13. September 1920
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Spaziergang in Hallstatt.
Von Hermann Menkes.
Es ist wie vor zehn Jahren noch derselbe "Kommandant" des Dampfbootes, das von dem einen zum andern Ufer die Ueberfahrt nach Hallstatt besorgt, aber das Fahrzeug erscheint seiner Primitivität noch älter als sein Leiter.
Es ist eigentlich eine beängstigende Wahrnehmung, daß diese Kiste von einem Schiff für die kurze Fahrt so und so viel Rettungsgürtel mitführt, um eine Katastrophe zu mildern.
Drohend genug sieht der wolkenschwere Himmel aus, der sich über dem nachtschwarzen See wölbt, wie abwehrend die Bergkette mit ihren, nordisch düsteren Formationen.
Es ist als ob eine norwegische Landschaft mit all ihrer phantastischen Düsternis sich in die lieblichen Idyllen des Salzkammergutes verirrte, ein Stück Urwelt in heitere Täler und ein sonst mild warmes Klima.
Man erschrickt beim Wiedersehen über das phantastische Bild, das diese Landschaft bietet, über diese Ansiedlung auf schmälstem Rand und fast unwirklich erschelnt diese jäh zu den Höhen emporsteigende uralte Menschenansiedlung, wo die Häuser übereinander gelagert sind und zu einem Himmel emporzuklettern scheinen, der wie eine schwarze Glocke sich über dräuende Zacken wölbt.
Hoch oben noch ragt eines der beiden Gotteshäuser und von da auch schickt der Mühlbach seine rauschenden Sturzwellen herunter zu den mühseligen Menschen, die hier ihre engste Heimat gesucht.
Uralt ist dieses Städtchen am See und man muß nicht erst das Hallstätter Museum aufsuchen, um von der fernsten Vergangenheit angerufen zu werden. Wie mit Geisterstimme raunt es von versunkenem Leben in den so schmalen Gäßchen von Hallstatt. Aus den alten Brunnen tönt's und Inschriften erzählen von Jahrhunderte alten Geschehnissen. Du vernimmst diese Mären, denn es ist eine stille Stadt, die Menschen wortkarg und wie in hilfloser Demut.
Böcklins „Toteninsel" ist hier zur Wirklichkeit geworden und an dem schon herbstlichen Sommernachmittag ist hier nichts von dem heiter sorglosen Treiben, von dem das ganze Salzkammergut festlich erfüllt ist.
Die Menschen hier sind wie diese Landschaft, durch die man wie über uralte Grabstädten geht.
Es ist harter, steriler Boden, auf dem sie wohnen, ein schmaler Lebensrand, auf dem kein Halm gedeiht, selten eine Frucht. Monatelang meidet das Sonnenlicht diesen Winkel, zu dem die Atmosphäre von Gletschern und Eishöhlen dringt, und es klingt wie eine nordische Sage, daß vor 20.000 Jahren schon Menschen dieses harte weiße Eiland am dunklen See zu einer Ansiedlung sich ausgesucht. Man hat ja Spuren und Dinge dieser prähistorischen Menschenexistenz im Innern des Hallstätter Salzbergs längst gefunden.
Wandert man durch diese Bergeinsamkeiten, so glaubt man Stimmen dieses in Tiefen versunkenen Urlebens noch letzt zu vernehmen. Im Hallstätter Museum offenbart sich diese verschollene primitive Welt in tausend Ueberresten.
Nur wenig gemildert scheint auch jetzt die Härte des Hallstätter Daseins.
Die Gesichter der Einwohner erzählen von der jetzt doppelten Not, von Entbehren und Darben.
Die Basedowsche Krankheit ist hier eine häufige lokale Erscheinung.
Still und wie in einer tiefen Demut sieht man die Leute zwischen engen Gäßchen dahinschleichen. Kinder, früh verblühte oder von der Krankheit entstellte Frauen sind mit Gefäßen vor der Milchverteilungsstelle angesammelt und harren wortlos und geduldig, bis die dürftige Ration ihnen zugeteilt wird. Es mangelt an allem. Trotzdem ist nichts von Verdrossenheit und Auflehnung zu merken. Sie haben freundlichen Gruß für den Fremden, hilfsbereite Güte. Stumm flehen dich greise Bettler an, - die wie alttestamentarische Gestalten anmuten.
Abenddämmerung hat sich im Wandern inzwischen herab gesenkt, in der die düstere Schönheit der Landschaft noch majestätischer und phantastischer erscheint. Man empfindet Novemberschauer. Die letzten Gäste am Strand haben sich in die schönen Säle des Hotel Kainz geflüchtet. Immer leiser schlagen die Seewellen ans Ufer. Der letzte Dampfer ist angelangt und harrt, in Dunkelheit versinkend, auf die neue Ausfahrt in der Morgenfrühe. In einem Boot sitzt eine einsame helle Frauengestalt, die sich zu nächtlich romantischer Fahrt über den See rüstet. Ein Trupp von Bergsteigern, zwei Frauen in Männertracht an seiner Spitze, kommt müde singend von den Bergen herum für einige Augenblicke Rast zu halten, bis mit dem Aufstieg zum Dachstein begonnen werden kann. Das wird eine Nacht der Gefahren und eines frohgemuten Bergabenteuers werden.
Man schauert in der Kälte des Hotelzimmers, aus den Gliedern will die Erstarrung nicht weichen und im Einschlummern kommt mir der beängstigende Traum, in der grandiosen Hallstätter Eishöhle eingebettet zu liegen.
Eine helle Frauenstimme weckt mich aus dieser Vision und ich werde dieser nächtlichen Ruhestörung aus dem angrenzenden Zimmer froh. Es ist ein Lachen und Kichern, ein Ausstrahlen von Ferien- und Sommerglück und ich lausche den anmutigen Schritten dieser schönen Unbekannten, dem Wohllaut ihrer Stimme, die mit dem Geliebten sich auseinandersetzt. Vielleicht daß ein Maupassantsches Reiseabenteuer sich im Zimmer nebenan abspielt. Ich sinne nach, wer die schöne Unbekannte sein mag, die meine nächtliche Einsamkeit mit Lebenswärme und Wohlklang erfüllt, über die Glückliche und Beglückende, die mir Menschennähe bietet, den Duft von Frauenanmut.
Fahl kündigt ein neuer Tag sich an.
Wird er sich aufhellen, wird königliches Sonnenlicht über diese düster strengen Bergriesen sich ausbreiten? Die Abfahrtsstelle ist , voll von lärmenden Touristen. Der alte Ferge trägt eine handvoll Kohle nach der anderen ins Innere seines Miniaturdampsers, aus dessen Kamin dünner, bläulicher Rauch wie aus einer Pfeife dringt.
Ich wandere am frühen Morgen am schmalen Rand der weit sich hinziehenden schmalen Bergstraße dem lieblichen Gosau zu. Hervorbrechende Sonnenlichter zeigen mir die unsagbare, einzige Schönheit dieses Naturbildes, seine grandiose Gewalt und Phantastik. Diese Stille ist beglückend, nervenstärkend die würzige, noch etwas rauhe Brise vom See, der jedesmal sein Gesicht und seine tiefen Farben wechselt, und ich begreife wüten in dieser Schönheit, daß die Menschen hier trotz der harten Not ausharren, ja daß schon vor so vielen tausend Jahren gerade an diesem Punkt zwischen Bergmassiven und Gewässern fremdes Volk zu erster Ansiedlung sich niederließ.
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