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Der Kretinismus.

Autorenbild: Gerhard ZaunerGerhard Zauner

Bis das Salz jodiert wurde, war in den Alpenländern das angeborene Jodmangelsyndrom, eine Schilddrüsenkrankheit, weit verbreitet.

Es wurde viel darüber in Zeitungen berichtet, teilweise sehr böse.

Hier sind einige Beispiele:



Sonderausgabe "Salzkammergut" der Zeitschrift: Die Muskete, 5. Juli 1906




Aus

von Maffei, Carl 1844 - Seite 5

Jene Geschöpfe, die man in der Schweiz und in der gelehrten Welt

Kretine nennt, werden im ehemaligen Salzburger Lande Fexen und in den

tyrolerischen, oberkärnthnerischen und obersteyerischen Thälern Lapp,

Tölpl, Trottl, Drutsch, Dost, Depp genannt. Mit diesen Benennungen wird

aber keineswegs die Bezeichnung einer bestimmten Körperform verbunden

und keineswegs werden damit blos die auf der tiefsten Stufe menschlicher

Bildung stehenden Individuen bezeichnet. Diese Ausdrücke,– gleichbe-

deutend– umfassen eine ganze Gattung (Genus) kranker Menschen, wel-

che vom Blödsinn bis zur vollendeten Stupidität, vom schwer verständli-

chen wortarmen Lallen bis zum vollständigen Sprachmangel, vom starken

nicht missstalteten Körper bis zum verzerrten Krüppel, vom beweglichen

starken Knochenbaue bis zum beinahe unbeweglichen deformen menschli-

cher Pflanzenthiere, das nur mehr frisst, sauft, schläft und Excremente

auswirft, hinauf oder hinabsteigt.



Aus

von Koch, Matthias 1846

Hallstatt ist der Menge von Kretins wegen gleichsam

in Verruf. Einige aus verläßlicher Quelle über die Ent-

stehungsursache des Kretinismus geschöpfte Mittheilungen

werden hier am rechten Platze sein. Eine lange Erfahrung

lehrt, daß in der gesammten Nachkommenschaft von Bürger-

familien, welche sich von jeher des Wohlstandes erfreuten,

und überhaupt von Allen, welche ihr gesichertes Auskommen

haben, keine Kretins gefunden werden. Sie kommen nur

bei der ärmsten Klasse zum Vorscheine. Da nun bei dieser

angestrengte schwere Arbeit, namentlich der Transport ver-

schiedener Bergbauerfordernisse auf den Salzberg hinauf und

der schweren Ladungen des Salzkerns herab, statt findet,

da zu dieser körperlichen Anstrengung, welcher sich auch Wei-

ber und Kinder unter allen Umständen und bis zur gänzlichen

Kräfteerschöpfung hingeben, wohl auch eine sehr dürftige

Lebensweise hinzutritt und Geist und Körper gleichmäßig nie-

dergedrückt sind, so ist die Entstehungsursache des Kretinis-

mus hier zuverläßlich Dürftigkeit und Verkümmerung des

Geistes und Leibes. Wie wahr dies ist, erhellt aus dem Um-

stande, daß nur in Hallstatt Kretins vorkommen, in Ober-

traun dagegen, wo der Salinenerwerb gar nicht besteht,

Viehzucht getrieben und eine reichlichere Nahrung genossen

wird, keine angetroffen werden. Die Kretins in Hallstatt

sind übrigens durchweg unverehelicht. Aus der Anzahl der

schulpflichtigen und schulbesuchenden Kinder entnimmt man

und schließt, daß der Kretinismus wenigstens nicht in der

Zunahme ist.




Besuch bei den Cretins.

Wie fast alljährlich, so besuchte ich auch heuer wieder meine alten, liebgewonnenen Trottel in Hallstadt. Unsere „intimen Relationen“ wurden durch die zwei Jahre so wir uns nicht gesehen in Nichts gelockert, das Wiedersehen war beiderseitig ein freudiges, den so tief auch der Geist dieser Unglücklichen umnachtet sein mag, für ein zuthunliches, freundliches ­

Entgegenkommen, bewahren sie eine Art von Empfänglichkeit, wie Erinnerung.

