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„Mensch is Mensch.“

Autorenbild: Gerhard ZaunerGerhard Zauner

Aktualisiert: 16. Apr. 2024




Susi Wallner besticht durch subtile Charakterstudien, in denen das Schicksal ‚einfacher‘, oft randständiger Menschen mit großer Empathie geschildert wird. Diese konsequente humanistische Perspektive darf trotz sporadischer nationalistischer Anflüge als das größte Verdienst ihres Schaffens betrachtet werden.

Walter Wagner auf der Webseite des Stifterhauses.



„Mensch is Mensch.“

Aus "Gestalten aus Oberösterreich." 1912

Fotos aus dem Zauner Familienalbum.


Die Einheimischen, die mit der Eigenart ihres Sees lange Jahre vertraut sind, sagen ihm böse Sturmlaunen nach; aber im Sonnenschein hält man das für Verleumdung. Da sieht er so friedlich und hellblau aus, als sei ein Stück Himmel in welliges Hügelland gefallen. In den letzteren Jahren wurden die ländlichen Häuser des lang am Ufer hingestreckten Ortes um ein paar Villen vermehrt. Er ist zur Sommerfrische vorgerückt und der heilige Christofel an der Seeseite der Kirchenmauer bekommt sommerlang eine bunte Menge müßig schaukelnder Gondeln und Segelschiffe zu sehen.





Das letzte und kleinste Haus des Ortes stellt sich am Abhang eines Kogels in den Schutz eines Buchenhages. Geranien blühen in Topfscherben vor den Fenstern und auf dem braunen Strohdach grünt die Hauswurz. Auf dem zugehörigen Grundstück gackert ein stattliches Hühnervolk und im Stalle meckern ein paar Geißen. Die Eigentümerin dieses bescheidenen Besitztumes wird als geschickte Korbflechterin gerühmt; im Taufbuche heißt sie Theresia Lackner.

Die Sommerfrischler nennen sie lachend die „Knusperhexe“.

Mit ihrem spitzigen Runzelgesicht, den eingekniffenen Lippen und den lebhaften Raubvogelaugen über der scharfen Nase könnte sie allerdings ein Maler als Modell gebrauchen. Sie geht mit vorgeneigtem Oberkörper und die eine Hüfte ist erheblich höher als die andere. Anstatt eines schwarzen Katers ist jedoch ein Neufundländer ihr Treubegleiter. Er wäre ein Prachtexemplar seiner Rasse, wenn er nicht einen steifen Hinterfuß hätte. Es gibt ein seltsames Bild, wenn die beiden einträchtig durch den Ort hinken. Die kleine häßliche Alte und der große, schöne Hund; oder wenn sie vor dem Haus beisammensitzen und sie ihm von ihren Wirtschaftssorgen erzählt, während sie Körbe flicht oder flickt. Dann sieht der „Mohrl“ nicht bloß wie ein aufmerksamer, sondern auch wie ein verständiger Zuhörer zu ihr empor. Meldet er jedoch einen Lauscher, dann bricht die Alte jäh ab und mustert den Vorübergehenden mit mißtrauischen Blicken.

„A rechte Zwiderwurz'n is,“ behaupten die Ortler, „und a ganz a B'sond're“.

Die Lacknerin sagt wieder: „Na ja, mein Mohrl kehlz'n (bellen) die Dorfhund nach und mir d' Leut. Und mit unsern Buckl reden s' allsander.“




Der Hallerbauer, Franz Hemetzberger war Besitzer des Hallerbauerngutes, der größte Bauer im Ort. Er hatte das Fuhrwerk zum Salzberg und fuhr dort jeden Tag hinauf. Nach seinem Tode setzte diese Arbeit sein Neffe Hans Hemetzberger mit Hausnamen "Haller Zehner" fort. Franz hatte keine Nachkommen. Das Fuhrwerk hörte 1942 auf, nachdem die Salzberg-Seilbahn, zunächst nur als Materialbahn, gebaut wurde.



Nun bin i mein Lebtag allen „B'sondern“ gern in die Quere gelaufen.

