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Wo Rosen ranken...

Autorenbild: Gerhard ZaunerGerhard Zauner

Aktualisiert: 18. Juli 2024






Wo Rosen ranken...

Aus Erzählungen, 1903


Ich kenne ein Dornröschen unter den Häusern. Es liegt in einer stillen, fellswandumschlossenen Bucht, am Ufer eines großen, dunklen Sees, den hochwaldbestandene, zinkige Berge weit in's Land hineingeleiten. Wilde Rosenhecken umfangen die bröckeligen Mauern des verödeten Hauses. Sie schlingen sich um die trüben, erblindeten Fenster, um die geschlossene Tür. Sie schwingen sich empor über die kunstlose Holzaltane, die absteht wie eine steife, altväterische Krause. Und selbst über das breit überschirmende, giebelige Dach klettern die blühenden, die süß duftenden Ranken.

Oft bin ich den schmalen Bergpfad herabgestiegen, an dem knorrige Zwergkiefern kauern, feste Tannen stehen und die lichtzarten Lärchen prangen, als seien sie verwunschene Bergfräulein.

Oben sangen die Vögel, schollen Menschenstimmen, klang der träge Ton einer Herdenglocke.

Unten tiefe, tiefe Einsamkeit.

Hier hat nur mein Herz gepocht, wenn ich auf den verwitterten Steintreppen des Einganges lagerte. Sonnenschein – Ruhe!

Starr und kühn ragten die Berge in den Himmel hinein.

Zittrig bewegt aber tauchten ihre stolzen Gipfel nieder in den dunkelgrünen Wassern des Sees, dem die lichte Sonne selbst nicht auf den Grund sieht.


"Ein höchst liebliches Genrebild ist Eybl's Erdbeerenverkäuferin aus Hallstatt. Man weiß nicht, soll man hier Erdbeeren oder Küsse naschen."


Mein Haupt ist dann wohl müde zurückgesunken auf die Stufen. Ich habe sinnend hineingesehen in die weißrosige Pracht der wilden Rosen. Über der Tür, bis tief herab über die Klinke, hingen die schönsten Blüten, die vollsten Knospen, die stachligsten Zweige. Nur einer war abgestorben -- dürr. Er ist eingeklemmt worden in die zuschlagenden Flügel der Tür -- doch hing er noch fest verankert in dem wirren, grünen, kräftigen Gehege.

Wundersam hat mich das ergriffen. Der als letzter über diese Schwelle trat, wo Rosen ranken, hat keine andere Spur seines Daseins zurückgelassen, als ein totes Dornenreis. . .

Die ziehenden Wellen rauschten und glucksten. Sie spielten mit einer Kahnkette, die leer und nutzlos von einem morschen Pflocke niederhing --- von braunem Roste überzogen und von grünen Algen. Die ziehenden Wellen plauschten und raunten, flüsterten . . .

Eine Geschichte haben sie mir erzählt. Die Geschichte des menschenverlassenen Hauses.


Sie klang wie ein Märchen:

„Wir trugen einst auf einem kleinen, flinken Kahne einen Mann hier an das Land. Er ist wohl über die Berge zum See herabgestiegen. Mit ihm kam der Frühling. Aber der Mann mit den blassen Wangen und mit den herben Furchen auf der freien Stirne sah nicht aus, als wüßte er vom Lenz. Wohl hielt er sein dunkellockig Haupt stolz aufrecht, als wollte er Trutz dem Leide bieten, das aus seinen Zügen sprach; oder als sei er gewohnt, eine Krone zu tragen. Doch hatte er keinen anderen Schmuck als einen goldenen, runden Reif an einem Finger seiner Rechten.

Als er hier an's Land schritt, tat er einen tiefen Atemzug. Dann sank er plötzlich nieder auf den weichen Wiesenteppich und grub sein Antlitz hinein in die frischen, schwanken Halme, als wäre er ein Durstiger und wollte trinken von der Mutter Erde.

Wir Wellen hüpften an dem Uferrand empor, denn wir waren neugierig und wollten alles sehen. Stand nicht lange an, so trugen wir schwere Kähne zu der stillen Bucht. Die Schiffe waren beladen mit Steinen und mit Stämmen und allerhand Gerätschaften. Die Leute aber, die sie fuhren, waren rauhe Gesellen mit harten Händen.

