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Vom Spaziergange.

Autorenbild: Gerhard ZaunerGerhard Zauner

Also, ich finde diesen Text aus dem Jahr 1868 sehr grauslich, aber das ist ja Geschmackssache.

Kraus, Adorno und Wittkenstein haben Kürnberger in ihren Werken zitiert.




Feuilleton.


Ob Hallstadt oder Admont die Hauptstadt der Trotteln ist, darüber mögen die Gelehrten sich streiten. Als ich Admont zum erstenmale betrat, glaubte ich die schönsten Exemplare derselben — nicht der Gelehrten, sondern der Trotteln — in Admont zu finden; in Hallstadt aber bin ich irre geworden, und nun scheinen mir die Hallstädter die schönsten und vollkommensten.

Damit aber das edle Städtlein nicht denke, ich sage das in frevler Spottsucht muthwilligem Kitzel, und wolle vermessentlich seine Ehre touchiren, so sei schleunigst hinzugesetzt, daß ich noch viel mehr Gescheitheit als Trottelosis in Hallstadt gefunden.

Es existirt nämlich daselbst ein außerordentlich feines und pfiffiges Salzamt — es ist sogar ein „k.k." — welches z. B. den Centner Salz um einen Gulden producirt, denselbigen Centner aber um acht Gulden monopoliter an die Leute verkauft! Wenn das nicht gescheit ist, so hat wenigstens die vereinigte Weisheit von ganz Juda und Israel nicht so viel Witz, „ein Profitchen" zu machen, als dieses christlich-germanisch-römisch-katholische „k. k." Salzamt. Ad vocem: Trotteln. Ich bin der gelehrten Welt mit einer Hypothese im Rückstande — doch nein; man sagt heutzutage nur noch „Entdeckung“, nicht mehr Hypothese; also mit einer neuen und epochemachenden Entdeckung über den Ursprung der Trotteln bin ich im Rückstände, und soll an diesem Punkte meines Spaziergangs Ort und Gelegenheit wahrgenommen werden, zum Frommen der Wissenschaft mit derselben herauszurücken. Kalkwasser — Hochthäler-Nebel — stickstofflose Nahrung — es ist hinlänglich bekannt, daß all diese Erklärungsgründe noch immer nicht den letzten und wirklichen Grund der Trottelosis erklärt und getroffen haben. Derselbe wird wo anders und auf einem ganz neuen Wege zu suchen sein. Ich denke an die Cagots in Südfrankreich, die Trotteln der Pyrenäen. Es sind aber die Cagots, wie Jedermann weiß, die entarteten Nachkommen - der Gothen, welche als Spätlinge und Marodeurs dieses einstigen Herrschervolkes mitten in der Mehrheit ihrer Feinde zurückgeblieben und nun ihrerseits von denselben beherrscht, unterdrückt, verfolgt, durch Verkümmerung und Entziehung aller menschlichen Subsistenzmittel leiblich und geistig zu einer Trottel- und Paria-Race heruntgebracht wurden. Nun gib Acht, wißbegieriger Leser. Wenn Du Deine Karte aufschlägst, so findest Du in der Region Hallstadt-Aussee altstavische Ortsnamen, wie: Finitz, Stimitz, Toplitz, Kanisch, Lapitsch, Holschitz, vielleicht auch „die Pötschen", — kurz, heiliges Wenzel-Land. Bewiesen ist also, daß hier einst die Slaven geherrscht, wie sie ja im Grunde die ganze Welt beherrscht haben, z. B. auch Assyrien, denn Nebukadnezar war nach Mickiewicz ein Ezar, d. h. ein Slave. Nun kannst Du Dir aber vorstellen, grausamer Leser, daß die Deutschen, welche mit ihren grausamen Grundrechten, Autonomien und höchst grausamen und weitgehenden constitntionellen Freiheiten nur allein schon im aufgeklärten 19. Jahrhundert die heiligen Wenzelskinder so erbärmlich zerquetschen, daß sie dasselbe, sag' ich, im finstersten Mittelalter noch viel unbarmherziger, tyrannischer und barbarischer zu verüben die Wuth hatten. Wo durch denn das edle und königliche Herrschervolk — denn der Czar in Assyrien war weit und noch nicht in Moskau — unter den grimmigen Deutschen hilflos zugrunde gegangen, so daß die Slaven nach und nach unsere Cagots oder Trotteln geworden und auf der Stufe des geistigen Elends vom Menschen bis zum Rieger heruntergekommen. Solche Entdeckungen treten