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Staatsarbeiter und Hausindustrie im Salzkammergut.

Autorenbild: Gerhard ZaunerGerhard Zauner






Dies ist eine kurze Kostprobe der Reportage von

Wilhelm Wiener

(Pseudonym von Minna Kautsky) aus:

Die Neue Zeit / Stuttgart

3.Jahrgang 1885.





Diese Salzarbeiter, die die Woche hindurch angestrengt arbeiten, kennen keinen größeren Genuß, als hie und da eine Partie auf den Plassen oder den Dachstein zu unternehmen. Immer streifen sie des Sonntags im Gebirg herum und achten dann auf jedes Vorkommniß in der Natur; sie kennen jeden Laut und jeden Schrei, der im Walde ertönt, und jede Blume der Gebirgsflora, der das Volk selbst den Namen gegeben. Sie pflücken sie mit der Wurzel und tragen sie stundenweit, wohlachtend, daß ihnen auch nicht eine Blüthe verloren gehe.

Die Liebe und Sorgfalt für Blumen ist überhaupt karakteristisch für die Gebirgsbewohner.

Sie stellen sie in ihre Stuben, füllen ihre kleinen Fensterchen damit aus; sie pflanzen sie, wo sie nur ein Stückchen Grund ihr eigen nennen.


Den Fremden gegenüber zeigten sich diese Menschen freundlich und zuthunlich, ohne jegliches Mißtrauen. Niemand dachte noch daran, von Fremden Gewinn zu ziehen, im Gegentheil, großherzig und dienstbeflissen von Natur, suchte jeder von ihnen ihm den Aufenthalt unter ihnen lieb und behaglich zu machen. Man bot ihm eine Frucht von dem Baume, den man selbst gezogen, ein Stück Roggenbrot, das im Hause gebacken, ein Glas Milch von der Ziege, die auf freier Weide gefüttert ward, und man war glücklich, daß man etwas besaß und etwas zu geben hatte.


Diejenigen, die gezwungen waren, sich ihre Dienste bezahlen zu lassen, waren doch nicht dazu zu bringen, den Preis dafür selbst zu bestimmen. Sie nahmen das Geld mit einer gewissen Verschämtheit, mit innerlichem Widerstreben. Stets suchten sie mit einer Kleinigkeit, und wäre es auch nur eine seltene Blume gewesen, ein Gegengeschenk zu machen, um ihre Dankbarkeit zu bekunden. Diese Feinfühligkeit ist auch heutzutage noch in den versteckteren Ortschaften häufig anzutreffen.

Schlösser an den Thüren sind eine Einführung neuesten Datums, früher waren sie selbst bei den Begüterten nicht bekannt.

Die Zimmer und Hausthüren blieben am Tage stets offen, des Nachts schob man einen hölzernen Riegel vor, der heute noch fast überall sammt dem Klopfer an den Hausthüren ersichtlich ist. Man hatte keine Diebe und Strolche zu fürchten, und der Fremde gewöhnte sich bald an die gleiche Sorglosigkeit.


Es war eine Idylle mit dem ganzen Zauber des urwüchsigen Volkslebens, die der Fremde in diesen abgelegenen Thälern antraf. Aber nicht lange, und die Idylle ward in die Bewegung der Geschichte hineingeworfen. Die Völkerwanderung hatte einst bis an die Ufer der Seen des Salzkammergutes ihre Wellen geschlagen: jetzt kam eine zweite, noch mächtigere Bewegung, eine Bewegung, die sowohl am Anfang, wie an umwälzender Bedeutung die Völkerwanderung weit hinter sich läßt: die Entwicklung des Kapitalismus.


 

Heute durchzieht ein Netz von Bahnen diese herrlichen Gebirgsthäler und an den aufsteigenden Seeufern pustet die Lokomotive vorüber und löst das Problem, am Saarstein und Sonnenstein vorbeizukommen, indem sie in diese Berge hineinfährt.

