Aus der Agramer Zeitung, 4. Januar 1907
Eine Hallstätter Tragödie.
Von I. Milko.
Die Gegend von Hallstatt macht gar keinen heiteren Eindruck. Daß sie aber trotzdem von Tausenden und Tausenden besucht wird, kann sie nur einer Eigentümlichkeit verdanken. Wie es deren in ganz Europa ihres Gleichen nicht gibt.
Man kann sich keine größere Wohnungsnot denken, als sie hier herrscht, am romantischesten Punkte der oberösterreichischen Seen. Jeden Fußbreit Erde konnte man nur mit größter Mühe dem See abringen, indem man in den Grund desselben Steine schüttete und dann so eine feste Basis für die Bauten schuf. Hier vermehrt sich die Einwohnerschaft seit Jahrhunderten beinahe gar nicht. Wenn ein neuer Erdenpilzer das Licht der Welt erblickt, muß ein früherer sterben oder fortziehen, denn mehr Platz kann man dem See schon nicht mehr rauben.
Selbst Bädecker, die verkörperte Prosa, selbst dieser Bädecker gebraucht einen poetischen Ausdruck, wenn er Hallstatt erwähnt; er sagt:
„Die Häuser seien hier wie Schwalbennester an die Mauern des Salzberges angeschmiegt."
Es ist ein Ort für Atheisten und Gottesläugner.
In unserer Stimmung kann der Mensch höchstens wenige Tage an diesem Orte der düstersten Melancholie verweilen. Ich wollte um keinen Preis der Welt in diesem Häusermeer wohnen, wo die Häuser übereinander gebaut sind und den Mangel städtischer Straßen schmale Steintreppen vertreten. Welch komisch - trauriger Verkehr! Von manchen Häusern kann der Bewohner nur so auf die „Straße" gelangen, daß er einige Treppen aufwärts steigt. Es giebt auch Gebäude, welche von links gesehen Kellerwohnungen, von rechts Dachkämmerchen gleichen. Und der Turm, dessen Turmspitze in gleicher Höhe mit dem Parterre jedes Hauses steht!
Nachdem es keine Straßen hat, gleicht es der Lagunenstadt. In Hallstadt hört man kein Peitschenknallen, man sieht keine Wagen, noch Pferde. Nur hie und da gewahrt man wenige Esel, und selbst diese spazieren bloß als Gäste umher, gewöhnlich kommen sie aus Ischl, sind modisch aufgeputzt, stammen aus guter Familie, gucken in jedes Haus hinein, machen geistreiche Bemerkungen, und verraten nur dem Eingeweihten, welcher Tierfamilie sie entsprossen. Und die guten Hallstädter Kretins glauben, daß alle Stadtherren so sind, und bewundern sie voll frommen Staunens, danken mit stotternder Zunge für die ihnen mit grand seigneurhafter Herablassung zugeworfenen Kupfermünzen. Und es wäre geratener, wenn sie anstatt dessen freundschaftlich vor die armen Hallstädter Kretins treten würden, und ihnen sagten:
Lieber Kollege! Hier ist eine Münze, trinken Sie darum Apfelmost oder Weißbier auf meine Gesundheit. Wäre ich nicht im dreistockhohen Palaste meines Vaters am Schottenringe geboren, säße ich hier mit Euch auf der Kirchenschwelle, und bäte um Almosen von den Vorübergehenden. Wenn ich jedoch auch ein Wiener Hausherr und Badegast von Ischl bin, fühlte ich, daß wir gleich sind, und liebe Euch deshalb, wie teure Geschwister!
Diese Stadt ist voll von bedauernswerten Halbmenschen.
Eine rechte Welt von Kretins, wo man nur wenige kräftige Gestalten sieht. Diese Unglücklichen entbehren Monate hindurch dasjenige, was Schönste und Glänzenste auf der Welt ist: Das Tageslicht!
Ist es denn da ein Wunder, wenn sie moralisch und physisch verkümmern?
Welch ein Elend!