An der Strohflechterhütte vorbei, dem Saum seines benachbarten Buchenhages folgend, führt ein leidlich gepflegtes Straßerl den Kogel empor zur „schönen Aussicht“. Auf diesem beliebten Spaziergang habe ich unsere Knusperhere oft genug gesehen; aber es gelang mir nie mit ihr zu sprechen. Sie dankte kaum für einen freundlichen Gruß.


An einem sehr heißen Tag wollte ich von dem gewohnten Weg abweichen und knapp hinter ihrem Hause einen holperigen Richtsteig quer durch den Wald einschlagen. Da humpelte die Lacknerin in zorniger Eile aus ihrer Hütte heraus und schrie: „Ins Holz derft's net eini! Da is die alte Henn' mit ihre Singerln* (Kücken) drin. Sein eh so viel scheuch! Ös habt's eh nix z'turn als spazier'n geh'n, da versäumt's auf der Straß'n a nixi net.“


Ich wandte mich belustigt herum. „Na, na! Wann einem das höflicher g'sagt wurd', ging's in einem Mundaufmachen! Also, ich geh' nicht ins Holz, aber bloß wegen der Singerln net, Ihretwegen tut ich nix.“

Damit trollte ich mich. Wart' -- dachte ich -- Grobheit gegen Grobheit.



Kindergarten in Hallstatt während des ersten Weltkrieges. Das Haus im Hintergrund steht in der Eislgasse.

Von den Mädchen sind leider nur zwei bekannt, von rechts: Pilz, später Wirobal Milla und Hemetzberger (Tuscher) Gretl.

v.l. 1. Reihe: Gamsjäger Franz, Gschwandtner Franz, Mistelberger Gottfried im 2.Weltkrieg gefallen, Thalhammer (Natzler) Mathias, Scheutz Anton (gefallen), Fiedler Karl.

2. Reihe: Zauner Schorschl, Eigl Franz, Zauner Sepp, Kogler Otto (Ernstorfer), Wallner Paul, Scheutz Michael (gefallen), Hemetzberger Ignaz (Haller Zehner), am Salzberg abgestürzt.

3. Reihe: Roth Franz, als Kind schon gestorben, Kaiser Eduard (gefallen), Kössler Karl (gefallen), Bojanovsky Hans (gefallen), unbekannt, Eigl Otto, Pomberger Franz, als Kind gestorben, Unterberger (Zobel) Franz (gefallen), Hemetzberger (Bootsverleih) Leopold.



Am Abend begegneten wir uns im Ort, da grüßte sie mich zu meiner Überraschung mit einem mürrischen „Gut'n Abend“. Bei nächster Gelegenheit, als ich die Alte wieder in der Nähe meines Spazierweges erspähte, rief ich ihr lachend zu? „Na, Frau Mutter, darf man heut" durchs Holz oder sind die Singerln wieder drin?“

„Na, heut" net,“ rief sie zurück, „heut' könnt's auffikratsch'n meintswegen, wann eng gar a so blangt (gelüstet) drum.“

Bei meiner Rückkehr über das Straßerl saß die Alte auf der Hausbank und flickte einen zerrissenen Korb. Der wachsame Mohrl zu ihren Füßen meldete mein Herankommen: „Frau Mutter,“ gestand ich, „der Waldsteig ist steil und schlecht, den geh' ich nimmer.“

Na also,“ brummte sie, „und habt's g'moant, Ös vasamt's was.“

„Ja,“ gab ich zu, „so sind wir Menschenkinder."

„D' Viecher sein mir eh liaber,“ murselte sie.

Ich zuckte die Achseln. „Nu ja, aber Mensch ist halt Mensch.“

„Seid's Ös a so dumm“ fuhr sie mich an, „i hab' schon g'moant, Ös seid's g'scheiter."

„Mensch und Vieh soll man net vergleichen,“ warf ich ein, „so sagt man wenigstens.“




Der Bildband, "Hallstatt" von 1933, mit einer Einleitung von Friedrich Morton. Dieses Bild würde man heute aber z.B. mit "Hallstätterinnen in alten Trachten" untertiteln.