Es ist eine enorme, jährlich anwachsende Zahl von Vergnügungszüglern und Sommerfrischlern, welche hier vorübergehenden Aufenthalt nimmt, und eine nicht kleine Anzahl solcher, welche auf ihren mit allem Komfort eingerichteten Landsitzen bis in den Winter hinein verweilen.

Das Salzkammergut ist in die Mode gekommen.

Der ganze Segen der Zivilisation ist diesen Hinterwäldlern aufgegangen!

In Gmunden, Ischl, Hallstatt, Aussee und Goisern sind nun großartige Hotels erbaut und Kuranstalten gegründet. Auf allen hervorragenden Aussichtspunkten erheben sich Hotels und Villen, oft schloßartige Gebäude, dessen herrliche Parks sich über hundert Joch Landes erstrecken.

An den Seeufern, namentlich an denen des Traunsees, reiht sich Villa an Villa, deren Gärten bis an das Wasser reichen. Das morsche Gerümpel zahlreicher Hütten und Hüttchen, in denen Schiffer und Fischer ihre Boote und Netze bergen, ist weggerissen, um eleganten Schiffhütten Platz zu machen; hier und da finden sich künstlerisch angelegte Häfen, hinter deren Damm eine kleine Flotille von Ruder-, Segel- und Dampfbooten stationirt, in denen sich nun die jeunesse doreè auf dem See herumtummelt.


Auch die umfangreichen Netze, die zum Trocknen aufgespannt, einst die Ufer säumten, sind verschwunden; die zahlreichen Fischer des Traunsees hatten zwar ihre verbrieften Rechte und haben sie noch, sie haben auch ihre Häuschen; aber diese waren, des Hochwassers wegen, vom Ufer entfernt errichtet worden. Die ansehnliche Fläche, die sie von diesem trennt, war niemals ihr Eigenthum gewesen, aber man hatte es hier mit Grund und Boden nicht so genau genommen.

Die guten Leutchen hatten sich über das ganze Terrain als Herren gefühlt, ihre Kähne herangezogen, ihre Netze aufgespannt, ihre Fische geputzt und dieselben über der Holzkohle, die zwischen zwei Backsteinen glühte, sofort gebraten, wobei sie mit einem raschgeschwungenen hölzernen Fächer die Hitze milderten und gleichmäßig vertheilten.


Niemand hatte sie in der Ausübung ihres Berufes gestört. Jetzt aber wurden diese Uferplätze parzellenweise verkauft und unsere Fischer sahen sich plötzlich vom Wasser ausgeschlossen.

Mancher Besitzer gewährte ihnen vorläufig noch ein Stückchen Seeufer zu Benützung, andere führten ihnen vor der Nase eine Mauer auf, mit der sie ihr Besitzthum umgaben, in einem dritten Fall gelang es dem Fischer mit Bitten und Geld, zwischen den Einfriedungen zweier Nachbarvillen ein schmales, meter-breites Gäßchen zu erringen, welches einen Schiebekarren durchließ und ihm den Weg zum Wasser und zu seinem Fischbehälter offen läßt.


Ein Theil des Seeufers ist zu Promenaden (Esplanade) verwendet, wo der Reichthum aus aller Herren Länder sich ein Stelldichein gegeben. Ein großartiger, in seinem Dünkel und in seiner Aufdringlichkeit geradezu widerwärtiger Luxus macht sich hier breit.


Alle Prätensionen zu denen diese Emporkömmlinge sich berechtigt glauben, werden hier gleichsam affichirt, äußerlich angeheftet und zur Schau getragen. Man mustert sich gegenseitig und bewerthet sich danach.

Die hohe Aristokratie hält sich von diesem Treiben fern und verbleibt in ihren Villen; nur des Abends sieht man sie in ihren eleganten Karossen, oft vierspännig eine Spazierfahrt unternehmen.