Beinahe unglaublich scheints, daß hier einst eine Herrscherin gelebt, Albrecht 1. Witwe Elisabeth. Was tat wohl die gute Frau die ganzen langen acht Monate, da sie die Sonne nicht sehen konnte, und nicht der winzigste Sonnenstrahl ihr gekröntes Haupt beschien? Sie mußte sich sehr langweilen, denn damals gab es noch keine Ischler Badegäste, die bei Gelegenheit ihrer Ausflüge nach Hallstadt sie mit Esplanade-Klatsch und Hofgeschichten unterhalten hätten. Hatte sie die Kaiserkrone vom traurigen Einflusse dieses Klima bewahrt? Kaum wahrscheinlich. Ich glaube daß sie in ihren letzten Lebensjahren aus den Stock gelehnt, gebeugt am Seeufer einhertrippelte, geistig verkümmert, mit einem großen Kropfe am Halse.
Gegenwärtig lebt auch ein Sonderling auf dem kleinen Fleckchen Erde gegenüber der Stadt, zu Füßen des Saarsteins. Ein menschenfeindlicher Engländer hat sich dort zurückgezogen, und hält jedermann in Schußweite von seinem traurigen Tusculum. Er will von Niemand Etwas wissen, und betritt selbst das Dampfschiff des Sees nicht, er gebraucht seinen eigenen Kahn als Verkehrsmittel. Dieser neue Robinson mußte wohl großes Leid von Menschen erfahren haben, daß er sich hier niebergelassen hat. Ich könnte niemals mit der Welt in solchen Zwiespalt geraten, daß ich hier wohnen käme.
Auf der Terrasse des Hotels Seeauer mit der Aussicht auf den See, saßen wir bei duftendem Kaffee und spotteten mit erzwungener guter Laune unsere Ischler Bekannten, aus deren Kreise wir auf einen Tag hergereist.
— Mirzl, die freundliche Kellnerin, wandte sich an uns mit der Frage:
— Möchten die Herrschaften nicht ein Stündchen Kahn fahren?
Sie sah, daß wir einer Unterhaltung bedurften. Die kleine Berliner Blonde klatschte erfreut
in die Hände, und rief frohlockend aus:
—- Ja, ja, wir wollen im Kahne fahren?
—- Giebt es denn kein Gewitter? — fragte ängstlich ihre Mutter, die Frau Rat.
(Die in Ischl weilenden Deutschen sind alle Räte und Rätinnen. Das ist eine gesellschaftliche Stellung im Auslande.)
—- Heute nicht, — beruhigte uns Mirzl. —-
Ich würde es im Voraus fühlen, und Martin ist auch ein geschickter Mensch: nicht so unbeholfen, wie die Übrigen. Ihm können Sie sich getrost anvertrauen.
Die blonde Hedwig freute sich wie ein Kind. Sie hätte sich auch dann gefreut, wenn uns ein Gewitter überrascht.
Wir nahmen Platz in Martins Nachen. Ein traurig erhabenes Schauspiel bot diese unfruchtbare Gebirgsgegend mit ihren himmelanstebenden Gipfeln. Und dazu dieses geheimnisvoll tiefe Wasser, dessen Grund gewiß mit Geheimnissen gepflastert, wie Fräulein Hedwig mit ihrem gewohnten liebenswürdigen Esprit bemerkte. Es war ein warmer Sommertag, doch die Frau hüllte sich trotzdem in ihren Mantel, als störe es.
—- Auf diesem See ist es immer kalt, — sagte sie. Ihre Tochter lachte nur, sie fühlte sich wohl am Wasser. Martin handhabte die Ruder in der Tat mit Geschicklichkeit, und schien mit mehr Geist begabt zu sein, als die übrigen Bergbewohner. Er war ein kräftiger Bursche, eine Seltenheit unter der elenden Bevölkerung und aus seinen Augen strahlte einiges Verständnis. Sein Antlitz trug jedoch einen düsteren Ausdruck, welcher darauf deutete, er habe einen geheimen Kummer.