Sie fingen an, ein Haus zu bauen. Mit ihnen war auch ein Mädchen gekommen, licht und schlank. Unter den Männern sah es aus wie eine Birke unter Wettertannen.

Das Haus wuchs schnell. --- Ernst und tiefversonnen sah der fremde Mann dem lebensvollen Treiben zu. Immer öfter, immer lieber suchten seine Augen das junge Mädchen . . .

Und eines Tages sprach er sie an:


„Wie heißt Du ?“

O „Herr, das weiß ich nicht. Ich kann Dir nur sagen, wie man mich ruft: Rose! Denn man hat mich einst -- in Linnen eingewickelt – unter einem wilden Rosenstrauche gefunden. Und wie ein wilder Rosenstrauch bin ich herangewachsen. Bei dem fragt auch keiner was nach seinem Gedeihen, nach seinem Welken – und ob er Blüten trägt oder Dornen . . , Ich bin arm, Herr, denn kein liebes Herz ist mein eigen. Weißt Du, wie hart das ist?“

Da neigte er das stolze Haupt, das er sonst so hoch trug, als wollte er einem Leide trotzen, oder – der Last einer Krone.

Der. fremde blasse Mann und das fremde blonde Weib sahen sich in die Augen -- lange, lange. -- Als sie sich von einander wandten, glühten ihre Wangen, lächelten seine Augen.

Wir Wellen hielten ganz still; denn wir waren der Spiegel, in den sich die Buchen des Hochwaldes sahen, indes sie sich mit dem jungblättrigen Brautkranz des Lenzes schmückten.

Als das Haus fertig stand und es wieder einsam wurde in der stillen Bucht, da kam eines sonnigen Morgens Rose über den Bergpfad gegangen. Sie trug einen wilden Rosenstrauch auf den Schultern. Den pflanzte sie in die Erde vor dem Hause.

„Warum tust Du das, Rose?" fragte der fremde Mann und strich der Knieenden über den goldigen Scheitel.


Sie fasste nach seiner Hand und sah lieblich zu ihm auf.

„Weil ich Dir danken möchte, Herr. Sieh, seit dem Tode jener Leute, die meine verwaiste Kindheit pflegten, hat mir niemand mehr ein liebes Wort gesagt als Du. Nun möchte ich mit Rosenhecken Dein Haus vergittern. Die Dornen sollen wachsen für alle, die Dir Böses sinnen. Die Rosen sollen blühen für Dich.“

„Mädchen, das war ein guter Spruch. Doch soll er sich erfüllen, braucht's mehr als einen Strauch. Willst Du bleiben und mir helfen, Rosen zu pflanzen um mein Haus?“


Sie blieb und half ihm, wilde Rosen pflanzen um sein Haus.

Tagsüber bauten sie an der dornigen Hecke und lehrten einander das Lachen und das Fröhlichsein.

Des Abends aber hielten sie Feierstunde am Ufer. Dann sprach er von den großen, ernsten Wundern des ewigen Sternenhimmels. Sie plauderte ihm die lieben Märchen vor von den hilfreichen Geistern der Erde. Oder sie schwiegen und horchten auf uns nimmerruhende Wellen und sahen uns zu, wie wir die Strahlen des Mondes hin zu ihren Füßen trugen.

Als die seltsame Mauer fertig stand, da reichte ihm Rose mit abgewandtem Gesichte die Hand und wollte gehen. Doch als sie ihren Fuß auf die erste Felsenstufe setzte, rief er sie beim Namen. Sie wandte sich. Die Hände über der Brust gefaltet, sah sie ihn an, wie ein scheues, sehnsüchtiges Kind ...

Da breitete er die Arme aus nach ihr -- und sie flog hinein, lachend, weinend, jauchzend: „Herr, ich hab' Dich lieb -- lieb – mehr als mich selber . . .“

Und aufjubelnd schleuderte der Mann seinen kalten, gleißenden Goldreif vom Finger . . . Er küßte die warmen Lippen des seligen Weibes und hob sie empor mit kräftigen Armen an seine Brust . . .

So wies er sie uns -- so den Bergen; die standen stolz und ehern, wie mannhafte Zeugen.