„Sagt man, sagt man,“ spottete sie nach. „Der Oan sagt's, weil's ihm taugt und die andern sagen's nachi, weil's ihna kamod is und auf dö Weis' kommen die großen Maulweisheiten z'stand, von dö ma moant : Jatzt nach der Angel draht sö d' Welt und nach oaner andern gar net.“ Sie gab dem Korb in ihrem Schoß einen unwilligen Ruck: „Mensch is Mensch? -- Ja, oder was! Da kunt' i a G'schicht' davon verzähl'n.“

„Na, so verzählt's, ich los zu, Frau Mutter.“

„I bin koan Frau Muatta,“ grollte sie mich an, „i bin a ledig's Weibsbild; d'scherwenkate (verschobene) Resl haben s' mi g'hoaß'n schon als Kind.“

„Sind's wahrscheinlich einmal unglücklich g'fallen, Lacknerin, nicht wahr?“ fragte ich teilnehmend.

„Ja, alser ganz a klaner Bamber; und is net g'acht word'n. Mei Muatta hat mi alser lediger g'habt. A arme Dirn kann kan noblichen Kostort verzahl'n, und mein Vater hat sö net umg'schaut um mich.




Wann d' Sünd' Händ" und Füaß' kriegt, nachher schrecken sö sich so viel an ihr und woll'n nix mehr seh'n und hör'n und wissen von ihr. Sie sein soviel d'moidi (g'schami) und so viel tapfer, dö braven Mannsleut'. Sö habn eh allemal netta übri-g'juhzt auf d' Alm und müssertn akrat schon die Hevang (Hebamme) verzahl'n. Ja! Bagaschi!“

Die Alte gab ihrem Korb neuerdings einen tüchtigen Puff.


„Sind Sie da im Ort aufgewachsen, Lacknerin?“ fragte ich. Ich wollte ihre Mitteilungslust beileibe nicht versickern lassen.

c

Die katholische Mädchenschule, neben dem Kindergarten, wurde von Nonnen geleitet. In der Mitte Pfarrer Dünewald. Die mit dem Pfeil, Josefa Zauner.



„Na, drentern See. Mein' Muatta hat viel später da auf die Korbflechterhütten herg'heirat, und i selm bin erst nach meiner Muatta Versterben -. Gott tröst s' die arme Haut -- daherkommen. I und ihr Mann, wir sein uns kan Liab net schuldig g'wesen und sein a danach auskommen miteinander. Na, halt recht und schlecht. Wegen dem: i bin ihm doch noch besser ang'stan als a ganz a Fremde. Jetzt, wann er nüacht (nüchtern) war, is er eh net z'wider g'wesen, aber, an Rausch wann er g'habt hat, da war net leicht Kerschenessen mit ihm; er hat oan amal z'viel Kern ins G'sicht g'schmissen.

Da hab' i nachher a allemal als z'hör'n kriagt, was net guat war: mein" ausg'fallene Hüften und daß i unsakramentalisch auf d' Welt kommen bin.

Na, weg'n den; i leg' koan Stoan auf sein Hüb'. Er hat mir aft (dann) doch 's Häusl verschrieb'n; denn wie er siri (kränklich) is word'n, war er doch kreuzfroh um mich, weil er sich soviel g'fürcht' hat vor'n Allanisterbn. Und 's Korbflechten hat er mir a glernt. Brauch i alser alter doch nimmer bei die Bauernschädeln tagwerkern. Dö hab' i mir a guating kennen g'lernt, derweil i bei ihna dient hab'. Denn zur Arbeit haben s' mich schon als a bluatjung's Dirndl eing'spannt. Ah ja! Da hat kan's g'sagt, wie beim Kirchtagtanz: „Bist ja scherwenkert, Resl, kannst ja net mittan.“ O Gott! was hab' i mich oft awi derflennt und derkreuzigt, wann die ander'n ihrer Lustbarkeit nach sein und i bin allan verblieben in mein' Krüppelwinkel und hab' an die Finger zuzeln können. Und wann s' nachher meine roten Augen derseh'n hab'n, nachher haben s' g'lacht und hab'n Spottliad'ln g'sung'n auf mi. Und wann i springgiftig word'n bin aus lauter hamlichen Loadwesen, dann bin i der Wildling g'wesen und sie die Unschuldigen. Nu mein! Warst halt net scherweankert word'n.“ Sie schlug sich selber derb auf die Brust. „Kreuzsakra! Ja, hab' i mi g'macht? -- -- --- Na, na, Mohrl, i grein eh net mit dir,“ wandte sie sich begütigend an den Hund, der ihr halb erschreckt, halb schmeichelnd die breite Tatze in den Shoß legte.