Die Kavaliere jagen oder unternehmen Partien ins Gebirge. Ungeheure Walddistrikte sind ihr Eigenthum geworden und ihnen, die alles verkostet, ist es eine pikante Neuheit, in den unwirthbarsten Einöden Tage und Wochen zu verbringen. Auf Maulthieren wird dann das „unumgänglich Nothwendigste“, eine ganze Küche mit dem Koch, Badewannen aus Kautschuck ec. mitgenommen, und man läßt sich in einer Alpenhütte, deren Inneres ihre frühere Bestimmung nicht mehr errathen läßt, häuslich nieder.


Der Ankauf großer Grundkomplexe von Wald und Weideland schreitet unaufhaltsam vorwärts (in diesem Sommer wurde der ganze Hohe-Priel, ein ausgedehnter Gebirgszug, an einem Millionär verkauft). In der einzigen Gemeinde Gmunden hat sich denn auch seit einigen Jahren der Viehstand um 1000 Stück Kühe vermindert.

Leider wird auch das fruchtbarste Ackerland dahingegeben. Die Bauern verkaufen eine Wirthschaft nach der anderen, theils freiwillig, weil sie gut bezahlt werden, theils weil sie vor Wucherschulden sich nicht länger zu halten vermögen. Großbauern gibt es hier absolut keine mehr.Diejenigen, die noch etwas Vieh besitzen, lassen sich von den immer steigenden Marktpreisen täuschen, die sie ihre eigenen Waaren besser verwerthen lassen. Die Kurzsichtigen berechnen nicht, daß die heimische Produktion so gering ist, und daß sie für die gute Waare, die sie den Fremden verkaufen, nur erbärmliche Surrogate eintauschen, denn Fleisch und unverfälschte Milch und Butter sind ihnen selbst bereits unerschwinglich geworden.


Es sind enorme Quantitäten von Lebensmitteln, die auf den Märkten von Gmunden und Aussee zum Verkaufe gelangen; sie haben für gefräßige Magen zu sorgen, Eßkünstlern das Futter zureichen. Wien liefert hierzu das meiste. Alle großen Hotels und herrschaftlichen Küchen beziehen z.B. das Fleisch aus der Residenz, da nur dort die gewünschte Qualität der Mastochsen zu erhalten ist; das gemästete Geflügel kommt aus der Steiermark, Obst und Gemüse aus Ober-Italien.

Da hier reiche Leute in Konkurrenz treten, die bezahlen können, so sind die Preise enorm.

Auf diesen Märkten kaufen nur eine Anzahl Zwischenhändler die Lebensmittel für alle Ortschaften des Salzkammergutes, und die Aermsten müssen nicht nur diese Preissteigerung mitmachen, die Preise erhöhen sich für sie noch besonders, wenngleich sie mit den geringsten und schlechtesten Sorten vorlieb nehmen müssen.Wenn sie vor einigen Jahren die Maß gute Milch mit 6 kr. bezahlten, so zahlen sie heute für den Liter abgeschöpfte Milch 10 kr. Ein Pfund Butter kostete 25 kr., heute 60 kr., 1 Metze Kartoffeln 50 kr., heute 2 fl., also das Vierfache.

Die Besitzlosen, die Arbeiter, stehen dieser Vertheuerung der nothwendigsten Lebensmittel hilflos und verzweifelt gegenüber.

Ihre Löhne haben sich nicht nur nicht entsprechend erhöht, sie sind vielfach gesunken, wie das Beispiel der Hausindustrie beweist. Das Elend steigt mit jedem Jahr in denselben Maße, als der Zuzug der Fremden wächst, von dem nur die Kapitalisten, die Hoteliers, die Händler Vortheil ziehen. Und es gibt keine Möglichkeit, dem Elend zu entrinnen, keine Aussicht, als dasselbe zu verlängern, dadurch, daß man die Arbeitszeit ins Maßlose ausdehnt.