Hedwig fand ihn sogleich sehr interessant und begann mit ihm zu sprechen. — Erzählen Sie uns eine Hallstädter Geschichte! — bat sie. Martin dachte nach. — Eine Sage, oder eine wahre Geschichte? — fragte er dann. — Eine wahre Geschichte! — rief Hedwig. — Also — begann Martin. Wir lauschten auf merksam. — Vor vier Jahren hielt man Liesl Ringhuber für das schönste Mädchen in ganz Hallstadt. Doch nicht nur hier, sondern in der ganzen Gegend gab es nicht ihres Gleichen. Man sprach davon, daß Peter Grundl sie heiraten werde, der einer der wohlhabendsten Burschen war. Er war der beste Ruderer am ganzen See: in Obertraun hatte er Haus und Garten, in Hallstatt dagegen drei schöne Nachen. Einen derselben ruderte er selbst, derselbe, worin wir jetzt fahren. Einmal mußte er in Erbschaftsangelegenheiten nach Gilgen fahren, wo er einen ganzen Monat blieb. Dann war das Unglück da. Und der Erzähler seufzte tief auf. — Ein Unglück? — fragte Hedwig, die seinen Worten mit großer Aüfmerksamkeit gefolgt war, — welch ein Unglück? — Ein langhaariger, junger Mann, liebes Fräulein — — .Kaum war Peter abgereist, kam ein Kavalier aus dem Auslande, und zog in den „grünen Baum", in jenes Gasthaus, wo Liesl Kellnerin war. Er sagte, er sei Maler, und wolle die Gegend malen. Allein, man sah ihn öfter mit Liest scherzen, als malen. So große Herren glauben, unser Herrgott habe die armen Mädchen nur zu ihrem Vergnügen erschaffen. Als Peter mit seiner Erbschaft aus Gilgen heimkehrte, war er viel ärmer, als vordem. Dann standen die Dinge so, daß Liesl nicht mehr wagte, Peter ins Angesicht zu blicken. Sie war ganz verwandelt, Gott erbarme sich ihrer, der Ärmsten: Peter zeigte aber nicht, daß er etwas von der Sache wisse, selbst dann nicht, als der Maler vor seinen Augen mit dem Mädchen scherzte. Niemand konnte ahnen, was geschehen würde.
— Nun, was geschah? — fragte Hedwig. — Eines Sonntags bat der Maler Peter, er möge ihn ein wenig in den See rudern, und sie nahmen auch Liesl mit. — Nun? — Und seitdem (dies sagte er mit bebenden Lippen), sah sie Niemand wieder. — Keines von ihnen? — Nein, mein Herr, Keines von ihnen.
Der Erzähler ließ die Ruder herab und stützte den Kopf auf die Hand. Diese traurigen Erinnerungen hatten ihn tief gerührt. — Und diese Geschichte ist tatsächlich wahr? erklang die trockene Frage der Rätin.
— Ja, — seufzte Martin, — Peter hatte sie wahrscheinlich ertränkt, und dann selbst im Wasser seinen Tod gefunden. Sein Temperament war sehr aufbrausend, tyrannisch. Die Leichen konnten niemals gefunden werden, — dieses Wasser giebt seine Toten nicht her. Den Kahn fand man dagegen schon am anderen Tage, als man die Vermißten suchte, — leer. Es war dieser, worin wir sitzen.
Hedwig ergriff Martins Arm, und mit er schrockenen Augen ihn anstarrend, rief sie aus: — Nur zurück, zurück! Fahren wir zurück! Martin sah sie traurig an, und sprach mit einem seltsamen traurigen Lächeln. — Fürchtet sich denn das Fräulein? Sie können ganz ruhig sein, ich bin nicht so grausamer Natur, wie es Peter Grundl war. Und die Herrschaften haben mir gar nichts Böses angetan. Nach einer kleinen Pause fügte er hinzu: — Wenn man mir jedoch etwas solches täte, wie es Peter widerfahren, würde ich auch nicht für mich gut stehen! Und seine Augen blitzten. Wir erreichten das Ufer. Als ich ihm sein Trinkgeld übergab, fragte ich ihn: — War denn Peter Grundl Dein Freund?
— Nein, mein Herr, ich kannte ihn kaum, damals war ich eben beim Militär. — Weshalb wurdest Du so traurig, als du uns die Geschichte erzähltest? — Deshalb, mein Herr, weil Liesl meine Schwester war!
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