„Ein schönes Tier,“ lobte ich.


Neben Haller Lies steht ihr Mann Isidor Engl.




„Ja, völlig z'schön für mi, net? Er hat eh ehnder einer fürnehmen gnä" Frau g'hört. Die war so noblich, daß net amal allein spazier'n geh'n hat können, hat ihr allemal der Bediente dabei helfen müssen. Und ihren Cäsar --- ehnder hat er so g'heißen, aber

jetzt bist mein Mohrl, gal? -- den hat s' grad so pfanzig äußerl g'führt, als wie ihre Federnhüt' und ihre sündteuren Klader. Daherg'stieg'n is ja doch wie a rauchfuaßeter Tauber. Wie sich aber der Mohrl amal mit an Glasscherben so schiach g'schnitten hat, daß 's Haxl steif blieben is, da hat er s' auf amal nimmer g'freut. Weg hat er müss'n, wie ihre Kladeln, wann s' nimmer ganz wie neu herg'schaut hab'n. Pfui, das schieche Viech -- hat s' g'sagt und kurz und gut, sie mag ihn nimmer -- hat s' g'sagt -- weil er a ihrig's „G'fühl“, i was nimmer, das welche, beleidingt. Na, da hab' i mir den Mohrl kauft um meine notigen Gulden. War's g'wesen wie der wöll, auslassen hätt' i ihn net, weil i ihm net vergessen kann, was er gut's tan hat an mir.

Wie habt's g'sagt? Mensch is Mensch? Ja Schnecken! Wann i mi auf das Sprüchl verlassen hätt' müssen, hätten mi a schon längst d' Fisch g'fressen !“


„Um Gottes willen! Erzählen S' doch, Lacknerin.“

„Ja, tua i a. Schon deswegen, damits mi künftig mit die großen Maulweisheiten in Ruah laßts. Vor drei Jahren is g'wesen, da hat mi in meiner Pletten a Wetterwind mitten am See derwischt. So schnell war er da und so grimmig is er eing'fall'n, daß i mir denkt hab': So Resl -- hab' i mir denkt jezt holt di der Teufel. Weg'n den hab' i mi doch noch a guats Stückl durchg'arbeit. Leicht hab i mi nit derwischen lassen woll'n. Wann ma den ersten G'walt besteht, kanns oan ja doch a wieder glücken. Aber auf amal bricht mirs Ruder, i krieg 's Überg'wicht und fall ins Wasser. Am Ufer sein d' Leut' z'sammg'rennt, aber ausg'holt hat mi neamt. Ah na! Is ja der See z' hoch ganger und i hab' kan Hunderter ausbieten können, wie vorig's Jahr der reich' Sommerfrischler für sein Buam. Damals hab'n --- a bei so an Wind und Wetter – a paar Burschen schon Kurasche kriegt zum Aushol'n. Bei mir net. Weil Mensch Mensch is!

Gib die Resl -- haben's g'schrien -- wir beten schon für di!

Brave Leut"! 's Beten is a fromm's Werk und ma riskirt nixi dabei.“


Sie faßte plötzlich den Kopf des Hundes mit beiden Händen und drückte ihn zärtlich an ihre Brust. Der da is eini um mi, an den hab' i mi ang'halten in meiner großen Not. Damalen war er noch der schöne Cäsar und sein' nobliche Frau hätt' mir, wie alle andern'n, dersaufen zuag'schaut, weil man so was untressant's (Interessantes) net alle Tag' sehen kann. A paar Wochen später hat sich d' scherweankerte Resl den scherweankerten Mohrl g'holt und hat ihn pflegt und g'hatscherlt wie a krank's Kind, das um sein Muatta weillangt (sehnsüchtig trauert). 'S nobliche Halsband und den noblichen Nam' haben wir in der Villa lassen. Und wie die Gnädige im Sommer wiederkommen is, da hat mein Mohrl den Stolzen g' macht, weil er an Charakter hat. Ja, den hat er. Geht's awi in Ort und suchts ein' Menschen, der so viel aufweisen kann, wie er. Gehts nur zua!

Und wann's bei Tag kan' find's, i leich enk mein' Latern'!“


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