an's Licht, wenn ein weiser Mann einen Spaziergang in's Hochgebirge macht! Wie leichtsinnig ist's, daß ich diesen kostbaren Fund in einem Feuilleton verschleudere, woraus ich gar wol eine Preisschrift für die Akademie der Wissenschaften hätte machen können. Nun, es ist geschehen. Es sei Dir gegönnt, glücklicher Leser, daß Du nunmehr in der schlichten Form des Feuilletons eines der gediegensten Blätter ethnographischer Wissenschaft in der Hand hast, und ich bitte Dich nur, heb' es gut auf, ja verbirg es und verrathe meine Hypothese — meine Entdeckung, will ich sagen — um des lieben Friedens willen beileibe nicht in den Ländern unserer assyrisch-baktrischen Schlachtopfer, in Czechi-stan und Slovenistan. Wunderbar aber ist der Zauber, der bei den Kindern der Welt dem ungerechten Gute innewohnt, denn das ganze der Mutter Slava abgeschwindelte und freventlich germanisirte Dachsteingebiet hat der Sohn Teut's mit großer Herzenserquickuug und ohne Spur von Gewissensbissen wanderselig genossen und durchgeschwelgt. Das Wasser zur Basis genommen, wird dein Hallstädter Ausflug sich auf vier Linien stützen. Die vornehmste und im Range bedeutendste ist der See selbst; nach diesen seine drei größeren Zuflüsse; im Hintergrunde der Traunfluß, in. Der Mitte der Waldbachstrub, im Vordergrunde der Gosaubach. Da wir wol Alle von Ischl kommen, so ist uns der letztere der nächste. Der Gosaubach ist im Localverkehr kein verächtlicher Faktor. Auf einer Länge von fünf Stunden zum Hallstädtersee abfließend, führt er dem letzterem nicht nur den Holzreichthum seines waldreichen Mutterthales zu, sondern da auf der Mitte seines Laufs die Fahrstraße über Abtenau nach Golling abzweigt, so gewinnt der durch diese kürzeste Verbindung mit dem wichtigen Salzburger Längenthal noch eine weitere Bedeutung. Es war daher das Geringste, daß sein Mündungswinkel am Hallstädtersee eine Mühle ins Leben rief; man würde an derselben Stelle leicht eine ganze Ortschaft erwarten. Freilich ist diese Sägemühle, ihr Holzrechen, ihr Wirthshaus, ihre Wirthschaftsgebäude ein Ort für sich selbst, ein kleiner Culturort auf seinem eigenen Schwerpunkte. Wer kennt die Gosaumühle nicht? Sie hat ihr unverwüstliches Fundament in der Gunst der Natur, und nur ein Blümchen, eine Epheuranke, welche grünen und wieder absterben mag, ist die Gunst des Glücks, das Emporkommen von Ischl dessen „creme" und „societe“ die Gosaumühle entschieden in Affection genommen, sie zum Kaffee-Pavillon ihrer Govers, ja zum Hafen- und Stapelplatz ihrer Hallstädter See-Expeditionen ernannt, und welche nach all diesen Meriten – man sieht es ihr an - ein vermeintliches Recht zu glauben hat: die Gosaumühle das bin ich! Die Gosaumühle aber wird noch sie" selbst sein, wenn Ischl und creme und societe und Alles schon, längst, der wechselnde Mond geholt hat. Inzwischen hat dieses Lächeln der Mode der Besitzer, doch keineswegs wie ein Bauer, sondern wie ein gebildeter Mann aufgenommen und mit Grazie zurückgelächelt. Das heißt er hat seinem alten Wirthshaus dicht an dem See ein neues zugebaut, ein schmückes, reizendes Ding, welches mit aller Grazie des modernen Komforts und fern von Uebertheuerung den erfreuten Wanderer in seine gastlichen Arme nimmt. Ein gar wohliges Plätzchen! Eine jener seltenen Gebirgs-Lokationen in Oesterreich, wo Du als Städter gepflegt, nicht mißhandelt wirst! Da sitzest Du in der Veranda des Parterres, oder auf dem Balcon des Gestockes, die herrliche See-Aussicht vor Dir und im Ganzen nur mit mäßigem Grimme. Denn nur ahnen, nicht beweisen kannst Du es, daß es schauderhafte Platitüden sind, womit Dich das jausende Ischl umschnattert; hast Du ja doch nur das Racine- und Moliere-Französisch gelernt, mit nichten aber jene Geheimsprache der Dummheit, in welcher z.B. der Saal für Ehrenpreise Salon de Veroniques