Und man muß sie gesehen haben, diese Arbeiter, um die ganze Summe ihres Elends ermessen zu können. Alle Glieder der Familie findet man da in einer Stube zusammengepfercht, die stets überheizt ist, auch in den heißesten Sommertagen, weil es das Handwerk mit sich bringt. Die blassen verkommenen Gestalten sind in Lumpen gehüllt. Mit gekrümmtem Rücken über ihre Arbeit gebeugt, sind sie gezwungen, sich eine vierzehn- und mehrstündige Arbeitszeit aufzulegen, und müssen sich dabei von ihren Kindern unterstützen lassen, von diesen kleinen, kränklichen Wesen, die seit ihrer Geburt der Hunger unterminirt. Unverrückt bleiben sie an diese Arbeit gefesselt, die so monoton, so geisttödtend und so verachtet ist.


Sie fühlen das, sie erkennen sich in ihrer ganzen Armseligkeit; sie wissen; daß sie für die heutige Gesellschaft nichts von Werth zu schaffen vermögen, daß ihr Untergang keinen Verlust bedeuten bedeuten würde, und diese Erkentniß drückt sie vollends darnieder. Aber mit fatalistischer Ergebenheit, in einer Hilflosigkeit, die an allem verzweifelt, fabriziren sie ihre Löffel und Schachteln, ihre Rössel und Rosenkränze immer so fort, nach alter hundertjähriger Gepflogenheit und vergeuden daran die Kraft ihrer Muskeln, die Gesundheit ihrer Kinder.


Wohl sieht da einmal Einer von der Arbeit auf, wen die eleganten Equipagen an seinem Fenster vorüberjagen, mit jenen geputzten Menschen besetzt, die hierher kommen, um in der erfrischenden Luft der Berge ihre Genußfähigkeit zu steigern, oder aufs neue zu beleben, wenn sie nachzulassen droht. Er sieht ihnen nach und muß sein Elend doppelt empfinden, und muß empfinden, daß er es nicht verdient hat.


Er kennt jetzt den Reichthum; und was der Luxus schafft, hat er täglich vor Augen. Und sie, die alles haben, sie sind gekommen, um ihm das Einzige, das Letzte zu rauben, das ihm noch Freude und Erholung gebracht, die Natur. Für ihn ist ihre Schönheit nicht mehr vorhanden. Soll er sich in seinen Lumpen unter Jene mischen, um sie zu genießen? Dazu fehlt ihm der leichte Sinn‘, die Genialität des Südländers.

Er meidet die Promenaden und Anlagen, er wagt es nicht, im Gehölze umherzuwandeln, wo die Tafeln „Privatbesitz“ ihn überall zurückschrecken; er schleicht hinter den kahlen Mauern umher, die allerorten die Besitzungen umsäumen, und lagert sich im Staube, den die Equipagen emporwirbeln.

Besitzt er noch einen Rest von Eigenthum, so ist er einzig von der edlen Gier beherrscht, dies letzte zu veräußern. Die saftige und edle Aprikose, die an der Holzwand seiner Hütte reift, die Blume, die in dem winzigen Gärtchen ihm erblüht ist, er pflückt sie, um sie den Fremden zu verkaufen. Die Beeren, welche die Kleinsten in entfernten Schlägen gesucht, und die sie sonst mit so fröhlichem Behagen selbst verzehrt, sie werden hingegeben den Fremden.


Eine Stube, wenn sie nicht einem Stalle gleicht, sein Bett, sein Herd, alles, alles vermiethet er an Fremde; er hat ja nichts zu kochen, und er schläft mit den Seinigen auf dem Stroh.

So berauben diese Armen ihr Leben um das Letzte, was ihnen noch Behagen geschafft, so geben sie den Rest von Poesie und Würde dahin, degradiren sich selbst und schicken ihre Kinder auf den Bettel.


Und das bezeichnet man als die Segnungen der Kultur!

In diesen primitiven Gemeinden, die durch ihre Abgeschlossenheit und Genügsamkeit hinter ihrer Zeit zurückgeblieben sind, die in einer Weise produziren, wie sie nur bei urwüchsigen Völkern üblich ist, die bis vor kurzem an Naturalleistungen gewöhnt waren, brachte der Kapitalismus, der sie so plötzlich überfiel, eine vernichtende Wirkung hervor.

Sie gehen an ihm zu Grunde, wie alle Naturvölker.


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