kessel ging einen ganzen Tag.
Ich ging nachmittags noch zu Fuß hinüber und schaute von oben in den Wassertumult hinab So fürchterlich wie beim Ausbruch war es nicht mehr, aber noch wild genug. Fremde standen herum, Einheimische, meist stumm, man verstand ja sein eigenes Wort nicht mehr. Die Landverbindung zwischen Obertaun und Hallstatt war unterbrochen. Wie die Straße unter dem wütenden Strom aussah konnte sich jeder Hallstätter vorstellen.
Als sich das Wasser verlaufen hatte, sah man es. Von der Straße war an dieser Stelle überhaupt nicht mehr viel da, dafür schaute stellenweise der nackte Fels heraus. Der Durchlaß war nur mehr lächerlich. Den alten schmalen Fahrweg der früher an Stelle der Straße dagewesen war und der durch grasbewachsenes Ufer führte hatte das Wasser wahrscheinlich immer glatt überlaufen, weil es vorher keinen Widerstand fand, denn nie habe ich damals von einer furchen Verwüstung etwas gehört
Der Kessel hatte aber nun seine Naturgewalt bewiesen, man behandelte ihn respektvoll, die Herren von der Straßenbauleitung neigten sich vor ihm sozusagen in Demut und er wurde so verbaut, wie es heute noch ist und wie es sich gehört.
Das "Gehen" des Hirschbrunn ist schön, das des Kessels großartig, — aber jeder Hallstätter wünscht sich, recht lange davor bewahrt zu bleiben, denn es bringt immer Hochwasser mit sich.
Der Kessel auf der Webseite von Norbert Leutner
Der Kessel von Dr. F. Morton.
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