heißt. Du verstehst also von dem Veronique-Französisch der Ischeler Elegance zu Deinem Glücke kein Wort. Ein liebenswürdiger Franzose, welcher an diesem Tage mein heiterer Begleiter war, horchte dieser Jausen-Conversation eine halbe Stunde lang mit Aufmerksamkeit zu und fragte mich dann treuherzig: „Nicht wahr, diese Herren und Damen sprechen walachisch?" Noch versöhnlicher aber stimmen Dich die vortrefflichen Wagenpferde, welche drunten scharren und wiehern, und welche es Dir zur Gewißheit machen, daß all dieses chinasilberne und neugoldene Ischl, daß all diese verschiedenen Fekete Gabors mit ihren unaussprechlichen Baronessen zur guten Stunde „abfahren" werden. Und so ist es. Nach der Jausenstunde und mit einbrechender Dämmerung wirds still in der Gosaumühle, der Schwarm verfliegt und es bleibt höchstens hin und wieder ein Mensch zurück. Der Abend und die Nacht ist Dein. Ich war am ersten Abend mit dem Franzosen und am Zweiten ganz allein, als ich zweimal in der Gosaumühle übernachtete, vor und nach meinem Ausflug zum Gosausee. Der Tag, welcher dem Besuche des Gosausees gewidmet wird, ist einer von den unvergeßlichen Tagen in dem Leben eines Naturfreundes. Wenn uns in Oberösterreich und Obersteier das Herz schwillt vor leidenschaftlicher Freude über die Alpenwelt unserer Heimat, wenn wir die Falten unseres Hochgebirgs hundert und tausendmal durchblättert und den unerschöpflichen Reichthum unserer Naturschönheiten immer von Neuem Liebe und Freude abgewonnen haben, dann sagt der Kenner der Schweiz halb zustimmend, halb mitleidig: das ist wol schön und gut, aber Eins fehlt euren österreichischen Alpen doch: der Gletscher! Den Anblick des Gletschers gewährt nur die Schweiz, nicht euer Salzkammergut. Und er hat Recht — mit einer einzigen Ausnahme. Diese Ausnahme ist der Dachstein und seine schönste Avenue, der Gosansee. Es macht in ganz Oesterreich und Steier den Ruf und das Glück jedes Punktes aus, welcher sich rühmen kann, nur ein handbreites entre-ouverd auf irgend ein Splitterchen oder Stückchen vom Dachstein zu besitzen. Hier endlich siehst Du ihn selbst! So groß, so voll, so ganz, daß Du ausschreien möchtest, wenn nun der letzte Schritt geschehen ist, der Schritt auf jenen zauberhaften Steg, welcher die Ausmündung des Gosausees in seinen Bach überbrückt. Vergebens hast Du das Bild hundertmal in den Kunsthandlungen und Kunstausstellungen gesehen; vergebens hast Du den Gosausee mit dem Dachstein vielleicht in Deinem eigenen Photographie-Album; das Alles ist nichts in dem ersten uud einzigen Augenblick des naturwahren Verhältnisses, in jenem Augenblicke, wo Du mit Deiner sechs Fuß hohen Menschengröße dem zehntausend Fuß hohen Ungeheuer von Angesicht zu Angesicht confrontirt bist. Fall' auf die Knie und bitt' es ihm ab, daß Du im Format der Visitkarte ihn zu besitzen geglaubt! Der Punkt ist zu vermeiden? wo die Beschreibung des Gegenstandes in die Beschreibung des Gefühls ausartet. Und doch sagt Lessing: Male die Wirkung der Schönheit und Du hast die Schönheit gemalt. Eine gefährliche Lehre! Wie glühendes Eisen anzufassen! Nur große Künstler dürfen ihr folgen. Um also vom Gefühl ohne Gefühls-Declamation zu sprechen, so hast Du am Gosausee vor dem Bilde des Dachsteins das Gefühl, als seiest Du weit und breit mit Deinem österreichischen Hochgebirge wie mit einem großen Manne,- mit einem räthselhaft tiefen und dämonischen Charakter umgegangen; er hat Dir Neigung, Liebe, sogar auch Vertrauens gezeigt, er hat Dich in viele Geheimnisse seines gewaltigen Lebens eingeweiht, aber immer blieb Dir die Empfindung, er halte noch an sich, das letzte Wort und den Schlüssel seines Charakters habe er noch keinem Sterblichen mitgetheilt. Da endlich — in einer feierlichen Stunde, in einem gehobenen heiligen Augenblick — zieht er Dich in eine Nische — und spricht! So läßt am Gosausee das Hochgebirg seinen letzten Schleier fallen und offenbart Dir Alles. Es zeigt Dir sein innerstes Geheimniß, einen Gletscher! Es ist aber auch eine unvergleichliche Nische, dieser Gosausee! Irgend ein Vorsprung, Aussprung, Ueberhang, Block, Schroffen hätte noch im letzten Augenblicke genügt, um dicht vor dem Bilde das ganze Bild zu verderben, ungefähr wie liebenswürdige Damen auch auf den bestgewählten Schaubühnen mit ihren Sonnenschirmen und Fächern Dutzenden von Reben- und Hintermännern die Schau hinwegmanövriren. So brutal ist der Gosausee nicht. Wie eine Mandelschale liegt er da, fein geschnitten, klar gezeichnet, ein gut begrenztes Oval. Seine Umfangskontour, eine hochbewaldete Steilwendung, stört kein merklicher Faltenbruch, nichts Wirres, Zerwühltes, krampfhaft Verrenktes. Kein Architekt könnte ein Amphitheater optisch reiner und lichtvoller entwerfen. So erhebt sich über den Hochrand des Sees in vollkommener Freiheit der Formen, wie ein nackter classischer Gott, der majestätische Dachstein mit dem unermeßlichen Schneefeld auf seinem Gipfel, mit der gespenstigen Kalkkegelsäule, die daraus emporstarrt, mit der scharfgezahnten grauen- Gratlinie, die auf dem cyanblauen Lustgrund seine letzten Umrisse zeichnet. Es ist eine wilde Eleganz in diesem Gosauer Seebilde, von oben bis unten ein Zauber der Harmonien, daß mitten unter Grauen und Schrecken ein Zug von Heiterkeit durchgeht, ein eigenthümlich süßes, fast zutrauliches Anheimeln. - Das Gosauthal, .das Schatzkästlein eines solchen Juwels, gewinnt uns auf dem Rückwege nun doppelte Aufmerksamkeit ab. Ein Blick darauf wird nicht überflüssig sein. Vom Hallstädter zum Gosausee ist eine Steigung von 1136 Fuß, denn um so viel liegt der letztere höher, als der erstere. Diese Steigung vertheilt sich aber, wie bemerkt, auf fünf Wegstunden, und zwar ziemlich gleichmäßig. Sie ist also gelinde und unbeschwerlich. Im ersten Drittel ist das Thal eng, schluchtig und von Natur aus nur das Bett des Gosauer Wildbaches. Die treffliche Straße, erst links, dann rechts ziehend, ist den Berglehnen abgerungen. Raum für Meuschen-Ansiedlungen gibt diese wilde und schattige Enge noch nicht. Ueberraschend ist das zweite Drittel. Plötzlich eine sonnige Weite, eine sanftgebuchtete, schwellende Thalmulde, Kornähren, Obstbäume, eine Dorfschaft, zwei Kirchen. Die Steigung ist hier eine Stunde lang gänzlich sistirt, das Thalniveau wie mit der Wasserwage geebnet. Sie ist auch buchstäblich zu nehmen die Wasserwage, denn so deutlich als möglich verräth sich dieser Thalboden als ehemaliger Seeboden. In unhistorischer Urzeit lag mit Gewißheit hier der erste Gosauersee, und den wir heute den ersten nennen, das war der zweite. Das letzte und kürzeste Drittel, bei der bekannten Gosauschmiede anfangend, „wildert“ am meisten. Die Steigung, -zwar immer noch unbeschwerlich, ist hier beträchtlicher und hat auf die Klafter doppelt und dreifach die Zollzahl der früheren. Der Bach zischt in Stromschnellen und Cascaden durch eine tiefgewühlte Ravine, an deren Rand wir bald da. bald dort gruselnd und neugierig vortreten. Die Berge neigen sich in steiler Schräge zusammen und lassen der Fahrstraße keinen Thalrand mehr übrig. Die elegante Welt aber, weil sie nicht mehr fahren kann, nimmt auch sofort schon ihren beliebten „Führer" auf, welcher natürlich nichts zu thun hat. als sein Geld einzustecken und das Lachen zu verbeißen. Denn der Weg ist breit und deutlich genug und daß er jetzt durch Geröllsteine und Knüppeldämme ein wenig rauher wird, das kann auch der Führer nicht ändern. Das ungefähr wäre in Kürze die Skizze des Gosauthals. Wie nun, wenn wir aber nicht blos besuchen, sondern besitzen und bleiben wollten? Ist die Gosau ein Sommeraufenthalt für Wiener Familien? Diese Frage liegt uns jetzt