„Die neue Aera“ unseres Vaterlandes hat auch den Cretins eine Besserung ihres traurigen Schicksals gebracht, sie erhalten jetzt monatlich 80 kr. „Zulage.“ Der Sprecher der Trotteln — der vielleicht kürzer, als sein Ruf — bemerkte mir: „Man könnt jetzt schon damit auskommen, wenn nur die —Steuer nit wär!“ Dieß zur Beherzigung unserer „Finanz- Kommission!“




Aus:

Man muß die statistischen Tabellen des Gemeindeamtes einsehen, um sich

eine klare Vorstellung von den eigenthümlichen Verhältnissen der Bevölkerung zu machen, die unter vierzehnhundert Seelen (mit zwei Siebentel Protestanten) vierunddreißig Blödsinnige, fünf Taubstumme, vier Irrsinnige, drei Zornige, zwei Blinde und einen Krüppel zählt; man kann zugleich aus dem geringen Viehstande, der in Hallstadt elf Kühe, zwanzig Schafe, hundert Ziegen, vier- zehn Schweine, in Lahn neunundzwanzig Kühe, vierzehn Kälber, neunund- zwanzig Schafe, fünfundzwanzig Ziegen und drei Schweine umfaßt, die Be- schränkungen ermessen, welche die Arbeiter bei dem Mangel an Feld und Wiese erleiden, und wird die Klagen der Bürger über Steuerdruck gerechtfertigt finden, denen für hundert arbeitsunfähige Pfründner in den Spitälern ein erheblicher Zuschlag zu den Jahresabgaben berechnet werden muß.




Wien, den 19. Juni 1874. Ein Vater schulpflichtiger Kinder. Herr Redacteur! Wer je von Ischl nach Hallstadt und zum Waldbachstrub gekommen ist, kann den peinlichen Eindruck des Anblickes ganzer Schaaren mißgestalteter Cretins, welche erst auf dem herrlichen Kaiser-Ferdinands-Morgenzug zwischen Ischl, Laufen, dann auf dem Wege von Hallstadt zum dortigen Wasserfall Bettel treiben, nicht mehr los werden. Alljährlich hundertfach erneuerte Beschwerden vor den betref- ­ fenden Ordnungsorganen gegen diese arge Unzukömmlichkeit bleiben gänzlich erfolglos. Vielleicht wird doch etwas gethan, wenn die Or- ­ gane der öffentlichen Meinung den Uebelstand rügen.




Eine „Landplage. In mehreren Wiener Blättern finden wir eingesendet von oberösterreichischen Sommergästen, welche darüber Klage führen, daß ihnen die herrliche Gegend um Ischl und Hallstadt heuer mehr als je durch den Anblick ganzer Scharen von betteln- ­ den Kretins verleidet werde. Kein Wunder! In neuester Zeit sind eben noch jene Herren Cretins dazugekommen, welche den Concessionären der bankerotten Ischl - Ebenseer Bahn, selbst trotz der Warnungen der ehrlichen Presse, auf den Leim gegangen sind.




Aus:

Diese Wachsthumsstörung hat viel Aehnlichkeit mit den von vielen Chirurgen nach Totalexstirpation der Schilddrüse bei jugendlichen Individuen beschriebenen Wachsthumsstörungen, die unter dem Namen «Zwerghafte Idiotie» bekannt sind. Auch bei Myxödem findet sich fast immer eine Degeneration der Schilddrüse Kocher hat die Analogie zwischen Myxödem und Crelinismus hervorgehoben, indem er bei allen Cretins eine kropfige Degeneration der Schilddrüse fand. Die Haut der Cretins ist meist welk und schlaff und oft gar keine Schilddrüse nachzuweisen. Vortragender hat in Hallstadt 13 Cretins untersucht, 10 davon hatten deutliche Strumaknoten, 3 gar keine fühlbare Schilddrüse.



 

Als Kretinismus oder angeborenes Jodmangelsyndrom wird das durch eine unzureichende Wirkung von Schilddrüsenhormonen und eine durch Jodmangel verursachte Schilddrüsenunterfunktion bezeichnet.


Jod wird zur Bildung der Schilddrüsenhormone benötigt.

Diese Hormone sind von entscheidender Bedeutung für die frühkindliche Entwicklung des Gehirns.


In den neunziger Jahren des neunzehnten Jahrhunderts führte Julius Wagner-Jauregg (1857–1940) in der Steiermark grundlegende Studien über den Kretinismus durch und behandelte ihn mittels Schilddrüsenextrakten.


Um 1905 behandelte der Würzburger Psychiater Wilhelm Weygandt den endemischen Kretinismus erfolgreich mit Thyreoidin-Tabletten.



In keinem Buch des 19. Jahrhunderts über diese Krankheit wird der Schnapszuzler, oder das Wort "Rauschkind" erwähnt, auch Alkohol als Ursache nicht.


Seit 1963 wird dem Speisesalz in Österreich Jod zugesetzt.








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