Wir Wellen aber zogen an's Ufer und sangen ihnen das Brautlied. – – –

Die wilden Rosenhecken wuchsen empor an dem Hause in der stillen Bucht. Wir sahen sie mit beharrrlichen Armen das Gemäuer umfangen, wenn uns der Herbststurm peitschte.

Sie zeigten uns ihr hoffnungsvolles Grün, als wir die Fesseln des Wintereises sprengten . . . An einem wetterschwülen Sommertage furchte uns ein Kahn. Wir zischten zornig an seinen Planken empor, denn wir ahnten nichts Gutes. Wohl verwehrten wir den Männern, die das Schiff barg, das Landen. Doch das Sprechen konnten wir ihnen nicht wehren. -- Vor seinem Hause stand der Fremde, der sich Gastrecht erworben an unserem stillsten Ufer.

Die im Kahne heischten von ihm in lauten, dringlichen Reden seine Rückkehr. Denn seine Freunde und alle, die ihm untertan, begehrten seiner. Von den Männern trug einer einen schwarzen, finsteren Talar. Er war groß und hager. Und der sprach laut und flammend von der Sünde, die der Fremde an seinem ehelichen Gemahl begangen, von Treubruch und Buße ...

Rose duckte sich zitternd in die rosenumrankte Türnische und schaute flehend nach dem Manne, den sie liebte.

Der trug sein Haupt stolzer als je und rief; „Meine Freunde ? Sie haben mich verraten. Die, die mir untertan gewesen, haben mich verkannt. Und mein ehelich Weib hat mich nie geliebt. Fahrt wohl!“

Da erhob sich zwischen den Männern ein Weib mit grauen Haaren. Das rief mit starker Stimme:


„Herr, komm' mit uns – um Deines Sohnes willen komm!

Ich habe den Knaben gehegt an meinem Herzen wie Dich einst -- Herr; was soll ich ihm sagen wenn er nach seinem Vater fragt ?“


Da wurde der Mann am Ufer bleich. Er achtete Roses nicht, die sich in hilfloser Angst zu seinen Füßen warf. Er sah mit weit offenen Augen nach dem Schiffe...

Wir Wellen trieben es seeinwärts und verwischten jene Spuren. -- -- Aber der Ruf des grauhaarigen Weibes hatte Macht gewonnen über den Mann am Ufer.


Arme Rose, arme Rose!

Warst wieder gleich dem wilden Rosenstrauche. Es fragte keiner, keiner was nach Deinen Blüten, Deinem Welken und ob Du Dornen trägst.---"

Die Wellen stockten –; dann ein schluckender Ton, er klang fast wie ein Schluchzen. Und ganz leise plauderten sie weiter:

„Als er sie verließ, hat er versprochen, wieder zu kommen. Sie harrte, hoffte; er kam nicht.

Leer und nutzlos, wie heute, hing die Kette nieder, die einst seinen Kahn gefesselt hatte. Die blühenden Dornenranken verdeckten fast die Tür. Dem Leide hatten sie nicht wehren können – und die Rosen welkten -- vergessen.

Das junge Weib saß Tag für Tag am Ufer und sehnte sich die Seele wund.


Er kam nie wieder.

An einem Morgen, der so nebeltrüb war, als sollte nimmer wieder die Sonne scheinen, ist Rose über die Schwelle des Hauses getreten.

Zum leztenmal.

Die Tür flog knirschend hinter ihr in's Schloss.

Festen Fußes ist sie zu uns herabgeschritten. Wir wichen vor ihr zurück. Doch sie ging uns nach - - da haben wir sie leise umfangen und ihr müdes, junges Herz zur Ruh' gesungen . . .


Die Wellen schwiegen.

Denn die Sonne stieg eben auf den breiten Rücken der Berge nieder und erschien zugleich in der Tiefe des Sees mit der Allgegenwärtigkeit eines ewigen Schöpfers.

Von den Bergen herab, vom Wasser hinauf trugen breite, rosige Strahlen ihren Abendsegen in das Tal . . .

Da habe ich die Hände ineinander gelegt, wie ein Frommgläubiger, dem die Glocken Ave läuten.

Und an der Schwelle, wo Rosen ranken, habe ich an das Weib gedacht, das als letzte über diese Stufen geschritten; und das keine andere Spur seines Daseins zurückgelassen, als Dornenreis.

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