practisch nahe. Antwort: Für „Familien" kaum; Entfernung und Entbehrung möchten entschieden zu groß sein. Aber für Männer — für Einzelne — für Anspruchslose — ein. lautes und vernehmliches Ja! Was sucht man denn Anderes im Hochgebirge als grünschattige Wildniß und doch milde Sonne, an der man sich wärmen, ebenen Boden, auf dem man spazieren gehen kann? Die Location der Gosau nun ist wie geschaffen für diesen Zusammenklang von Wildniß und Wohnlichkeit. Als ich die Mittelregion der Gosau durchwanderte, wärmte die Sonne das Thalbecken aus, als könnten Palmen Hier wachsen.; wenn ich aber bedachte, daß dieselbe Sonne in dieser Jahreszeit unser Wiener Gras schon längst zu gelbem Stroh versengt hat, und dann die Matten hier ansah in ihrem intensiven strotzenden Saftgrün, so merkt' ich doch, wo ich war. - Man stelle sich die „sonnige Weite", von der ich gesprochen, nur nicht allzu weit vor! Ein Stündchen in der Länge, kaum zehn Minuten in der Breite, —- man athmet eben auf zwischen den erdrückenden Bergen; nicht mehr. Und sprech' ich von den Donnerkogeln zuletzt? Dieses fürchterliche Phänomen, welches seine Riesenzähne in die Gosau herabfletscht, müßte den engagirtesten Romantiker, dem jede Spanne Feld- und Wiesenfläche ein Gräuel ist, das Schwindeln, Hautschauern und Haarsträuben in süßer perpetuirlicher Uebung erhalten. Ein gespenstiges Bild diese Donnerkogeln! Ueber die Waldberge der Gosau, welche doch auch nicht zahm aussehen, über den Südrand des Thales, ragen sie wie aus einer fremden und todten Welt herüber, ein graues, kahles, bis auf den Knochen abgeschürftes Kalkfelsengebirge, steil, schroff und, gezackt wie ein scharfes Gebiß, wie eine geschliffene Säge. Wer mit aufgeregter Phantasie im Dunkel des Zwieichts die grauen Ungethüme erblickt, der könnte sie für die versteinerten Furien halten, welche mit dürren und langgestreckten Hälsen in die freundliche Gosau, wie in den Hain von Delphi, wohin sie ihr Opfer nicht mehr verfolgen dürfen, drohend hinübergrinsen. Es kann aber Beleuchtungen geben, unter welchen dieses abgewitterte Kalkgebirge dem Thale der Gosau das schönste Alpenglühen bereitet, denn Schnee oder nacktes Gestein ist ja der Zauberspiegel dieser farbenprächtigen Schauspiele. Dann läge das Gosauthal in einem Rosengarten, wie wenige unserer Hochgebirgsthäler. Was in der Gosau den zweiten Pol der Poesie, den Comfort, angeht, bleibt freilich im Zweifel. Die Gosauschmiede ist eine gute berühmte Küche, als Lodginghans aber fraglich; kleine Fenster, niedrige Zimmer, alpines Bauernhaus. Kefer's Gasthäuslein, nett und reinlich im Aeußern, nimmt sich noch ärmer und schüchterner aus. Die prächtigen Wirthshausschlösser in Tirol fehlen eben fast durchgehends in Oesterreich. Und doch: wenn bei der Wähl eines Sommeraufenthalts nicht nur seine eigene Schönheit, sondern noch mehr die Leichtigkeit der Abwechslung unter schönen Umgebungen und Nachbarschaften entscheidend sein soll, — wie viel spräche auch hier für die Gosau! Ein Punkt, welcher auf der einen Seite den Hallstätter-, auf der anderen den Gosausee zu bequemen Nachmittags-Spaziergängen hat; welchem eine dritte Linie, der schöne Waldweg nach Abtenau, das großartige Salzburg-Panorama erschließt; welcher die Zwiesel-Alm und die herrliche Igelmoos-Alm als nahe und leicht ersteigliche Aussichten beherrscht: ein solcher Punkt ist wol der Aufmerksamkeit der Naturfreunde werth. Und gerne gesteht der Spaziergänger; daß außer seinem persönlichen Genuß sein Augenmerk auf neue und taugliche Sommerfrischen ein mitbegleitendes Motiv war, denn so groß das Gewimmel der Fashion ist, nicht klein ist die Zahl Derjenigen, welche von Jahr zu Jahr sich mit steigendem Ueberdruß fragen: Muß es denn just Ischl und Gmunden sein?

Ferdinand Kürnberger

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